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Nur wer sich auf den Weg macht, wird neues Land entdecken! Hugo von Hofmannsthal

Kapitel 4: Irland 1971 und 2001

4.1 Ankunft in Irland 1971

Am Ende einer Vorlesung verkündete der Professor für mittelalterliche deutsche Literatur an der Salzburger Universität, an der ich mein in Wien begonnenes Studium zu Ende führte, dass die University of Strathclyde in der schottischen Großstadt Glasgow den Posten eines „Austrian language assistant in German“ anbiete. Wer Interesse hat, möge sich bei ihm melden. Ich zögerte keine Sekunde. Sofort nach der Vorlesung ging ich zu dem Professor und erklärte mein Interesse. Ich wusste nichts über Schottland, außer dass es weit weg von der Heimat war. Es war eine spontane Entscheidung, die mein Leben veränderte. Das war im Jahr 1969.

In den folgenden Monaten hörte ich viel Negatives über Glasgow. Es sollte dort fürchterliche Slums geben, und das Klima wäre schwer zu ertragen. Die Wirklichkeit war weit weniger schlimm. Gewiss, Glasgow hatte arme Gegenden, und es regnete oft. Aber es gab auch sehr schöne Stadtteile mit wunderbarer Jugendstil-Architektur, gemütlichen Pubs und interessanten indischen Restaurants. Vor allem aber hatte es eine herrliche Umgebung sowie freundliche Menschen. Und es regnete auch nicht mehr als in Salzburg. Meine zwei Glasgower Jahre habe ich in guter Erinnerung.

Als sich mein Vertrag mit der University of Strathclyde seinem Ende näherte, wollte ich etwas länger in diesem Teil Europas verweilen und bewarb mich um einen Assistentenposten in Irland. Das University College Galway antwortete positiv und wollte mir die Bewerbungsunterlagen zusenden, als die britischen Angestellten von Post und Telefon einen Streik ausriefen. Industrielle Dispute waren damals in Großbritannien nichts Seltenes. Einmal streikten die Bergwerksarbeiter, dann die Stromversorgung, und alle diese Streiks dauerten nicht Stunden oder Tage, sondern Wochen und Monate. Die Bevölkerung nahm diese Unannehmlichkeiten mit bewunderungswürdiger Gelassenheit hin.

Das Telefonsystem war noch nicht automatisiert. Man konnte das Ausland nur über die Telefonvermittlung erreichen. Zum Glück für mich gab es unter den Telefonangestellten verhältnismäßig viele Streikbrecher, und so war es nicht allzu schwer, mit Galway Kontakt aufzunehmen und mit dem Vorstand des dortigen German Departments das Übereinkommen telefonisch abzuschließen. Im September 1971 trat ich meinen Posten als Junior Lecturer in German in Galway an.

Zu dieser Zeit lief der Film Ryan’s Daughter in den Kinos. Die wilde Schönheit der irischen Küstenlandschaft machte einen großen Eindruck auf mich, und aufgrund des Films erschuf ich mir ein Bild von Irland als das eines von der modernen Zivilisation noch erfreulich unberührten Landes. Ich wollte Galway kennenlernen, bevor ich dort meinen Posten antrat. Die Osterferien 1971 boten dazu eine gute Gelegenheit, und ich machte mich mit meinem Auto auf den Weg nach Stranraer, um von dort mit der Nachtfähre nach Larne in Nordirland überzusetzen. Ich fuhr in der Dunkelheit auf der fast leeren mondbeschienenen Straße, als plötzlich eine Kuh vor mir stand. Ich trat auf die Bremse, das Auto schlingerte nach links und krachte mit der rechten Tür in die Kuh. Diese fiel flach auf die Seite und blieb liegen. Ich stieg aus dem Auto und überlegte, was zu tun sei, als das mächtige Tier aufstand und in das Feld davontrottete. Da die Autotür beschädigt war und sich nicht versperren ließ, fuhr ich nach Glasgow zurück. So endete mein erster Versuch, auf die grüne Insel zu gelangen.

Der zweite Versuch im Juni war erfolgreicher. Mein erster Weg in Galway führte mich in das German Department. Es dauerte einige Zeit, bis ich es fand, da es etwas entfernt vom Campus in einem Haus in der Nähe des Corrib-Flusses untergebracht war. Außer der deutschen Abteilung befanden sich dort auch die Büros des französischen, italienischen und spanischen Departments. Im Vorgarten des Hauses graste eine Kuh. Abgesehen davon, dass sie mich an die Kuh erinnerte, mit der ich in Schottland zusammengestoßen war, schien sie das Bild, das ich mir von Irland gemacht hatte, zu bestätigen. Ich wurde von den beiden deutschen Sprachassistenten willkommen geheißen. Sie riefen den Vorstand der Deutschen Abteilung an, der so freundlich war, mich zum Abendessen in sein Haus einzuladen.

Mein Aufenthalt in Galway dauerte vier Jahre. Der Westen Irlands war eine mildere Version von Schottland. Damit meine ich, dass die Umgebung von Galway, vor allem Connemara und Mayo, stark an die schottischen Highlands erinnert, das Klima aber freundlicher und der Zugang zu den Bergen leichter ist. Die Menschen waren weniger reserviert als die Schotten, und Galway mit seinen damals dreißigtausend Einwohnern war viel lebendiger als vergleichbare schottische Städte. Während sich dort die meisten Menschen bei Einbruch der Dunkelheit in ihre Häuser begaben und die Fernseher einschalteten, wachte Galway nach Sonnenuntergang erst richtig auf. Galway bei Nacht war eher wie eine Stadt in Spanien oder auf dem Balkan als ein Ort auf den sogenannten „britischen Inseln“.

In den frühen Siebzigerjahren gab es noch wenige Touristen. Irland war ein Geheimtipp. Die Umwelt war noch verhältnismäßig unverdorben. An zahlreichen Stellen der Küste konnten wir Muscheln sammeln, und die Fischer verkauften uns frischen Hummer zu lächerlich niedrigen Preisen. Wenn man in Galway auf der Brücke stand, die über den Corrib-Fluss führt, konnte man den wilden Lachs sehen, der stromaufwärts schwamm, um zu laichen. Der erste im Frühsommer gefangene wilde Lachs bot jedes Mal den Anlass zu einem Fest. Heute ist er eine Seltenheit. Die Krankheiten, die der gezüchtete Lachs verbreitet, wenn er ins offene Meer entwischt, haben ihn fast völlig ausgerottet.

Sehr bald trat ich dem Galway Mountaineering Club bei. Als Kind hatte mich mein Salzburger Onkel Erich oft auf Gebirgswanderungen mitgenommen. Nun entdeckte ich meine Liebe zu den Bergen wieder. Connemara hat alles zu bieten, was der Bergsteiger begehrt. Die Berge sind zwar nicht höher als siebenhundert Meter, aber da der Aufstieg nur wenig über dem Meeresspiegel beginnt, ist das nicht so wenig. In der Regel besteigt man mehrere Gipfel hintereinander, und auf diese Weise vermag eine Tagestour sehr schnell dazu führen, dass man weit mehr als tausend Höhenmeter zu überwinden hat. Im Gegensatz zu den Alpen gibt es keine markierten Wege. Man muss gut mit Kompass und Karte umgehen können, wenn man nicht in ernste Gefahr geraten will. Es gibt auch keine Hütten, und das Handy bleibt meistens ohne Empfang. Für den Wanderer, der für einige Zeit fernab von jeder Zivilisation verweilen möchte, sind die Berge von Connemara, Mayo und Kerry der ideale Ort.

4.2 Die Skellig Inseln 2001

Wenn wir der Zivilisation für eine Weile entfliehen wollen, mieten wir eine Hütte in einer entlegenen Gegend, wo wir das Wasser aus dem Brunnen vor dem Tor schöpfen und auf das von der Hütte einige Meter entfernte Plumpsklo gehen müssen. Wir haben dann das Gefühl, dass wir die Kunst, unter extremen Bedingungen zu überleben, gut meistern. Wenn aber unsere Handys tagelang ohne Empfang sind und wir keinen Internetanschluss haben, werden wir sehr schnell nervös und können es nicht erwarten, in unser gewohntes Leben zurückzukehren.

Die Mönche, die sich im 6. Jahrhundert n. Chr. auf der Insel Skellig Michael vor der Küste der Grafschaft Kerry niederließen, meinten es ernst mit der Abwendung von aller irdischen Bequemlichkeit. Es gibt zwei Skellig Inseln. Little Skellig ist ein berühmtes Vogelschutzgebiet, und Skellig Michael mit den Überresten der monastischen Siedlung wurde zum UNESCO-Welterbe erklärt.

Die Bootsfahrt nach Skellig Michael dauert eineinhalb Stunden. Da die See meist rau ist, braucht man einen guten Magen, um die Reise ohne Seekrankheit zu überstehen. Bei starker Dünung kann die Landung problematisch sein, und die Passagiere laufen Gefahr, beim Überspringen der Kluft zwischen dem sich auf und ab bewegenden Boot und der Pier ins Meer zu fallen.

Wie die Mönche mit ihren kleinen Booten dorthin gelangten, ist schwer vorstellbar. Vermutlich überlebten nur die Fittesten von ihnen dieses Abenteuer. Und wenn sie einmal dort waren, gab es keine Rückkehr. Die Mönche blieben auf Skellig Michael und waren bis zum Ende ihres Lebens vom Fischfang und von den kümmerlichen Produkten der ärmlichen Erde abhängig. Quelle gibt es auf der Insel keine, aber es regnet genug, um die Wasserversorgung sicherzustellen. Die Lebenserwartung muss sehr kurz gewesen sein. Die Mönche verübten Selbstmord in Zeitlupe. Da die Welt ein Tal der Tränen und ein Sündenpfuhl war, war es das Beste, sie so schnell wie möglich zu verlassen und in die bessere Welt des Jenseits einzutreten. Ein zu langes Verweilen auf Erden erhöhte nur die Gefahr, von der Sünde angesteckt zu werden.

Ich habe immer ein wenig Angst davor, Inseln zu besuchen. Das Wetter kann plötzlich umschlagen, so dass man tagelang festsitzt. Vielleicht hängt meine Furcht damit zusammen, dass ich in Irland, einer Insel hinter der größeren Insel Großbritannien, lebe und von meinen kontinentalen Wurzeln nicht noch mehr abgeschnitten werden möchte, als ich es ohnehin schon bin. Eine andere Erklärung mag sein, dass ich unter Klaustrophobie leide. Auf einer kleinen Insel festzusitzen ist für mich wie in einen Lift eingeschlossen zu sein.

Im September 2001 machten Ursula und ich Urlaub an der Küste von Kerry nahe dem Dorf, von dem aus die Boote nach Skellig Michael auslaufen. Der 11. September war ein besonders schöner Tag, und die See war ziemlich ruhig. Ich schlug meine Bedenken in den Wind und ließ mich dazu überreden, die Überfahrt nach Skellig Michael zu wagen. Ich habe es nicht bereut. Ich wurde nicht seekrank, und wir landeten problemlos. Wir stiegen die 670 Stufen zum höchsten Punkt der Insel, wir sahen die Bienenkörben ähnlichen steinernen Häuser, in denen die Mönche gelebt und gebetet haben und versuchten uns vorzustellen, wie es sei, für immer dort bleiben zu müssen. Der Gedanke allein machte mich schaudern. Was für einen starken Glauben müssen diese Mönche gehabt haben, um solche Entbehrungen auszuhalten!

Als wir zum Festland zurückkehrten befand sich unser Bootsmann in der allergrößten Aufregung. Seinen verwirrten Äußerungen vermeinten wir zu entnehmen, dass die Vereinigten Staaten von den Russen angegriffen worden seien und dass die Hölle los war. Wir glaubten ihm nicht, aber er bestand darauf, es im Radio gehört zu haben. Im Hotel sahen wir dann die immer wieder abgespielten Videos, auf denen zu sehen war, wie die Flugzeuge in die Twin Towers hineinkrachten, und langsam wurde uns klar, was geschehen war. Wenn immer jemand Ursula und mich fragt, wo wir gewesen seien, als nine eleven die Welt erschütterte, erinnern wir uns, dass dies der Tag war, an dem wir Skellig Michael besuchten.


Der Autor auf dem Benchoona Mountain in County Mayo

Reiseabenteuer 1950 - 2018

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