Читать книгу Drei im Himmelbett - Hermann Bärthel - Страница 5
Schweine im Schlossteich, treblestitched Jeans, Shorty in reseda mit Überhitzungsschutz 220 Volt; Schlossköchin Else - wer gehört wem?
ОглавлениеVor ihr erstreckte sich ein herrlicher Garten, über den sich ein strahlend blauer Himmel wölbte. Auf dem silbrigen Schlossteich schwammen majestätisch zwei Schweine, die der Druckfehlerteufel da hineingeworfen haben mochte, denn eigentlich waren es Schwäne, und die blitzenden Fenster des prachtvollen Anwesens schienen sie freundlich zu grüßen - also Claudia, nicht die Schweine, obwohl sie, wie gesagt, eigentlich Schwäne waren. Das nur zum besseren Verständnis.
Das anmutige Kind fühlte, wie ihm die Seele weit wurde - ach, wenn das doch die neue Heimat würde! Gegen diesen berechtigten und nur zu gut nachzuvollziehenden Wunsch ist sicher nichts einzuwenden, aber daß dafür eine Erweiterung der Seele Voraussetzung war, erscheint zumindest zweifelhaft. Wenn sich ihr Herz geweitet hätte, gut, das Herz ist schließlich ein Organ, aber die Seele?
Genug, gönnen wir ihr die weite Seele, sie wird sehen, was sie davon hat. Und in der Tat - kaum daß sie den kunstvoll geschmiedeten Klingelzug des Eingangstores ergreifen wollte, glitt ihr Blick das hohe Parkgitter entlang, und dort, vor der kleinen Gartenpforte des abseits gelegenen Verwalterhäuschens stand Martin und hob bescheiden und wehmütig die Hand zum Gruß.
Ja, nun hätte sie natürlich eher ein weiteres Herz gebraucht - also nicht ein zweites, natürlich nicht, sondern ein etwas geweitetes, denn dort drängte sich das Blut ungestüm wie die wilden Wasser der Schlei. Angezogen wie von magischen Kräften schritt Claudia Martin entgegen; zögernd zunächst, doch dann immer geschwinder, denn sie hatte ihre Schühchen abgestreift, wobei mir diese ewigen Diminutive allmählich auf den Sack gehen, und nun war sie bei ihm und hob ihm beschwörend den linken, hackenlosen Pumps entgegen. Und Martin, dieser Herzensgute, lachte tief und dröhnend, brach auch den anderen Absatz ab, und Claudia stand wieder fest auf beiden Füßen, wenn auch stark verkürzt.
Erst jetzt fand sie Muße, sich an seinem neuen Outfit zu weiden: Statt der neuen doublestitched Jeans, die er der geplatzten Gesäßnaht wegen sofort in eine griechische „Kleidererverkstat“ getragen hatte, deren Meister ihm verlässlich eine nunmehr treblestitched Naht zugesichert hatte, trug er jetzt ein modernes hosenähnliches Behältnis, das wahlweise als lange Hose oder als knielange Shorts zu tragen war und nun seine Waden schmuck umspielte. Er war gerade vom Einkaufen zurück und hatte auf die praktischen Taschen, neun an der Zahl, alles geschickt verteilt: 2 Brote, 5 Pfund Kartoffeln, 12 Eier, 6 Dosen Bier, 1 Blumenkohl, 1 Liter Milch, 2 Bratwürste, 1 Abwaschbürste und ½ Pfund Butter, die aber nicht weiter auftrug, denn sie war in der Tasche geschmolzen. Aus einer Hemdentasche lugte außerdem ein neuer PLAYBOY, aber der war für seinen alten Vater.
Herzlich drückte er Claudia, nicht achtend der Eier und des in solchem Kontext seltenen Genitivs, an sich, und dann betraten sie Hand in Hand das Verwalterhäuschen, das an der Eingangstür ein Schild trug mit der Inschrift „Regel 24 - Unbewegliche Hemmnisse!!!“, dessen dunkler Sinn Claudia einstweilen verborgen blieb.
Am Fenster saß der alte Oberförster, Martins Vater. Sein wasserheller Blick schien über sie hinweg ins Leere zu gleiten, dann schlug er flüchtig einen dicken Versandhauskatalog auf, murmelte Unverständliches und starrte wieder die Lippen bewegend ins Nichts.
„Er lernt Kataloge auswendig,“ flüsterte Martin ihr zu, „ das ist die Freude seines Alters ... Wollen Sie mal hören -?“
Claudia nickte zerstreut, Regel 24 beschäftigte sie noch immer.
„Otto!“ rief Martin, „Artikel 02483!“
Der Alte grinste freudig und antwortete augenblicklich: „Otto - find ich gut - Dessous, so leicht wie ein Frühlingslüftchen; Shorty in rheseda mit zweifach gelagertem Laufwerk und Überhitzungsschutz, 220 Volt, trägerlos und hautfreundlich ...“, dann versank er in ein unverständliches Brabbeln.
Nachsichtig schüttelte Martin den Kopf und zog Claudia an sich. Sein forschender Blick suchte den ihren, schon wollte er wieder vor ihr auf die Knie sinken, und ängstlich entrang es sich ihr: „Gedenke des Beinkleides, Martin ...“, doch da war nun keine Not, denn die inzwischen geleerten Shorts umhingen weit und schlapp Martins Hintern, und keine doublegestitchte Naht drohte mit peitschendem Knall zu zerplatzen. Stattdessen zerriss ein hartes „Klack!“ die Stille, und auf Claudias fragende Miene entgegnete Martin erklärend: „Ein Golfball. Unser Häuschen steht am Rande eines Golfplatzes, an der Biegung eines Doglegs. Und nicht immer gelingt es den Spielern, Flugbahn und Länge ihrer Bälle richtig einzuschätzen, und deshalb ...“
„Ein Dogleg?“ unterbrach ihn Claudia interessiert, „Dürfen denn hier Hunde frei herumlaufen?“ Doch ehe sie womöglich noch fragen konnte, wo denn hier der Hund begraben liege, wurden Haus, Claudia, Martin und der alte Oberförster nebst allen Katalogen durch ein Beben der Stärke 3 auf der nach oben offenen Richterskala erschüttert!
„Was ... war das??“ stammelte Claudia.
„Greenfeespieler!“ brummte Martin verärgert. „Diese Spinner haben keine Ahnung von Platzregeln und halten die Bank vor unserem Haus für ein bewegliches Hemmnis und versuchen, sie beiseite zu schieben, aber die Bank hängt fest am Haus und ...“
„Ah ...“ dämmerte es Claudia, „Deshalb der Hinweis an der Tür ...“
„Eben!“ entgegnete Martin. „Aber der dämliche Greenkeeper hat es an der falschen Hausseite angebracht, wo die Spinner es nicht sehen können! Und wenn sie an der Bank rütteln, rütteln sie am Haus! Leider sehen wir sie nicht kommen, weil alle Fenster auf der Platzseite inzwischen zugemauert sind! Und außerdem ...“ - er schüttelte verzagt den Kopf - „Riechen Sie nichts -? Kein Durchzug mehr! Da kann ich vorne so lange die Fenster öffnen wie ich will - kein Lüftchen mag sich regen ...“ setzte er überraschend poetisch hinzu, um dann zu einer längeren Erklärung über seines Vaters altersbedingte - „Sie verstehen?“ - anzusetzen, doch dazu kam es nicht mehr.
Jäh ward die Tür aufgerissen, und Else, die Schlossköchin, stürzte in die Stube.
„Der Graf!“ schrie sie, „Schnell, Martin, schnell! Es geht zu Ende mit ihm!“
Erregt drängte sie Claudia zur Seite und umschlang ihn: „Er stirbt! Und ich bin endlich frei! Nun will ich haben, was mir versprochen ist! Nun können wir heiraten!“
Bei diesen Worten wich alles Blut aus Claudias Wangen, und ihr Herz schlug bis zum Halse. Sie richtete sich auf, ballte ihre kleine Faust und schob sich ruhig und bestimmt zwischen Else und Martin, wobei sie sich auf Elses Füße stellte. Sie schaute Martin in die Augen, Else ihr in den Nacken.
„Martin,“ begann sie eindringlich, „ich will nicht wissen, was vor mir war ...“, doch Else unterbrach sie stöhnend: „Ich schon! Martin - wer steht da vor mir, zwischen uns und auf mir und wiegt so schwer?“ Und sie umschlang Martin und natürlich auch Claudia um einiges fester.
Da standen nun die Drei, und konnte doch keines vom andern lassen.
Mit einer geschickten Drehung seiner Hüfte, die er noch aus seiner aktiven Zeit als Judoka beherrschte, befreite sich Martin jedoch, strich zärtlich Claudia übers Haar und Else über die Nase, denn jene war größer, murmelte gerührt „Ihr Lieben ...“ und eilte erleichtert zu seinem Herrn ins Schloss.
Auch die Damen hatten sich voneinander gelöst und starrten erst Martin nach, dann einander an. Else schritt erregt um den Stubentisch Artikel 547295 aus der auslaufenden Reihe „Alt und doch immer wieder neu“ und klopfte herrisch auf die fast eichene Platte.
„Er gehört mir!“ presste sie hervor und meinte damit nicht den Tisch.
Trotzig warf Claudia das Köpfchen zurück: “Und ich gehöre ihm!!“
Schwer lastete die Stille über ihnen, nur gelegentlich durch einige „Klack!“s unterbrochen, während beide über die etwas widersprüchlichen Besitzverhältnisse nachsannen.
Schließlich durchbrach Else das Schweigen. „Ich bin zwar Köchin,“ sagte sie, „und es macht mir nichts aus, auch für drei zu kochen, aber - eine ist hier zu viel, das ist mal sicher!“
Auch Claudia schlug nun blitzenden Auges bekräftigend auf den Tisch, dessen Tackerverbindungen ächzend nachgaben. Unversöhnlich und vor Leidenschaft ebenso kochend wie ratlos wollten just beide dem schuld- und leimlosen Möbel den finalen Schmetterschlag versetzen, da hielt Claudia inne.
„So nicht!“ sagte sie erschöpft. „Was wir jetzt brauchen, ist Rat - wir brauchen einen weisen Rat! Einen Rat, der nicht vom Feuer unserer Jugend und Leidenschaft getrübt - nee, besser: versengt ist ... den Rat des abgeklärten Alters - der alte Oberförster, er wird wissen, was ...“
Doch Else brüllte dazwischen: „Der? Dieser senile alte Sack?? Der weiß doch nicht mal mehr, wo er ist! Alle naslang latscht er im Schloss rum und holt sich von der meschuggenen Toni neue Kataloge! Obwohl er da nix zu suchen hat!“
„Toni -? Welche Toni?“ fragte Claudia.
„Die Schwester vom Grafen.“ antwortete Else, „Die hat auch 'ne Klatsche, wie alle hier! Gräfin Antonie - daß ich nicht lache! Die ist noch bekloppter als der Alte! Und das will ich Ihnen sagen: Von diesen Typen lass ich mir jetzt nicht mehr länger in die Suppe spucken - jetzt werde ich hier mal ...“
Ehe sie aber weiteres zum Schutz ihrer Suppe formulieren konnte, tapste unsicher der Alte ins Zimmer und wurde sogleich von Claudia umringt.
„Lieber Herr Oberförster!“ herzte sie ihn, „Sie schickt uns der Himmel!“
Jener wich erschrocken zurück, aber hinter ihm wogte Else, und da war des Weichens nicht lange.
Claudia nahm seinen Kopf zwischen beide Hände, wie sie es bei Caldeherz gelernt hatte, wenn Patienten „flatterten“ - so nannte es der Chef euphemistisch - und seufzend entrang es sich ihrer Brust: „Försterchen, liebes Väterchen ...“ worauf der Alte sich ängstlich in Elses Arme drückte.
„Was soll das?“ stöhnte er, „Was will die? Wer ist das? Ich hab' nur einen Sohn! Und keine Tochter! Martin! Martin, wo bist du?“ Verzweifelt versuchte er, sich aus Claudias Schraubstock und Elses Armgebirgen zu lösen, aber Claudia blieb unerbittlich.
„Hochverehrter Herr Oberförster i.R.!“ ließ sie es nun an Form nicht fehlen, „Beide lieben wir Ihren Sohn von ganzem Herzen, zumindest ich ...“ - hier unterbrach Else sie wütend und so laut, daß der Ärmste ca. fünfmal „Au!!!“ wimmerte, und schrie: „Von ganzem Herzen? Daß ich nicht lache! Ha!!! (wiederum dreimaliges „Au!“ des Alten) Ich liebe ihn sogar mit Leib und Seele! So!!“
Doch Claudia fuhr unbeirrt fort:“ ... von ganzem Herzen, und Ihr Wort muss nun entscheiden: Wem soll Martin gehören - dieser Köchin hier oder mir?“ Und nach diesen Worten gab sie ihn frei, und auch Else ließ die Arme sinken.
Der alte Oberförster schaute sie entgeistert an, denn er glaubte seinen Sohn längst vermählt, und schlurfte in einiger Not weiter hastig dem WC entgegen. Doch die resolute Else drückte ihn heftig in einen Sessel.
„Von mir aus, meinetwegen!“ knurrte sie. „ Was soll geschehen? Los, du alter Quatschkopp! Nu sahch schon!“
Nunmehr sogar feuchten Blickes entgegenete er müde lächelnd: „Nichts, es ist bereits geschehen ...“
Dann aber erhob er sich - einmal um des Sessels willen und zum anderen wegen der ihm gestellten großen Aufgabe, die er nun klar erkannte.
Während sein Blick wieder in weite Ferne und über unzählige Versandhauskataloge glitt, formten seine alterswelken Lippen wie von selbst die Worte: „Einzel- oder Sammelbestellung? Nachnahme oder Vorkasse? Martin - versiegelt oder ohne Rückgaberecht?“
Und nach weiteren zweiundsiebzig teils bestätigten, teils entrüstet verneinten Fragen hielt er ein Stündchen inne, schaute an beiden vorbei - was ihm bei Else nur annähernd gelang - und sprach also: „In Beantwortung Ihrer Anfrage teilen wir Ihnen mit, daß wir Elses Bestellung der bereits länger währenden Geschäftsverbindung wegen vorrangig berücksichtigt haben. Wir wünschen Ihnen viel Freude an Martin, Sie haben gut gewählt! Sollten wir demnächst einen gleichwertigen Artikel in unser Angebot aufnehmen, werden wir Claudia gern unverbindlich benachrichtigen. Empfehlen Sie uns anderen Hunden ... krrr ... pt-pt-pt ... ERROR ... Kunden!“
Mit einem wüsten Freudenschrei taumelte Else unter Abriss der Klinke aus der Tür, während Claudia erbleichend gegen eine gleichfarbige Kalkwand sank.