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elf

Griet erzählt:

Ein halbes Jahr lebten sie nun schon an dem Fluss mit dem Felsenbogen. Bevor der Winter mit der Kälte kam, wollten sie in einer der Höhlen, die es hier reichlich gab, ein Lager aufschlagen.

Knut versuchte Kendric, die Geschichte Nerviers zu erzählen. Er verstand immer noch nicht, wie er vor seinen Augen verging. Mittlerweile wusste er, dass Nervier ursprünglich Andy hieß. Nach dessen Verschwinden fiel Knut in ein tiefes Loch, aus dem ihn auch seine Brüder nicht herausholen konnten. Wie verschwand ein Mensch von einem auf den anderen Augenblick? Sich einfach auflösen? Der Schock saß noch immer tief. Kendric brachte zwar Verständnis auf, konnte ihm jedoch aufgrund seiner Lebensphilosophie nicht helfen. Mutter Erde hatte so viele Geheimnisse. Warum nicht auch dieses. Trotz allem, die Begegnung mit Kendric tat ihm gut.

Auch Kendric empfand die neue Freundschaft, als etwas Besonderes. Sie wurde ihm bewusst, als sie durch den Wald schlenderten und ein riesiger Wolf auf sie zustürmte. Er warf Knut zu Boden. Der Druide zückte das Schwert und war im Begriff einzugreifen, um verblüfft innezuhalten. Das Tier griff nicht an. Die beiden rollten über den Boden. Knut lachte zum ersten Mal, seit er ihn kannte. Er tobte ausgelassen, wie ein Kind und die blauen Augen blitzten vor Freude.

»Das ist Wolf«, stellte er das riesige Tier vor. »Er lässt sich Wochen nicht sehen, aber er kommt immer wieder.«

»Mutter Erde segnet dich. Welch ein Geschenk macht sie dir.«, entgegnete Kendric.

»Wenn du es so sagst, dann hast du recht«, stimmte Knut zu. »Für mich ist Wolf so selbstverständlich wie Essen oder Trinken.« Wolf streckte die kräftigen Glieder und der mächtige Körper erschauerte vor Wohlbehagen, als er ihm den Nacken kraulte. Dann trottete das Tier zu Kendric und versenkte die gelben Augen in die des Druiden. Er spürte Kribbeln im Körper und ein Gefühl des Willkommens wurde übermächtig. Er neigte den Kopf wie zum Gruß, und das Tier erwiderte die Bewegung. Der Wolf erstarrte kurz, bevor das Zittern, wie eine Wellenbewegung, über sein Fell lief und sprang aus dem Nichts ins Gebüsch.

Von diesem Zeitpunkt an wusste Knut, dass er nicht nur einen Ersatz für Andy, sondern vielmehr einen neuen Freund gefunden hatte. Wie selbstverständlich erklärte er sich sofort bereit, mit dem Druiden, nach Süden zu ziehen. Seine Brüder waren Feuer und Flamme.

Jetzt wohnten sie hier in dieser wunderschönen, jedoch fremden Landschaft. Sie roch anders als die Heimat. Aromatische Düfte von Kräutern und Blumen zogen durch die Luft und ließen die Nasenflügel beben.

Kendric vollzog während der Wanderung nach Südwesten eine Verwandlung. Mit jedem Tag wurde er freier und empfing Schwingungen, die ihn in Euphorie versetzten. Die er jedoch als Druide selbstverständlich hinnahm. Die Luft vibrierte voller Signale. Die Natur sprach zu ihm. Er bekam nicht genug davon.

Den ursprünglichen Anlass, den Römer Lucius zu stellen, vergaß er scheinbar.

»Was weißt du über deine Vorfahren, über die Entstehung der Welt?«, fragte Kendric Knut, der ihm in der Höhle gegenübersaß, die sie, seit ihrer Ankunft bewohnten. Von der Größe nicht mehr eine Grotte und sie lag ungefähr drei Meter über der Wasserlinie. Aus Gesprächen mit Einheimischen erfuhren sie, dass das Wasser hier am Beginn der Schlucht selten so hoch stieg, um Höhlen in dieser Höhe zu überfluten. Die ansässigen Kelten fürchteten sich vor dem Fluss und zogen Behausungen etwas weiter im Landesinneren vor.

»Ehrlich gesagt, nicht viel. Es war in alten Zeiten, als nichts war, weder Sand noch Meer noch kühle Wellen, Erde fand sich nicht, noch Aufhimmel, gähnender Abgrund war und nirgends Gras. Und so weiter …, diese überlieferten Worte wirst du auch kennen. Weiterhin weiß ich nur das, was Nervier mir sagte und das unterscheidet sich deutlich von dem, was ich bisher kannte. Vor langer Zeit leitete einer meiner Vorfahren, mehr Tier als Mensch, meine Ahnenlinie ein.«

»Ich stamme aus einem alten Geschlecht«, begann Kendric. »Mehrere Generationen kann ich zurückverfolgen. Alle Männer meiner Familie wirkten als Druiden. Wir lernen schon als Kinder. Unsere Bestimmung wird sehr früh festgelegt. Ich erinnere mich an keine Zeit, in der ich nicht auf meine zukünftige Aufgabe vorbereitet wurde. Am Beginn unseres Volkes stand Mutter Erde. Der Anfang der Druiden war der Baum Dru, den du als Eiche bezeichnest. Deshalb unser Titel Druide. In der Nähe des Ortes, an dem wir uns zum ersten Male trafen, befindet sich eine Lichtung, die von sieben Eichen, umstanden ist. Ob es eine Laune der Natur ist oder unsere Vorfahren die Bäume gepflanzt haben, ist nicht überliefert. Sie stehen für uns schon immer dort. Der Hain ist unser heiligster Ort, der vom Zauber der Natur umwoben ist. Andere Stämme meines Volkes müssen sich einen solchen Platz mit Steinen schaffen. Hier erzählen und singen wir unsere Geschichte. Der Anfang der Welt deckt sich mit dem, was du auch weißt. Doch den Beginn unserer Ahnenlinie kennen wir nicht. Und du weißt, wer deine Ahnenlinie begonnen hat?«

»Nicht so genau. Besser, ich habe es nicht verstanden. Es soll in einer Zeit, wo die Menschen noch mit Steinwerkzeugen arbeiteten, ein Wesen namens Arget gegeben haben, der die Menschwerdung meiner Ahnen einleitete.«

»Ein Gott? Wie ihn die Römer haben?«

»Nein. Kein Gott.«

»Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.« Kendrics Augen glänzten fiebrig. »Es ist wichtig.«

»Ich weiß es doch auch nicht. Nervier erzählte mir aus einer Zeit, die lange vor uns in der Zukunft liegt und von der Vergangenheit. Ja …, und auch von seiner Frau, die sich in diese Zeit träumte. Ich habe keine Vorstellungskraft, wie so etwas geschehen kann.«

»Ich sehe bei meinem Beginn einen Nebel und dann die Scheibe, die ich von Labhruinn bekam. Sie liegt am Anfang des Lebens. Manchmal glaube ich, sie ist das Leben. Sie kommt von Gott Cernunnos, der mich in die Anderwelt brachte. Sie ist voller Zeichen, die einen Zauber besitzen. Ich vermag diese nicht zu deuten – weiß jedoch, dass der Mensch, der sie entziffert, große Macht erhalten wird. Andere Völker schreiben ihre Geschichte auf. Darunter kann ich mir nichts vorstellen. In mir regt sich etwas, wenn ich die Scheibe in die Hand nehme. Die Zeichen - heute weiß ich, dass sie auch Schrift genannt werden – haben einen Sinn. Stimmen wispern in meinem Kopf. Die Macht der Zeichen kann zum Guten und Schlechten genutzt werden. Es kann ein großes Unglück geben.«

»Welches Unglück?«

»Unglück ist vielleicht falsch. Große Macht? Ja. Das ist es. Im Moment kann ich es nicht anders ausdrücken … Dahinter stehen die Seelen, die darauf warten, aus der Anderwelt in das Jetzt einzutreten.«

»Du hast schon einige Male von der Anderwelt gesprochen. Was ist das?«

»Komm mit nach draußen«, Kendric erhob sich und trat auf das Plateau vor der Höhle. »Siehst du den Himmel mit den Sternen dort oben? Von dort kommt das Leben auf die Mutter Erde. Der Nebel, den ich sehe …, in dem ist ein Gesicht. Dort ist der Anfang. Ich besuchte die Anderwelt, als Lebender. Es gibt keine Zeit, nur Beständigkeit. Ich vermag es nicht besser zu sagen. Die Scheibe, von der ich dir erzählte, enthält eine Botschaft. Ich muss wissen, was sie enthält.«

»Dein Labhruinn wird dir die Scheibe doch nicht einfach wortlos in die Hände gedrückt haben? Aus welchem Grund nimmst du an, sie habe eine besondere Bedeutung?«

»Nenne es Intuition oder schreibe es den besonderen Fähigkeiten meines Berufsstandes zu. Labhruinn sagte mir noch, dass der Gegenstand, seit Generationen weitergegeben wurde. Doch sein Lebensfaden riss zu schnell. Jetzt weiß ich nichts.«

»Du hast mir von den Seelen erzählt, die du siehst. Kannst du sie sichtbar machen, mit Worten oder anders? Du bist doch ein Zauberer.«

»Nein. Kein Zauberer. Ich habe es dir erklärt. Aber …, dein Gedanke ist gut. Ich muss darüber nachdenken.« Grübelnd ging er zur Höhle zurück.

*

Heidesilber

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