Читать книгу Der Schatz der Kürassiere - Herbert Schoenenborn - Страница 9
Prolog
ОглавлениеMetz, Lothringen, 21. August 1870
Es war ein herrlicher Sonntagmorgen, zumindest was das Wetter anbelangte. Nach fünf endlos scheinenden Regentagen war heute erstmals wieder die Sonne zum Vorschein gekommen. Das Straßenpflaster war schon fast getrocknet, nur die vielen verbliebenen Pfützen erinnerten noch an die großen Regenmengen, die in den letzten Tagen auf die Stadt niedergeprasselt waren.
Einige Cafe- und Bistrobesitzer, die in der Hoffnung auf ein paar Gäste Tische und Stühle vor ihre Lokale gestellt hatten, warteten aber vergebens. Denn niemand in der Stadt hatte offenbar Lust und Laune, mit Kaffee oder Tee die warme Morgensonne zu genießen. Das war verständlich, denn wer wollte sich schon eine längere Zeit dem unangenehmen Geruch aus einer Mischung von Pferdeausdünstungen, Verwesung und Fäkalien aussetzen, der sich allmählich im gesamten Stadtgebiet breit machte. So verließen die Einwohner ihre Häuser nur, um sich mit dem Nötigsten zu versorgen. Ansonsten zogen sie sich in ihre vier Wände zurück, hielten Türen und Fenster geschlossen und warteten auf das, was da kommen würde.
Rückblick:
Gerade einmal drei Tage war es her, als der Krieg die Stadt erreichte. Nach der verlorenen Schlacht in der Nähe der Ortschaft Gravelotte, hatte sich die angeschlagene französische Rheinarmee mit 170 Tausend Mann in den Schutz der Festungen von Metz zurückgezogen. Hinzu kamen noch die 20 Tausend Flüchtlinge aus den umliegenden Ortschaften, die aufgrund der gefährlichen Lage rund um Metz mit Hab und Gut in die Festungsstadt geflohen waren. Das war ein unglaublicher Zuwachs an Menschen, denn wenn man bedenkt, dass in Friedenszeiten gerade einmal 48 Tausend Einwohner und rund 9 Tausend Festungssoldaten in Metz lebten, kann man sich leicht vorstellen, wie bedrückend eng und ungemütlich es nun im Stadtgebiet war.
Es war schon erstaunlich, wie schnell und rücksichtslos das Militär die Stadt unter ihre Kontrolle gebracht und sich alles untergeordnet hatte, mit gravierenden Auswirkungen auf das städtische Leben.
Zahlreiche Straßen waren mit abgespannten Trainfahrzeugen* so zugestellt, dass der Straßenverkehr zusammengebrochen war. In den beschlagnahmten öffentlichen Gebäuden und Schulen residierten nun die Heeresstäbe.
Die wenigen in Metz verbliebenen auswärtigen Gäste wurden aus den Gasthäusern und Hotels gewiesen und ihnen nahe gelegt, entweder bei Privatleuten Unterschlupf zu suchen oder die Stadt auf dem schnellsten Weg zu verlassen, wohl wissend, dass letzteres zu diesem Zeitpunkt kaum mehr möglich war. In die geräumten Hotels und Gasthäuser quartierten sich umgehend die ranghöheren Offiziere ein.
Weniger komfortabel hatten es da die unteren Offiziersränge und einfachen Soldaten. In einem Ring um den Stadtkern, insbesondere entlang der Moselufer, entstanden auf den vom Regen aufgeweichten und teils morastigem Böden in kurzer Zeit ausgedehnte Zeltstädte, in denen dicht gedrängt die erschöpften Soldaten aller Waffengattungen unter miserablen Bedingungen biwakieren mussten.
Die ärztliche Versorgung der Zivilbevölkerung verschlechterte sich von Tag zu Tag. Wer krank wurde, konnte kaum Hilfe erwarten, denn alle Ärzte hatte man zum Dienst in den Krankenhäusern zwangsverpflichtet. Die Hospitäler schickten die leichteren Krankheitsfälle und halbwegs genesenen Patienten nach Hause und nahmen, wenn überhaupt, nur noch Notfälle auf, denn sie waren mit der Pflege und der Versorgung der Verwundeten und Sterbenden der letzten Kämpfe bereits restlos ausgelastet.
Doch wieder zurück zum heutigen Tag:
Wie ein Lauffeuer hatte sich am Morgen die Nachricht verbreitet, dass die deutschen Truppen den Belagerungsring um die Stadt geschlossen hatten. Obwohl die Lage ausgesprochen prekär war, kam es weder zu Hamsterkäufen noch zur Panik in der Bevölkerung. Dies war einer gut funktionierenden Propaganda zu verdanken. Mit Aushängen in den Straßen und Sonderausgaben der örtlichen Zeitungen informierten die städtischen Behörden und das Militär mehrmals am Tag über die aktuelle Lage, wobei schlechte Nachrichten unter den Teppich gekehrt und die wenigen Lichtblicke in den Vordergrund gerückt wurden.
So war die Versorgung mit Lebensmitteln vorerst nicht gefährdet, denn nach den letzten Bestandsaufnahmen reichten die Lebensmittelvorräte für die Einwohner und die Besatzung der Festung für etwa drei Monate. Die Rheinarmee selbst besaß zwar nur Vorräte für ungefähr vierzig Tage, jedoch hatte sie die Möglichkeit, sich durch Requisitionen in der näheren Umgebung und schlachten ihrer Pferde noch eine längere Zeit über Wasser halten zu können.
Auch die militärische Situation schien nicht einmal so schlecht zu sein, denn den Verteidigern stand ausreichend Munition zur Verfügung, um den Feind längere Zeit auf Distanz zu halten.
Zudem hatten Kuriere gemeldet, dass Marschall Mac Mahon um Châlons Truppen zusammenzogen hatte, die sich bald zur Entlastung der Eingeschlossenen in Marsch setzen würden.
Diese Nachricht nährte in Metz das Gerücht, Marschall Bazaines Rheinarmee beabsichtige in den nächsten Tagen den Belagerungsring zu durchbrechen, um sich mit den Truppen Mac Mahons zu vereinigen und dann gemeinsam gegen den Feind vorzugehen. Das stärkte in der Bevölkerung das Vertrauen in ihre „Grande Armee“ und den Glauben, dass sich das Kriegsglück bald zu Gunsten Frankreichs wenden werde.
Dass es auch anders kommen könnte, daran glaubten nur wenige überzeugungsresistente Pessimisten. Die aber sollten leider Recht behalten.