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Kapitel 3

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Kriminalhauptkommissar Paul Zeller stand stumm neben seiner neuen Assistentin vor dem Aufzug des TK Elevator Testturms und wartete. Was war heute nur los, überlegte er dabei, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Vor nicht einmal 100 Minuten waren sie beim ermordeten Richter Schuhmacher gewesen und nun gab es einen weiteren Fall. Wieder Mord. Zwei Tote. Warum nur war er nicht nach Wien geflogen? Vielleicht wäre er gerade um diese Uhrzeit im Café Central in der Wiener Herrengasse gesessen und hätte ein Stück Sachertorte mit einem großen Mokka vor sich stehen gehabt. Oder im Prater in einer Gondel des Riesenrades hoch über der Stadt. Es wäre so friedlich gewesen, so erholsam und inspirierend. Doch er war hier, in seinem Rottweil, welches er seit knapp zwei Stunden nicht wiedererkannte.

So viele Opfer gab es sonst nicht einmal in einem ganzen Jahr. War es Zufall oder Absicht? In Anbetracht der geringen Kriminalitätsrate in Rottweil hätte er eigentlich zu Ersterem tendiert. Aber etwas in ihm war skeptisch. In seinem langen Polizistenleben hatte er gelernt, dass es keine Zufälle gab. Wenn er den Gedanken weiterspann, wurde es noch fürchterlicher. Denn wenn es kein Zufall war, dann wäre alles akribisch geplant gewesen. Keine Bluttat im Affekt. Und vielleicht waren diese Taten erst der Anfang? Er hoffte inständig, dass es anders war. Der Beginn einer Mordserie, hier in dieser Stadt, überstieg seine Vorstellungskraft.

Noch immer warteten sie auf den Aufzug. Mit einem Seitenblick schaute er auf die junge Frau neben sich. Eigentlich hätte er etwas zu ihr sagen müssen. Doch er schwieg. Er hatte mit sich zu tun. Worüber sollte er sich auch mit ihr unterhalten? Die Themen dieser Generation waren nicht die seinen. Für Social Media war er zu alt. Für ihre Musik genauso. Überdies kam erschwerend hinzu, dass ausgerechnet sein Vorgesetzter diese Frau Jones ausgesucht hatte – wahrscheinlich um ihn zu bespitzeln. Also schwieg er lieber. Über das Wetter zu reden war für ihn pure Zeitverschwendung.

Zeller vermied es in der Folge krampfhaft, Jones anzuschauen, und blickte stur auf die Tür des Aufzuges. Als ob dort die Lösung ihres Falles geschrieben stünde. Jetzt bewegte sich was in dem Schacht. Der Aufzug hielt vor ihnen an, die Tür öffnete sich. Drei Männer standen darin, einer davon trug die rote Jacke des Notfallarztes, die beiden anderen die Uniformen der Rettungssanitäter. Sie nickten sich zu.

»Hallo, Paul. Auch schon auf? Hätte ich gar nicht gedacht von dir«, begrüßte ihn der Notarzt vertraut. Sie kannten sich seit vielen Jahren.

»Da fragst du noch, Lothar? Kennst mich doch. Du bist schon fertig? Nichts mehr zu tun da oben?«, entgegnete Zeller gleich mit mehreren Fragen und ahnte sogleich die Antwort. Die irrwitzige Hoffnung, dass es nicht so schlimm werden würde wie angenommen, war gegenstandslos. Wenn der Notarzt so rasch den Tatort verließ, dann gab es aus medizinischer Sicht nichts mehr zu tun. Jetzt erfolgte eine fließende Übergabe an die andere Zunft, die Bestatter. Sie würden die beiden Toten in einen Alu-Sarg packen und in die Rechtsmedizin nach Tübingen zur Obduktion bringen. Vorher musste sie der Staatsanwalt anordnen. Obduktionen waren teuer.

»Ich hätte mir den Weg sparen können. Leider. Da oben sieht es aus wie in einem Schlachthaus. Ich hoffe, ihr habt gut gefrühstückt. Schönen Tag noch.« Er machte eine grüßende Handbewegung an den nicht vorhandenen Hut und verschwand.

Zeller und Jones betraten die Kabine. Hinter ihnen schlossen sich die Türen. Die mitfahrende Angestellte des Testturms drückte einen Knopf und der Fahrstuhl setzte sich lautlos in Bewegung.

Unauffällig musterte Zeller seine neue Kollegin. Seine langjährige Erfahrung hatte ihm im Voraus gesagt, was er sehen würde in ihrem hübschen Gesicht: Diese Mischung aus Aufgeregtheit und Lampenfieber, verbunden mit der Freude, zu einem ersten richtigen Einsatz mitgenommen zu werden, und die zögerliche Angst vor dem, was sie erwarten würde. So war es bei allen gewesen, die er an seiner Seite eine Weile durch den Polizeialltag mitgenommen hatte. Keine hatte es bisher lange bei ihm ausgehalten. Außer Susanne, die war nicht unterzukriegen gewesen. Bis es nicht mehr gegangen war zwischen ihr und Zellers Chef. Dazu diese fatale Fehlentscheidung. Es hätte nie so weit kommen dürfen. Doch daran war nur Bausinger schuld gewesen.

Immerhin schien seine Neue ihre Aufregung gut im Griff zu haben und redete nicht pausenlos auf ihn ein. Oder hatte ihr das erste, unfreundliche Treffen mit ihm die Sprache verschlagen und sie war vorsichtig geworden? Fast tat es ihm leid, ihr nicht die Hand gegeben zu haben. Egal, sie würde es verkraften. Und wenn nicht, war es ihr Problem.

Er bemerkte nicht ohne einen Anflug von Sympathie, dass sie sich mit ihren Fragen tapfer zurückhielt. Es fiel ihr sicherlich nicht leicht. Erst Anfang letzten Monats hatte man ihm die Lehrgangsbeste an der Polizeihochschule Baden-Württemberg in Böblingen angekündigt. Nach ihrer Polizeiausbildung war sie kurze Zeit in Stuttgart gewesen und später auf diesem Lehrgang. Er hatte die Information gleich wieder vergessen und sich nicht weiter darum gekümmert. Schließlich hatte er anderes zu tun gehabt. Erst als Bausinger Jones heute Morgen vorgestellt hatte, war es ihm wieder eingefallen. Sein Chef hatte sie ihm damals schon angepriesen wie einen Rohdiamanten, den es galt, behutsam zu formen. Auch wenn es nicht der richtige Ausdruck für die Bearbeitung eines Diamanten war, gefiel Paul die Wortwahl besser. Ein Schleifer wollte er keinesfalls sein. Dafür konnte Bausinger andere nehmen.

»Sie heißen Elli Jones?«, ließ sich Zeller zu einer Frage hinreißen.

»Ja.«

»Woher?«

»Aus Triberg. Jedenfalls die letzten 20 Jahre.«

»Und vorher?«

»Israel.«

»Echt?«, gab er zurück und war kurz interessiert, fragte aber nicht weiter nach und so verebbte das gerade begonnene Gespräch wieder.

Während sie in einer enormen Geschwindigkeit nach oben brausten, schaute er versonnen durch die Panoramafenster nach draußen. Wie schön hätte diese Fahrt sein können, wenn man sich nur an der ständig verändernden fantastischen Aussicht hätte berauschen können. Ewig hätte er so weiterfahren können. Egal, wie hoch. Doch sein Wunsch blieb unerhört. Fast unmerklich wurde der Fahrstuhl abgebremst und die Fahrt war beendet. Als sich die Türen öffneten, zögerten sie zunächst, hinauszutreten. Die Worte des Notarztes hallten noch nach. Außerdem schlug ihnen ein erbärmlicher Gestank entgegen. Es roch wie in einem Schweinestall. Zeller gab sich einen Ruck und sagte zu seiner Kollegin, die ihn mit angstvollem Blick ansah: »Na los, Jones. Es wird schon nicht so schlimm werden. Bleiben Sie hinter mir. Ist besser so. Und halten Sie sich ein Taschentuch vor die Nase.«

Mehrere Kriminaltechniker, verhüllt in ihren weißen Ganzkörperanzügen, liefen, standen oder knieten um zwei Hügel mit abgedeckten Inhalten. Der eine direkt neben dem Aufzug, der andere um die 30 Meter weiter weg. Der Notarzt hatte nicht übertrieben mit seiner Warnung. Blut und Gehirnmasse waren weiträumig auf dem Boden des Korridors verteilt. Hier hatte ein wahres Gemetzel stattgefunden. Er konnte sich nicht erinnern, schon einmal etwas Ähnliches gesehen zu haben.

Als er sich die Leichen unter den Tüchern zeigen ließ, vernahm er einen dumpfen Aufprall hinter sich, wenige Meter vom Aufzug entfernt. Seiner Begleiterin war der Anblick um diese Uhrzeit wohl zu viel. Zeller tat so, als habe er es nicht bemerkt. Sie wird schon wieder hochkommen, dachte er nur. So etwas gehörte zum Anfang bei der Kripo dazu. Erst später würde man bei solch schrecklichen Bildern nicht mehr das Bewusstsein verlieren.

Er brauchte nicht lang hinzuschauen, um einen ersten Eindruck zu gewinnen. Beide Frauen hatten die gleiche Todesursache erlitten. Jeder von ihnen war der Schädel mit brachialer Gewalt eingeschlagen worden. Das konnte kein Mensch überleben. Keine Chance.

Er sah die Leiterin der Spurensicherung vor einem der Tücher knien und lief zu ihr. »Ulli, du schon wieder. Ich sehe dich seit Neuestem öfter als meinen besten Freund. Gegenüber dem Anblick heute Morgen allerdings sieht es ja hier echt schlimm aus. Da war der tote Richter eine wahre Augenweide.«

»Als ob du Freunde hättest, Paul. Die wenigen, die dafür infrage kämen, sind schon lange davongelaufen oder tot.«

»Ach, komm. So schlecht bin ich doch gar nicht«, versetzte er. »Hast du schon was Besonderes gefunden?«

Sie schüttelte zögernd den Kopf. »Noch nicht, Paul. Wir haben gerade erst angefangen. Es ist ein schrecklicher Tag, den ich bestimmt nicht so schnell wieder vergessen werde. Wir kommen mit der Arbeit kaum hinterher. Heute Morgen da draußen, jetzt hier drin. Meine Truppe musste sich teilen. Drei Kollegen sind beim Hofgerichtsstuhl, der Rest hier. Immerhin haben wir hier weniger Gaffer. Eines aber passt nicht und macht mich nachdenklich.«

»Was? Raus damit.«

»Die Ältere von den beiden, die vorn am Fahrstuhl liegt, trägt nur einen Unterrock. Sie wird wohl kaum so gearbeitet haben.«

»Das ist eigenartig. Habt ihr den fehlenden Arbeitskittel gefunden?«

»Noch nicht. Aber wenn es sein muss, krempeln wir den gesamten Turm nach dem Kleidungsstück um. Egal, wie lange er dann geschlossen bleiben muss.«

»Kannst du was zur Tatzeit sagen?«, versuchte Zeller erneut, Ulli ein paar Informationen zu entlocken.

»Es ist noch keine drei Stunden her. Der Notruf von hier kam um 6.40 Uhr. Viel früher wird man sie nicht getötet haben. Irgendwann zwischen ihrem Arbeitsbeginn und dem Anruf. Genauer geht’s nicht. Die Todesursache scheint klar, so eine rohe Gewalt überlebt niemand. Die jüngere Frau, da weiter hinten, versuchte zu flüchten. Sie kam nicht weit. Der Täter holte sie ein und erschlug sie. Dass kein Mensch ihr Schreien hörte? Man hat sie beide erschlagen wie räudige Hunde. Einfach nur grausam.«

»Die Tatwaffe muss stabil gewesen sein«, entgegnete Zeller und kauerte sich neben sie. »Ein Schirm oder ein Spazierstock wird es wohl eher nicht gewesen sein.«

»Auf keinen Fall! So eine Sauerei kann nur etwas Hartes anrichten wie ein Baseballschläger, eine Metallstange oder ein dicker Knüppel«, antwortete Ulrike Brenner und erhob sich.

»Oder ein Golfschläger«, sagte Zeller mehr zu sich selbst und schaute nachdenklich drein. Er meinte sich zu erinnern, im Foyer eine Tasche mit mehreren Golfschlägern stehen gesehen zu haben.

»Kann gut sein. Es gibt viele Möglichkeiten«, erwiderte die Kriminaltechnikerin dünnhäutig.

»Ich muss dir noch etwas zeigen. Du wirst erstaunt sein.« Er folgte ihr in den großen Konferenzraum. Der Gestank wurde immer grässlicher. Elli Jones, gerade ein wenig erholt, war zu ihnen gestoßen und hielt sich ein Taschentuch vor die Nase. Angewidert drehte sich die junge Frau bei dem Anblick gleich wieder weg.

Zeller traute seinen Augen nicht. Was sollte das sein? Eine Protestaktion mit Symbolcharakter? Hatte der Vortrag vom gestrigen Abend damit zu tun? Oder ging es gegen die Firma, die den Turm erbaut hatte? Mitten im Konferenzraum hing ein Schwein von der Decke. Der Bauch war geöffnet, aus ihm baumelten die Gedärme heraus. In die Schnauze hatte man dem Tier einen Packen Geldscheinattrappen gesteckt. »Zur Abwechslung wirklich was Neues, Ulli. Den Mord an einem Schwein habe ich bisher noch nie untersuchen müssen. Was soll Jones hier neben mir davon halten? Sie wird sich fragen, wo sie hineingeraten ist. Tierkadaver, ein ermordeter Richter und zwei erschlagene Frauen. Etwas viel für einen einzigen Tag.«

Er stellte seine blasse Kollegin und die Kriminaltechnikerin gegenseitig vor. Ulli Brenner lächelte Jones freundlich an. Irgendjemand musste ihr den Tag retten. Zeller würde es bestimmt nicht sein. »Ist für mich auch neu. Weder in der Ausbildung noch in Verbindung mit einem Mordfall habe ich so was schon gehabt. Allerdings hatte ich schon mit allerlei anderen Schweinen zu tun – unterschiedlichen Alters, beruflicher Position und Geschlechts. Wenn das nichts zu bedeuten hat … Ich habe die Sau extra für dich hängen lassen und hoffe, du dankst es mir einmal«, sagte sie zu Paul.

»Aber natürlich! Das weißt du doch. Ich bin gespannt auf den Todeszeitpunkt. Hing das Schwein schon, als die beiden Frauen den Raum betraten, oder hat man es später hier drapiert? Ich denke mal, es war schon da. Alles andere ergibt wenig Sinn.« Zeller hatte genug gesehen und verließ mit seiner neuen Kollegin den Konferenzraum. Draußen wandte er sich ihr zu: »Ich hoffe, der Tag heute wird Sie nicht von der Verwirklichung Ihres Berufswunsches abhalten. So etwas habe ich auch noch nicht erlebt. Glauben Sie mir. Und wahrscheinlich werden Sie das auch nie mehr erleben. Damit Sie auf andere Gedanken kommen, bringen Sie in Erfahrung, was hier gestern für eine Veranstaltung stattgefunden hat, wer referiert hat und wie viele Besucher da waren. Vielleicht ist eine Liste für Kartenvorbestellungen vorhanden. Dann haben wir Informationen darüber, wer anwesend war. Und lassen Sie bei den Bauern der Umgebung nachfragen. Ich will wissen, wem eine Sau abhandengekommen ist. Allerdings braucht derjenige nicht zu denken, dass er die zum Verwursten mitnehmen kann. Die geht nach Tübingen.«

»Jetzt gleich?«

»Nein, Jones, nächstes Jahr. Oder vielleicht übernächstes? Was stellen Sie für Fragen? Natürlich sofort! Wir brauchen Fakten.«

Sie nahmen den Panoramaaufzug nach unten. Eva, eine junge Polizistin, die gerade ihre Ausbildung beendet hatte, kam im Foyer auf Zeller zu. »Herr Kriminalhauptkommissar, im Raum zwei wartet die verantwortliche Turmmanagerin. Möchten Sie mit ihr sprechen? Sie heißt Elke Schatz.«

Er nickte und entschuldigte sich bei Jones. Dann folgte er der anderen Kollegin in das Zimmer neben dem zentralen Besuchereingang.

Dort stellte er sich kurz vor und setzte sich der Turmmanagerin gegenüber. Sie sah mitgenommen aus, weinte unaufhörlich und wischte sich ständig mit einem Taschentuch die Augen trocken. Das Make-up der adretten Frau um die 40 war verwischt. Schluchzend schnäuzte sie sich. Zeller wartete. Er wollte sie nicht drängen. Hier würde ein zu forsches Befragen das Gegenteil von dem bewirken, was er erreichen wollte. Er würde nichts erfahren. Als sie sich allmählich beruhigt hatte, sagte sie zu ihm: »Schrecklich. Einfach nur furchtbar. Berta war so eine treue Seele. Eigentlich hatte sie heute frei. Sie hätte gar nicht kommen müssen. Doch die Kollegin, die für heute eingeteilt war, musste sich krankmelden. Als ob sie es geahnt hätte. Berta ist deshalb kurzfristig eingesprungen. Man konnte immer auf sie zählen.«

»Sie waren zu zweit.«

»Ja, die andere Frau hieß Gudrun. Auch sie hat eine erkrankte Mitarbeiterin vertreten. Doch die Gudrun war das Gegenteil von Berta. Aber was soll man machen, es gibt nicht mehr viele gute Kräfte für diesen Job. Wer will sich denn heutzutage noch die Hände schmutzig machen! Da waren wir froh, dass …« Sie verstummte wieder. Der nächste Weinkrampf schüttelte sie. »Bitte entschuldigen Sie, Herr Polizist. Es ist einfach abscheulich. Ich muss immerzu heulen. Dagegen kann ich nichts machen«, sagte sie schließlich etwas gefasster.

»Kein Problem, Frau Schatz. Sie sagen uns, was Sie gesehen haben, wenn Sie es können. Lassen Sie sich Zeit. Das wird schon noch«, beruhigte er sie.

Sie nickte und wischte sich wieder mit dem zerknüllten Taschentuch über die Augen.

Der Kommissar versuchte es erneut. »Ist Ihnen etwas aufgefallen, als Sie den Turm betraten?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Nichts Ungewöhnliches. Es war wie jeden Tag. Die Schicht der Putzkräfte begann gegen 6 Uhr. Schließlich hätten wir heute unseren Turm ganz normal geöffnet und da kommen wirklich viele Leute zu uns. Da muss alles sauber sein. Es gab jede Menge Vorbestellungen für Führungen und Einzelbesuche. Die meisten Tickets werden über unseren Onlineshop geordert.«

»Gibt es einen Portier oder einen Sicherheitsdienst?«

»Nur einen Portier als Wachdienst in Personalunion. Der ist dann mit der Polizei verbunden. Zweimal die Nacht kommt eine Streife vorbeigefahren, einmal um Mitternacht, dann noch mal gegen vier.«

»Wer hatte Dienst in der vergangenen Nacht?«

»Eduard Seidel. Er war die gesamte letzte Woche zuständig. Es wird wöchentlich gewechselt. Bei großen Veranstaltungen hilft manchmal stundenweise Personal von einem anderen Sicherheitsunternehmen.« Wieder kamen der Frau die Tränen.

Zeller stand auf. Von ihr würde er heute nichts Verwertbares mehr erfahren. »Frau Schatz, es ist gut für heute. Kommen Sie morgen in mein Büro. Es ist zwar Sonntag, aber Ihre Aussage ist wirklich wichtig, das brauche ich Ihnen nicht extra zu sagen. Morgen können Sie mit mir oder mit einem meiner Kollegen über alles in Ruhe reden. Man wird sich jetzt um Sie kümmern und Sie gern nach Hause bringen, wenn Sie möchten.« Mit einem Kopfnicken gab er der soeben eingetroffenen Polizeipsychologin ein Zeichen.

Gerade als er den Raum verlassen wollte, rief die Managerin ihm aufgeregt hinterher: »Herr Kommissar, da war doch noch was. Fast hätte ich es vergessen. Als ich gleich nach dem Notruf gegen 7 Uhr zum Turm kam, war Ede Seidel vom Sicherheitsdienst nicht im Foyer an seinem Platz, wie sonst in aller Regel. Und trotzdem konnte ich eintreten, ohne den Pin eingeben zu müssen. Es war aber kein Mensch da. Erst nachdem ich laut nach Seidel gerufen habe, ist er erschienen.«

»Wo ist er gewesen?«

»Das weiß ich nicht. Er trug eine Papierrolle im Arm. Er sagte, er käme aus dem Raum für die Reinigungskräfte. Seine Jacke hatte einen deutlich sichtbaren nassen Fleck. Er hatte etwas verschüttet. Wenn Sie mich fragen, sah es wie Rotwein aus. Doch ich kann mich auch irren.«

»Ist die Tür um diese Uhrzeit immer nur über den Pin zu öffnen?«

»Oder mit dem Chip, den braucht man nur dranzuhalten. Meistens winke ich aber einfach nur dem anwesenden Sicherheitsbeamten zu und dieser öffnet mir dann die Eingangstür von seiner Theke aus. Der Betrieb geht ja erst viel später los. Heute war die Tür aber wie gesagt gar nicht verschlossen.«

Zeller dankte ihr und versuchte, freundlich zu lächeln, obwohl er mit seinen Gedanken längst woanders war. Der Hinweis auf Seidels Abwesenheit konnte wichtig sein. Was hatte der Mann gemacht, als Frau Schatz im Turm erschienen war? Hatte er wirklich etwas verschüttet und war gerade dabei gewesen, das Malheur zu beseitigen? Und konnte der Fleck nicht viel eher von Blut herrühren als von Rotwein? Er dankte der Turmmanagerin und versuchte, Jones zu finden. Doch sie war nirgendwo zu sehen.

Zeller lehnte sich an die Theke und wartete. Sein Smartphone fing an zu schellen. Es war Anne. Sie machte sich Sorgen um ihn. Normalerweise hätte er wenigstens einmal durchgerufen, wenn er schon so mir nichts, dir nichts verschwand. Ihre Stimme klang aufgeregt. Es war besser, wenn er sich beeilte, nicht, dass dieser Zustand sich noch hochschaukelte. Das wollte er unbedingt vermeiden. Er versuchte, sie zu beruhigen, was ihm ganz gut gelang. Jedenfalls hörte sie sich schon nach kurzer Zeit entspannter an. Es werde spät werden heute, sagte er ihr. Leider. Sie solle nicht auf ihn warten.

Beim Verstauen seines Smartphones in der Manteltasche fühlte er den Flachmann. Er verzog sich auf die Besuchertoiletten im Foyer, angelte sich den Schnaps aus der Innentasche seines Mantels und nahm einen tiefen Schluck daraus. Jetzt konnte es weitergehen. Anne würde schon klarkommen.

Die Toten von Rottweil

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