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Gottesfurcht im Plural

Der Soldatenkönig war ein ausgesprochen frommer Mensch und wusste um die segensreiche Wirkung der Religion, sei es im Krieg oder im Frieden. Nicht umsonst verzichtete er während seiner gesamten Amtszeit auf den Bau von Schlössern, um stattdessen die Finanzmittel des Staates auf die Erweiterung des Kirchen- und Armeewesens zu konzentrieren. Allein auf dem Stadtgebiet Potsdams ließ er neun Kirchen errichten, wobei eine Mischung aus religiösen, landespolitischen und militärischen Zielen sein Vorgehen leitete (Völkening 746). So entstanden Kirchen für den König, Kirchen für Fremde und Kirchen für Bürger (Bauch 2007).

Hatte das Potsdamer Toleranzedikt von 1685 das Verbot der öffentlichen Ausübung des katholischen Glaubens ausdrücklich fortgeschrieben, sah sich Friedrich Wilhelm I. aus einem sehr profanen Grund veranlasst, es vier Jahrzehnte später wieder außer Kraft zu setzen: Für die 1722 gegründete Königlich Preußische Gewehrfabrique benötigte er katholische Arbeiter aus Lüttich, die nicht nach Potsdam gekommen wären, wenn ihnen außer dem Branntweinkonsum nicht auch die freie Religionsausübung und der Dispens vom Kantonreglement zugestanden worden wäre. Ihnen ließ er auf dem Hof der Gewehrfabrique eine Kapelle errichten, die wegen „Aufwuchs des Heeres“ allerdings schon 1738 durch ein größeres Kirchengebäude ersetzt werden musste (Hafner 321).

In Anbetracht seines reformierten Glaubens lag es nahe, dass der König die Ansiedlung hugenottischer Glaubensflüchtlinge zu fördern suchte. Etwa 20000 der im katholischen Frankreich verfolgten Hugenotten hatten sich in Brandenburg-Preußen niedergelassen. Mit dem Koloniepatent von 1731 gewährte er ihnen ökonomische und politische Privilegien, um sie zur Übersiedlung nach Potsdam zu bewegen (Kamp 47). Außer an hugenottischen Fabrikanten hatte der König vor allem Interesse an militärischem Führungspersonal. Offiziersflüchtlinge calvinistischer Konfession übernahmen im Laufe der Zeit „in allen Rängen und Einheiten der preußischen Militärstruktur“ wichtige Positionen (Willems 45). Am Namen einer aus Maizières-lès-Metz stammenden Hugenottenfamilie zeigt sich der Erfolg dieser Politik bis in die Gegenwart. Als am 17. Juni 1987 in Iserlohn das Glockenspiel der Potsdamer Garnisonkirche an das Fallschirmjägerbataillon 273 übergeben wurde, hielt nicht zufällig General a. D. Ulrich de Maizière eine der Ansprachen. Mit seinem Sohn Thomas de Maizière setzt sich heute sogar ein ehemaliger Verteidigungsminister für den Wiederaufbau der Garnisonkirche ein.

Für die dem König 1718 von Zar Peter dem Großen geschenkten 55 Russen kam am Anfang der Legationspope aus Berlin zur seelsorgerlichen Betreuung nach Potsdam. Als die Zahl orthodoxer Soldaten innerhalb weniger Jahre auf 300 Personen anstieg, wurde ihnen in einem Anbau zum „Langen Stall“, dem an die Garnisonkirche anschließenden Reit- und Exerzierhaus, ein Gotteshaus errichtet. Der König ließ es sich nicht nehmen, im April 1734 höchstselbst bei der Einweihung der „Moskovitischen Kirche“ teilzunehmen (Völkening u. a. 352). Da die russische Kaiserin Anna Iwanowna zusicherte, einen Popen als geistliches Oberhaupt abzustellen, erhielt die Gründung der orthodoxen Gemeinde eine offizielle Note mit außenpolitischer Reichweite. 1739 gelangten außerdem 22 muslimische Türken als Geschenk in die Potsdamer Garde. „Sie bekamen für ihr am Sonntag (!) stattfindendes Freitagsgebet einen Raum im Militärwaisenhaus zugewiesen.“ (Fischbacher 49) In Wirklichkeit handelte es sich bei den „Türken“ um tatarische Kriegsgefangene, die der Herzog von Kurland dem König von Preußen spendiert hatte. Friedrich der Große nahm ab 1741 in verstärktem Umfang tatarische und bosnische Lanzenreiter muslimischen Glaubens in die Armee auf, deren Einsatzgebiet vor allem in Schlesien und Ostpreußen lag (Sanci 545).

Um Kosten zu sparen, erfolgte die Unterbringung der Soldaten in Privathäusern. Das war zwar billiger, brachte aber Probleme eigener Art mit sich. Durch die fehlende Kasernierung war es schwierig, die Militärangehörigen unter Kontrolle zu halten und Streitereien untereinander, aber auch Konflikte mit der Zivilbevölkerung zu verhindern. Aus der Perspektive des Regenten fiel der Religion deswegen eine wichtige ordnungspolitische Funktion zu, die auch dann nicht geringer wurde, als sich die religiösen Verhältnisse in Potsdam auffächerten. Der bikonfessionelle Proporz zwischen Lutheranern und Reformierten in Preußen hatte bereits durch den Einfluss des Halleschen Pietismus eine innerprotestantische Erweiterung erfahren. In Halle war am Portal des Haupthauses der Franckeschen Stiftungen eine Abbildung mit zwei zur Sonne aufstrebenden Adlern angebracht, unter der das Bibelzitat aus Jesaja 40, Vers 31 zu lesen stand: „Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler.“

Wilhelmine, die älteste Tochter Friedrich Wilhelms I., brachte in ihren Erinnerungen ein wenig schönes Sittenbild über das Leben am Hof und die Misshandlungen, denen sie und ihr Bruder Friedrich ausgesetzt waren, zu Papier. Der unter dem Einfluss August Hermann Franckes stehende König behandelte seine Kinder wie innerfamiliäre Untertanen. In seiner bigotten Frömmigkeit entsagte er allen geistigen Genüssen, der Musik ebenso wie der Literatur. Doch auf der anderen Seite frönte er dem exzessiven Essen und Trinken. Vor allem das brandenburgische Bier hatte es ihm angetan, dem bei den Tabakskollegien kräftig zugesprochen wurde. Die Völlerei ließ sein Körpergewicht bei einer Größe von 1,65 Metern schließlich auf 150 Kilogramm ansteigen. Wohlstandskrankheiten wie Gicht oder Wassersucht suchten allerdings nicht nur ihn heim. Sie ziehen sich „wie ein roter Faden durch die Familiengeschichte der Hohenzollern“ (Kuhl 2012). Später ließ sich der Soldatenkönig in einer Sänfte herumtragen.

Das hielt den königlichen Landesvater aber nicht davon ab, seinen Landeskindern die Vorzüge des einfachen Lebens zu predigen. In ihrem Handeln sollten sie sich an den Tugenden der Bescheidenheit und des Pflichtbewusstseins orientieren. Gottesfurcht und Gehorsam standen an der obersten Stelle seines Wertekanons. An die Kompanien ließ der König tausende Exemplare des Neuen Testaments verteilen und verlangte, dass die von ihm als Anhang beigefügten Lieder gesungen werden mussten. Die Soldaten sollten sie wie Gewehrgriffe und Exerzierformationen auswendig lernen (Gass 93).

Damit „auf den Kancellen keine Prediche“ gegen die Intentionen des Herrschers gehalten würden, wies er die kirchlichen Aufsichtsorgane an, auf strenge Zucht zu achten. Wenn ein Geistlicher „direckte was gegen oder indireckte gegen die Regierungsardt Predigen sollte“, müsse sofort eingeschritten werden. Besonderen Wert legte der König darauf, dass der innerevangelische Streit keine negativen Auswirkungen auf die Wehrfähigkeit der Armee hatte. Pfarrer durften auf keinen Fall „Contrawersen tracktiren“ oder „Zenkereyen anfangen“.

„Der Unterschied zwischen unseren beiden evangelischen Religionen ist wahrlich ein Pfaffengezänk. […] Wenn man es examiniert, so ist es derselbige Glaube in allen Stücken. […] Nur auf der Kanzel, da machen sie eine Sauce, eine saurer als die andere. […] Aber es wird nicht heißen: ‚Bist du lutherisch? Bist du reformiert?‘ Es möge heißen, dass Gott die möge alle zum Teufel schicken, die Uneinigkeit verursachen.“ (Gass 94)

Die Garnisonkirche eignete sich wie kein anderer Ort dazu, geistliche Drillstätte des Königreichs Preußen zu sein. Für die Soldaten waren das Exerzieren und der Gottesdienst die beiden Seiten der gleichen Medaille. Hoch aufragend wie ein „Langer Kerl“ der königlichen Leibgarde überstrahlte die Garnisonkirche Stadt und Land. Niemand konnte Illusionen darüber haben, in welchem Geist sich das Königreich Preußen anschickte, den führenden Mächten Europas die Stirn zu bieten. In dem Aquarell „Parade at Potsdam“ von George Housman Thomas sieht man hundert Jahre später ein zu Ehren der britischen Königin stark geschöntes Bild des fröhlichen und farbenfrohen Exerzierens vor dem Hintergrund der Garnisonkirche.


Abb. 11: Parade im Lustgarten am 17.8.1858 zu Ehren von Queen Victoria, nach einem Aquarell von George Housman Thomas, 1860

Von dem französischen Revolutionspolitiker Gabriel de Riqueti Graf von Mirabeau stammt der viel zitierte Satz, dass es sich bei der preußischen Monarchie nicht um ein Land handle, das, wie sonst auf der Welt üblich, eine Armee besitze. Vielmehr verfüge in Preußen die Armee über einen Staat, in dem sie nur zufällig einquartiert stehe. So wie Potsdam das Zentrum des preußischen Militärstaats bildete, so die Garnisonkirche das Zentrum Potsdams.

„Im Kampf und Sieg, aber auch in der Niederlage erprobt, ist die Potsdamer Garde durch zwei Jahrhunderte hindurch der rocher de bronze, der nie schwankende Felsengrund, auf dem der preußische Staat seine Geschicke, sein Vorwärtsstreben und seinen Siegeswillen aufgebaut hat. Wo immer die Tugenden des Soldatentums gepriesen werden, da leuchtet der blanke Ehrenschild der Potsdamer Wachtparade: hier ist unbedingte Pflichterfüllung, hier ist Gehorsam bis in den Tod, Ordnung und Sauberkeit an Leib und Seele. Die Taten haben es bewiesen.

Die Wiege des Preußentums ist die Soldatenstadt Potsdam. Ohne Wehrhaftigkeit ist preußisches Denken und Wollen nicht möglich. Ja, selbst das Gottvertrauen des großen Soldatenkönigs, des Gründers der Potsdamer Garnison, ist in den soldatischen Tugenden verankert, und in dem Bethaus seiner ‚lieben Kinder‘, wie er seine Soldaten zu nennen pflegt, lässt er die Standbilder antiker Kriegsgötter aufstellen.“ (Zappe 9).

Der französische Ausdruck „rocher de bronze“ geht auf ein geflügeltes Wort Friedrich Wilhelms I. zurück, der damit die unerschütterlicher Festigkeit der preußischen Monarchie zum Ausdruck bringen wollte.

Der preußische Adler in der deutschen Herrschaftsgeschichte

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