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Claudia und Obermedizinalrat von Exitus beim Grafen Trutz von Altenburg; was heißt „Fmaupfe“?
ОглавлениеAbend war es geworden, ehe sie sich endlich aufrichtete. Müde schleppte sie sich ziellos durch den Schlossgarten und verharrte gebrochen auf der kleinen Brücke über den Schlossteich. In ihrem großen Herzeleid beugte sie sich über das Geländer, ihr Antlitz spiegelte sich tränenreich in der dämmerigen Tiefe, und bang fragte ihr Herz: „Ach, muss ich denn nun hinab ins dunkle Reich des Vergessens, hinab zu Wasserlilie und Entengrütze ...?“
Und ward ihr doch keine Antwort vom modrigen Grund ...
Ein schmaler Grat nur trennte die Verlassene vom lockenden Jenseits, sie, die so tapfer um ihre junge Liebe gekämpft hatte, und noch einmal schauten die blauen Augen in tiefstem Leid himmelwärts, wie immer etwas auseinanderstrebend, so daß der Himmel unschlüssig sein mochte, ob wirklich er gemeint sei, aber in letzter Sekunde näherten sich Schritte auf dem Kiesweg!
Obermedizinalrat von Exitus trat sacht zu der verzweifelten Claudia und strich ihr behutsam mit gütiger Hand übers Blondhaar.
„Na, kleines Fräulein, so ganz allein im kühlen Abendwind ...?“
Claudia schrak erheblich zusammen, man hörte so viel über ältere Herren, sogar in der behüteten Idylle ihrer Schrebergartenkolonie „Zur lustigen Laube“. Doch bald wurden ihre Bedenken zerstreut, denn der Doktor erklärte ihr, daß er just vom Krankenlager seines Patienten, des Grafen von Altenburg komme. Als sie dann aber nach dem Befinden des Grafen fragte, verdunkelte sich kummervoll sein liquidationslüsterner Blick.
„Nicht gut ... gar nicht gut ... Heute nachmittag hätte er zum ersten Mal sein Töchterchen in die Arme schließen sollen, jene Claudia, der in den letzten Tagen, Wochen und Monaten all sein Sinnen gegolten hat, in dem glühenden Wunsch, an diesem bislang so vaterlosen Kind wieder gutzumachen, was er einst ihrem Mütterlein angetan hatte ... Jedoch - sie ist nicht gekommen und alle Hoffnung dahin ... Ach, wer mag nun noch helfen ...“
Da plötzlich war es Claudia, als gingen tausend Sonnen in ihrem Herzen auf, und sie wusste, sie würde leben! Und auch der alte Graf ... alle Menschen ... alle Tiere ... alle Welt ... Und jubelnd brach es aus ihr hervor: „Ich! Ich bin Claudia!“
Exitus packte sie wie toll bei den Schultern: „Pax vobiscum, Kind!“ rief er, mehr Latein fiel ihm so schnell nicht ein, höchstens noch „Cave canem“, aber das passte hier noch weniger. Und er setzte hinzu: „Gegen Gevatter Tod ist kein Kraut gewachsen, aber ein Blümchen wie Sie! Ans Werk nun, geschwinde!“
Und schon flogen sie beide dahin - das heißt, der Obermedizinalrat flog hin, und Claudia half ihm wieder auf; stolpernd stürmten sie die Schlosstreppe hinan, vor ihnen öffnete sich knarrend die Flügeltür zum Gemach des Grafen - nur eine, die andere klemmte - und aus seinen Kissen und von der straffen Nackenrolle erhob sich totenbleich Trutz Graf von Altenburg, streckte beschwörend seine Rechte gegen Claudia und seine Lippen formten tonlos Worte. Dann sank er röchelnd wieder zurück.
Exitus war sogleich bei ihm und strich ihm die wirren Strähnen aus der Stirn, wobei er eingedenk seines einst nur hauchzart und dank besonderer Fürsprache des Grafen bestandenen Großen Latinums deklamierte: „Ut desint vires tamen est ...“.
Weiter kam er nicht mit der klassischen Beschreibung der schwindenden Grafenkräfte, denn jener richtete sich erneut auf und schleuderte ihm entgegen: „Fmaupfe! Waf mir fehlp, winp mich meime Kräfpe fomberm meime Beifer!“ - sein Leihgebiss war ihm zwischen die Kissen gerutscht.
„Mein Vater!“ schluchzte Claudia ihm entgegenstürzend in den verletzend gestärkten Damast, und der Graf stöhnte matt: „Meime Pochper ...“
Fest schloss er sie in seine Arme und Exitus sacht die halbe Flügeltür, während draußen in der Welt das Rad der Zeit sich weiter drehte und manch Landmann übers weite Feld seine Gülle goss. Vater und Tochter hatten endlich zueinandergefunden.
Nachdem sie mit vereinten Kräften verblüfft unter übermütigem Lachen zumindest die obere Prothesenhälfte am Fußende entdeckt hatten, erfuhr Claudia mit freudigem Erstaunen von ihrer bevorstehenden Adoption; im Herbst schon sollte die Sippe derer von Altenburg zusammenkommen, um sie in den Schoß der Familie aufzunehmen. Im kleinen Seitenflügel des Schlosses war bereits alles für die junge Herrin vorbereitet - Trutz selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, vom Krankenbett aus Muster und Farbe der Tapeten zu bestimmen und damit geschafft, was dem Kammerjäger nie gelungen war: Kein Mäuschen ließ sich mehr blicken!
Dann schieden sie einstweilen voneinander. Auf Zehenspitzen verließ Claudia den hohen Raum, wo ihr Vater sanft und selig lächelnd in einen erquickenden Genesungsschlummer gesunken war, um im Traum endlich wieder Wörter mit vielen Zischlauten zu artikulieren -.