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Mittwoch, 28. April

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Plötzlich und schrill heult die Sirene.

Ist heute Montag? Am Montagmittag gibt es jeweils einen Probealarm, wohl damit die Sirene nicht einrostet. Jedes Mal zucke ich zusammen und der Warnton zieht wie ein stechender Schmerz durch alle meine Glieder. Nein, heute ist Mittwoch, abends gegen neun.

Ich arbeite gerade in meinem Kellerbüro an einem Artikel über ein Konzert im Alten Lichtspielhaus. Ein engagierter Zahnarzt hat eine Initiative gegründet und im ehemaligen Kinosaal des Nachbarortes einen Kulturtreff eingerichtet. Die »Line Walkers«, eine Cover-Band, imitiert Johnny Cash und hat den wegen Corona etwas reduziert im Saal verteilten Zuschauern gestern unglaublich eingeheizt. Obwohl Tanzen, Mitsingen und Jubelstürme nicht erlaubt waren, fühlte man sich zurückversetzt in die sechziger oder siebziger Jahre. Auch ich war fasziniert. Es war überraschend, wie viele der Hits des »King of Country« ich bereits kannte. »Wenn ich die Augen schließe, meine ich, Jonny Cash sei auferstanden«. So sagte es mein ebenfalls begeisterter Sitznachbar, ein Jungsenior, vermutlich wie ich Anfang der Sechziger. Richtig gut, diese Truppe! Gerade tippe ich den Titel eines der Hits des »Man in Black« in meine Tastatur: »Ring of fire«.

Da heult also die Sirene auf dem Dach des Tagungshauses gegenüber der Kirche los. Feuer!

Ich ahne, was jetzt an unserer kleinen Feuerwehrstation neben dem Friedhof los ist. Vermutlich ist Gerd Meyer, ein Mittvierziger aus der Nachbarschaft, wieder als erster bei den Fahrzeugen. Er ist Truppführer bei der freiwilligen Feuerwehr von Himmelstal. Sein Chef, Ortsbrandmeister Enno Dieckmann hat mir erzählt, dass Gerd manchmal sogar auf Socken und in Boxershorts angelaufen kommt, direkt in die Ausrüstung steigt und dann sein Fahrzeug schon mal vor die Halle fährt. Ein Pfundskerl, dieser Gerd, und zuverlässig dazu. Kurz nach ihm werden auch die anderen da sein, sich umziehen, noch Reste an Ausrüstung einpacken und los geht‹s.

Kurz nachdem ich Anfang des Jahres nach Himmelstal gezogen war, brannte es das erste Mal. Ich glaube, es war in der zweiten Februarhälfte. Es war ein alter Bootsschuppen neben einem Teich. Als die Feuerwehr eingetroffen war, gab es nichts mehr zu retten. »Vermutlich Brandstiftung«, informierte mich der Ortsbrandmeister. Ich habe nur eine winzige Meldung geschrieben, nicht einmal ein Foto gemacht. Da gab es auch nichts mehr zu fotografieren. Der morsche Schuppen mit einem löchrigen Ruderboot darin war nur noch ein Haufen Asche. Zum Glück hatten sie eine große, knorrige Trauerweide daneben gerettet und damit auch das Wohnhaus abgesichert. Wenn man den Qualm erst später entdeckt hätte, wäre ein viel schlimmerer Ausgang möglich gewesen. Etwa eine Woche danach habe ich noch mal nachgefragt. »Na ja, die Polizei war da und hat im Schutt herumgestochert«, meinte Enno, der mir, wie in diesem himmlischen Dorf offenbar üblich, gleich bei der ersten Begegnung das Du angeboten hatte, »aber die haben auch keine Spur gefunden. Und niemand hat etwas gesehen.« Damit war die Sache damals zunächst erledigt gewesen.

Ich höre jetzt weitere Sirenen, zuerst aus dem Nachbarort, dann von Feuerwehrfahrzeugen. Der Kampf um Ruhm und Ehre hat begonnen. Ich weiß, dass nun mindestens drei Dörfer darum ringen, als erste am Brandort zu sein. Es ist der ganze Stolz freiwilliger Feuerwehren, schnell und konsequent ganz vorne mitzumischen ... Man kann das kritisch sehen, sich aber auch darüber freuen. Sie beeilen sich definitiv.

Ich greife zum Telefon. Enno hat mir seine Mobilnummer gegeben. Er nimmt sofort ab. Im Hintergrund höre ich die Sirene des Fahrzeuges, in dem er vermutlich gerade sitzt, gleichzeitig höre ich sie durchs gekippte Fenster meines Büros. Sie sind also ganz in der Nähe.

»Jens, ich kann jetzt nicht! Wir sind im Einsatz!«

»Ja, ich weiß«, sage ich und hoffe, dass er nicht auflegt. »Ich würde gerne wissen, wohin ihr fahrt. Vielleicht kann ich diesmal einen Artikel machen. Bitte. Ich bin immer fair, das weißt du!«

Ein kurzes Zögern, dann atme ich auf.

»Es ist ganz bei dir in der Nähe, hinten am Bauhof am Ortsausgang. Komm hin, und sag’ den Kameraden an der Absperrung, du willst zu mir.« Dann legt er auf.

»Jens, pass auf dich auf!« ruft Maren mir noch hinterher, als ich die Haustür öffne. Es klingt schon wie bei einem alten Ehepaar. Dabei ist noch alles ganz neu für mich.

Drei Minuten später sitze ich auf meinem Stevens-Rad. Auch das habe ich natürlich aus der Kreisstadt mitgenommen. Ein besseres kriege ich nie im Leben!

*

Wieder brennt ein Schuppen. Was darin aufbewahrt wird, kann man nicht erkennen. Vermutlich wird es enden wie bei dem Bootsschuppen von damals: Mit einem verkohlten Holz-, Metall- und Aschehaufen. Drei Feuerwehren sind bereits dabei, ihre Schläuche auszurollen. Zwei von ihnen haben eigene Tanks im Fahrzeug. An der Hauptstraße gibt es einen Hydranten. In der langsam immer schwärzer werdenden Dunkelheit sich drehende gelbe und blaue Lichter verstärken die gespenstische Atmosphäre des Feuers. Ich habe den Weg durch die östliche Neubausiedlung genommen und bin schon nach knapp zehn Minuten nach meinem Telefonat dort. Die Feuerwehren waren schneller. An der Straße unten stehen mindestens vier rot-weiße Fahrzeuge, alle mit Blaulicht. Ein Rohr befeuert den Schuppen bereits mit dickem Wasserstrahl.

Ich lehne mein Rad an die Böschung des Bauhofs und gehe zur Einfahrt des Geländes des kleinen privaten Bauunternehmers. Wie erwartet ist alles abgesperrt. Ich halte einem der mir fremden Feuerwehrleute, der den Verkehr auf der Hauptstraße stoppt und zur Umkehr anweist, meinen Presseausweis unter die Nase und berufe mich auf den Ortsbrandmeister.

»Da kann ja jeder kommen!«

Der Kamerad weist mich schroff ab. Er hat hier jetzt endlich etwas zu sagen! Aber nicht unbedingt mir. Ich entdecke neben einem der Fahrzeuge eine junge Erwachsene aus der Nachbarschaft. Auch sie trägt Uniform. Ich glaube, sie leitet die Jugendfeuerwehr.

»Kerstin, kannst du mal eben kommen!«

Ich bin der jungen Frau mehrfach begegnet. Immer war sie fröhlich und hatte eine positive Ausstrahlung. Nun kommt sie sofort an die Absperrung und klärt den eifrigen Kollegen auf, dass ich nicht stören, sondern nützen werde. Der Mann murrt noch etwas, fühlt sich vermutlich auch unwohl, weil eine Frau ihn korrigiert, lässt mich jedoch durch.

Meine Canon im Anschlag nähere ich mich dem Brandherd. Je näher ich komme, desto größer die Hitze. Die Flammen schlagen wie muntere Tänzer aus dem mit Platten bedeckten, aber offenbar löchrigen Dach des Schuppens gen Himmel. Die zweiflüglige Holztür ist bereits verbrannt und herausgefallen. Drinnen stehen kleinere Baugeräte. Im Qualm erkenne ich einen Zementmischer und einen Rüttler. Ich mache Fotos von dem Inferno.

Plötzlich steht Enno neben mir.

»Kein Problem, Jens«, meint er. »Wir haben alles im Griff. Es gibt Sachschaden, aber der ist vermutlich versichert.«

»Ein Glück. Und ist es wieder Brandstiftung?«

Bevor er antwortet, ruft Enno den beiden Männern an der Spritze einige Anweisungen zu. Sie platzieren den Strahl etwas tiefer in den Brandherd. Dann nickt Enno.

»Ich vermute. Wie sonst soll so ein Schuppen Feuer fangen? Nein, da hat jemand nachgeholfen. Und wie du weißt, ist es jetzt bereits der vierte Brand seit dem Bootsschuppen im Februar.«

Ja, ich weiß – und das macht das Ganze jetzt langsam doch zur Story für einen Käseblattreporter. Zuerst der Bootsschuppen, dann ein Brand in einer Scheune direkt neben dem Tagungshaus. Der wurde zum Glück von einem jungen Mann aus dem Team dort entdeckt und der hat ihn dann auch eigenhändig gelöscht. Ich sehe Jonas nun auch hier, neben Gerd. Zusammen halten sie die Hochdrucklöschanlage. Allein könnte man diese nicht kontrollieren. Das Wasser wird mit Hochdruck in kleinste Tröpfchen zerteilt und diese auf die Flammen gesprüht. So ist der Effekt wesentlich größer als bei einem normalen Strahl.

Der dritte Brand konnte auch gelöscht werden, bevor es zu spät war. Ein Heuschober unten an der Brücke über den Bach hat gebrannt. Etwa zehn Rundballen waren dort aufgeschichtet worden und mit einer Schutzplane bedeckt. Selbstentzündung hat man eindeutig ausgeschlossen.

»Wenn du über dies hier schreibst«, meint Enno jetzt, »schreib ruhig, dass die Feuerwehr von Brandstiftung ausgeht. Schreib aber nicht, dass wir ab sofort nächtliche Streifen losschicken! Wir wollen den Feuerteufel nicht vertreiben, sondern ihn auf frischer Tat ertappen!«

Davon hatte ich bisher nichts gehört.

»Habt ihr das im Vorstand beschlossen?«

»Nein, ich habe das beschlossen, gerade eben!« grinst Enno mich an. »Aber ich bin sicher, meine Kameraden ziehen mit. Du kannst auch mitkommen, wenn du willst. Im Dorf gibt es schon jetzt Gerede. Viele Bauern und alle Hausbesitzer mit Schuppen im Garten haben Angst. Bald wird jeder jedem misstrauen. Wir müssen etwas tun!«

Das Dach bricht ein. Es kracht. Der Schuppen fällt mehr und mehr in sich zusammen. Dicker Qualm verdeckt inzwischen die meisten der Flammen.

»Komm etwas zurück«, weist mich Enno an, »das Dach besteht aus Toschiplatten. Da ist giftiger Asbest drin. Wenn der Wind nicht aus unserem Rücken käme, dürften wir hier überhaupt nicht stehen!«

Ich danke ihm, mache noch einige Fotos und ziehe mich dann zurück. Vielleicht sollte in der nächsten Redaktionssitzung eine Reportage über Freiwillige Feuerwehren im Landkreis vorschlagen. Wir berichten ja oft über Feuerwehren, es gibt unzählige Fotos von Uniformierten mit Auszeichnungen und in Versammlungen – aber über Einsätze und Gefahren, über private Motivation und Erfahrungen der Feuerwehrleute bei ihren Einsätzen habe ich bei uns im Kreisblatt noch nicht viel gelesen.

*

»Und, was war los?«

Ich erstatte Maren kurz Bericht. Sie nickt.

»Das wäre also das wievielte Mal?«

»Das vierte Mal. Also ist es eine Serie.«

»Genau. Und wir haben im schönen Himmelstal vermutlich einen inzwischen überaus aktiven Brandstifter, der unser Dorf zum Höllental machen kann.«

Wir sind uns einig. Maren steht bereits auf der Treppe nach oben. »Ich muss morgen früh raus. Du wirst jetzt vermutlich gleich deinen Artikel schreiben. Sei nachher leise!«

Ein kurzer Kuss und gute Nacht. Sie kennt mich.

Zurück am Schreibtisch notiere ich mir Orte, Daten und Zeiten der Brände. Es begann mit dem Bootsschuppen am 21. Februar. Am 3. März brannte die Scheune, die zum Glück gerettet wurde. Am 18. März wurden die Heuballen Opfer eines Feuers und heute ist der 28. April. Ein Muster erkenne ich nicht. Im April gibt es eine größere Lücke, sonst fällt mir nichts auf. Brandstifter kommen oft aus den Orten, die betroffen sind, das ist bekannt. Manchmal sind sie gar Mitglieder der Feuerwehr und gerne mal als Erste am Brandort. Aber das kann auch ein Klischee sein. Und wenn, träfe es hier auf viele zu, angefangen bei Enno selbst, über Gerd, Kerstin und andere bis hin zu Jonas aus der christlichen Gemeinschaft, der ja offenbar ebenfalls Mitglied der Jugendfeuerwehr ist. Na ja, kaum vorstellbar, aber »bei Gott sind alle Dinge möglich« heißt es ja sogar in der Bibel.

Mit Feuer und Geist

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