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b) Geltung des Günstigkeitsprinzips

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Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist ferner die Frage zu beantworten, wie es sich auswirkt, wenn dem Arbeitnehmer einzelvertraglich ein höheres Grundgehalt zugesichert worden ist, durch die Mitbestimmung des Betriebsrats dieses jedoch auf ein geringeres Grundgehalt abgesenkt wird. Das Gesetz enthält keine Bestimmung darüber, ob von den Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung zugunsten oder zuungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden kann. Da Art. 12 Abs. 1 GG als Grundrecht gewährleistet, seinen Arbeitsplatz frei zu wählen, und deshalb auch die Möglichkeit schützt, die Arbeitsbedingungen durch eine privatautonome Ordnung zu gestalten, wäre eine gesetzliche Regelung verfassungswidrig, die den Betriebspartnern gestatten würde, Arbeitsbedingungen als Fest- oder Höchstbedingungen für die Arbeitnehmer zu vereinbaren, ohne die Möglichkeit zu einzelvertraglichen Abweichungen zuzulassen.53

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In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass günstigere vertragliche Abreden zwischen den Arbeitsparteien von der Betriebsvereinbarung unberührt bleiben, gleichgültig, ob sie vor oder nach Abschluss der Betriebsvereinbarung getroffen wurden.54 In diesem Fall gelte im Verhältnis zwischen der Betriebsvereinbarung zur Einzelvereinbarung das Günstigkeitsprinzip.55 Das Günstigkeitsprinzip sichert nicht nur die Abweichung nach Inkrafttreten einer Betriebsvereinbarung, sondern, da es eine Regelungsschranke für die Betriebsautonomie ist, schützt es auch Arbeitsvertragsregelungen vor einer Ablösung oder Verschlechterung durch Betriebsvereinbarungen.56 Nach dieser Auffassung wäre es nicht möglich, durch eine Betriebsvereinbarung das Grundgehalt eines Arbeitnehmers herabzusetzen. Dabei ist es offensichtlich, dass das Günstigkeitsprinzip und das Streben nach innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit nicht miteinander harmonieren.

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Lange Zeit galt daher für das Verhältnis zwischen einer Betriebsvereinbarung und vertraglich begründeter Ansprüche der Arbeitnehmer, die auf eine vom Arbeitgeber gesetzte vertragliche Einheitsregelung, Gesamtzusage oder betriebliche Übung zurückgingen, das sog. kollektive Günstigkeitsprinzip.57 Arbeitsvertraglich begründete Ansprüche der Arbeitnehmer auf Leistungen mit „kollektivem“ Bezug, die auf eine vom Arbeitgeber gesetzte Einheitsreglung zurückgehen, könnten durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung beschränkt werden, wenn die Neuregelung bei kollektiver Betrachtung insgesamt für die Belegschaft nicht ungünstiger ist.58

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Von diesen Grundsätzen ist das BAG jedoch zu Recht abgerückt. Vielmehr hat das BAG erstmals 2013 alle auf allgemeinen Arbeitsbedingungen beruhenden Regelungen mit kollektivem Bezug als betriebsvereinbarungsoffen eingestuft.59 Diese Rechtsprechung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen.60 Dennoch ist es heute (wohl) weit überwiegende Meinung, dass durch einen wirksamen Vorbehalt eine zugesagte Leistung nicht nur verändert, vielmehr durch Betriebsvereinbarung – im Rahmen der (sonstigen) rechtlichen Möglichkeiten – auch verschlechtert werden kann. Damit sind bei Leistungen, die durch eine vertragliche Einheitsregelung, eine Gesamtzusage oder durch betriebliche Übung eingeführt wurden, auch kollektiv ungünstigere, ablösende Betriebsvereinbarungen möglich.61

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Einzig für den Fall, in dem der Arbeitnehmer seinen Arbeitsvertrag tatsächlich ausgehandelt hat und es sich daher nicht um allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 ff. BGB handelt, kann nicht von einer betriebsvereinbarungsoffenen Regelungen ausgegangen werden. In dieser Konstellation bedarf es einer gesonderten Vereinbarung im Arbeitsvertrag, ansonsten greift das Günstigkeitsprinzip mit der Folge, dass die Abschaffung einer variablen Vergütung zugunsten einer Festvergütung nur dann möglich ist, wenn sie für den Arbeitnehmer günstiger ist.

Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3

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