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c) Abschaffung einer einzelvertraglichen festgelegten variablen Vergütung zugunsten einer Festvergütung

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Das Verhältnis der Mitbestimmung des Betriebsrats in Entgeltfragen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zur arbeitsvertraglichen Regelung steht jeher im Brennpunkt der betriebsverfassungsrechtlichen Diskussion. Die Frage, ob eine einzelvertraglich festgelegte variable Vergütung zugunsten einer Festvergütung abgeschafft werden kann, lässt sich nicht pauschal beantworten. Es kommt dabei entscheidend auf das Verhältnis zwischen den einzelvertraglichen Regelungen der Arbeitsverträge und der Ausgestaltung der abzuschließenden Betriebsvereinbarung an.

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Grundsätzlich wirken gem. § 77 Abs. 4 BetrVG alle Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend für das einzelne Arbeitsverhältnis, sodass es zu ihrer Wirksamkeit keiner Umsetzung bedarf. Dieser Grundsatz wird durch das Günstigkeitsprinzip modifiziert. Wenn somit eine einzelvertraglich festgelegte variable Vergütung für den einzelnen Arbeitnehmer günstiger ist, können Betriebsrat und Arbeitgeber zwar in einer Betriebsvereinbarung anstelle derer eine Festvergütung vereinbaren. Für diesen Arbeitnehmer gilt die Betriebsvereinbarung jedoch nicht rechtsverbindlich, weil den Arbeitnehmer im Einzelfall das Günstigkeitsprinzip schützt, soweit die einzelvertragliche Regelung eben nicht betriebsvereinbarungsoffen ausgestaltet ist.

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Schwierig ist bereits der Maßstab der „Günstigkeit“, denn der Günstigkeitsvergleich beinhaltet ein Werturteil. Da das Günstigkeitsprinzip nicht dazu dient, die Unabdingbarkeit der Betriebsvereinbarung zu beseitigen, es aber zugleich auch eine Schranke der betriebsverfassungsrechtlichen Regelungsreichweite darstellt, kann für den Beurteilungsmaßstab weder der Wille der Arbeitsvertragsparteien noch der Wille der Betriebspartner von Bedeutung sein, vielmehr richtet sich der Beurteilungsmaßstab nach objektiven Merkmalen. Da das Günstigkeitsprinzip, soweit es arbeitsvertragliche Abreden ermöglicht, als Vorbehalt für die individuelle Vertragsfreiheit wirkt, ist für den Günstigkeitsvergleich nicht das Gesamtinteresse der Belegschaft, sondern das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers in dem zur Beurteilung stehenden Zeitraum maßgebend. Betrifft die Regelung eine Entgeltleistung des Arbeitgebers, so ist der Vergleichsmaßstab, auf den die Günstigkeitsbeurteilung zu beziehen ist, das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.62

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In der Betrachtung des von der Rechtsprechung eingeführten Grundsatzes der Betriebsvereinbarungsoffenheit allgemeiner, individualrechtlich wirkender Regelungen, ist die Abschaffung einer dem Kollektivrecht gegenüber offenen einzelvertraglich vereinbarten Vergütung zugunsten einer Festvergütung möglich und zwar selbst dann, wenn sie für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Das Prinzip trägt der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit Rechnung und spiegelt damit den Grundgedanken des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG wider.

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Abschließend bleibt die Frage zu diskutieren, ob der Arbeitgeber durch die lückenlose Vertragsgestaltung das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG umgehen kann.

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Unstreitig finden ausgestaltende Betriebsvereinbarungen Anwendung auf ausfüllungsoffene individualvertragliche Regelungen.

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Wenn nun im Gegenzug der Arbeitgeber in Entlohnungsfragen die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer mit konkreten und nicht ausfüllungsbedürftigen Regelungen versieht, kann dies dazu führen, dass das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG leerläuft? Oder muss der Arbeitgeber – solche „lückenlose“ Arbeitsverträge vorausgesetzt, in diesen Fällen zugunsten des kollektiven Arbeitsrechts modifizierende Änderungskündigungen aussprechen, damit das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG nicht ausgehöhlt wird?

Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten, Band 3

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