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Freitag, 30. April

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Für heute habe ich mich zur Nachtschicht gemeldet, von zwei bis fünf. Von der Feuerwehr mit dabei sind Enno und Kerstin. Als wir uns an der Feuerwache treffen, sehen sie aus, wie ich mich fühle: müde und zerknittert. Vermutlich haben sie wie ich nach einem normalen Arbeitstag ein paar Stunden geschlafen, es zumindest versucht. Wir alle sind in Zivil. Kerstin hat sich eine Kapuze über den Kopf gestülpt und wirkt in ihrer schwarzen Kleidung wie ein Protestler aus dem schwarzen Block. Ich trage meinen Parka und Enno eine dunkle Outdoorjacke von Jack Wolfskin. Wir haben unsere Kragen hochgeschoben. Es ist dunkel, kühl und feucht.

Wir begrüßen uns kurz und einigen uns auf eine Strecke durch das Dorf. Heute wollen wir zuerst einen Blick in die etwas abgelegene Siedlung »im Tal« werfen. Dort stehen auf der nördlichen Straßenseite mehrere kleine Einfamilienhäuser, alle mit Garten und Nebengebäuden wie Schuppen, Gartenhäuschen oder Carport. Die Felder gegenüber sind unbebaut und frisch mit Zuckerrüben bepflanzt. Allerdings erkennt man jetzt kaum etwas.

Irgendwie ist es unheimlich hier draußen ...

Als wir um die Ecke biegen und den Rundweg durch die Siedlung nehmen wollen, sehen wir weiter hinten schwache Lichter. Neben einer großen Scheune parkt ein Fahrzeug mit Standlicht. Mitten in der Nacht erscheint uns dies ungewöhnlich. Wer hier wohnt, parkt entweder auf seinem Grundstück oder direkt vor seinem Haus. Auch würde niemand das Standlicht brennen lassen.

Langsam nähern wir uns dem Fahrzeug. Enno bedeutet uns, hinter ihm zu bleiben. Er hält seine lange Stablampe wie eine Keule in der Hand, ohne Licht natürlich. Kerstin hält sich so nah neben Enno, als wolle sie ihn am liebsten überholen und vorpreschen. Ich bleibe gerne hinten.

Immer näher kommen wir dem PKW. Es scheint ein älterer BMW zu sein. Drinnen sitzt jemand, vermutlich ein Mann. Das Kennzeichen erkenne ich nicht. Plötzlich leuchtet ein Licht beim Haus gegenüber dem parkenden Auto auf. Es ist eines der kleinen Häuser, die vor dem Krieg für die Arbeiter der Großbauern gebaut wurden. Links führt ein Plattenweg zur Haustür. Was den Bewegungsmelder ausgelöst hat, weiß ich nicht. Wir sehen weder Mensch noch Tier. Die Lampe beleuchtet etwa zehn Meter des Weges, dahinter herrscht umso schwärzere Dunkelheit. Jetzt jedoch kommen von der anderen Hausseite Geräusche. Dort könnte eine Terrasse sein. Das Licht geht wieder aus. Es knackt zwei- oder dreimal, so als ob Holz oder Kunststoff splittern. Vermutlich macht sich dort jemand an der Terrassentür zu schaffen. Unser Brandstifter?

Enno stößt mich an und hält Kerstin zurück.

»Wir warten an der Scheune! Kommt.«

Er dirigiert uns hinter die Ecke der großen Kartoffelscheune, vor der das Fahrzeug steht. Nun sind wir in Deckung, können allerdings selbst auch nichts sehen. Enno schaut vorsichtig um die Ecke zur Straße und zum Haus.

»Die gehören zusammen«, spekuliert er. »Ich meine, der Typ im Auto und der auf der Terrasse.«

»Unser Brandstifter?« Es klingt ironisch. Kerstin ahnt die Antwort vermutlich schon, als sie die Frage stellt.

»Eher nicht. Ich vermute, es sind nur Einbrecher!«

»Nur« ist gut, denke ich. Enno wartet bereits am Handy darauf, dass jemand abnimmt.

»Rufst du den Polizei-Notruf an?«

»Nee. Die brauchen viel zu lange. Ich weiß was Besseres.«

Jetzt scheint jemand am anderen Ende der Leitung zu reagieren. Ich verstehe nicht, was Enno sagt, nur »Einbrecher« und »Julius«. Er ist offenbar zufrieden.

»Sie kommen gleich. Wir sollen hier warten und sie beobachten.«

»Wer kommt? Ich denke, die Polizei braucht zu lange.«

»Wir haben hier im Dorf unsere eigene Polizei!«

Nun ahne ich, was oder wen er meint. In Himmelstal wohnt Julius Spiekermann, Polizeisprecher des Kommissariats Lüneburg. Außerdem wohnt ein weiterer Polizist in seiner Nachbarschaft. Unser himmlisches Dorf ist also mit Ordnungshütern geradezu höllisch gut ausgestattet.

Plötzlich springt der Motor des BMW an. Wie weiße Lanzen stechen die Strahlen des Abblendlichtes ins Dunkel. Im Giebelfenster, vermutlich dem Schlafzimmer des Hauses, geht das Licht an. Auf der Terrasse scheppert es. Da ist was schiefgegangen.

»Sie hauen ab!« ruft Kerstin.

Gleichzeitig sprintet sie Richtung Wohnhaus über die Straße. Enno und mir bleibt nichts anderes übrig, als hinter ihr herzulaufen. Im Haus schreit jemand. Ob die Frau »Hilfe« ruft oder »Hau ab!« kann ich nicht verstehen. Ich sehe eine Gestalt mit Tasche von der Terrasse kommend um die Ecke Richtung Plattenweg huschen. Kerstin schießt darauf zu.

»Stehenbleiben!«

Wie ein Wurfgeschoss schleudert sie der Gestalt ihren herrischen Befehl entgegen. Die stutzt für den Bruchteil einer Sekunde, rennt dann jedoch weiter. Kerstin ist jetzt nur noch etwa zwanzig Meter von der Gartenpforte entfernt. Die Gestalt, wie Kerstin in schwarz und mit Kapuzenjacke vermummt, springt jetzt mit langen Sätzen durch die Pforte auf die Straße. Der Motor des BMW jault auf. Das Fahrzeug schießt auf Kerstin zu. Die springt im letzten Moment zur Seite und stürzt krachend neben die Hecke auf den Gehweg. Der Vermummte reißt die Fondtür auf, wirft seine Tasche hinein und will selbst hineinspringen. Da ist auch Enno am Fahrzeug. Er erwischt den Typen am Pullover, bevor er sich ins Innere retten kann. Der Gejagte klammert sich an Tür und Sitz fest, kann aber nicht einsteigen. Der Fahrer gibt Gas. Als das Auto mit offener Hintertür, den Typen im Laufschritt und Enno an seinem Ärmel an mir vorbeikommt, höre ich von drinnen ein »Nun spring endlich!« und von draußen ein: »Ich schaff es nicht! Fahr langsamer.«

Das Gegenteil geschieht. Das Fahrzeug macht einen Satz nach vorn. Der Flüchtige kann sich nicht mehr halten und purzelt auf die Straße. Enno ist über ihm.

Ich gehe mal davon aus, dass kein Dieb dem Feuerwehrgriff eines Ortsbrandmeisters entkommt. Deshalb beeile ich mich, Kerstin zu unterstützen. Sie liegt neben der Hecke und stöhnt.

»Vorsicht«, als ich ihr aufhelfen will, weist sie mich zurück. »Ich glaube, ich habe mir den Arm oder die Schulter gebrochen.«

Langsam richtet sie sich auf. Ich stütze sie. Aus der Pforte kommt eine Frau mittleren Alters im Nachtmantel. In der Hand hält sie einen gewissermaßen fechtbereiten Regenschirm.

»Was ist denn hier los?! Kerstin, bist du das?«

Entsetzt starrt sie die auf dem Fußweg sitzende junge Frau an. Dann entdeckt sie Enno mit dem Maskierten weiter hinten und das flüchtende Auto. Nun kombiniert sie erstaunlich schnell.

»Wartet, ich rufe einen Krankenwagen und die Polizei!«

»Krankenwagen reicht!« sage ich, »Polizei müsste gleich kommen.«

Die Frau läuft ins Haus. Ich schaue dem Auto nach. Es will bereits um die Ecke biegen. Da quietschen Bremsen. Der BMW schleudert. Ein Kleinbus stellt sich ihm in den Weg. Heraus springen zwei Männer. Im Streulicht der Scheinwerfer erkenne ich, dass einer mit einer Pistole herumfuchtelt. Dann reißt er die Fahrertür auf und zielt auf den Fahrer. Was genau geschieht, kann ich nicht sehen. Jedenfalls rufen sie etwas. Nur wenige Wortfetzen kommen hier an. »...legen.« und »...Zweck« kann ich verstehen. Vermutlich heißt das »Hinlegen« und »Es hat keinen Zweck«. Jedenfalls stehen kurz darauf die beiden Polizisten hinter dem Mann und der legt seine Arme brav auf das Dach seines Autos. Die Flucht ist vorbei.

Die Frau kommt wieder aus dem Haus. Sie hat den Krankenwagen gerufen und bringt jetzt eine Decke für Kerstin mit. Bis die Sanitäter kommen, will sie sich um die junge Frau kümmern und nimmt sie mit ins Haus. Ich unterstütze Enno.

Der Mann, den er im Schwitzkasten hält, ist etwa so alt wie Kerstin, also Anfang zwanzig. In der Zeitung wird nachher stehen: »Zwei Einbrecher wurden auf frischer Tat ertappt, ein Deutscher, Anfang zwanzig und ein ...?« Noch weiß ich es nicht, da die beiden zivilen Polizisten den Fahrer jetzt in ihr Auto verfrachtet haben, vermutlich gefesselt. Aber sicher weiß ich, dass diesmal nicht die »BILD« zuerst dabei war, sondern unser »Käseblatt«.

Julius Spiekermann ist ein netter, drahtiger Endvierziger in Jeans, Pullover und Regenjacke. Ich kenne ihn vom Sehen. Er kommt zu uns und packt den Einbrecher an der Schulter. Dann fragt er, ob noch jemand beteiligt war. Als er erfährt, dass Kerstin verletzt und was passiert ist, schüttelt er mit dem Kopf.

»Unmöglich. Sie wusste doch, dass wir schnell kommen. Aber das ist wieder mal typisch. Kerstin mischt überall mit und sich vor allem auch gerne überall ein.«

Er kennt sie vom Sportverein. In der überregionalen Damenmannschaft sei sie Stürmerin oder stehe ersatzweise im Tor, klärt Enno mich später auf. Das kann ich mir bestens vorstellen. »Ich will den Kasten sauber halten!« hatte Kerstin gesagt, als ich sie vorgestern fragte, warum sie bei der Streife mitgehe.

»Was macht ihr hier eigentlich mitten in der Nacht?«

Spiekermann wendet sich an Enno. Der berichtet von der Brandwehr. Der Kommissar sieht nicht besonders glücklich aus, verständlich, haben wir doch gewissermaßen eine polizeiliche Aufgabe übernommen und sind sozusagen als Konkurrenten aufgetreten.

»Ihr hättet es wenigstens mit uns absprechen können! Auch sonst arbeiten Feuerwehr und Polizei doch Hand in Hand.«

Enno gibt ihm Recht, entschuldigt sich und glättet so die Wogen. »Immerhin ein prima ›Beifang‹, oder?«

Der Polizist muss nun doch lachen.

»Allerdings. Vielleicht habt ihr sogar die Einbrecher gestellt, hinter denen wir schon lange her sind.«

Ich traue mich, die Frage zu stellen, die mir auf dem Herzen liegt: »Kann ich von Ihnen weitere Infos bekommen, wenn Sie mehr über die beiden wissen?«

Spiekermann schaut mich nachdenklich an. Er weiß genau, wer ich bin. Wir sind uns damals bei der Sache mit der Auferstehung von Oliver Bender begegnet. Er hat die Exhumierung geleitet. Vermutlich sieht er mich ein bisschen als Fantasten an.

»Herr Jahnke vom Kreisblatt. So sieht man sich wieder ...«. Ich fürchte eine Abfuhr. »Da Sie ja nun dabei waren, und inzwischen sogar Himmelstaler Nachbar sind, mache ich mal eine Ausnahme. Ich melde mich, sobald wir Details wissen. Die offizielle Pressemeldung gebe ich erst raus, wenn unser Käseblatt bereits in Druck ist.«

Der Mann hat etwas gut bei mir! Offenbar habe ich auf ihn damals doch nicht einen allzu schlechten Eindruck gemacht.

»Frau Schulz und Kerstin müssen die ganze Sache noch zu Protokoll geben. Ich schicke Beamte vorbei. Und bitte sagen Sie Frau Schulz, dass wir das Diebesgut samt Tasche erst einmal mitnehmen, sie es jedoch schnell zurückbekommt.«

Wir warten in der Küche von Frau Schulz auf den Krankenwagen. Als Kerstin von den Sanitätern provisorisch versorgt ist, ein Schmerzmittel intus hat und mit geschientem Arm in den Rettungswagen klettert, grinst sie uns an.

»Na, Kameraden, das war doch mal eine erfolgreiche Brandwehr!«

Enno knufft ihr gegen den gesunden Arm und lächelt väterlich.

»Kerstin, du Draufgängerin! Ich sage nur fürs nächste Mal ›Hals und Beinbruch!‹. Hoffen wir, dass in der Zwischenzeit nicht unser Brandstifter zugeschlagen hat.«

»Na, ihr geht aber doch sicher noch eine Runde.«

»Ach Kerstin, ohne dich ist es viel zu langweilig.« Ich meine sogar ernst, was ich da sage.

Mit Feuer und Geist

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