Читать книгу Die Toten von Rottweil - Herbert Noack - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеZeller konnte es nicht glauben, als das schrille Klingeln seines Smartphones ihn am heutigen Samstag weckte. Der Blick zur Uhr ließ ihn erschaudern. Er hatte gerade mal drei Stunden geschlafen. Es war spät geworden gestern Nacht, zuerst im »Kapuziner«, dann im »Goldenen Becher« und zum Schluss im »ZiZ«. Er hatte seinen Ärger herunterspülen müssen. Wieder einmal war er allein losgezogen. Sie hatte nicht mitgewollt.
Und jetzt riefen sie ihn um sechs an. Dachten seine Kollegen etwa, Zeller konnte man immer erreichen, bei Tag und bei Nacht? Er hatte weder Bereitschaft noch normalen Dienst. Eigentlich wäre er gar nicht da. Hätte Anne ihre gemeinsame Reise nicht gecancelt, dann säßen sie in diesem Moment am Stuttgarter Flughafen und würden auf ihre Maschine nach Wien warten. Und er hätte keinen Kater, weil er keinen Ärger gehabt hätte.
Doch jetzt lagen sie hier in ihrem Bett und Anne schlief tief und fest. Ihre Atemzüge gingen gleichmäßig, von dem flehentlichen Rufen seines Smartphones hatte sie nichts mitbekommen. Er gab ihr einen Kuss auf das unschuldige Gesicht und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Sie fühlte sich gestört und drehte sich murrend auf die andere Seite. Zeller bedeckte ihren Rücken mit der heruntergerutschten Bettdecke und nahm das Smartphone in die Hand.
»Ja? Zeller hier.« Er gähnte laut ins Telefon. Der Kriminalhauptkommissar war nicht gerade für seine Freundlichkeit bekannt.
»Paul, wir haben einen Toten. Keinen Unbekannten, wenn du verstehst, was ich meine«, sagte eine Frauenstimme.
»Auch das noch. Es ist Samstag. Können die sich nicht am Montag gegenseitig umbringen und uns wenigstens das Wochenende in Ruhe lassen? Wer ist es denn?« Etwas Hoffnung schwang in seiner Stimme mit. Vielleicht war es doch nicht unbedingt notwendig, dass er dabei sein musste. Womöglich konnten das auch seine Kollegen lösen.
»Linus Schuhmacher. Der Richter.«
Zeller war augenblicklich hellwach. Jetzt verstand er, was sie damit gemeint hatte, er sei kein Unbekannter. Schuhmacher war tot? Er hatte ihn doch gestern Morgen noch gesprochen.
»Du machst Witze.«
»Paul, wach endlich auf.«
»Wie ist er umgekommen?«, fragte Zeller, und fügte noch hinzu: »Wurde er etwa ermordet?«
»Du kannst Fragen stellen, Zeller. Hätte ich angerufen, wenn er an Altersschwäche gestorben wäre? Los, raus aus den Federn.«
»Wohin soll ich kommen?«
»Zum Hofgerichtsstuhl«
»Carla, bitte. Wohin?«
»Kennst du den Hofgerichtsstuhl nicht? An der Königsstraße, Ecke Lorenz-Bock-Straße. Gleich in der Nähe vom Gericht. Also schwing dich in dein Auto und komm endlich her. Es ist wichtig. Hier ist jetzt schon großer Bahnhof. Sogar Bausinger ist da.«
Zeller quälte sich aus dem Bett. Das konnte ja heiter werden. Sein Chef schon im Einsatz? Er stellte sich seine Stimmung lebhaft vor. Eigentlich hatte er keine Lust darauf und überlegte einen Moment, sich lieber krankzumelden. Einfach wieder hinlegen, die Bettdecke über den Kopf ziehen und schlafen.
Als Zeller am Tatort eintraf, war immer noch »großer Bahnhof«, wie Carla Zimmermann ihn vorgewarnt hatte. Das Gelände um den Hofgerichtsstuhl, der seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als Erinnerung an das kaiserliche Hofgericht hier stand, war weiträumig abgesperrt. Einige neugierige Fußgänger waren stehen geblieben und glotzten sich die Augen aus. Viele hatten Smartphones in den Händen. Wahrscheinlich war der Vorfall in Rottweil längst in aller Munde. Ein paar Leute von der Zeitung sah er auch. Als sie Zeller erblickten, rannten sie auf ihn zu und versuchten, ihm Fragen zu stellen. Der Kommissar winkte ab.
Ein junger Mann probierte, unter der Absperrung hindurchzuschlüpfen. Vergeblich. Ein Polizist bekam es mit, packte ihn an der Kapuze seiner Jacke und zog ihn hinter die Absperrung zurück. Er werde sich beschweren, hörte man den Mann schimpfen, die Hörer des Antenne 1 Neckarburg Rock & Pop hätten ein Recht auf eine aktuelle Berichterstattung. Der Polizist gab ihm trotzdem nicht die Erlaubnis.
Viel war für die Schaulustigen nicht zu sehen. Ein großer weißer Pavillon war von den Beamten über den Hofgerichtsstuhl gestülpt worden. Zeller klappte die Wand des Sichtschutzes beiseite und sah Ulrike Brenner zu, wie sie den toten Richter fotografierte. Einer ihrer Kollegen sicherte indes mit einem Pinsel unsichtbare Spuren auf dem Steinthron. Ein weiterer untersuchte die Sakkotaschen des Richters. Die Kriminaltechnik war gut vertreten, im Gegensatz zur Kriminalpolizei. Da war nur er da und sein Chef Bausinger.
Neben Bausinger stand eine junge Frau im weißen Overall. Sein Chef redete unaufhörlich auf sie ein, hatte einen Arm auf ihre Schulter gelegt und zeigte mit dem anderen auf den Toten. Zeller sah auf einen Blick, dass er sie beeindrucken wollte und sein Wissen mit einer großen Gießkanne über sie ausleerte. Er drehte sich ab und wandte sich an die Leiterin der Spurensicherung – der K8, wie sie hier dazu sagten. Vielleicht hatte sie Informationen für ihn.
»Hallo, Ulli. Schon was gefunden an diesem gottverdammten Tagesbeginn?«
»Ach, Paul. Wieso bist du so schlecht drauf? Heißt es nicht: Eine Leiche am Morgen vertreibt Kummer und Sorgen? Oder so ähnlich.«
»Kannst du schon was sagen?«
»Männliche Leiche«, antwortete Doktor Ulrike Brenner spöttisch. Die gut 40 Jahre alte Frau mit dem etwas rundlichen Gesicht sah im Gegensatz zu Zeller ausgeruht und gut gelaunt aus. Ihr dezentes Make-up war sorgfältig aufgetragen.
»Prima! Ich wusste, du bist eine der Besten, die wir haben.«
»Man hat ihn erhängt, erdrosselt, stranguliert. Such dir was aus. Auf jeden Fall war es kein Selbstmord. Der Kehlkopf ist eingedrückt. Außerdem hat er die typischen Flecken im Gesicht.«
»Weißt du, wann es passiert ist?«
»Kann noch nicht lange her sein. Ich denke, keine drei Stunden, zwischen 2 und 4 Uhr. Die Leichenstarre ist noch nicht eingetreten.«
»Ist es hier geschehen?«
»Glaube ich nicht. Das hier ist nie und nimmer der Tatort.«
»Habt ihr noch was anderes gefunden?«, fragte Zeller in der Hoffnung, wenigstens einen kleinen Anhaltspunkt für seine Anfangsermittlungen zu bekommen.
»Später, Paul. Lass uns erst mal unsere Arbeit tun. Ich melde mich bei dir.«
»Aber nicht nur beim Zeller, werte Frau Doktor. Ich möchte auch informiert werden. Als Erster, bitte schön.«
Zeller schaute zu Bausinger hinüber, der offenbar den Chef vor der jungen Dame heraushängen lassen wollte, die ihn begleitete und die Zeller noch nicht kannte. Ein Umstand, der sich gleich ändern würde, denn die beiden kamen auf ihn zugelaufen.
»Paul, ich möchte dir unsere neue Mitarbeiterin vorstellen. Eine der Besten im Kurs ihres Jahrgangs an der Polizeihochschule in Böblingen. Ich hatte es dir vor einiger Zeit gesagt. Sie heißt … Ach, das kann sie dir alles selbst sagen. Bitte, junge Dame«, fügte er mit einem süßlichen Lächeln hinzu.
»Elli Jones. Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Herr Kriminalhauptkommissar«, sagte sie brav und streckte ihm die Hand entgegen.
Zeller musterte sie kritisch. Wer so eng verbandelt mit Bausinger war, konnte nichts taugen. Sie würde nicht lange bleiben. Sicherlich nur eine Praktikantin auf der Suche nach der Abteilung bei der Kriminalpolizei, die ihr am besten gefiel. Gerade als er der jungen Frau etwas erwidern wollte, rief Ulrike aufgeregt nach ihm.
»Paul, kommst du mal bitte? Wir haben da was, das wird dich interessieren.«
Als Zeller neben ihr stand, zeigte sie auf die rechte Hand des Toten. An ihr fehlte der Zeigefinger, abgetrennt mit einem sauberen Schnitt. Sie hätten nicht lange nach ihm suchen müssen, erzählte Ulli ihm weiter. Er hatte sich in der Innentasche seines Sakkos befunden.
Etwa zur gleichen Zeit ärgerte sich Berta Abele, als sie an diesem Samstag auf der Arbeit im TK Elevator Testturm erschien. Eigentlich war es ihr freier Tag. Doch gestern am späten Nachmittag hatte man sie angerufen und gefragt, ob sie nicht noch einmal Feuerwehr spielen könne. Genau wie schon die Wochen zuvor. Wieder war jemand plötzlich erkrankt. Es sei aber wirklich das letzte Mal in diesem Monat.
Na gut, hatte sie zu sich gesagt. Ihre Partnerin würde Ramona sein, das junge Ding. Mit ihr arbeitete sie gern. Sie würden rasch fertig werden, denn Ramona war genauso schnell wie sie. Keine Trödlerin wie so manche andere Kollegin. Da konnte man sich nebenbei auch noch ein wenig unterhalten.
Doch am späten Abend hatte Ramona sie zu Hause angerufen und sich bei ihr abgemeldet. Das war schon wirklich nett von ihr, ehrlich. Die Begründung dagegen weniger. Sie hatte schweren Durchfall und konnte unmöglich arbeiten kommen.
Als ob ganz Rottweil mit diesem Virus befallen wäre und eine Magen-Darm-Grippe hätte. Jetzt fehlte Ramona also auch noch! Wie schon so oft in der letzten Zeit. Da war etwas, was sie ihr verschwieg, war sich Berta sicher. Wahrscheinlich war sie doch schwerer erkrankt, als sie zugab.
Doch Berta machte sich nichts vor. Bestimmt war es die letzte Chance für Ramona gewesen. So etwas konnte sich niemand ewig erlauben. Egal, wie lange man schon in der Firma beschäftigt war. Der Chef hatte ihr bereits beim vergangenen Fernbleiben gedroht, dass sie sich nach einem anderen Job umschauen solle, nach einem, der ihre Gesundheit nicht so strapaziere. Es gebe genug Anfragen, sie würden vor seinem Büro geradezu Schlange stehen. Jeden Tag! Sofort würde er eine neue Putzkraft einstellen können. Unter Tränen hatte Ramona ihn angefleht, sie zu behalten. Sie brauche das Geld. Unbedingt! Er hatte sich erweichen lassen. Das letzte Mal, wie er gesagt hatte. Und nun fehlte sie schon wieder.
Seufzend öffnete Berta die Eingangstür zum Turm. Verwundert stellte sie fest, dass gar nicht abgeschlossen war. Das hatte sie noch nie erlebt, seitdem sie hier in der Frühschicht arbeitete.
Sie zog ihre Jacke aus und hängte sie an einen Haken neben ihrem Spind. Dann ging sie in den Nebenraum, in dem sich die Sanitärartikel befanden, und belud ihren Wagen mit den fehlenden Flaschen, Handtüchern und Lappen. Noch zwei weitere Toilettenreiniger aufgeladen und sie konnte loslegen. Berta schaute auch nach der Essigessenz und angelte sich einen neuen Wischmopp aus dem Ständer. Lieber ein bisschen mehr mitschleppen als zu wenig. Sie mussten schließlich später nach oben in den Konferenzraum. Der war heute dran, gestern hatte es eine Abendveranstaltung gegeben.
Den Aufstieg mit dem Fahrstuhl in diese luftige Höhe vertrug sie nicht gut. Schließlich war sie vergangene Woche stolze 70 Jahre alt geworden und hatte eigentlich nie im Leben daran gedacht, dass sie in diesem Alter immer noch arbeiten würde. Aber sie tat es gern. Die Putzerei war nicht besonders anspruchsvoll und der Lohn dafür nicht schlecht. Da blieb etwas für ihre Enkel übrig. Welche Oma steckte ihren Lieblingen nicht gern etwas zu?
Ein lautstarkes und übertrieben frisches »Guten Morgen« schlug ihr mit einem sächsischen Unterton brutal in den Magen. »Na, Berta, wie geht’s dir? Oh, mir geht’s gar nicht gut. Kurt war gestern Abend nämlich bei mir. Der hatte ein wunderbares Wässerchen dabeigehabt. Mann, war das gut. So richtig fruchtig. Jetzt geht’s mir schlecht. Hab ich einen Brand! Ich verdurste fast.«
Berta war bedient. Auch das noch, schoss es ihr durch den Kopf, diese vorlaute und primitive Kuh Gudrun Zetsche hatte man ihr zugeteilt. Es hätte nicht schlimmer kommen können. Der Tag war gelaufen. Wäre sie doch bloß zu Hause geblieben. Es gab nichts Schlimmeres als diese Kampfdrohne.
Wortlos hielt sie der drallen Frau ihre Wasserflasche hin. Gudrun griff hastig danach und trank sie in gierigen Zügen leer.
»Oh, danke, Berta. Das war meine Rettung. Habe ich heute einen schlimmen Schädel. Das hämmert wie verrückt«, jammerte sie weiter. Mit dem Handrücken wischte sie ihren Mund trocken und zog dabei geräuschvoll die Nase hoch.
»Nimm doch wenigstens ein Taschentuch. Das ist ja nicht zum Aushalten mit dir. Los jetzt! Wir sind spät dran.«
Sie begannen ihre Arbeit im Eingangsbereich, reinigten die Kassenschalter und wischten die Scheiben ab. Der Boden war schon fertig geputzt. Dafür gab es einen fahrbaren Kärcher. Das wäre ja auch noch schöner gewesen, jeden Morgen hier den Schmutz der vielen Besucher herauszuwischen. Da hätten sie schon um vier anfangen müssen.
Danach ging es in die Sanitärräume. Berta hatte es geahnt. Ihre Kollegin machte sich erst einmal aus dem Staub und verschwand im Frauenklo. Berta nahm sich stattdessen die Herrentoilette vor. Rasch putzte sie den Waschbereich, um dann die Kabinen mit ihrem Mopp zu beglücken. Als sie bei der letzten Kabine angelangt war, bemerkte sie neben der Kloschüssel auf dem Boden etwas Ungewöhnliches. Es war nichts Besonderes, wenn hier im Klo nach einem Abend mit viel Publikum etwas herumlag. Irgendjemand verlor immer etwas, aber das da war wohl eher selten. Ein schwarzes Schlüsseletui in Form eines Eishockeyschlägers mit einem großen K in einer dreizackigen Krone darauf. Seufzend bückte Berta sich und steckte das Etui in die Tasche ihres Arbeitskittels. Sie würde es unten am Empfang hinterlegen. Sicher würde bald jemand danach fragen.
Jetzt sah sie auch noch einen blassrosa Blutfleck auf dem Boden. Angestrengt versuchte sie, ihn zu entfernen, was gar nicht so einfach war. Mehrfach musste sie mit dem Lappen darüberschrubben, ehe er endlich verschwunden war. Wahrscheinlich hatte da gestern jemand Nasenbluten gehabt, dachte sie sich. Am Morgen des vorangegangenen Tages war der Fleck jedenfalls noch nicht da gewesen. Sie hätte ihn beim Reinigen bestimmt nicht übersehen. Im selben Moment hörte sie, wie jemand die Toilette betrat. Sie erschrak. Wer konnte das um diese Uhrzeit sein? Mit einem raschen Blick sah sie noch einmal nach dem Fleck. Er war nicht mehr zu sehen. Zufrieden schloss sie die Tür hinter sich.
Es war kein fremder Besucher, den sie gehört hatte, sondern ihre Kollegin. Als ob sie nichts anderes zu tun hätte, als ihr nachzuschnüffeln.
»Was hast du denn so lange in der Kabine gemacht? Hat da wieder einer rumgesaut?«, wollte Gudrun prompt von ihr wissen.
»Bist du endlich fertig mit deinem Geschäft?«, erwiderte Berta unwirsch und ging gleich in den Gegenangriff über: »Muss ich wieder alles allein machen? Jedes Mal, wenn ich mit dir arbeite, kommst du mit irgendwelchen Ausreden daher. Mal ist es dein Kreuz oder du hast dir dein Bein vertreten und kannst nicht mehr laufen. Oder du hast plötzlich ganz schlimmen Durchfall und kommst nicht vom Klo runter. Immer ist es etwas anderes. Aber nicht mit mir, meine Liebe. Mich verkaufst du nicht für dumm. Geraucht hast du auch schon wieder. Das rieche ich doch! Los jetzt, ab nach oben. Der Konferenzraum ist noch schmutzig. In ein paar Stunden kommen die Besucher. Da müssen wir fertig sein und alles muss glänzen. Ich hole jetzt geschwind den Schlüssel für den Aufzug.« Resolut marschierte sie an Gudrun vorbei.
»Berta, das dürfen wir nicht«, sagte die kleinlaut zu ihr.
»Papperlapapp. Sonst hast du immer die große Klappe, aber auf einmal kommen dir wegen dieser kleinen Fahrt Bedenken. Hättest du mal lieber auf die Uhr geschaut, als du gekommen bist.«
Sie nahmen den Panoramaaufzug trotz ausdrücklichen Verbots der Geschäftsleitung. Der war schön geräumig. In ihm konnte Berta einigermaßen entspannt bis nach oben fahren, ohne eine klaustrophobische Attacke zu bekommen. Die rasende Fahrt dauerte nicht lange. Am großen Konferenzraum ließen sie den Aufzug anhalten. Als die Tür sich öffnete, schlug ihnen ein erbärmlicher Gestank entgegen. Misstrauisch schaute Berta in den Gang, doch hier oben sah es aus wie immer. Gudrun schob den Wagen. Wie immer stellte sie sich tollpatschig an und hätte Berta nicht blitzschnell zugegriffen, wäre er umgekippt. Das wäre eine schöne Sauerei geworden.
Etwas verwundert stellte sie fest, dass der Aufzug sich in Bewegung setzte. Um diese Zeit war außer den Sicherheitsleuten niemand auf dem Testturmgelände zu finden, geschweige denn im Turm selbst. Sie hatte es noch nie erlebt, dass einer von ihnen um diese Zeit im Aufzug nach oben kam. Aber heute war alles anders.
Die Tür zum großen Konferenzzimmer stand offen. Je näher sie dem Raum kamen, desto stärker wurde dieser Gestank. Was war das nur, dachte sich Berta und hielt sich mit einer Hand die Nase zu. Gudrun stieß ihre Kollegin zur Seite und rannte ins Konferenzzimmer. Kaum war sie darin verschwunden, schrie sie fürchterlich. Berta folgte ihr augenblicklich. Auch sie stieß einen grellen Schrei aus. Der Anblick war einfach nur grauenhaft.
Die beiden Frauen machten augenblicklich auf dem Absatz kehrt und rannten zurück zum Aufzug. In der Aufregung stieß Berta gegen den Putzwagen. Er fiel krachend um und die verschiedenen Flaschen, Tuben und Dosen verteilten sich quer über den Flur. Endlich am Aufzug angekommen, drückte Berta wie wild auf den grünen Knopf. Immer wieder. Doch der Fahrstuhl war noch unterwegs. Hand in Hand standen die beiden Frauen dicht nebeneinander und warteten. Endlich kam der Lift in ihrer Etage zum Stehen. Die Tür öffnete sich mit einem zischenden Geräusch. Erschrocken riss Berta die Augen auf. »Nein! Bitte nicht«, rief sie aus und hob schützend ihre Arme über den Kopf. Doch vergeblich. Wuchtig krachten mehrere Schläge auf ihren Schädel nieder. Leblos sank sie zu Boden. Gudrun rannte schreiend davon. Doch es half nichts, sie war zu langsam. Auch sie bekam einen schweren Schlag auf den Hinterkopf. Weitere folgten. Doch die bemerkte sie nicht mehr. Auch sie war tot.