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Kapitel 3: Intermezzo in Berlin

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Wie geplant, sitzen Anna und ich am folgenden Freitag im ICE nach Berlin. Wir haben schon vor Wochen auf Vorschlag meines Chefs ein Sonderangebot in einem Fünf-Sterne-Hotel gebucht. Natürlich tauchte vorher die Frage auf, ob ich unter diesen Umständen überhaupt in der seelischen Verfassung wäre, einen Spaßtrip übers Wochenende zu unternehmen. Das hatte ich mich vorher schon selbst gefragt. Vielleicht würde ich den anderen die Reise total vermiesen, wenn ich Trübsal bliese und mein Schicksal bejammerte. Aber nach kurzem Überlegen sagte ich mir: Nun gerade!

Immerhin stand ein Besuch bei den Stachelschweinen, dem schon zu DDR-Zeiten berühmten Kabarett, und mehrere Essen in exzellenten Restaurants auf dem Plan. Außerdem ist Berlin sowieso immer eine Reise wert. Ich wäre schön blöd, wenn ich mir das jetzt nicht gönnen würde, gewissermaßen als Vorgriff auf alles, was ich mir später krankheitsbedingt gar nicht mehr gönnen könnte.

Bei allem Optimismus, wer weiß denn schon, wann ich das nächste Mal Gelegenheit habe, Berlin sozusagen als ganzer Mensch zu besuchen. Ob überhaupt! Wäre doch möglich, dass ich nach der OP nicht reisefähig, dauerhaft behindert oder sogar tot bin. Hinzu kommt, dass sie mir im Krankenhaus gesagt haben, unmittelbar vor und nach dem Eingriff gebe es nichts beziehungsweise nichts außer Schonkost zu essen. Da sollte ich übers Wochenende in Berlin nochmal anständig reinhauen. Mir kommen die Worte ‚Galgenmahlzeit‘, ‚Henkersmahl‘‚ das letzte Abendmahl‘ und ähnliche Vokabeln in den Sinn.

Dafür, dass ich mir einrede, mich nicht zu fürchten, schlottere ich in Gedanken doch ganz schön. Meine inneren Dialoge wollen einfach nicht schweigen. Darin war ich schon immer ganz groß. Im Kopf Situationen durchspielen, Gesprächsverläufe als komplettes Rollenspiel in immer anderen Variationen ablaufen lassen.

Die Szenarien, die ich im Kopf ablaufen lassen kann, hatten schon in meinen Kindertagen Spielfilmqualität und sind so real, dass mir manchmal das Herz vor Aufregung bis zum Hals klopft. Als Kind erlebte ich auf die Art alle gelesenen Abenteuerbücher abends im Kopf mit mir in der Hauptrolle noch einmal und in immer anderen Abwandlungen. Ich war Tom Sawyer, Jim Hawkins, der Graf von Monte Christo, Robinson Crusoe, David Copperfield, Kapitän Nemo, Magellan, Drake, Amundsen, Shackleton und etliche andere mehr. Ich war aber auch mein Onkel und meine Opas als tapfere Soldaten im Krieg, wehrte mich in Raufereien und beim Eishockey viel besser als in der Realität gegen die Erzfeinde meiner Kindheit und hielt Reden, die Kinder eigentlich nicht zu halten pflegen.

Das gewohnheitsmäßige, fast zwanghafte Repetieren in jeder Minute der Ruhe, hatte den sehr vorteilhaften Nebeneffekt, dass ich unglaublich gut auswendig lernte. Ganz gleichgültig, ob es sich um Vokabeln, Gedichte, den Quintenzirkel, binomische Formeln, lateinische Grammatik, Zitate oder Songtexte handelte. Ich wiederholte einfach alles, bis ich es im Schlaf beherrschte. Anfangs funktionierte es wahllos, später nur noch bei dem, was mich interessierte.

Im Erwachsenenalter war diese Art Ritual dann weniger zwanghaft, vielleicht aber auch nur deshalb seltener, weil man als Kind ganz einfach mehr Zeit ungestört mit sich allein ist. Jedenfalls bereite ich bis heute Vorträge und Präsentationen vor, indem ich mir den Text zu jeder Folie im Geist wieder und wieder hersage, bis ich erstens den, meiner Meinung nach, perfekten Text gefunden habe und ihn zweitens auswendig kann.

In Stresssituationen ist es allerdings nach wie vor so, dass ich die innere Diskussion nicht abstellen kann. Sobald ich Ruhe habe, geht mein Verstand auf verbale Entdeckungstour und redet und redet in einem fort. Mir kam schon mal der Gedanke, ob bei mir vielleicht eine Schraube locker ist. Auf der anderen Seite fand ich meine Eigenart bisher immer eher hilfreich als lästig. Außerdem ist mir nie langweilig. Nur ist es eben so, dass sich mein Gehirn bei Stress regelmäßig selbständig macht und dann Diskussionen rund um ein Thema erfindet, das mich gerade bewegt. Es beginnt wie eben mit einem Wort, zum Beispiel ‚Henkersmahl‘. Das Wort wiederholt sich ein paar Mal und bildet logische Bezüge wie zum Beispiel ‚Henkersmahlzeit‘, ‚letzter Wunsch‘, ‚Gefangensein‘, ‚ausweglos‘, ‚das Ende‘, ‚Tod‘. Danach kommen ganze Sätze, danach Diskussionsszenen mit Leuten aus meiner Umgebung.

Anna ist eingeschlafen. Während der Zug dahinrauscht, rattert mein Gehirn und erfindet jetzt ein Gespräch mit meinem Chef, in dem ich rechtfertige, warum ich den Trip nach Berlin nicht abgesagt habe. Ich spiele den harten Kerl und erkläre ihm, wie wurscht mir die Operation ist. Dass die Ärzte mir erklärt haben, ich müsse mir keine Sorgen machen und dass ich in ein paar Wochen selbstverständlich wieder auf dem Posten sein werde.

Doch wenn ich ehrlich bin, fürchte ich mich schon. Was, wenn die meinen Schließmuskel nicht retten können? Was, wenn der großmächtige Herr Professor einen schlechten Tag erwischt, weil er sich tags vorher aus Ärger über seine Frau, die fremdgeht, besoffen hat und mit zittrigen Händen meinen Hinterausgang versehentlich kaputtschnippelt? Oder noch schlimmer: Was, wenn er so ein kleines Stückchen von dem Krebsgeschwür übersieht und nicht wegschneidet, wenn die ganze OP vergebens wäre, weil der Krebs danach gar nicht weg ist, sondern fröhlich weiter in meinen Eingeweiden wuchert?

Wo wir schon dabei sind, die Anästhesie ist auch lebensgefährlich. Wie viele sind schon nicht mehr aufgewacht? Ja, wie viele eigentlich, eher mehr oder eher wenige? Ich weiß es nicht. Aber man hört es ja immer wieder – nicht aus der Narkose erwacht. Gut, ich persönlich habe es, soweit ich mich erinnere, nur in Filmen gehört und nicht im richtigen Leben. Trotzdem!

Was mir jetzt noch einfällt, sind Mikroben, namentlich der berühmte Krankenhauskeim. Er befällt die schwachen Frischoperierten, setzt sich in ihren schwärenden Wunden fest und tötet sie ganz langsam oder ganz plötzlich, je nachdem, durch septischen Schock. Multiorganversagen bis zum Herzstillstand. Kein Antibiotikum hilft. Oh, und schließlich noch so profane Komplikationen wie Thrombose und Lungenembolie, weil man sich natürlich nach so einer OP nicht vernünftig bewegen kann.

Mir graust es. Wer weiß, was ich alles vergessen habe. Es ist ein reines Wunder, dass letztlich doch so viele Menschen das Krankenhaus wieder lebendig verlassen. Werde ich zu denen gehören?

Ich hoffe es.

Nach einer ansonsten angenehmen Fahrt sind wir endlich in Berlin. Wir treffen meinen Chef, seine Frau, seinen Schwager und dessen Freundin. Gott sei Dank verhalten sich alle ganz normal. Keine gesenkten Blicke. Kein verlegenes Drucksen. Das ist ein guter Anfang.

Es wird ein schönes Wochenende. Kulinarischer Höhepunkt ist für mich das Essen in einem französischen Restaurant der gehobenen Kategorie. Ich bestelle mir Boudin, das ist eine französische Blutwurst, weil ich Blutwurst erstens liebe und zweitens sicher bin, nach der OP so etwas Fettiges erstmal nicht essen zu dürfen. Wer weiß, ob überhaupt jemals wieder. Diesen düsteren Gedanken im Kopf werde ich einfach nicht mehr los und haue rein, als gäbe es kein Morgen.

Da es auf absehbare Zeit auch keinen Alkohol für mich geben wird, gönne ich mir reichlich. Bloß Obacht, dass ich keinen Moralischen bekomme, das wäre peinlich. Es klappt aber alles wunderbar, und wir touren bester Laune durch Berlin. Sehenswürdigkeiten, Shopping für die Damen, Bierchen und noch mehr Bierchen für die Herren und abends Kultur. Die Stachelschweine spielen ihr Programm ‚Wohin mit Mutti?‘, in dem es um Kanzlerin Merkel geht. Wir amüsieren uns prächtig und kommen uns auch menschlich noch ein wenig näher.

So erfahren wir staunend, dass Sabine, die Frau meines Chefs, bereits zum Club gehört. Sie hatte vor Jahren Brustkrebs, den sie ganz offensichtlich überlebte. Sabine erzählt uns, sie habe das volle Programm genossen: Operation, Bestrahlung und Chemotherapie. Sie sieht mir in die Augen und erklärt ein wenig zu laut „War alles gar nicht so schlimm.“

Sie lächelt, doch ihre Augen lächeln nicht.

Ich sage, „Hoch die Tassen, wer will schon ewig leben!“ und versuche ein Grinsen.

An Annas Gesicht sehe ich, dass es misslingt.

Sonntag Vormittag spazieren wir am Kanzleramt vorbei den Spreebogen entlang und lassen die gemeinsame Zeit langsam ausklingen. Alle wünschen mir Glück für die Operation. Ich soll mich melden, wenn es geschafft ist.

Wir besteigen den Zug und fahren nach Hause, wie wir gekommen sind.

Am Montag beginne ich, Tee zu trinken, und stoppe das Essen. Ich packe ein paar Klamotten zusammen, Handy, Ladegerät, ein paar Unterhosen, Waschzeug. Ein Buch, ‚Das Boot‘ von Lothar-Günther Buchheim. Eins meiner Lieblingsbücher. Ich finde, es passt perfekt. Genau wie der junge Leutnant Buchheim begebe auch ich mich morgen auf eine Reise, die tödlich enden kann. Wenigstens wird mich wohl in der Uniklinik niemand mit Bomben bewerfen oder auf mich schießen.

Aber das mulmige Gefühl, die unbestimmte Furcht vor namenlosen Gefahren ist sicher ähnlich. Da ich das Buch schon gelesen habe, weiß ich, was mich erwartet. Ich verspreche mir Trost von Buchheims schnodderigem Trotz, mit dem er sich gegen den Schrecken wehrt. Ich erinnere mich an eine Stelle im Buch, wo er sich in der größten Angst einredet, dass er gar nicht getötet werden kann, weil er gefeit sei. Das ist jetzt für mich die perfekte Einstellung: Ich bin gefeit, mir kann nichts passieren. Wenn überhaupt kann ich ausschließlich durch eine im Feuer geschmiedete Klinge getötet werden, die in Drachenblut gehärtet wurde. Kein Grund zur Sorge also.

Deswegen entschließe ich mich, auf ein Testament zu verzichten. Als Jurist weiß ich, dass die gesetzliche Erbfolge genau das ist, was ich ohnehin will. Vermächtnisse à la ‚Meinem Sohn vermache ich meine Schlittschuhe und meine Eishockeyschläger‘, erspare ich mir. Max hat weder meine Schuhgröße, noch kann er meine Schläger benutzen, denn er spielt links, ich dagegen rechts.

Was kümmert es mich im Übrigen, wenn ich tot bin. Von mir aus können sie mit meinen Schlägern das Krematorium heizen, in dem sie mich verbrennen werden. Ich überlege ganz kurz, ob ich zumindest auf eine möglichst günstige Bestattung bestehen soll, entscheide dann aber konsequenterweise, auch das mag die Familie nach ihrem Gutdünken beschließen.

Wesentlich wichtiger ist in meinem Fall eine unzweideutig abgefasste Betreuungsvollmacht. Denn wenn ich nicht in der Lage bin, Entscheidungen zu treffen und Unterschriften zu leisten, müsste beim Amtsgericht zuerst ein Betreuer bestellt werden, bevor die Familie vollständig handlungsfähig wird. Das kann man leicht durch so eine Vollmacht vermeiden. Ich achte darauf, dass meine Betreuungsvollmacht über den Tod hinauswirkt, damit Anna im Ernstfall auch ohne Erbschein Zugriff auf alle Konten und das Aktiendepot erhält. Ich suche mir ein passendes Muster im Internet heraus und passe es für meine Zwecke an. Nach einer halben Stunde bin ich fertig.

Was ich nach einem kurzen Versuch nicht über mich bringe, ist die Verfassung einer Patientenverfügung. Denn dafür ist es erforderlich, sich verschiedene Sterbeszenarien vorzustellen und exakte Handlungsanweisungen für das medizinische Personal zu hinterlegen. Zum Beispiel, ob ich im Fall eines Herzstillstandes reanimiert werden möchte, auch wenn ich etwa bereits hirntot wäre.

Ich habe im Rettungsdienst selbst so viele Reanimationen durchgeführt, dass ich die Brutalität dessen, was im Rahmen einer solchen Herz-Lungen-Wiederbelebung geschieht, aus dem Effeff kenne. Will ich das unter bestimmten Umständen vermeiden? Ich überlege und beschließe dann: Ich bin zu gesund und hänge zu sehr am Leben, um auch nur auf die kleinste Überlebenschance zu verzichten. Die sollen mal schön das volle Programm an mir durchziehen. Ich verstehe die Notfallmedizin als Teil des Schicksals und verfasse gar nichts. Ich weiß, darüber kann man anderer Ansicht sein. Aber es gibt ja auch noch die Familie, die in Absprache mit den Ärzten sinnlose Maßnahmen stoppen kann. Wenn ich ehrlich bin, schaffe ich es so unmittelbar vor der Operation nervlich nicht, so ein Dokument zu liefern, und lasse es deswegen. Wenn alles glatt läuft, brauchen wir es ohnehin nicht. Und wenn es schief geht? Scheiß drauf.

Am Dienstag fährt mich Anna ins Krankenhaus. Außer einer Tasse Kaffee gab es nichts zum Frühstück. Das nun mir, wo ich doch so gerne esse, und am allerliebsten Frühstück. Es ist herrlichstes Sommerwetter. Sonnenbrille auf, rein ins Auto, ab nach Mannheim. Wir reden nicht viel, weil wir beide einen Kloß im Hals haben. Aber noch wird es ja nicht ernst. Nach der stationären Aufnahme wird meine wichtigste Aufgabe sein, mein Gekröse zu entleeren. Man hat mir erklärt, dafür bekommen die Patienten literweise ein spezielles Abführmittel, das so lange getrunken werden muss, bis nur noch Flüssigkeit herauskommt, die wie Kamillentee aussieht.

Hört sich leicht an. An der Klinik lässt Anna mich aussteigen. Sie wird mich später noch besuchen, wenn ich ein Zimmer habe. Zuvor muss ich zur stationären Aufnahme, wo ich eine ganze Reihe von Formularen ausfülle. In meinem Fall sind es noch ein paar mehr als üblich, da ich privat versichert bin. Auf Station bekomme ich Besuch von Doktor Greene, der mir Einwilligungserklärungen für alle Maßnahmen vorlegt, die ich brav unterschreibe. Bevor ich mit dem Abführen anfangen kann, muss ich noch zum Anästhesisten und zur Stomaberatung.

Der Anästhesist ist aber eine Sie, nämlich eine junge Ärztin. Ich mag sie, traue ihr aber nicht so recht über den Weg. Ob die mich korrekt Schlafenlegen kann? Deswegen frage ich, ob sie selbst die Narkose macht. Sie antwortet zu meiner Erleichterung, „Nein, ich mache nur das Aufklärungsgespräch. Die Narkose macht bei Ihrer OP Oberarzt Doktor Sowieso.“

Ich bin erleichtert und schäme mich sofort dafür, weil ich merke, wie dumm das ist. Oberarzt Sowieso kenne ich doch noch weniger als diese Ärztin hier, die vor mir sitzt. Typisches sexistisches Vorurteil. Bloß weil sie jung und hübsch ist, kann sie sicher nix.

‚Du bist ein Idiot‘, sagt eine Stimme in mir,

‚Nö,‘ antwortet eine andere Stimme.

Ich will bloß nicht, dass ich aufwache, und meine Birne ist Matsch, weil jemand sich mit dem Sauerstoff oder dem Betäubungsmittel vertan hat.

Die Narkoseärztin möchte wissen, ob ich noch Fragen habe. „Nein,“ sage ich, „habe ich nicht. Vielen Dank.“

Sie wünscht mir viel Erfolg. Den kann ich brauchen.

Ich muss nun weiter zur Stomaberatung. Man hat mir erklärt, das Stoma ist ein Loch in der Bauchdecke, nämlich der Austritt des künstlichen Darmausgangs. Bei der Beratung geht es ums Maßnehmen. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn bei der Sitzung wird mit einem schwarzen Filzschreiber die Stelle auf meinem Bauch angezeichnet, wo Professor X den künstlichen Darmausgang platzieren wird. Je nach Größe, Bauchform und -fülle des Patienten und natürlich nach seinen Tragegewohnheiten hinsichtlich Hosenbund und Gürtel soll das Stoma so angelegt werden, dass der Klebebeutel möglichst bequem und dabei unauffällig getragen werden kann. Ein ganz famoser Service, wie ich finde und der Stomaberatung auch mitteile.

Ich habe Hunger. Aber ich werde bis morgen, bis es losgeht, natürlich nichts mehr bekommen. Jetzt muss ich diese eklige Flüssigkeit trinken, um mich möglichst vollständig zu entleeren.

„Was rauskommt, das soll aussehen wie Kamillentee. Dann sind sie fertig“, sagt die Schwester.

Damit ich nicht direkt kotzen muss, gibt es dazu leckeren Apfelsaft, leider krankenhaustypisch lauwarm. Ich schütte im Lauf einer Stunde die ersten zwei Liter in mich hinein. Wie gut, dass ich Biertrinker bin. Da sind zwo Liter gar nichts. Obwohl es mit vier Halben sicher viel einfacher und nach den vier Halben zweifellos wesentlich lustiger wäre.

So beginne ich nach einer kleinen Weile, das Klo zu frequentieren. Zum Glück habe ich ein Einzelzimmer bekommen. Das fehlte, dass mir ein Zimmernachbar im Notfall die Klotür vor der Nase zuschlägt, weil er gerade selbst muss.

Am frühen Nachmittag habe ich schon reichlich fünf Liter von dem schrecklichen Trank in mich hineingegossen. Aber was herauskommt, sieht überhaupt nicht nach Kamillentee aus. Ich frage die Schwester. Sie fragt zurück, was ich die letzten Tage so gegessen habe. Ich erzähle ihr von Berlin und der mehrtägigen Völlerei einschließlich der Blutwurst und dass der Herr Professor mir gesagt hat, ich könne ruhig nochmal alles essen, worauf ich Lust hätte.

„Das sagen die Ärzte immer und verschweigen, wie die Patienten sich dann quälen, um alles wieder loszuwerden. Wir hatten hier mal einen, der musste zwölf Liter von dem Mittel trinken, bis er halbwegs sauber war.“

Ich staune und bestelle noch einen Zweiliter-Kanister und eine neue Pulle Apfelsaft. Am Abend habe ich zehn Liter von dem Abführmittel getrunken und bin fix und fertig. Noch immer ist mein Darm nicht richtig sauber. Aber Doktor Greene hat Mitleid und behauptet, sie würden morgen im OP schon klarkommen. Abends erscheint dann nochmal der Chef, jovial wie ich nun schon kenne. Er strahlt eine professionelle Zuversicht aus, die mich beruhigt.

Als wir uns verabschieden, schlage ich vor „Vielleicht heute Abend nur ein Gläschen Wein und nichts Hochprozentiges?“

Er lacht, nickt und weg ist er.

Anna und die Kinder kommen noch kurz vorbei und wünschen mir Glück. Wir machen keine große Sache daraus.

Das geschenkte Leben

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