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Sieben

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Günter Säger wurde durch einen wahnsinnigen Schmerz aus dem Schlaf gerissen und stand mit einem Sprung neben dem Bett. Er erstarrte mitten in der Bewegung, als er die beiden vermummten Gestalten bemerkte.

»Hinsetzen«, befahl die verzerrte Stimme.

Er fiel, wie ein nasser Sack, zurück. Der durchtrainierte Körper wirkte nicht wie der eines Mittfünfzigers. Er trug dunkle Boxershorts.

»Wer seid Ihr? Was wollt Ihr von mir?« Er stieß die Fragen aggressiv hervor.

»Namen.«

»Welche Namen?«

»Von Vergewaltigern.«

»Ich weiß nichts von Vergewaltigungen.« Der stechende Schmerz warf ihn um und brachte ihn an den Rand einer Ohnmacht.

»Namen«, befahl die Stimme monoton.

»Ich weiß nichts von Vergewaltigungen«, wiederholte er. Der Schmerz packte wieder zu und krampfte sein Herz zusammen. Seine Lungen hechelten nach Luft. »Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt.«

»Gut«, stellte die Stimme fest. »Dann wollen wir Ihnen auf die Sprünge helfen. Sie entführen junge Frauen, die dann vergewaltigt werden.« Susannes hingespukte Worte klangen emotionslos aus dem Verzerrer.

»Ich …«, ein verwirrter Ausdruck trat auf sein Gesicht, »weiß nicht, wovon sie reden.« Der Körper wurde starr und die Züge zu einer Fratze.

»Frisch aufgeladen.« Susanne hielt den Elektroschocker hoch. »Entweder Sie sagen, was Sie wissen oder Sie bekommen noch einige Ladungen.«

»Ich weiß nichts.« Sein Körper erstarrte vor Angst, einen weiteren Schock zu erleiden.

»Sie müssen wissen, was Sie aushalten können.« Susanne zielte mit dem Taser.

»Was wollen Sie wissen?« Er schluchzte fast.

»Im Grunde alles. Für den Anfang genügen einige Namen. Und vor allen Dingen, weshalb?« Sie riss sich zusammen. Nach so langer Zeit brach die Vergewaltigung wieder über sie herein. Abscheu, Angst und unbändige Wut. Am liebsten hätte sie Säger gewürgt. Dieser Wicht in Unterhosen hatte ihr Leben zerstört. Aber nicht nur er.

»Das ist viel. Wenn ich Ihnen irgendetwas sage, ist mein Leben bedroht. Die sind nicht gerade zimperlich.« Er sah ihr trotzig in die Augen.

»Ihr Leben ist jetzt bedroht, das kann ich Ihnen bestätigen. Wer sind ›die‹?«

»Germanicus.«

»Wer oder was ist Germanicus?« Susanne schüttelte innerlich den Kopf. Was war das denn jetzt? Asterix und Obelix?

»Eine Burschenschaft oder Studentenverbindung.«

»Sie wollen sagen, dass eine Horde pickliger Jungen reihenweise Mädchen vergewaltigt?« Sie verspürte Abscheu, obwohl sie nicht wusste, was sie erwartete.

»Ganz so ist es nicht. Es gehört zum Initialisierungsprozess und geschieht unter Beachtung der Würde der jungen Frauen. Sie werden nicht verletzt und der Akt geht so stilvoll wie möglich vonstatten.« Er sprach ein wenig freier.

»Haben Sie noch alle Tassen im Schrank. Was ist an einer Vergewaltigung stil- oder würdevoll.« Sie drohte, auszurasten. Der Typ war durchgeknallt.

»In die Burschenschaft wird nur die Elite deutscher Studenten aufgenommen. Also eine Ehre für jede Frau.« Er glaubte, was er sagte, wie Susanne an seinem Gesichtsausdruck sah.

»Lassen wir das.« Gerlinde trat nach vorne. »Sie sprachen von einem Initialisierungsprozess.«

»Richtig. Die Einstellung der Zielpersonen wird auf die Organisation eingeschworen. Dazu gehören Unterwerfungsrituale. Eines davon ist die Begattung von Frauen vor den Augen einer Jury. Dabei wird auch sichergestellt, dass keine widernatürlichen Elemente in die Burschenschaft aufgenommen werden.« Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.

»Sie sind ein perverses Schwein«, stellte Gerlinde fest. »Ich weiß nicht, ob ich tatsächlich wissen will, was dort abgeht.«

»Sie sprachen von der Elite …« Susanne übernahm vollkommen konsterniert das Gespräch. »Diese Menschen vergewaltigen zu Erziehungszwecken, Frauen. Finden Sie das normal.«

»Sie sind eine dieser Huren. Habe ich recht.« Er erhob sich halb und fiel sogleich zusammen, als Gerlinde und Susanne gleichzeitig auf die Auslöser ihrer Schocker drückten. Säger blieb regungslos liegen. Als der Zustand anhielt, stupsten ihn die beiden Frauen unsicher an. Er reagierte nicht. Susanne suchte den Puls am Handgelenk und der Halsschlagader. Nichts.

»Wahrscheinlich hatte er eine schwache Pumpe«, meinte Gerlinde maßlos entsetzt. Ihre Stimme klang kalt durch den Verzerrer. »Was tun wir jetzt?«

»Wir legen ihn ins Bett.« Susanne hob die Beine hoch. Ihr ging es genauso, wie ihrer Begleiterin. Das Herz setzte fast aus, als sie feststellten, dass ein Toter vor ihnen lag. Es war etwas anderes, jemanden in Gedanken umzubringen. Jetzt … dieses Stück Fleisch ... setzte andere Emotionen frei, die mit Befreiung und Enthusiasmus nichts zu tun hatten.

»Stopp«, befahl Gerlinde kurz und musterte die linke Schulter des Toten. »Hier. Dieses Tattoo habe ich schon einmal gesehen.«

Susanne kam näher und nestelte unter ihrem Umhang. Kurze Zeit später schoss sie einige Fotos mit dem Smartphone. »Wir sollten uns noch in der Wohnung umsehen«, meinte sie.

»Wir verschwinden besser«, stellte Gerlinde fest.

»Einen Moment.« Sie verschwand aus dem Schlafzimmer und ging im Nebenraum zum Schreibtisch, der ihr auffiel, als sie die Wohnung betraten. »Doktor Günter Säger«, murmelte sie.

»Dann hat dieses Schwein wahrscheinlich auch den Initialisierungsprozess durchgemacht«, warf Gerlinde ein. »Wir verschwinden jetzt.«

Beide bemerkten nicht die vermummte Gestalt, die, wenige Minuten nach ihrem Verschwinden, in das Haus Sägers schlüpfte. Der Tote sah aus, als wenn er schlief. Die unbekannte Gestalt stand überlegend am Fußende des Betts und entschied sich gegen ihr Vorhaben. Falls alles optimal lief, ging die Polizei von einem normalen Ableben aus und würde den jungen Frauen Schwierigkeiten ersparen. Doch, wenn Gras über die Sache gewachsen war, würde sie der Polizei die Zahl zwanzig, mit dem Hinweis auf Säger, schicken.

Die oder der Vermummte durchsuchte im Nachbarzimmer den Schreibtisch. Ein Ordner mit der Aufschrift ›Patientenverfügung‹ erregte die Aufmerksamkeit. Säger wollte keine lebensverlängernden Maßnahmen und verbrannt werden. Die unbekannte Person legte die Unterlagen gut sichtbar nach oben.

*

»Wo hast du dieses Tattoo schon einmal gesehen?«, fragte Susanne und zeigte auf das digitalisierte Foto auf dem Monitor.

»Bei so einem Typen, mit dem ich mal gepennt habe. Jörg und noch etwas. Ich habe ihn lange nicht mehr gesehen. Weshalb fragst du?« Gerlinde schlug die Hände vor den Kopf. »Mein Gott. Ich habe mit so einem geilen Bürschchen aus dieser Burschenschaft gepennt. Ich glaub es nicht.«

Susanne nickte. »An den müssen wir herankommen.«

»Das bekomme ich hin. Aber mal etwas anderes. Wenn die jedes Jahr eine wie uns auf den Rammbock schnallen, dann muss es noch einige geben. Die sollten wir suchen.« Sie nippte an dem Glas mit Wasser, das sie vom Tisch nahm. Ganz hinten trat etwas, wie Angst in ihre Augen. »Wir haben diesen Typen umgebracht«, stellte Gerlinde fest und schüttelte sich. Sie erinnerte sich an das Entsetzen, das sie empfand, als sie die Klamotten, die sie bei dem ›Unfall‹ Sägers trugen, in einem Schmelzofen an der TH verbrannte. So stellte sie sicher, dass keine DNA-Spuren am Tatort zurückblieben. Aber klappte es auch tatsächlich?

»Ein Unfall«, sagte Susanne, um Fassung bemüht. »Aber darüber unterhalten wir uns später. Ich möchte jetzt nicht daran denken. Das mit den Mädels ging mir auch durch den Kopf. Aber, wie finden wir sie?« Sie griff nach einem Glas. Sie fröstelte. Es hing etwas in der Luft, was sie nicht packen konnte. Eine bange Ahnung zog hoch.

»Einen Teil kann ich an der TH abmachen. Wir wissen ja, welchen Typ Frau, die suchen. Marke BDM. Davon gibt es nicht so viele.« Gerlinde stand auf. »Ich habe in den letzten Tagen mit einigen Kommilitoninnen gesprochen. Die fänden es ganz gut, wenn es an der Hochschule eine Beratungsstelle für Vergewaltigungsopfer gäbe. Wenn wir Glück haben …«

»… finden wir die ein oder andere. Eine super Idee. Hast du dich über Burschenschaften informiert?«

»Wenn ich ehrlich sein soll: nein. Ich finde dieses Deutschgetue blöd. Da verkehren doch nur Spasmatiker.« Gerlinde reagierte empört.

Susanne grinste über den Begriff Spasmatiker, den sie auch benutzte, um die Behinderten nicht zu beleidigen. »Ich habe auch keine Ahnung. Dennoch sollten wir uns damit beschäftigen. Das ist in der Regel Filz auf höchster Ebene.«

»Von wegen Filz. Das sind rechte Radikale. Dieser Jörg, von dem ich vorhin erzählte, machte mir einen Vorwurf, weil ich keine Jungfrau mehr war.« Gerlinde schüttelte angewidert den Kopf und äffte eine gezierte Stimme nach. »Ein deutsches Mädel opfert die Jungfernhaut dem Manne, den sie heiraten will oder in der Hochzeitsnacht. Der Arsch hat einen Ratsch im Kappes. In welchem Zeitalter leben wir?«

Susanne holte eine Zeitung vom Schreibtisch. »Hier ist die Todesanzeige von Säger.« Sie kam wieder auf den Toten zurück. Ein gedankenverlorenes Lächeln umspielte ihre Lippen. »Nach meinen Informationen ist er an Herzversagen gestorben … der Arme.«

»Das ist gut so.« Gerlinde blieb ernst. »Ich hatte schon Sorge, dass die Polizei ermittelt. Übrigens, am Wochenende muss ich nach Hause. Meine Mutter hat Geburtstag.«

Susanne nickte und dachte kurz an das kleine Dorf, aus dem ihre Mitarbeiterin kam. In einem anderen Leben, also vor ihrer Vergewaltigung, kannte sie einen netten Typ, der dort wohnte. Aus irgendeinem Grunde hatte es nie zwischen ihnen gefunkt. Doch sie blieben freundlich verbunden. War es tatsächlich schon mehr, als ein Jahrzehnt her, dass sie Kontakt mit Kurt Hüffner hatte?

»Was ist los?« Gerlinde unterbrach ihre Gedanken.

»Was soll schon los sein.«

»Du warst weit weg und sahst so glücklich aus.«

»Ich dachte an jemanden aus deinem Dorf.«

»An wen? Kenne ich den?«

»Möglich. Kurt Hüffner.« Susannes Augen ruhten gespannt auf ihr.

»Klar kenne ich den. Der ist vergeben. Da brauchst du dir keine Hoffnungen zu machen.«

»So dachte ich nicht an ihn. Er ist ein Freund.«

*

Heidesumpf

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