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Der Auftrag

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Das Gesicht des wachhabenden Offiziers leuchtete auf Hirschs Bildschirm auf.

"Kommandant?"

"Ja?"

Leutnant Cook hatte keine Klasse. Blanc besaß mehr Elan im kleinen Finger und eindeutig die bessere Figur als Cook. Sie wusste, dass wichtige Nachrichten persönlich überbracht werden wollten. Cook war nur ein Durchschnittsschnüffler, der es nie über den niedrigen Entwicklungsstand des prozessgläubigen Technokraten hinausbringen würde.

"Das Bericht-Update von Objekt 5288 steht bereit, Kommandant."

"Danke."

Leutnant Cook salutierte und verschwand vom Bildschirm. Hirsch rief die Daten auf den Schirm. Nur behäbige Optimisten glaubten, dass die Große Säuberung Ruhe und Besonnenheit in den menschlichen Geist gepflanzt hatte. Er wusste es besser: in jedem klugen Kopf schlummerte ein Reaktionär. Kluge Köpfe musste man für sich gewinnen oder abschlagen. Kluge Köpfe waren wie wilde Tiere oder Kinder, in denen zähnefletschende Raubtiere lauerten. Ahnungslos davon, zu was zu zerstören sie im Stande waren.

Hirsch stand auf und blickte mit leerem Blick auf den Außenmonitor. Das sonst faszinierende Spiel von Licht und Schatten in der Mondlandschaft drang nicht in sein Bewusstsein vor.

Er setzte sich wieder und las den Bericht:

Bericht Objekt 5288 – Aktualisierung

5288 bucht zwei Transfers zur Erdbasis V. Reisende: Objekt 5288 und sein Assistent Steve Globe (Verweis Akte Tino Campos, Politreaktionär). Beweggrund: Studienreise. Reisedatum: 28. Oktober 2344.

Sonstige Beobachtungen: 5288 hält sich vorwiegend am Arbeitsort auf. Zeit-Agent D23 vor Ort. Keine Hinweise auf unbotmäßige Aktivitäten. Keine elektronische Kommunikation. Der Assistent von Objekt 5288 hingegen sehr gesprächig. (Verweis: Protokoll Kommunikation Steve Globe siehe Beilage 1)

Hirsch rief Beilage 1 auf. Globes Kommunikationsnachweis belegte, dass er damit rumprahlte, dass er eine Reise zur Erde machen würde. Hauptsächlich brüstete er sich damit im Kreise seiner Freunde. Der Anhang auf dem Schirm enthielt eine lange Liste mit Posts und Bildern, in denen er seine Reise ankündigte. Über den Beweggrund der Reise schwieg er sich aus.

Globe war einer dieser unkritischen, unbelasteten Optimisten, die sich keinen Deut darum scherten, was um sie herum vorging. Ein ziviler Cook. Für Leute wie Globe war nur die richtige Mischung aus Zerstreuung, Kalorienzufuhr, Arbeit und Sex von Belang. Und reibungsloser Verdauung.

Was war seine Rolle? Globe gehörte weder zu den Katholiken noch war er je aufrührerisch aufgefallen. Hirsch fiel kein Grund ein, warum Becker Globe mitschleppte.

Er beschloss, die beiden während ihrer Reise zu überwachen. Dafür kam nur ein Greenhorn in Frage, bei dem er sicher sein konnte, dass es noch nicht in den klebrigen Fäden des Netzes des Feindes zappelte.

Seine Gedanken kehrten zu Becker zurück. Globe konnte ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver sein, um die wahren Pläne zu vertuschen. Es würde passen. Hirsch wusste, dass die Kriegstreiber der Altzeit Meister der Vertuschung und des Blendwerks waren. Und die Katholiken spielten in der Königsklassen-Liga der Kriegstreiber mit. Ein dumpfes Gefühl in der Magengegend signalisierte, dass er herausfinden musste, was Becker beabsichtigte. Und dass sich die ÜKo keine Fehler aus Nachlässigkeit erlauben durfte.

"Kadettin Blanc wie befohlen zur Stelle!"

Sie salutierte und stand mit durchgedrücktem Rücken vor dem Schreibtisch des Kommandanten. Hirsch salutierte zurück.

"Entspannen sie sich, Kadett. Nehmen sie Platz."

Mit einer höflichen Geste wies er auf den Stuhl vor seinem Tisch. Blanc setzte sich irritiert auf die Kante des Stuhls.

"Kadett Blanc, ich habe ihre Akten studiert. Nur Bestnoten. Ernsthaftigkeit und Einsatz, wo andere denken, es sei nur eine lästige Übung."

"Danke, Sir, ich bemühe mich."

"Ich schätze das."

"Danke, Sir."

Ihr Herz pochte aufgewühlt. Kommandant Hirsch würdigte ihren Aufopferungswillen. Ihr tägliches Bemühen, mit Leistung zu brillieren, zeigte Wirkung. Der Kommandant der Akademie war blind dafür. Ein willfähriger Sadist, der nur an Feierabend dachte und seine schlechte Laune an den Kadetten abarbeitete. Das Gerücht, dass er in einem Zeitvertrag festsaß, den er gerne aufgelöst hätte, kursierte sein langem in der Akademie. Er nannte sie Streberin, Gift für die Kameradschaft und warf ihr vor, für ihre Karriere über Leichen zu gehen. Er verwechselte gesunden Ehrgeiz mit krankhafter Geltungssucht. Blanc war zutiefst überzeugt, dass es ihre Pflicht war, ihr Bestes zum Erhalt der Ordnung zu leisten.

"Erinnern sie sich an Objekt 5288?"

"Ja, Sir. Ich habe vor ein paar Tagen darüber berichtet."

Sie überlegte einen Augenblick. Tiefe Denkfalten erschienen über der Nasenwurzel.

"Da war auch noch ein gewisser Globe. Sollen wir diesen jetzt beobachten?"

Hirsch nickte anerkennend.

"Gut – sie vergessen auch Kleinigkeiten nicht. Wichtig in unserem Job. Nein, es geht nicht um Globe. Eigentlich schon. Er und Objekt 5288 reisen zur Erde."

"Ja?"

"Ich will, dass die beiden eng beschattet werden."

"Sir?"

"Wir müssen herausfinden, was O5288 plant. Es könnte sein, dass er Einheimische kontaktieren will", behauptete Hirsch.

Blanc zuckte zusammen. Kontakt zu den Einheimischen war wegen Seuchengefahr strengstens verboten.

"Sie übernehmen diese Aufgabe."

"Mit Freuden!", strahlte Blanc. Sie konnte ihr Entzücken über diesen Befehl kaum verbergen.

Sie fing sich, räusperte: "Sir, darf ich fragen, warum die Beobachtung angeordnet ist? Weder Globe noch O5288 scheinen mir besonders verdächtig."

"Was wissen sie über die Katholiken?"

Wieder blitzten die scharfen Falten auf ihrer Stirn auf.

"Ich habe recherchiert, Sir. Die Akten zeigen, dass die Katholiken eine Glaubensgemeinschaft sind, die einen gewissen Gott verehrt. Die Gemeinschaft ist durch die Väter anerkannt."

"So steht es in den Unterlagen, korrekt."

Hirsch blickte Blanc herausfordernd an: "Nun?"

"Ich vermute, da steckt mehr dahinter. Sir."

"Allerdings", nickte Hirsch zufrieden.

Blanc räusperte: "Sir. Dieses Gott-Konzept habe ich nicht verstanden."

"Gott ist ein übernatürliches Wesen und verlangt mit bestimmten Ritualen verehrt zu werden. Wenn sie so wollen, ist Gott die höhere Instanz mit Weisungsbefugnis."

Blanc überlegte, ob Hirsch sie vorführte: "Sir?"

"Gott ist das Synonym für die Blackbox, die alles enthält, was man nicht versteht und zu faul ist, es zu ergründen."

"Billig", entfuhr es Blanc, "wo bleibt die Neugier und der Wissensdurst?"

Hirsch lächelte hintergründig: "Ich sehe, sie haben die Grundsätze von Religion bereits verstanden. Darüber hinaus ist so ein Gott-Konzept auch äußerst effektiv, wenn man weiß, wie man damit umzugehen hat. Es genügt zu behaupten, dass es Gottes Wille sei, wenn man absurde Forderungen durchzusetzen will. Klappt immer, weil man bei Gott nicht nachfragen kann."

"Kaum zu glauben, dass so etwas funktioniert, Sir."

"Tat es. Tadellos – über Jahrhunderte – bis heute."

Hirsch schloss abrupt den Mund als ihm einfiel, dass dasselbe Konzept auch bei den Kolonisten funktionierte. Keine Weisung der Väter wurde in Zweifel gezogen. Und alles, was irgendwer 'im Namen der Väter' von sich gab, hatte Gesetzescharakter. Er räusperte sich

"Das funktionierte so gut, dass die Kirchen in der Altzeit mächtig und reich waren und munter im Weltgeschehen mitmischten. Keine Regierung, die sich von Gott und Religion abwenden konnte, ohne gleich abgewählt zu werden. Alle bekannten sich zu Gott und behaupteten, seinem Wort zu folgen. Absurd, wenn man weiß, dass verfeindete Lager denselben Gott anriefen, die Gegenseite zu vernichten."

Hirsch lachte trocken auf.

"Die Kirchen und ihre Führer beanspruchten die Deutungshoheit über die göttlichen Texte. Sie allein waren legitimiert, die Schriften zu interpretieren."

Hirsch machte eine Pause und sprach weiter: "Die Priester verwandelten das sogenannte Wort Gottes in eine Waffe und führten diese geschickt, um ihre Ziele zu erreichen. Sie verlangten von ihren Anhängern Treue."

"Sir, ich kann an Treue nichts Schlechtes finden."

Hirsch lächelte hintergründig: "Treue – Treue ist nur ein anderes Wort für fehlende Abenteuerlust und Zukunftsvisionen. Und die 'Treuen' bemerkten nicht, dass sie nicht dem Geheiß ihres Gottes, sondern demjenigen seiner selbsternannten Lakaien folgten."

"Und alle waren damals Katholiken, Sir?"

"Nein, es gab Alternativangebote. Aber im Grundsatz war es immer dasselbe Schema", Hirsch erhob sich und baute sich vor Blanc auf, "Wissen sie, Blanc, dass das Wort stärker sein kann als jede Vernichtungswaffe? Maschinen können zerstört werden. Führungsfiguren kann man eliminieren. Aber eine Idee, einen Glauben, nicht. Vor allem, wenn man den Glaubenszwang mit ein paar Horrorgeschichten anreichert die erklären, dass jeder Abtrünnige den Höllenhunden zum Fraß vorgeworfen wird."

Er setzte sich wieder: "Sie predigen wieder und träumen von alten Tagen. Wir wissen nicht, was sie planen. Vielleicht erfahren sie etwas während der Reise."

"Sir", platze es aus Blanc heraus, "gemäß den Unterlagen leben in der Kolonie keine 1000 Katholiken und die haben kaum Kontakte außerhalb ihres Kreises. Lautere Bürger, die nicht auffallen und auch Drecksjobs klaglos erledigen."

"Richtig. Aber wer sagt, dass das so bleibt? Vielleicht lauern sie nur darauf, dass wir unachtsam werden. Die Zeit spielt ihnen in die Hände."

Es dämmerte Blanc, dass Hirsch den Katholizismus nicht nur als eine ausgefallene Manie einiger Weniger betrachtete. Leute, welche eine Macht anerkannten, die über derjenigen der Väter stand, waren gefährlich für das System. Und jetzt suchten sie womöglich Kontakt zu Erdgeborenen. Der Kommandant lag richtig, wenn er die Sache sehr ernst nahm.

"Ich verstehe, Sir", sagte Blanc ernst.

"Ich will, dass sie sich gründlich einarbeiten und die beiden direkt beobachten."

"Verstanden!"

Sie würde zur Erde reisen. Ein Ziel, für das sie seit dem Eintritt in die ÜKo arbeitete und schuftete. Ein Einsatz auf der Erde war die höchste Qualifikation. Die Einsatzkräfte auf der Erde bildeten die Elite. Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

Hirsch beobachtete Blanc. Er wusste, dass sie begeisterungsfähig war, doch der Anflug von Emotion störte ihn. Er hatte sie ausgesucht, weil sein Freund an der Akademie bestätigte, dass sie aus dem richtigen Holz geschnitzt war. Strikt auf der Linie der Akademie, aber durchaus zu eigenen Gedanken fähig. Garniert mit einer absolut unkritischen Haltung gegenüber der ÜKo. Sie war formbar wie Plastiksprengstoff und in den Händen des richtigen Mentors ebenso gefährlich. Sie war die perfekte Mischung zwischen Obrigkeitsgläubigkeit, Eigeninitiative und Hartnäckigkeit. Trotz der gezielten, ständigen Nörgeleien und Gehässigkeiten seines Freundes hielt sie Kurs.

Der bevorstehende Auftrag überstieg ihre Einstufung. Aber bei ihr bestand die Gewissheit, dass sie nichts mit der Kirche zu tun hatte.

"Trauen sie sich das zu?"

Blanc nickte. Beschattung war eines ihrer Lieblingsfächer und die ersten Feldtests hatte sie mit Bravour bestanden, als sie einen Litterer überführte. Hirsch nahm eine Plastikkarte von der Tischplatte, warf sie in die Luft und fing sie auf.

"Das ist ihr Fahrschein. Ich entbinde sie ab sofort von ihren aktuellen Befehlen und dispensiere sie von der Akademie. Ich will, dass sie bestens vorbereitet sind, wenn die Reise losgeht. Wenn sie zusätzliche Agenten brauchen, melden sie sich."

Er warf ihr die Karte zu. Sie fing sie mit der linken Hand auf.

"Täglich 1100 Rapport hier in meinem Büro."

Blanc salutierte: "Sir!"

Die Tür zum Büro fiel ins Magnetschloss. Hirsch blickte starr auf die graue, matte Fläche.

Es war nicht das erste Mal, dass er dachte, dass es ein Fehler gewesen war, den Kontakt zu den Erdlingen zu kappen. Während seines Dienstes auf der Erde sah er, dass sich die Erde von ihrem Trauma erholte. Die Kolonie hätte schon vor hundert Jahren den Planeten wieder in Besitz nehmen müssen, als der technische Vorsprung noch genügte, die Überzahl der Erdlinge zu kompensieren und eine nachhaltige Machstruktur mit den Vätern an der Spitze zu etablieren. Mittlerweile hatte die Kolonie den Überblick verloren und der Technologievorsprung war geschmolzen. Die wenigen, unterbesetzten Basen reichten nicht, sämtliche Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen. Niemand wusste, über welche Technik die Erdlinge unterdessen verfügten oder ob sich bereits Strukturen zwischen den weit verstreuten Ansiedlungen entwickelt hatten. Die Ignoranz der Kolonie gegenüber der Erde konnte anderen Interessengruppen den Weg geebnet haben, mit Technik oder Wissen Geschäfte zu machen oder die Erdlinge zu beeinflussen. Es blieb nur zu hoffen, dass hinter diesen möglichen Aktionen reine Profitgier steckte.

Ein charismatischer Führer, der die Erdlinge für sich begeistern könnte, hätte es in der Hand, die lunaren Basen zu überrennen, den Einfluss der Kolonie zu beenden und die Kuppeln auszuhungern.

Die Katholiken hatten eine Geschichte zur Hand, die funktionieren konnte. Hölle und Erlösung waren gute Argumente, mit welchen sich Anhänger einschüchtern und gewinnen ließen.

Steve lernte Beckers dunkle Seite kennen. Dessen Führungsstil wechselte von weltentrückter, mit manischen Episoden ergänzter Duldsamkeit zu kompromissloser Hektik. Steve mühte sich mit der Digitalisierung von Beckers Handnotizen ab. Beckers pausenloses Herumtigern und sein Atmen im Nacken, wenn er sich über seine Schulter beugte, um besonders wichtige Einzelheiten zu kontrollieren, nervten. Steves Vorschlag den Zentralrechner der Uni zu nutzen, blockte Becker ab.

"Papperlapapp. Ich will nicht, dass die Väter, die ÜKo oder sonst wer auch nur den Hauch einer Chance hat, an die Daten zu kommen. Hier, das ist ihr Arbeitsgerät", bestimmte Becker und klopfte mit dem Knöchel auf einen altertümlichen Laptop, dessen Kunststoffgehäuse bereits brüchig war.

Beim ersten Aufstarten hustete das Gerät asthmatisch Staubwolken aus. Zwei Tage benötigte Steve, um die unpraktische Handhabung der 'Maus', wie der Professor das Gerät nannte, halbwegs zu beherrschen. Becker störte seine Konzentration, wenn er aus der Altzeit und den heldenhaften Endzeitpropheten dozierte. Doch Steve konnte den Geschichten auch positive Seiten abgewinnen. Sein Wissen über die Zeit vor der Säuberung erweiterte sich enorm. Alleine die Erkenntnis, dass die Heilsarmee nicht die persönliche Garde Hitlers gewesen war, lohnte den Aufwand. Beckers Notizen erklärten anschaulich, dass die Heilsarmee den Jihad anzettelte, vor dem der Endzeitprophet Al Gore fliehen musste. Gores Freund, von Däniken, wanderte in die Anden aus, wo er mit einem Presslufthammer Botschaften in den Felsboden gravierte.

Steve verschob den Mausanzeiger auf dem Bildschirm. Vielleicht war an Beckers Verfolgungswahn was dran, denn der Mann in der Metro, der ihm vor einiger Zeit aufgefallen war, saß nun täglich im Zug.

Blanc salutierte. "Das Update 5288", schnarrte sie, "ist verfügbar. Sir."

Hirsch aktivierte die Datei und studierte die Daten.

"Ist das mit den Aktivitäten in der Uni gesichert?"

"Jawohl!"

"Kann der Mittelsmann Genaueres herausbekommen als eben die Aussage, dass die beiden", er zitierte den Text aus dem Bericht, "sich im Büro des Professors verschanzen und sehr geheimnisvoll tun?"

"Wir arbeiten daran – unser Mann verfolgt Globe ununterbrochen."

"Sonst noch was?"

"Da ist eine Helen Rudolf, die immer wieder versucht, mit Globe Kontakt auf zu nehmen"

"Das ist bekannt. Die Rudolf ist die Partnerin von Globe."

"Noch nicht", korrigierte Blanc ihren Vorgesetzten, "ich glaube, dass sie will und er nicht."

"Soll vorkommen."

"Ich recherchiere weiter in diese Richtung. Es könnte ein perfides Ablenkungsmanöver sein. Sir."

"Wenn sie nachforschen und es ein Ablenkungsmanöver ist, dann erreicht dieses Manöver exakt die Wirkung, welches es erzielen soll", gab Hirsch zu Bedenken.

"Darum fordere ich eine zusätzliche Kraft für diesen Fall an, Sir."

Hirsch lächelte.

"Genehmigt. Sonst noch was?"

"Nein, Sir"

"Bleiben sie dran."

"Verstanden, Sir."

Blanc salutierte und ging zurück zur Arbeit. Sie genoss die neue Verantwortung und die neuen Kompetenzen.

Steve stolperte über ein Hindernis. Er ruderte mit den Armen und landete auf den Knien.

"Scheisse", fluchte er.

Er rappelte sich hoch.

"Kann ich ihnen helfen?"

Verwundert drehte sich Steve um. Hinter ihm stand ein sportlicher Mann in kurzen Hosen und trabte an Ort. Zuerst meinte Steve, es sei der Kerl aus der Metro. Aber der hatte dunkle Haare nicht blonde, wie der Zappelphilipp hier.

"Nein. Danke."

"Ist das erste Mal, dass ich hier wen abseits der Laufwege sehe", meinte der Mann, "ich dachte, ich sei der Einzige, der lieber ungestört trainiert."

"Ich laufe jeden Tag hier", sagte Steve.

"Erstaunlich, dass wir uns noch nie gesehen haben. Guten Tag."

"Guten Tag", rief Steve dem Mann nach, der um einen künstlichen Busch kurvte und verschwand.

Nachdenklich rieb Steve das schmerzende Knie. Er stand unter Beobachtung. Das war so klar und sicher, wie dass irgendwann der nächste Meteor einschlagen würde.

Der Professor brauchte nichts von dieser Begegnung zu wissen. Er würde sich nur aufregen und absurde Theorien aus dem Hut zaubern und ihn von der Arbeit abhalten. Eine weitere Zeitverzögerung war inakzeptabel. Schon jetzt hing er dem Zeitplan hinterher. Nachtschichten in der Uni unter abgedunkelten Kuppeln und mit Becker im Rücken bargen ein Horrorpotential, wogegen sich ein Agent der ÜKo oder ein Zeitvertrag mit Helen wie Kuschelkrimis ausnahmen. Zumal Becker die Abstände zwischen zwei Duschen immer mehr in die Länge zog und, sehr zum Widerwillen Steves, die Grenzen des Machbaren ergründete. Becker war derzeit auch im Hellen betrachtet unheimlich genug, fand Steve.

Becker war zufrieden mit der Arbeit seines Assistenten. Der junge Mann überraschte ihn. Er hatte mehr Widerstand erwartet und vermutete, dass es das wahrscheinlich das erste Mal war, dass Globe echte Leistung erbrachte. Die Aussicht, zur Erde reisen zu können, weckten Ehrgeiz und Fleiß in nicht geahntem Ausmaß. Globe war der beste Assistent, den er je hatte. Er relativierte den Gedanken, denn die bisherigen Assistenten waren ausnahmslos Nieten. Einen kurzen Augenblick erwog Becker ihn zu loben. Doch ein Lob könnte ihn übermütig machen und seinen ernsthaften Eifer gefährden. Becker entschied sich dagegen.

Sein Blick blieb auf dem USB Stick auf dem Tisch haften, den er im technischen Museum entdeckt und entwendet hatte. Er nahm ihn nachdenklich in die Hand, drehte ihn, warf ihn in die Luft und fing ihn geschickt auf.

'Mein ganzes Leben findet Platz in so einem kleinen Gegenstand. Ist das nun erstaunlich oder erschreckend?', sinnierte er.

Eigentlich war es nicht das gesamte Lebenswerk. Die wichtigsten Teile seines Wissens verwahrte Becker gut verborgen in seinem Kopf. Die Schlussfolgerungen und die Maßnahmen aus all den Studien, die er in seinem Leben gemacht hatte, blieben sein Geheimnis. Und über seine Erzengel war kein einziger Hinweis zu finden.

Becker steckte den Stick in einen kleinen Stoffsack und hängte ihn an einer Schnur um den Hals.

Es war alles getan, was auf dem Mond erledigt werden konnte. Das Wissen war digitalisiert und die schriftlichen Notizen vernichtet. Mit wehmütigem Blick überschaute er die Habe, die er auf die Reise mitnehmen würde. Ein Koffer und eine Umhängetasche – schon ist der Mensch komplett.

Vielleicht war es ein Segen, dass der Durchschnittskolonist wenig Eigentum besaß. Die Propheten hatten vor Gier und Besitz gewarnt. Gier war das langsame Gift, das die Seele tötet.

"Noch drei Tage…", murmelte er halblaut und legte sich auf das Notbett, welches der Abwart der Universität maulend in sein Büro gestellt hatte.

Blanc sah, dass Hirsch mit dem Bericht nicht zufrieden war. Sie hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um an neue Informationen zu gelangen. Aber entweder waren die beobachteten Objekte äußerst gerissen oder unglaublich normal. Sie schöpften keinerlei Verdacht. Globe wurde noch nicht einmal misstrauisch, als er während seines morgendlichen Trainings mit einem Agenten zusammenprallte. Bei Becker war Blanc sicher, dass er Verdacht geschöpft hatte. Anders war seine Geheimniskrämerei nicht zu erklären. Selbst dem großzügig entlohnten Maulwurf in der Uni war es nicht gelungen herauszufinden, was in Beckers Büro vorging. Der Maulwurf gelangte nur einmal in Beckers Büro, als er ein Notbett aufstellte.

"Die beiden Tische im Büro sind übersät mit Papieren. Echte Papiere. Haben sie schon mal echtes Papier gesehen? Riecht seltsam, sage ich ihnen."

"Was ist auf diesen Papieren", unterbrach sie forsch.

"Meiner Meinung nach sind da Rorschach-Muster. Die kenne ich aus dem Eignungstest für meinen Job. Wissen sie, wie man diese Tests besteht? Ich verrate es ihnen. Solange sie nicht zugeben, dass sie in den Mustern sexistische Schweinereien erkennen, ist alles im Butter. Sagen sie stattdessen einfach, dass es sie an Schmetterlinge oder etwas Essbares erinnert. Dann handeln sie sich keine Probleme ein."

Er berichtete weiter, dass Becker das Büro rund um die Uhr belagere und nur stundenweise verließ. Während dieser Zeit bewachte der Assistent den Raum.

"Mager", kommentierte Hirsch, "aber wahrscheinlich ist nicht mehr heraus zu kriegen. Checken sie die Vorlieben der Objekte, um während des Fluges zur Erde mit ihnen ins Gespräch zu kommen."

"Sir, ich habe für Agent Knoll ebenfalls einen Flug gebucht."

Hirsch hob eine Augenbraue und blickte Blanc gespannt in die Augen.

"Sir, Agent Knoll ist mein Ablenkungsmanöver."

"Ja?"

"Ich gehe davon aus, dass zumindest Becker vermutet, dass er beschattet wird. Wenn sich Agent Knoll genügend ungeschickt benimmt, kommt er als möglicher Überwacher in Frage und lenkt so von mir ab. So habe ich besseren Zugang zu Objekt 5288 und seinem Assistenten. Die beiden, vor allem Becker, erwarten kaum zwei Agenten an Bord."

Hirsch nickte befriedigt: "Sehr gut. Genehmigt."

Die Endzeitpropheten

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