Читать книгу Der Schatz der Kürassiere - Herbert Schoenenborn - Страница 12
Kapitel 3
ОглавлениеDeutsche Stellung Nähe Metz, 20. August 1870, ein Tag vorher
„Scheißwetter“, sagte einer der drei Soldaten, die in der kargen Wohnstube des verlassenen Bauernhauses saßen. Das schwache Licht einer Petroleumlampe verbreitete sein diffuses Licht im Raum. Die Flamme war auf die geringste Leuchtkraft zurückgedreht. Das war der Situation geschuldet, denn man befand sich schließlich mitten in Feindesland und wollte den Gegner nicht mit einem hell erleuchteten Fenster auf sich aufmerksam machen. Zudem ging auch das Petroleum langsam zur Neige.
„Seit wir am frühen Abend hier eingerückt sind, regnet es ununterbrochen.“
„Das hat auch seine guten Seiten, Kurt. Wegen des schlechten Wetters wird in dieser Nacht wohl nichts mehr passieren. Die Franzosen haben sich nach Metz zurückgezogen und lecken ihre Wunden. Unsere Entscheidung, heute Nacht auf Patrouillengänge in die nähere Umgebung zu verzichten, geht daher vollkommen in Ordnung“, entgegnete der ranghöhere Offizier, der auf einem wackeligen Holzstuhl vor dem einzigen Fenster des Raumes saß und in eine totale Finsternis starrte.
„Dein Wort in Gottes Ohr. Ich hoffe, dass es diese Nacht ruhig bleibt. Wir sind alle ziemlich erschöpft und können jede Stunde Schlaf gut gebrauchen, Anton. Wir haben zwar in die Kämpfe bei Gravelotte nicht mehr eingreifen müssen, sollten aber nicht vergessen, dass wir dennoch die letzten beiden Tage fast ununterbrochen im Sattel gesessen haben.“ Er wandte sich an seinen Kameraden, der auf der Bank neben ihm saß:
„Hast du die Männer schon zur Ruhe geschickt, Oskar?“
„Ja Kurt, sofort nach dem die Pferde versorgt waren, so gegen neun. Ich habe sie in der Scheune einquartiert. Zwei Mann Posten bei den Pferden, zwei Mann am westlichen und ein Mann am östlichen Hoftor. Wachwechsel alle zwei Stunden, Wachhabender Gefreiter Berg“, entgegnete Wachtmeister Oskar Ahren kurz und knapp.
Die drei Männer führten die 2. Kompanie der 3. Eskadron* des Kürassier-Regiments – Rheinisches Nr. 8 – aus Deutz. Das Regiment erhielt nach der gewonnenen Schlacht bei Gravelotte den Befehl, einen Teil der Lücke zwischen dem I. und VII. Armeekorps zu füllen, um den Belagerungsring um Metz zu schließen. Die beiden Kompanien der 3. Eskadron hatten in der Nähe der Ortschaft Pouilly, jeweils zwei Kilometer von einander entfernt, Stellungen bezogen. Der Stab der Eskadron unter Rittmeister* von Seidel hatte sich in Pouilly einquartiert.
„Kannst du uns auf der Karte einmal zeigen, wo genau wir uns jetzt befinden, Anton?“, fragte Seconde-Lieutenant Kurt Müschen.
„Ich will es versuchen, Kurt.“ Premier-Lieutenant Franz Anton von Buschhagen, erhob sich, schloss die Fensterläden und ging zu seiner Satteltasche, die er auf einer Holztruhe abgelegt hatte. Der Tasche entnahm er eine Generalstabskarte und breitete sie auf dem großen Eichentisch in der Mitte des Raumes aus.
„Stell bitte die Flamme der Funzel etwas größer, damit wir was erkennen können, Oskar“, forderte er Ahren auf. Der Wachtmeister drehte den Docht ein Stück heraus und schob dann die Lampe in die Nähe der Karte.
„Also, dort im Norden ist Metz, hier im Südwesten der Stadt befindet Gravelotte. Südlich davon, ungefähr hier, war der Verfügungsraum unseres Regiments.“ Buschhagen untermalte das Gesagte mit dem Finger auf der Karte.
„Wir sind heute Morgen zunächst in südöstliche Richtung geritten, an den Stellungen des VII. Korps vorbei, haben bei Couvry das Flüsschen Seille* überquert und den Ort Pouilly im Norden umgangen. Dann sind wir ungefähr hier auf diese Straße gestoßen, die von Pouilly nach Metz führt. Dieser sind wir zunächst in Richtung Metz gefolgt. Nach ungefähr eineinhalb Kilometern haben wir die Straße nach rechts verlassen und sind eine ganze Weile auf einem Feldweg, der nicht eingezeichnet ist, ostwärts geritten.“ Buschhagen beschrieb auf der Karte einen Kreis.
„Unser Quartier muss sich demnach hier irgendwo zwischen dem Fort Queuleu und Pouilly befinden, hoffentlich außerhalb der Reichweite der Kanonen des Forts. Leider ist der Kartenmaßstab zu groß, so dass eine genaue Ortsbestimmung nicht möglich ist. Wo genau wir uns befinden, muss morgen früh ein Spähtrupp herausfinden.“
„Dann kann der in einem erkunden, wo die 1. Kompanie Stellung bezogen hat“, fügte Müschen hinzu.
„Da hast du Recht, Kurt. Aber dann benötigen wir zwei Trupps, einen schicken wir nach Osten, den anderen nach Westen. Ich habe die Befürchtung, dass wir hier so schnell nicht wieder wegkommen und die Erholungspause länger dauert, als uns lieb ist. Jedenfalls werden wir uns morgen zunächst einmal häuslich einrichten. Wir können froh sein, ein festes Dach über dem Kopf zu haben und nicht biwakieren zu müssen.“ Buschhagen schaute auf seine Taschenuhr:
„Es ist gleich Mitternacht, auch wir sollten uns so langsam aufs Ohr legen. Wer weiß, was uns der morgige Tag so alles bringen wird. Allerdings möchte ich vorher noch etwas frische Luft schnappen. Ich glaube, es hat aufgehört zu regnen.“
„Sollen wir mitgehen, Kurt und noch ein lecker Zigärrchen rauchen, bevor wir uns hinlegen?“, fragte Ahren.
„Eine gute Idee, Oskar. Ich werde mir aber lieber ein Pfeifchen stopfen, das erste seit drei Tagen.“ Als sie vor die Türe traten, empfing sie eine klare Luft und es wehte ein frischer Wind aus nördlicher Richtung. Die Wolkendecke war teilweise aufgerissen und gab stellenweise den Blick auf den Sternenhimmel frei.
„Gehen wir mal vors Hoftor. Da hin und wieder aus der Richtung des Forts Kanonendonner zu hören ist, können wir vielleicht schon einmal den ungefähren Abstand zur Festung errechnen“, schlug von Buschhagen vor.
„Hoffentlich sind wir weit genug entfernt, sonst wird es ungemütlich“, fügte Müschen hinzu.
„Denen ihre Kanonen schießen maximal zwei Kilometer weit und das nur mit Rückenwind“, lästerte von Buschhagen.
„Keine Meldung Soldaten“, sagte Ahren, als sie in die Nähe des Postens kamen. Einer der Wachen stand innerhalb der Hofmauer, der andere jenseits des Tores und beobachtet aufmerksam die Umgebung. Die Soldaten hatten sich auf eventuelle Nahkämpfe eingestellt, denn sie hatten vorsorglich ihren Karabinern die Bajonette aufgepflanzt. Die erste Nacht in einer neuen Stellung war erfahrungsgemäß sehr heikel. Die Soldaten hatten zwar sofort nach ihrer Ankunft die nähere Umgebung erkundet und feindfrei gemeldet, aber die Rheinarmee war nah und ihre Stoßtrupps und die Franctireurs waren eine permanente Bedrohung.
Das Gehöft lag sehr einsam, eingebettet in eine grüne hügelige Landschaft. Rund um den Hof war freies Schussfeld von mindestens zweihundert Metern. Ein eventueller Angreifer würde Mühe haben, sich ungesehen zu nähern und wenn es doch gelingen sollte, würde sich ein Eindringen als sehr schwierig gestalten, denn zwischen den einzelnen Hofgebäuden, Wohnhaus, Scheune und Stallungen, befanden sich mannshohe Mauern. Ein großes Tor im Westen und ein kleineres Tor im Osten waren die einzigen Zugänge zum Innenhof. Das Gehöft war somit als Vorpostenstellung geradezu ideal.
Die Männer schlenderten über den steinigen Feldweg, der vom großen Tor in westliche Richtung führte und nach ungefähr zweihundert Metern zwischen Bäumen verschwand. Die bestellten Felder links und rechts waren nicht abgeerntet. Die Bewohner mussten den Hof samt ihren Tieren Hals über Kopf verlassen haben. Dafür sprach auch, dass noch fast die komplette Möblierung des Wohnhauses, viele landwirtschaftliche Geräte und auch einige Futtervorräte vorhanden waren.
„Ich kann mich nicht erinnern, hier lang geritten zu sein“, meinte Müschen kopfschüttelnd.
„Ich auch nicht, aber als wir den Hof entdeckten, waren wir nun einmal sehr angespannt, denn wir mussten damit rechnen, entweder auf die Bewohner, auf Franctireurs oder versprengte gegnerische Soldaten zu treffen. Aber Gott sei Dank mussten wir uns mit niemandem rumschlagen“, entgegnete Ahren.
„Gehen wir doch noch ein Stück weiter, bis zu den Bäumen da vorne. Ich meine, da hätte ich heute Nachmittag im Vorbeireiten eine Bank gesehen“, sagte von Buschhagen.
„Ach enä, Anton hatte noch einen Blick für Nebensächlichkeiten, während wir uns vor Angst fast in die Hosen gemacht haben“, feixte Müschen. Inzwischen hatten sie sich dem Waldstück genähert.
„Da vorne ist tatsächlich eine Bank“, vermeldete Ahren. Die Männer ließen sich auf der aus Baumstämmen grob gezimmerten Sitzgelegenheit nieder.
„Komm Oskar, gib mir bitte auch eine Zigarre“, bettelte von Buschhagen. „Ich wollte zwar mit dem Rauchen aufhören, aber ihr wisst ja, wenn ihr gleich mit dem Paffen anfangt, und ich euch zusehen muss, werde ich unleidlich.“ Ahren reichte Buschhagen grinsend sein Zigarrenetui. Still vor sich hin rauchend, hing jeder seinen Gedanken nach.
Premier-Lieutenant Franz Anton von Buschhagen, 1842 in Köln geboren, entstammte einer preußischen Offiziersfamilie und entschied sich ganz im Sinne seines Vaters früh für die militärische Laufbahn. Mit zwanzig Jahren kam er 1862 zum Kürassier-Regiment in Deutz. Während des Deutschen Krieges 1866 erhielt er das „Eiserne Kreuz 1. Klasse“. In der Entscheidungsschlacht, bei der bei Königgrätz die Truppen Preußens auf die Armeen Österreichs und Sachsens trafen, wurde er durch eine österreichische Kugel zwischen Schulter und linker Brust schwer verwundet. Sein Glück war, dass Ahren und Müschen ihn rechtzeitig aus der Kampfzone brachten. Die Ärzte im Lazarett hatten ihm gesagt, dass er die schwere Verletzung nur deshalb überlebt habe, weil das aus nächster Nähe abgefeuerte Geschoss glatt durch die Lunge hindurchgegangen sei. Bei einem Lungensteckschuss hätten sie ihm nicht helfen können. Im Anschluss an den Lazarettaufenthalt war er in Privatpflege bei Frau Anette von Rosenberg in Kolberg*. Buschhagen verliebte sich unsterblich in die schöne junge Offizierswitwe. Nach seiner Genesung kehrte er noch im gleichen Jahr zum Regiment zurück, wurde zum Premier-Lieutenant befördert und erhielt das Kommando über die 2. Kompanie der 3. Eskadron.
Anfang 1867 folgte Anette von Rosenberg ihrem ehemaligen Pflegling Anton von Buschhagen nach Deutz. Wenig später heirateten sie. Von Buschhagens haben eine zweijährige Tochter, ihr ganzer Stolz.
Der Premier-Lieutenant war etwas über einsachtzig groß und athletisch. Seine mittelblonden Haare waren, wie in Kriegszeiten üblich, kurz geschnitten. Die dichten Augebrauen über seinen stahlblauen Augen waren der einzige Haarwuchs in seinem ovalen Gesicht. Die gerade Nase und der energische Mund gaben ihm einen entschlossenen Gesichtsausdruck. Von Buschhagen hatte eine angenehme Stimme, und obwohl er darauf bedacht war akzentfrei zu sprechen, konnte er zu seinem eigenen Leidwesen seine kölnische Herkunft nicht leugnen. Seinen Soldaten gegenüber war er gerecht, handelte stets sehr überlegt und setzte seine Männer nie einer unkalkulierbaren Gefahr aus.
Seconde-Lieutenant Kurt Müschen, in Zons geboren, war zwei Jahre jünger als von Buschhagen. Da er keine Lust hatte, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten, der ein bekannter Kunsthistoriker und Sachverständiger für sakrale Kunst war, brach er sein Kunststudium ab und trat mit einundzwanzig Jahren in die preußische Armee ein. Nach seiner Offiziersausbildung in Brandenburg wurde er 1866 kurz vor Ausbruch des „Deutschen Krieges“ auf eigenen Wunsch ins Rheinland zu den Kürassieren nach Deutz versetzt. An der Schlacht bei Königgrätz nahm er als Fähnrich teil. Er rettete zusammen mit Ahren durch beherztes Eingreifen das Leben von Buschhagens. Hierfür erhielt er das „Eiserne Kreuz 2. Klasse“. Er selbst kehrte unversehrt nach Deutz zurück. Wegen Tapferkeit im Gefecht bei Mars la Tour, am 16. August dieses Jahres, wurde er vom Fähnrich zum Seconde-Lieutenant befördert. und erhielt das Kommando über den zweiten Zug der Kompanie.
Müschen hatte ungefähr die gleiche Statur wie von Buschhagen. Dass in seinen Adern auch italienisches Blut seiner Mutter floss, war unverkennbar. Seine Haare waren schwarz und ebenfalls kurz geschnitten. In seinem kantigen immer leicht gebräunten Gesicht saßen unter geschwungenen schmalen Brauen tiefliegende dunkle Augen. Die Nase war leicht gebogen, und obwohl sein Mund ein klein wenig zu breit geraten war, konnte man sein Gesicht als äußerst attraktiv bezeichnen. Was Müschen ärgerte, dass er schon wenige Stunden nach einer Rasur wieder unrasiert aussah.
Der Seconde-Lieutenant hatte eine dunkle Stimme, seinen rheinischen Dialekt konnte er nur schwer verbergen. Müschen war forsch und immer gut gelaunt. Da er sein Herz auf der Zunge trug, musste ihn von Buschhagen hin und wieder zügeln. Obwohl sein Verhältnis zu den Soldaten kameradschaftlich war, tat dies seiner Autorität keinen Abbruch. Aufgrund seiner stattlichen Erscheinung und seines attraktiven Aussehens, war Müschen zweifellos ein Frauenschwarm, was er vortrefflich auszunutzen wusste.
Der dritte im Bunde war Wachtmeister Oskar Ahren und mit 42 Jahren der Älteste der drei Männer. Im Jahr 1828 als vierter Sohn einer betuchten Bauernfamilie unmittelbar vor den Toren Kölns in Weidenpesch geboren, hatte er keine Aussicht, den elterlichen Hof jemals zu erben. Er wurde daher 1846 mit achtzehn Jahren Soldat. Oskar Ahren begann seine Laufbahn zunächst beim Dragonerregiment Nr. 4, bevor er 1847 zu den Kürassieren versetzt wurde. Kampferfahrung sammelte er 1848 bei Straßenkämpfen während der Bürgerunruhen in Erfurt und ein Jahr später bei der Niederwerfung der Revolution in Baden. Kontinuierlich kletterte er die Unteroffiziersleiter nach oben, bis er schließlich 1865 zum Wachtmeister befördert wurde. In der Schlacht bei Königgrätz rettete er zusammen mit Müschen, ohne Rücksicht auf das eigene Leben, den schwer verwundeten von Buschhagen. Ahren wechselte im Kampfgetümmel von seinem Pferd auf das von Buschhagens, hinter den bereits im Sattel zusammengesunkenen Schwerverletzten, riss die Zügel an sich und ritt aus der Kampflinie, während Müschen mit seinem Pallasch* den Feind auf Distanz hielt und gleichzeitig Ahrens Pferd aus der Kampfzone brachte. Für diese kühne Tat erhielt er wie Müschen das „Eiserne Kreuz 2. Klasse“. Ahren war für die Versorgung der Kompanie zuständig. Seit Seconde-Lieutenant von Schnell wegen einer Schussverletzung ins Lazarett musste, wurde ihm kommissarisch das Kommando über den zweiten Zug übertragen.
Ahren war schlank und muskulös und nur unwesentlich kleiner als die beiden anderen. Sein fast rundes Gesicht wurde von einem dichten halbmondförmig geschnittenen Schnurrbart beherrscht. Seinen Kopf bedeckten kurze braune struppigen Haare, die zu zähmen ihm nie gelang. Die leicht gerötete Nase zeugte davon, dass er einem mäßigen Alkoholgenuss nicht abgeneigt war, und seine listigen Augen verrieten, dass ihm der Schalk im Nacken saß. Sein gutmütiges Aussehen konnte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Ahren im Kampf weder Rücksicht auf sich noch auf seine Gegner nahm. Er war in Gefechten immer in vorderster Linie zu finden und galt daher im Regiment als „Haudegen“. Dass er bisher nie ernsthaft verwundet wurde, war darauf zurückzuführen, dass er in der Lage war, jede Situation sehr schnell erfassen und analysieren zu können.
Hinzu kam, dass er ein hervorragender Reiter war, wie man sagte, der beste im Regiment. Seinen Soldaten war er stets ein väterlicher Freund und daher äußerst beliebt.
Ahren hatte eine große Schwäche für schöne Frauen, wollte aber nicht heiraten, aus Rücksicht auf das weibliche Geschlecht, wegen seines Berufs, wie er zu sagen pflegte. Wenn sein Dienstplan es zuließ, konnte man ihn einmal die Woche, in einem Etablissement auf der „Deutzer Freiheit“ antreffen. Der Wachtmeister war bei den Damen äußerst beliebt, da er sich ihnen gegenüber immer sehr großzügig zeigte.
Ahren redete meistens Hochdeutsch, allerdings mit einem unüberhörbaren kölnischen Einschlag. Manchmal verfiel er bewusst oder unbewusst in unverfälschten Dialekt, nicht immer verständlich für diejenigen, die nicht aus dem Rheinland stammten.
Es konnte nicht verwundern, dass die drei Offiziere seit der Schlacht bei Königgrätz eine enge Freundschaft verband.
„Ich werde bei Tagesanbruch zunächst mit Oskar nach Pouilly reiten und Rittmeister von Seidel Vollzug melden“, unterbrach von Buschhagen die Stille.
„Du, Oskar, kümmerst dich bitte um Proviant und Munition, während ich auf der Kommandantur bin.“
„In Ordnung, Anton, ich würde aber zur Verstärkung gerne den Kürassier Breuer und den Gefreiten Becker mitnehmen, denn wir wissen ja noch nicht, ob das hier wirklich sicheres Terrain ist“, erwiderte Ahren.
„Du hast Recht Oskar, mach was du für richtig hältst“, stimmte von Buschhagen zu.
„Kurt, du hast ab jetzt das Kommando über die Kompanie. Sende morgen früh die Spähtrupps aus, denn ich möchte am Abend die genaue Lage des Hofes und die Stellung unserer 1. Kompanie in die Karte eintragen. Die Männer sollen kein Risiko eingehen und unbedingt Feindberührung vermeiden. Beim Abendappell erwarte ich meine Leute vollzählig und unverletzt anzutreffen. Ansonsten ist Ruhetag mit den üblichen Sicherheitsvorkehrungen befohlen“, von Buschhagen ließ keinen Zweifel aufkommen, wer das Kommando hatte.
„Lasst uns jetzt zurückgehen, ich hab genug frische Luft geschnappt, und in fünf Stunden ist schon Wecken.“ Müschen erhob sich und setzte sich sofort wieder hin.
„Psst, da vorne kommt jemand“, flüsterte er und wies in Richtung der Frontlinie. Die Männer zogen sich geduckt in den Schatten der Bäume zurück. Im diffusen Licht der Nacht konnten sie auf dem freien Feld vor sich drei schemenhafte Gestalten erkennen, die eiligen Schrittes auf das Waldstück zustrebten. Als die Unbekannten näher kamen, konnten sie einige französische Wortfetzen vernehmen.
„Die vermuten hier keine Deutschen, sonst würden sie vorsichtiger sein“, raunte von Buschhagen.
„Soldaten sind es jedenfalls nicht, das können sowohl Freischärler als auch Bauern sein“, entgegnete Müschen leise.
„Kommt, drei gegen drei, die schnappen wir uns, aber Vorsicht, es ist möglich, dass sie bewaffnet sind, je nach dem, mit wem wir es zu tun haben“ raunte Ahren, sprang auf und stürmte mit gezogenem Pallasch in Richtung der Fremden, die beiden anderen folgten. Die Unbekannten, die inzwischen noch ungefähr zwanzig Meter von dem Waldstück entfernt waren, bemerkten nun die Kürassiere, da deren Vorpreschen nicht geräuschlos von Statten ging. Sie wandten sich aus Sicht der Soldaten nach rechts, liefen ein Stück den Waldrand entlang und verschwanden dann im Unterholz. Mit einer Flucht nach vorne hatten die Kürassiere nicht gerechnet.
„Mist, die sind schneller als wir und dazu noch ortskundig. Die kriegen wir nicht mehr, mit unseren Uniformen sind wir für eine Verfolgung nicht geeignet“, grollte Ahren, der den Unbekannten am nächsten gekommen war.
„Ausgerechnet in der Nähe unserer Stellung und dazu noch unter unseren Augen brechen drei Männer durch unsere Linien. Ich möchte nur zu gerne wissen, was die zur nachtschlafenden Zeit hier gesucht haben“, ärgerte sich von Buschhagen.
„Die hatten was bei sich, eine Kiste oder so was ähnliches“, bemerkte Ahren. „Sie müssen sich irgendwo von ihrer Last getrennt haben, sonst wären sie uns nicht entkommen“, fügte er hinzu.
„Ich glaube da vorne liegt was!“ Müschen zeigte auf einen schemenhaften Gegenstand in einigen Metern Entfernung.
„Du hast Recht Kurt, da steht eine Kiste, habe ich doch richtig vermutet“, sagte Ahren. Vorsichtig näherten sich die Männer dem Gegenstand.
„Da muss was Wichtiges drin sein, ansonsten hätten sie nicht versucht, die Kiste bei Nacht und Nebel durch unseren Belagerungsring zu schmuggeln.“
„Wir werden uns die Kiste in unserem Quartier einmal genauer ansehen. Ich hätte gerne, dass dies zunächst unter uns bleibt, aber wie kommen wir unbemerkt an den Wachen vorbei? Jetzt rächt es sich, dass wir in unserer Kompanie die besten Männer der Eskadron haben“, klagte von Buschhagen.
„Ich gehe vor und werde die Posten unter einem Vorwand kurzzeitig vom Tor abziehen.“
„Gute Idee Oskar, wir folgen dir mit der Kiste in fünf Minuten“, Buschhagen schaute auf seine Taschenuhr.
„Wehe ihr wartet mit dem Öffnen nicht, bis ich da bin, dann bekommst du von mir keine Zigarre mehr, Anton“, drohte Ahren und machte sich auf den Weg in Richtung Bauernhof. Wie vereinbart folgten ihm von Buschhagen und Müschen mit der Kiste nach fünf Minuten und gelangten unbemerkt in die Wohnstube des Bauernhofs. Kurze Zeit später traf auch Ahren ein. Um den Tisch frei zu haben, hatte Müschen die Petroleumlampe hochgedreht und an einen gebogenen Nagel in einem Deckenbalken gehängt. Von Buschhagen rieb sich in freudiger Erwartung die Hände.
„So, dann wollen wir das Geheimnis mal lüften.“ Von Buschhagen stellte die ungefähr einen Meter im Quadrat messende Holzkiste auf den Tisch.
„Wie bekommen wir nur das massive Vorhängeschloss auf?“ Ahren kratzte sich am Hinterkopf.
„Ich schieß das Schloss mit meiner Pistole auf“, schlug Müschen vor.
„Bist du jeck, Kurt, willst du die Männer aufwecken?“, sagte Ahren entsetzt.
„Typisch Kurt, immer mit dem Kopf durch die Wand“, ergänzte von Buschhagen.
„Habt ihr eine bessere Idee?“, fragte Müschen beleidigt.
„Was haltet ihr davon, wenn wir versuchen die Scharniere mit einem Bajonett abzuhebeln, das dürfte einfacher sein, als das Schloss zu knacken“, schlug Ahren vor.
„Die Idee ist gut, aber ich befürchte, dass ein Bajonett zu schwach ist“, warf von Buschhagen ein.
„Dann nehmen wir eben einen Schanzspaten, der ist robust genug“, schlug Müschen vor.
„Wir müssen nur aufpassen, dass wir den Kisteninhalt nicht beschädigen“, mahnte Ahren. Müschen holte seinen Spaten.
„Zu dumm, dass die Scharniere innen befestigt sind, außen wäre einfacher“, meinte er.
„Hauptsache wir bekommen das Spatenblatt zwischen Deckel und Kistenrückwand geschoben, dann müsste es gehen, Kurt.“
„So geht das nicht. Ihr müsst die Kiste vorne fester runterdrücken, ihr Experten“, keuchte Müschen.
„Klappt auch so nicht, wir müssen unsere Taktik ändern. Stellen wir die Kiste auf den Boden und probieren es mit zwei Spaten, du Anton stellst dich drauf und Oskar und ich versuchen es gemeinsam“, sagte Müschen.
Gesagt, getan. Zuerst knirschte das Holz, dann lösten sich berstend die Scharniere vom Kistendeckel.
„Geschafft! Schauen wir mal, was drin ist“, von Buschhagen und Ahren stellten die Kiste wieder auf den Tisch. Müschen klappte den geborstenen Kistendeckel nach vorne.
„Sieh mal einer an, eine Schatztruhe“ stellte von Buschhagen erstaunt fest. „Was haben wir denn da alles? Eine Schatulle. Mach doch mal auf Oskar! Was ist drin?“
„Ein Collier, ein Armband und zwei Ringe, ich verstehe ja nicht viel davon, aber die dürften sehr wertvoll sein, seht mal die vielen kleinen Edelsteinchen.“
„Was haben wir denn noch? Einen Lederbeutel mit Goldmünzen! Zähl mal nach Kurt.“
„Das sind Louisdoren, fünfzig Stück, ein kleines Vermögen“, stellte Müschen fest.
„Und hier habe ich noch zwei Goldbarren“, fügte von Buschhagen hinzu.
„Schaut mal, wie süß, zwei Heiligenbildchen“, spöttelte Ahren.
„Heiligenbildchen? Du Banause! Oskar, das sind Ikonen. Der Maltechnik nach stammen sie aus Russland, und sind mindestens doppelt so viel wert wie die fünfzig Louisdoren – jede Ikone für sich, versteht sich.“
„Wie schön, dass wir einen Fachmann dabei haben, aber für irgendwas muss dein abgebrochenes Kunststudium ja gut sein“, frozzelte Ahren.
„Das wird ja immer interessanter“, sagte von Buschhagen und entnahm der Kiste einen in Leinentüchern eingewickelten Gegenstand.
„Sieh mal Kurt, ein Bild“, sagte er und reichte es Müschen, nachdem er die Tücher entfernt hatte.
„Kurt, was ist los mit dir, hat es dir die Sprache verschlagen?“
„Stell mal die Kiste weg, Oskar, damit ich das Bild auf den Tisch legen kann“, sagte Müschen heiser, und seine Hände zitterten leicht, als er es hinlegte.
„Wenn es das ist, wofür ich es halte, und es keine Fälschung ist, dann ist das ein Vielfaches von dem wert, als der ganze Plunder hier zusammen!“ Müschen strich mit der Hand ehrfürchtig über den goldenen Rahmen des Bildes.
„Kurt, komm zu dir und mach es nicht so spannend, was hat es mit dem Bild auf sich?“, fragte von Buschhagen neugierig.
„Seht hier die Signatur R.U.S.M“, von Buschhagen und Ahren beugten sich über das Bild.
„Und, was bedeutet das?“ Ahren sah Müschen fragend an.
„Raphael Urbinas Sua Manu, sinngemäß übersetzt, Raphael von Urbino eigenhändig.“
„Ich verstehe immer noch nicht, worauf du hinaus willst“, Ahren war irritiert.
„Das Bild wurde von Raphael gemalt, einer der bedeutendsten italienischen Maler des 16. Jahrhunderts, und aus dieser Zeit stammt sehr wahrscheinlich auch das Bild“, belehrte Müschen seine Kameraden.
„Seht einmal die geniale Pinselführung, diese Farben“, schwärmte er, hob das Bild hoch, um es näher ins Licht der Petroleumlampe zu halten.
„Hey, wartet mal, hier auf der Rückseite steht was! ‚Cologne Couvent St. Andreas’“, buchstabierte von Buschhagen die Handschrift. „Übersetzt, Kölner Frauenkloster St. Andreas. Demnach müsste das Bild aus dem ehemaligen Besitz des Klosters stammen.“
„Und wie kommt es nach hier?“, fragte Ahren.
„Ich vermute, dass es während oder nach der Säkularisation* unter Napoleon Bonaparte nach Frankreich verbracht wurde“, antwortete Müschen an von Buschhagens Stelle.
„Was für ein Zufall, dass ausgerechnet uns das Bild hier in die Hände fällt. Ich glaube ja eigentlich nicht an göttliche Vorsehungen, aber das ist doch schon sehr merkwürdig.“ Ahren war sichtlich verunsichert. Die drei Männer schwiegen eine Weile und betrachteten ehrfürchtig das Gemälde.
„Ich meine, es ist unsere Pflicht und Schuldigkeit, das Bild nach Köln zurück zu bringen und es dem rechtmäßigen Besitzer zu übergeben oder seid ihr anderer Meinung?“, von Buschhagen sah seine Kameraden fragend an.
„Nein, sind wir nicht, oder Oskar“,
„Da stimme ich Kurt zu“, Ahren schüttelte den Kopf.
„Aber es gibt da ein Problem, und das ist der Krieg. Keiner von uns weiß, wie lange er noch dauert und wie es uns ergehen wird. Wir können weder das Bild noch die anderen Sachen mit uns herumschleppen“, fuhr von Buschhagen fort.
„Anton hat recht, Kurt, wir müssen uns etwas einfallen lassen“, Ahren blickte von Buschhagen fragend an.
Von Buschhagen ging nachdenklich einige Zeit in der Stube auf und ab, dann sagte er:
„Ich schlage vor, alles wieder in die Kiste zu packen, diese hier vor Ort zu verstecken, und erst wenn der Krieg vorüber ist, sie hier abzuholen und nach Köln zu überführen. Ich habe keine Ahnung, ob der Plan aufgeht, dazu müsste man in die Zukunft blicken können, aber ich fürchte, wir haben keine andere Wahl.
Dabei sollten wir uns über eines im Klaren sein – das ist Unterschlagung von Kriegsbeute. Wir gehen ein sehr hohes Risiko ein, und wenn euch jetzt Bedenken kommen, nehme ich es euch nicht übel. Dann nehmen wir morgen die Kiste mit nach Pouilly, übergeben sie Rittmeister von Seidel, und wir sind aus allem raus.“
„Wir werden das Bild nach Köln bringen, dort wo es hingehört, und es ist meiner Meinung nach keine Kriegsbeute, sondern Eigentum der Kirche, des Klosters St. Andreas oder der Stadt Köln. Das werden wir schon herausfinden. Und übrigens, haben wir die Kiste niemandem weggenommen, sondern haben sie gefunden, Anton. Und genau so, wie du es vorgeschlagen hast, machen wir´s oder Oskar?“
„Auch da stimme ich dir zu, Kurt. Aber sollten wir zur Finanzierung der Rückholaktion nicht wenigstens ein paar Goldmünzen mitnehmen? Wenn sich jeder von uns fünf davon einsteckt, müsste das reichen.“ Von Buschhagen sah seine Kameraden ernst an.
„Auch das ist viel zu riskant. Was ist, wenn einer von uns verwundet wird und ins Lazarett muss. Dann wird irgendwer die Münzen finden, und wie wollen wir erklären, wie wir an französische Goldmünzen gekommen sind? Nein, Oskar, wenn der Krieg vorbei wäre und wir morgen den Rückmarsch antreten würden, dann könnten wir es riskieren, aber unter den gegebenen Umständen rate ich dringend davon ab.“
„Anton hat wieder mal recht“, pflichtete Müschen bei. „Und Oskar, das Geld werden wir schon irgendwie auftreiben, da bin ich mir sicher.“ Ahren war beruhigt.
„Es stellt sich jetzt nur noch die Frage, wo und wie wir die Kiste sicher verstecken können. Was haltet ihr davon, wenn wir sie hier in der Stube unter dem Dielenboden vergraben“, schlug von Buschhagen vor.
„Dazu brauchen wir viel Zeit und ich habe meine Zweifel, ob wir den Dielenboden wieder so hinbekommen, dass es nicht auffällt“, warf Müschen ein. „Oskar, wo würdest du hier auf dem Hof etwas sicher verstecken?“
„In der Jauchegrube“, entgegnete Ahren spontan. „Da wird niemand ein Versteck vermuten und deshalb dort auch nicht suchen. Um eine Jauchegrube macht jeder einen großen Bogen. Ich habe lange genug auf einem Bauernhof gelebt, glaubt es mir. Nach unserem Einrücken habe ich den Hof sofort inspiziert. Die Grube befindet sich neben den ehemaligen Ställen, wo auch sonst? Sie ist mit Holzbohlen abgedeckt und, obwohl der Hof schon längere Zeit verlassen ist, stinkt es dort immer noch erbärmlich. Also Restjauche ist noch vorhanden, jedenfalls ist der Gestank schon ziemlich abschreckend. Weitere Vorteile liegen auf der Hand. Das Versenken geht relativ schnell, viel schneller als zum Beispiel vergraben. Und wenn wir beim Abzug den Hof in Brand setzen, wird hier so schnell keiner mehr einziehen wollen.“
„Dein Plan ist genial Oskar, und obwohl ich mich mit dem Gedanken in Jauche wühlen zu müssen, nicht richtig anfreunden kann, sollten wir es so machen“, stimmte von Buschhagen naserümpfend zu. Ahren grinste seine beiden Kameraden an.
„Gut, dann schlage ich folgende Vorgehensweise vor: Da diese Kiste nicht mehr zu gebrauchen ist, müssen wir die Sachen in eine Munitionskiste umpacken. Wir nehmen eine von denen, die mit Zinkblech ausgeschlagen ist, denn die sind absolut wasserdicht, äußerst stabil und werden demnach auch ein längeres Jauchebad aushalten. Damit eine Bergung später, ohne in der Jauche fischen zu müssen, möglich ist, werden wir die Kiste an einem Zügel herunterlassen. Den Zügel werden wir an einer der Bohlen anbinden, welche die Grube abdecken, so dass man es nicht sieht. Die kaputte Holzkiste hier, werden wir vorher in der Grube versenken.
Ich hole jetzt zunächst die Munitionskiste, dann laden wir um. Wir müssen dann den Wachwechsel um zwei Uhr abwarten. Diesmal besuchst du, Anton, die neuen Wachen, wenn sie ihren Posten bezogen haben und verlässt mit ihnen unter einem Vorwand kurzzeitig den Hof. Kurt und ich brauchen ungefähr fünfzehn bis zwanzig Minuten, um die Kiste wie geplant zu verstecken. Dann sollten wir uns hier noch einmal kurz treffen, bevor wir uns beruhigt noch zwei, drei Stunden aufs Ohr legen.“ Müschen war verblüfft:
„Oskar, kannst du mir einmal erklären, wie du so spontan einen solch genialen Plan aus dem Ärmel schütteln kannst?“
„Mein Vorschlag ist eigentlich nicht neu. In unserer Familie erzählt man sich, dass mein Urgroßvater, als die Franzosen unter Napoleon das Rheinland besetzten, seine Wertsachen so vor den Besatzern versteckte. Und das hat hervorragend geklappt, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, denn die französischen Soldaten, die bei meinen Urgroßeltern einquartiert waren, hatten sich korrekt verhalten und nicht einen Silbergroschen mitgehen lassen. So, lasst uns endlich anfangen, ich möchte gerne noch etwas pennen.“