Читать книгу Es war anders damals! - Horst Viergutz - Страница 6
ОглавлениеEinleitende Gedanken
Häufig habe ich erzählt von meinen Erlebnissen während des Zweiten Weltkrieges und in den ersten Jahren gleich danach. Meine Freunde haben mich dann gefragt, warum ich sie nicht aufschreibe. Meine Antwort war fast immer gleich: Wer interessiert sich schon dafür? Es gab doch wenigstens zwölf Millionen Menschen, wenn nicht noch mehr, die als Resultat jenes Krieges ihre Heimat verloren hatten. Sie waren damals vor der anrückenden Roten Armee geflüchtet, um nicht von dem Grauen des Krieges überrollt zu werden, oder wenn sie sich dazu entschlossen hatten, doch zu bleiben, wurden sie später aus ihrer Heimat vertrieben. Jeder einzelne hätte doch eine ähnliche Geschichte zu erzählen. Jene, die im bitterkalten Winter in Schnee und Eis ihren Weg mit Pferd und Wagen unter den schwierigsten Bedingungen über die zugefrorene Ostsee machten. Und da waren Tausende von Flüchtlingen, denen es gelungen war, sich einen Platz auf einem der letzten Schiffe zu sichern, um dann mitsamt diesen Schiffen von sowjetischen U-Booten versenkt zu werden, wo sie einen grausamen Tod in den Wellen der Ostsee fanden. Die Überlebenden haben das Trauma bis zum heutigen Tage nie bewältigt. Mit anderen Worten, es gibt Millionen von unschuldigen Menschen mit Erfahrungen, welche alles, was ich erzählen könnte, in den Schatten stellen.
Allerdings, wenn ich mich mit jüngeren Leuten unterhalte, muss ich zu meinem Bedauern oft feststellen, dass sie sich überhaupt kein Bild von jener Zeit des Leidens machen können. Für sie ist es ein abgeschlossenes Kapitel, etwas, was lange vor ihrer Zeit stattgefunden hat - eine Periode der Geschichte, zu der sie absolut keine Beziehung haben. Noch trauriger ist, dass viele von ihnen nie von Pommern gehört haben, geschweige denn, etwas über dieses Land wissen.
Maikäfer, flieg.
Dein Vater ist im Krieg,
Deine Mutter ist im Pommerland,
Pommerland ist abgebrannt.
Maikäfer, flieg!
So wie nach dem Dreißigjährigen Krieg Pommern weitgehend verwüstet wurde und man dieses kleine Lied überall sang, so hat es heute wieder an Wirklichkeit gewonnen. In der Tat, für unzählige Menschen existiert Pommern überhaupt nicht mehr. Nachdem der Krieg endlich vorüber war, zogen es deutsche Politiker vor, diese Epoche der Geschichte in den Hintergrund zu schieben. Das Leiden, die Schmerzen, die unvorstellbaren Anstrengungen und den Verlust der Heimat von zwölf bis vierzehn Millionen unschuldiger Menschen zu erwähnen, war nicht unbedingt ein Thema, womit Politiker glänzen konnten.
Die genaue Zahl der Flüchtlinge aus den gesamten ostdeutschen Gebieten, die Deutschland nach dem Kriege abtreten musste, ist wohl niemals genau ermittelt worden.
Nach all diesen Jahren, nachdem so vieles sich in meinem Leben ereignet hat, bedauere ich, nicht alles aufgeschrieben zu haben. Da ich niemals ein Tagebuch führte, wird es jetzt umso schwieriger, diese Zeit aus meinem Gedächtnis zu rekonstruieren. Jedoch werde ich es versuchen, so gut ich kann, meine Geschichte zu erzählen, um meinen Nachfahren einen Einblick in mein Leben zu geben, damit sie ihren Vater, Großvater oder Urgroßvater etwas besser kennenlernen. Vielleicht auch, um eine bessere Erkenntnis dafür zu bekommen, was mich denn geprägt hat.