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1.2 Kompetenzbezug als didaktische Grundorientierung

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Jeder moderne Sprachunterricht ist kompetenzbezogener Unterricht. Seitdem die Kultusministerkonferenz bundesweite Bildungsstandards, z. B. im Fach Deutsch, für den Primarbereich verbindlich machte und dabei den Kompetenzbezug zugrunde legte, gilt dies auch amtlich (KMK 2005). Didaktisch ist der kompetenzbezogene Sprachunterricht längst verankert. Das drückt sich etwa im Begriff der „Didaktik des sprachlichen Handelns“ aus und wird für die Deutsch-Didaktik später noch zu belegen sein.

Der gegenwärtige Gebrauch des Kompetenzbegriffs ist durchaus schillernd. In der aktuellen Bildungsforschung, hier besonders deutlich in den didaktischen Festlegungen der internationalen und nationalen Leistungsuntersuchungen wie PISA, IGLU oder VERA, wird ein Kompetenzbegriff benutzt, der sich auf „Erträge des schulischen Unterrichts“ bezieht. Diese Formulierung stammt von Franz Weinert, dessen Definition häufig von Bildungsforschern bestätigend zitiert wird:

Dabei versteht man unter Kompetenzen die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen [= gewollten] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können. (Weinert 2001, 27 f.)

Grundschuldidaktischer Konsens ist heute, dass Kinder an erlebbar sinnvollen Aufgaben eigenaktiv arbeiten. Lerntheoretischer Hintergrund ist der gemäßigte Konstruktivismus: „Wir verstehen heute Lernen nicht mehr als passiven Prozess des Aufnehmens von Information, sondern als aktiven Prozess der Konstruktion von Erkenntnissen und Vorstellungen.“ (Speck-Hamdan in: Bartnitzky u. a. 2009, 175) Bildungstheoretischer Hintergrund ist die „Erziehung zur Selbstständigkeit“ und die damit verbundene „selbstmotivierende, konstruktive und tätige Rolle des Lernenden“ (Jürgens 2008, 69).

Bei einem solchen Unterrichtsverständnis kommen Kompetenzen aber nicht erst als „Erträge des Unterrichts“ zum Tragen. Sie sind nicht nur Unterrichtsergebnisse, sondern Ausgangspunkt von Unterricht und prozessbestimmendes Merkmal. Kinder besitzen zu jeder Schulzeit bereits Kompetenzen, die durch motivierende Lernarrangements, Lernumgebungen und Aufgaben aktiviert werden können. Während der Lernarbeit entwickeln die Kinder ihre Kompetenzen weiter: Sie werden bestätigt, erweitert, ergänzt, neu strukturiert. Dies zeigt sich in den Arbeitsprozessen der Kinder ebenso wie in ihren Ergebnissen. Als Beispiel möge ein schreibanregender Unterricht dienen, in dem die Kinder Texte planen, entwerfen, sich über ihre Texte miteinander beraten und sie für eine Veröffentlichung überarbeiten. Schreibkompetenzen zeigen und entwickeln die Kinder hier über alle Phasen des Unterrichts.

Legt man ein Verständnis von Kompetenz als Ergebnis des Lernens zugrunde, dann mag der Unterricht einzelne Lernziele verfolgen, die sich am Ende als „Ertrag“ zur Kompetenz fügen mögen. Entsprechend wurde bei der Kommentierung der PISA-Studie formuliert: In den ersten Schuljahren seien die Techniken des Lesens und des Schreibens zu vermitteln, in der Sekundarstufe entwickele sich daraus die Lese- und Schreibkompetenz (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, 76).

Geht man dagegen von einem Verständnis von Kompetenzen als durchgehende didaktische Orientierung aus, dann werden Kinder von Anfang an zu eigenaktiver Arbeit angestiftet. Entsprechend werden die Kinder beim Schriftspracherwerb von Beginn an zum eigenen Verschriften angeregt und damit in ihrer Schreibkompetenz gefördert.

Im fremdsprachlichen Unterricht würden im ersten Verständnis in den Anfangsjahren vor allem Vokabeln und Redestrukturen eingeübt, um sie später in lebensnahen Situationen zu verwenden. Im zweiten Verständnis dagegen werden von Anfang an auch, durch Bildimpulse gestützt, Geschichten erzählt, die Verstehensstrategien der Kinder herausfordern, auch wenn sie nicht jedes Wort und jede Wendung verstehen (Methode des Storytelling); und es werden handlungsorientierte Lernaufgaben gestellt, bei denen die Verständigung, nicht die Sprachrichtigkeit im Vordergrund steht (Task-based learning).

Das von Weinert in seiner Definition geforderte Zusammenspiel der Fähigkeiten, Fertigkeiten, Motivationen, sozialen Handlungsweisen und des verantwortlichen Handelns gilt dann nicht nur für das Ergebnis, die „Erträge“, sondern von Anfang an.

Kompetentes Handeln bedeutet also vom ersten Schultag an: Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kenntnisse und Strategien, Einstellungen und Verantwortlichkeiten aktivieren, die zur sachgerechten und verantwortlichen Lösung einer komplexen, lebenspraktischen Aufgabe nötig sind. Kompetenzen sind die Dispositionen, die solcherart kompetentes Handeln möglich machen machen. Kompetenzentwicklung heißt dann: Die vorhandenen Kompetenzen durch sinnstiftende Aufgaben aktivieren und erweitern.

Noch einmal das Beispiel des Anfangsunterrichts in Deutsch: Das Schreibenwollen, das Durchlautieren der Wörter, die Segmentierung von Lauten, die Zuordnung zu Buchstaben, die Schreibmotorik, die Blattgestaltung für ein gemeinsames Buch, das Anschauen und Lesen der Arbeiten anderer Kinder – all dies zeichnet diese Arbeit für Schreibanfänger als hochkom­plexe Anforderung aus, die als sinnhaft erfahren werden kann. Schreibkompetenz zeigt sich hier individuell bereits in der Nussschale.

Im Fremdsprachenunterricht wird diese Komplexität z. B. bei der Gestaltung eines eigenen Bilderbuchs, bei der Inszenierung eines Raps, bei einem Darstellungsprojekt, wie z. B. einer Modenschau, ­deutlich.

Lehrerbücherei Grundschule: Sprachunterricht heute (19. Auflage)

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