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Kapitel 6

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Am Tisch hinter den beiden Kriminalbeamten saß scheinbar ein vollkommen in seine Zeitung versunkener junger Mann. Nichts in der Welt vermochte ihn von seiner Lektüre abzulenken. Es musste ein spannender Bericht sein, den er da las. Er wandte selbst dann nicht den Blick ab, als er sein Croissant nach französischer Art in einen großen Pott mit dampfendem Kaffee tunkte. Genussvoll und genau zum richtigen Zeitpunkt steckte er sich das aufgeweichte Plunderteiggebäck in den Mund. Nicht zu früh und nicht zu spät. Hätte er einen Augenblick länger gewartet, wäre es als teigige Masse im Kaffeepott versunken.

Mike Färber war stolz auf seine französische Vergangenheit. Er hatte seine gesamte Jugend unweit von Paris verbracht, war in der Hauptstadt zur Schule gegangen und hatte später sogar ein paar Semester Philosophie an der Sorbonne studiert. Das war eine tolle Zeit gewesen, intensiv und aufregend. Doch was gewesen war, war vorbei und allenfalls noch als nostalgischer Erinnerungskram etwas wert. Es war nicht alles schön gewesen und er war inzwischen froh, damals das Weite gesucht und in Deutschland eine neue Heimat gefunden zu haben. Aber immerhin hatte er in Frankreich gelernt, wie man richtig frühstückte. Er trank einen Schluck Kaffee und wischte sich mit dem Handrücken den Mund sauber.

Wieso sprachen die beiden so leise? Kommissar Zeller war sonst kein Mann der leisen Töne. Er sagte deutlich, was er wollte. Nicht immer gewählt formuliert, aber so, wie es sein sollte – klar, schonungslos und ehrlich. Bei ihm gab es kein großes Drumherumgerede, kein Wischiwaschi wie bei den anderen, die sich oft scheuten, Stellung zu beziehen. Er machte unmissverständliche Ansagen. Jedenfalls meistens.

Mike Färber saß nicht zufällig auf dieser Bank im Bistro des Rottweiler Bioladens. Die Zeitung interessierte ihn keineswegs. Sie diente nur der Tarnung, genau wie die Zelebrierung eines französischen Frühstücks. Ihn interessierte an diesem Samstagnachmittag nur, was der Kriminalhauptkommissar und seine ganz passable Begleitung zu besprechen hatten. Den Zeller kannte er gut, nicht persönlich zwar, aber von einigen Besuchen im Gericht und aus der Zeitung. Der Hauptkommissar stand öfter Rede und Antwort bei Prozessen, was er stets souverän und unaufgeregt meisterte. Färber hatte noch nie eine Situation erlebt, in der er aus der Ruhe gebrachte worden wäre. Zeller aufs Kreuz zu legen, wie es manche Verteidiger versuchten, war ein erfolgloses Unterfangen.

Färber wollte näher ran an den Kommissar, ihn am besten als Informanten gewinnen. Vor einiger Zeit hatte er ihn deshalb um ein Interview gebeten. Ganz groß hätte er ihn im Radio herausgebracht, zur gefragtesten Sendezeit. Er hatte sich intensiv darauf vorbereitet und einige schöne Ideen entwickelt. Sein Konzept war genial gewesen.

Doch es war anders gekommen. Zeller hatte ihm einen Korb gegeben. Kurz und knapp. Als ob er als Chefredakteur beim Radio Antenne 1 Neckarburg Rock & Pop in Rottweil überhaupt nichts zu melden hätte. Färber war beleidigt gewesen und hatte dies Zellers Vorgesetztem, Polizeirat Bausinger, gesagt. Der hatte nur mit den Schultern gezuckt und ihm erklärt, dass der Kommissar nun mal so sei. Da könne man nichts machen, weder er als sein Chef noch Färber als Starreporter. Er solle sich doch einen anderen bewährten Polizisten oder noch besser eine Polizistin suchen. Zeller sei nicht der Einzige hier. Aber der Beste, hatte er dem Polizeirat damals grimmig an den Kopf geworfen und die Polizeidirektion unverrichteter Dinge wieder verlassen. Dann würde er eben ein Interview mit einer Krankenschwester oder einem Feuerwehrmann führen. Die waren auch wichtig im städtischen Zusammenleben, genau wie die Kriminalpolizei.

Sein heutiger Tag, dachte sich Färber, während er die beiden heimlich beobachtete, war nicht erfolgreich gewesen. Er ärgerte sich richtig darüber. Zu der toten Person auf dem Hofgerichtsstuhl am frühen Morgen hatte man ihn nicht vorgelassen. Wie dumm auch von ihm, dass er den Presseausweis in der anderen Jacke vergessen hatte. So hatte er erst mal zurück nach Hause gemusst, um den Ausweis zu holen. Eilig war er anschließend wieder zum Hofgerichtsstuhl zurückgekehrt. Doch trotz Presseausweises bekam er auch diesmal nicht die Erlaubnis, den Toten zu sehen oder einen der anwesenden Polizeibeamten zu sprechen. Wütend war er zurück nach Hause gefahren. Dort hatte immerhin seine Freundin mit einem liebevoll zubereiteten Frühstück auf ihn gewartet. Kaum hatte er es sich mit ihr gemütlich gemacht, musste er jedoch schon wieder los zum Turm. Sein Informant hielt ihn auf Trab. Als er endlich dort angekommen war, wurde bereits alles abgesperrt. Aber auch hier war es ihm unmöglich gewesen, in den Turm zu gelangen oder wenigstens etwas näher an das Geschehen. Die Leute, die er vor Ort befragt hatte, wussten genauso viel wie er, nämlich nichts, und stocherten im Dunkeln herum oder verloren sich in völlig absurden Verschwörungstheorien. Wenigstens konnte er einen Beitrag über die Stimmung der Menschen anfertigen, die man vergessen hatte, rechtzeitig über die Schließung des Turms zu informieren. Es kam viel Frust zum Vorschein. Zwar gefiel Färber nicht alles, was er hörte, aber es war ein toller Aufmacher für seine Sendung. Prompt griffen einige Radiohörer zum Telefon und spendeten Beifall.

Zeller hatte er nur kurz im Foyer des Turms gesehen, genau wie die unbekannte Kollegin an seiner Seite. Später hatte er beobachtet, wie sie den Turm durch den Personaleingang verlassen hatten und in ihren Wagen gestiegen waren. Er war ihnen gleich hinterhergejagt, hatte ihnen jedoch nicht lange folgen können. Mit seinem Fahrrad war er einfach zu langsam gewesen.

Er wusste aber, wo Zeller stets seinen Kaffee trinken ging. Oder seinen Flachmann auftanken. Es war schon bis zu ihm vorgedrungen, dass der Kommissar gerne einen schnäpselte, auch während des Dienstes. Im »b2« war er ihm schon öfter über den Weg gelaufen. So war ihm die Idee gekommen, dort auf ihn zu warten. Und die war goldrichtig gewesen, seine Journalistennase hatte sich nicht getäuscht. Leider waren die Informationen, die er bisher hatte aufschnappen können, spärlich. Da hatte er mehr erwartet. Wenigstens wusste er jetzt, dass die Frau an Zellers Seite seine Assistentin war. Wie hatte er sie genannt? Elli Jones? Das klang echt spannend. Färber hatte sofort gemerkt, dass sie nicht von hier sein konnte. Wahrscheinlich kam sie frisch aus den Staaten, nach einem Studium beim FBI oder vielleicht sogar bei der CIA. Bestimmt hatte man sie extra geholt, um der Rottweiler Kriminalpolizei unter die Arme zu greifen und die neuesten Ermittlungsmethoden beizubringen. War sie eine Forensikerin wie in dieser amerikanischen Fernsehserie? Oder war sie eine knallharte, in allen möglichen Kampfsportarten geschulte Kriminalerin mit den neuesten Waffen im Handgepäck? Zwar sah sie auf den ersten Blick nicht danach aus, aber er hatte sich schon oft in den Menschen getäuscht. Die Frau war anders als der sogenannte Sherlock Holmes von Rottweil. Sie würde Zeller Beine machen und Bausinger gleich mit. Da war er sich ganz sicher. An die würde er sich ranmachen, egal wie. Vielleicht als Verehrer, als potenzieller Liebhaber. Sie schien nicht verheiratet zu sein. Einen Ring an ihrer Hand hatte er jedenfalls nicht gesehen. Da müsste doch etwas zu machen sein.

Bei diesem Gedanken fiel ihm seine Freundin ein, mit der er seit ein paar Wochen zusammenwohnte. Hoffentlich würde sie ihm nicht auf die Schliche kommen. Ihre Eifersucht war nicht unerheblich. Egal, hier ging es um mehr. Sie würde es verstehen müssen. Ein investigativer Journalist musste flexibel sein und dabei mitunter gewisse Grenzen überschreiten.

Als die beiden Kriminaler sich nun voneinander verabschiedeten und Zeller in die eine Richtung und die Assistentin in die andere ging, stand er auf und folgte Jones unauffällig.

Die Toten von Rottweil

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