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Kapitel 5

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„Ach Du grüne Neune, Autsch, so was Dummes.“ Ein ziemlich lautes Poltern, gefolgt von ziemlich lautem Gejammer, weckte Arabella und Theobald am nächsten Morgen. Die Sonne schien schon ins Zimmer und die Vögel im Garten waren auch schon sehr geschäftig von Vogelhaus zu Vogelhaus unterwegs. Theobald sprang aus dem Bett und stieß mit seiner rechten großen Zehe an die Kommode, die gegenüber dem Bett an der Tür stand.

„Au, au, au“, jammerte nun auch er und hüpfte auf einem Bein durchs Zimmer. Arabella rieb sich die Augen. Das machte ein etwas quietschend, knatschiges Geräusch. „Was ist denn hier los?“, fragte sie noch leicht verschlafen. Sie hatte von einem Land geträumt, in dem es nur Luftballons gab in jeder Form und jeder Farbe und alle konnten sprechen, so wie Arabella. So fiel sie gar nicht auf, weil alle so waren wie sie. Aber das war im Traum gewesen, jetzt war sie in Anastasias Haus und hörte lautes Jammern und Zetern und schon sprang sie aus dem Bett. „Hey, Theobald, lass mal sehen! Was ist los?“ Theobald rieb sich seinen dicken großen Zeh mit zusammengekniffenen Augen. Er versuchte, Luft auf den Zeh zu pusten.

Aber er kam nicht nah genug an seinen Zeh heran. Sein Bauch war im Weg. Sehen konnte man nichts. Der Zeh sah aus wie immer. Als Arabella ein wenig Luft auf den Zeh pustete, öffnete Theobald die Augen und sagte: „Ohhh, das hilft sehr gut. Das hat Anastasia früher auch immer gemacht, wenn ich mich gestoßen hatte.“ Der Schmerz schien bald vergessen, das Gejammer und Geschimpfe aus der oberen Etage war jedoch immer noch lautstark zu hören. Schnell machten Arabella und Theobald sich auf den Weg nach oben, um nachzuschauen, was passiert war. „Oh je“, riefen beide, als sie oben ankamen wie aus einem Mund. Da lag Anastasia auf dem Boden im Badezimmer und das linke Bein lag unter dem Trimmrad. Anastasia versuchte, das Trimmrad zur Seite zu schieben, aber offensichtlich war es sehr schwer und es ließ sich von ihr keinen Millimeter bewegen. „Ach du grüne Neune, ach du grüne Neune“, jammerte sie in einem fort. Es klang aber eher ärgerlich als wirklich jammerig. „Hey, was hast Du denn gemacht?“, fragte Theobald. „Ja, wonach bitte schön, sieht es denn aus?“ Anastasia reagierte ziemlich unwirsch. „Ich war gerade dabei, mir die Haare zu kämmen und Kuchen zu backen.“ Theobald legte seinen Zeigefinger auf seinen Mund. Das tat er gerne, wenn er nachdachte. Dann sagt er: „Das ist aber überhaupt nicht logisch. Wieso liegst Du denn dann hier oben unter deinem Trimmrad?“

„Oh, du meine Güte, Theobald, finde den Fehler! Ich habe einen Witz gemacht! So war es natürlich nicht!“

„Aha“, sagte Theobald „und wie war es dann“?

„Vielleicht befreist Du mich erst mal freundlicherweise und dann können wir gerne den gesamten Tatbestand erörtern.“ Anastasias Tonfall wurde nun doch sehr ernst. „Aber ja, natürlich, ich Schusseldussel“, sagte Theobald, trat einen Schritt vor und hob das Trimmrad auf, um es wieder an seinen ursprünglichen Platz vor dem runden Fenster zu postieren. „Ahh, was für eine Wohltat, ich dachte schon, ich müsste die nächsten 137 Jahre so verbringen.“ „Was für ein Quatsch, ich bin doch hier“, sagte Theobald.

„Oh man, Theobald, das war, glaub ich, auch nicht so ernst gemeint“, mischte Arabella sich nun ein, „vielleicht musst Du nicht immer alles so wörtlich nehmen.“

„Genau mein Reden“, sagte Anastasia, nun mit schon fast normaler Stimme. Wenn Ihr mir jetzt noch aufhelfen könntet, wäre ich Euch ewig zu Dank verpflichtet.“ Mit vereinten Kräften stellten sie nun auch Anastasia wieder auf die Beine. „Und? Tut irgendetwas weh?“, wollte Arabella wissen. „Ja, mein Knie tut mir weh“, sagte Anastasia und rieb sich das linke Knie. „Aber es geht schon, es geht schon wieder.“ Das Knie war rot und dicker als das andere, sonst konnte man nichts sehen. „Versuch doch mal ein paar Schritte“, forderte Theobald seine Oma auf. Anastasia humpelte durchs Schlafzimmer. Sie trug eine Sporthose, ein T-Shirt und Turnschuhe. Darin sah sie ziemlich gut und sportlich aus, fand Arabella.

Kurz überlegte sie, ob sie schon jemals einen 137 Jahre alten Menschen in Sportkleidung gesehen hatte. Spontan fiel ihr da keiner ein. Aber das war jetzt ja auch gar nicht wichtig. Wichtig war Anastasias Bein. „Was können wir tun?“, fragte Theobald, als hätte er Arabellas Gedanken lesen können. Konnte er vielleicht auch, wer weiß das schon, dachte Arabella. „Helft mir bitte die Treppe herunter und seht zu, dass Goethe nicht auf irgendeiner Treppenstufe im Weg steht. Er macht seinen Frühsport nämlich immer auf der Treppe, während ich auf dem Trimmrad sitze.“ Anastasia setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen, gestützt auf der einen Seite von Theobald, auf der anderen Seite hielt sie sich selbst am Treppengeländer fest. Arabella lief vorweg und hielt sozusagen den Weg frei. Es war kein Goethe in Sicht, er war entweder schon fertig mit seiner Frühgymnastik oder hatte sich von dem Lärm und der Unruhe vertreiben lassen.

So kamen sie ohne Komplikationen unten an. „Ich setz mich erst mal in der Küche auf die Bank“, sagte Anastasia, während sie in Richtung Küchenbank humpelte. Arabella und Theobald folgten ihr. „Was sollen wir denn jetzt machen? Soll ich vielleicht einen Arzt rufen?“, fragte Theobald etwas unsicher. Er wusste in Wirklichkeit gar nicht, wie das geht, weil er das ja noch nie gemacht hatte. Brauchte er auch jetzt nicht, weil Anastasia sehr bestimmt und energisch verlauten ließ: „Was denn, so weit kommt das noch. Einen Arzt, wer braucht bei so was schon einen Arzt, noch nie im Leben bin ich bei irgendeinem Arzt gewesen. Wenn jeder mit solchen Lappalien zum Arzt ginge, wäre der ja vollkommen überlastet und hätte keine Zeit mehr für die wirklich kranken Menschen.“

„Na ja“, Theobald wurde nachdenklich, „aber wer sagt schon, ob man wirklich krank ist? Das bestimmt ja jeder selber für sich. Der eine ist doch bestimmt schneller krank als der andere, oder?“

„Ja, ja, kann ja jeder machen, wie er lustig ist“, entgegnete Anastasia, „aber ich geh da jedenfalls jetzt nicht hin und es kommt auch keiner her. Ihr besorgt mit bitte zwanzig große Pakete Quark, damit mache ich mir Quarkwickel um das Knie und in ein paar Tagen bin ich wieder topfit.“ Das klang nach einem guten Plan, fand Arabella.

„O. k., brauchst Du sonst noch irgendwas?“ Theobald war froh, etwas tun zu können, anstatt dumm in der Küche herumzustehen. „Ein bisschen Vogelfutter und Zimt, ansonsten brauch ich nichts“, sagte Anastasia und deutete auf den Korb, der in der Ecke stand, „den könnt Ihr mitnehmen zum Einkaufen. Theobald, ich bitte Dich, schreib Dir lieber auf, was Du einkaufen sollst, sonst hast Du alles vergessen, wenn Du im Laden stehst. Dann kaufst Du bestimmt Möhren und Lakritz, statt Quark und Vogelfutter. Ich kenn Dich doch.“

„Ach papperlapapp, die paar Sachen auf dem kurzen Weg, das wäre ja wohl gelacht“, prahlte Theobald. Er nahm den Korb und wollte gerade die Haustür öffnen, da rief Anastasia hinter ihm her: „Willst Du denn Arabella gar nicht mitnehmen? Dann kann sie schon mal ein kleines bisschen von der Insel sehen und kommt unter die Leute.“

„Ach ja, natürlich Arabella! Dich hätte ich jetzt doch fast vergessen.“ Theobald kratzte sich verlegen am Kopf. „Siehst Du, genau das meine ich“, witzelte Anastasia, „aber wenn Arabella dabei ist, besteht eine gute Chance, dass wirklich auch Quark bei mir ankommt.“ Sie zwinkerte Arabella zu. „Viel Spaß Ihr zwei. Du wirst sehen, die Insel ist wunderschön. Ich wohne hier schon mein ganzes Leben und würde nie woanders leben wollen. Dies ist mein Zuhause und wird es immer bleiben, weil es sich gut anfühlt, hier zu sein.“ Glücklich schaute sie aus dem Fenster in ihren Garten. „Theobald, bevor ihr geht, macht doch bitte noch die Tür zum Garten auf, dann duftet es hier drin nach Sommer, Sonne und Meer.“ Theobald schob die Terrassentür weit auf. Sofort war die Küche erfüllt mit einem unbeschreiblich schönen Gemisch aus Vogelgezwitscher, Meeresrauschen und dem Duft aus Sommerblumen und Gras.

„Ahhh, wie herrlich!“ Ganz verträumt, weil das alles so schön war, stand Theobald in der Küche und wollte sich gerade auf die Bank setzen, als Anastasia und Arabella einstimmig lachend riefen: „Nein, nein, Theobald, jetzt steht Einkaufen auf dem Plan, schon vergessen?“

„Ups.“ Theobald setzte sich schnell in Richtung Haustür in Bewegung. „Nein, nix vergessen, klar, einkaufen! Komm Arabella, los geht’s.“

„Der Korb, Theobald“, erinnerte Anastasia geduldig.

„Ach ja klar, selbstredend! An was man alles denken muss schon am frühen Morgen“, murmelte er, holte den Korb aus der Küche, setzte Arabella hinein und wollte ihr gerade die Baseballkappe aufsetzen, da rief Anastasia empört: „Theobald, halt! Was machst Du denn? Wie soll sie denn darunter was sehen von der schönen Insel? Und außerdem ist die Kappe doch viel zu warm. Wir haben Sommer!“

„Ja, aber wenn uns jemand sieht und merkt, dass ich mich mit einer Luftballonschlange unterhalte, dann denken doch die Leute, ich bin plemplem.“ Theobald wirkte sehr verunsichert. “Aha, das war also auch gestern Abend der Grund der Maskerade“, sagte Anastasia. Arabella verstand nur Bahnhof. „Ja klar“, sagte Theobald, „ich habe schließlich einen sehr guten Ruf hier auf der Insel.“

„Dein Ruf kann durch Arabella nur noch besser werden.“ Wieder zwinkerte Anastasia fröhlich Arabella zu: „Also Kappe ablassen und loslegen, lautet die Devise, glaub mir, die Menschen werden Arabella lieben und Dich lieben sie sowieso schon.“

„Na, wenn Du meinst?“ Theobald war noch nicht ganz überzeugt, aber er glaubte seiner Oma alles, denn alles was sie ihm bisher beigebracht und gesagt hatte, stimmte, also war dies hier jetzt bestimmt auch richtig. Theobald hängte die Baseballkappe wieder zurück an den Garderobenhaken und platzierte Arabella so im Korb, dass sie gut herausgucken konnte. So machten sie sich auf den Weg zum Einkaufen. „Ohne Einkaufszettel, na, da bin ich mal gespannt“, murmelte Anastasia etwas skeptisch, als die beiden das Haus verließen, aber Arabella war ja dabei.

Arabella

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