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Ein gespenstisches, atemberaubendes Bild: Zwei große Ladenschaufenster, geborsten, dahinter eine Flammenlohe und dunkler Qualm, der, je nach Laune der Windböen, ins Freie gesogen wurde. Blaulichter, die durch die Nacht zuckten, den Regenschleier färbten und sich auf der nassen Straße spiegelten.

Männer mit leuchtend gelben Helmen und dunklen, gelb reflektierenden Anzügen eilten um die Feuerwehrfahrzeuge herum und bereiteten mit präzisen Aufträgen das Gerät für den Löschangriff vor. Kommandos vermischten sich mit anderen Rufen und alles fand Gehör. Ein Rettungsteam rollte mit Schwung die Wasserschläuche aus, verkuppelte sie mit dem Hydranten und öffnete das erste Ventil. Die rote Schlange reckte und streckte sich, nahm eine pralle Form an, und dann schoss auf „Wasser marsch!“ ein breit gefächerter Wasserstrahl mit hohem Druck in die Flammen. Der andere Trupp legte einen Schlauch links vom Ladengeschäft in den Treppenraum und zu den darüber liegenden Wohnetagen bereit. Hier hatte sich ebenfalls dichter Qualm gebildet. Zwei Mann stiegen unter Schwerem Atemschutz ins Ungewisse hinauf.

Auf der Hauptstraße fraßen sich die Scheinwerfer der Autos stadtauswärts in den Regenschleier. Ein Polizist winkte sie weiter, ehe bei den Fahrern und Insassen Neugier aufkam. Oben, an der Kreuzung, leiteten andere Uniformierte den Verkehr Richtung City nach Eimsbüttel und Eppendorf ab.

Signalhörner waren in der Nähe zu vernehmen, machten Hoffnung auf weitere Hilfe.

Bereits Sekunden später bogen Rettungswagen und Notarzt um die Ecke, hielten in der Straßenmitte, auf der Busspur. Ein Polizist trat an die Fahrzeuge heran und wies Arzt und Sanitäter in die Lage ein.

Die Lederjacken der Polizeikräfte glänzten vor Nässe. Alle hatten ihre Kragen hochgeschlagen, doch die Windböen waren unerbittlich. Zwei athletisch wirkende Beamte trieben die Schaulustigen aus der Gefahrenzone. Immer wieder mischte sich Funkenflug prasselnd in den beißenden Qualm, was Passanten und Anwohner nicht davon abgehalten hat, ihren Weg oder den Schlaf zu unterbrechen. Sie drängten Schritt um Schritt näher heran.

„Weiter zurück mit euch, verdammt!“ Der Polizist breitete seine Arme aus und stemmte sich mit seinem Kollegen den Neugierigen entgegen. Eine kleine Menschentraube war entstanden. Der Regen schien den Leuten nichts auszumachen.

Zwei weitere Uniformierte erschienen zur Unterstützung, fingerten ihre Notizhefte hervor und begannen mit ersten Befragungen. Notierten sich die Personalien, wollten wissen, ob jemand sachdienliche Hinweise geben konnte.

Der Größere von beiden war plötzlich alarmiert, hielt inne. Seine Augen hatten eine hastige Bewegung erfasst. Ohne Verzögerung steckte er seine Utensilien ein und begann beidhändig die Gruppe Schaulustiger zu zerteilen.

„Hej! Hiergeblieben!“

Mit langen Schritten folgte er zwei jungen Männern, die sich unauffällig absetzen wollten. Einen von ihnen bekam er nach wenigen Metern am Ärmel seines grauen Parkas und am darunterliegenden Fleisch zu fassen. Ein kurzer Schmerzensschrei und sofort blieb auch der andere stehen. „Warum so eilig, junger Freund?“ Der Beamte löste seinen Klammergriff und hielt ihnen wortlos die geöffnete Hand entgegen. Die Männer verstanden und fingerten widerwillig ihre Ausweise hervor.

Während er die Personalien notierte, knarzte sein Funkgerät. „Könntest du auch noch den Typen in der schwarzen Regenjacke unter die Lupe nehmen, Ronnie? Drüben, an der Bushaltestelle.“

„Ja, verdammt!“, sprach er genervt ins Mikrophon, während sich an seiner Nase Wassertropfen bildeten. „Ich kümmere mich gleich um ihn.“

Der Einsatzleiter der Feuerwehr hielt über Funk Kontakt zu seinem Angriffs- und Rettungstrupp. Er verhielt abwartend an der Hausfront und versuchte einzuschätzen, ob die Wasserkaskaden Wirkung erzielten.

Im selben Moment tauchten aus dem Hauseingang die ersten Bewohner auf. Feuerwehrkräfte geleiteten sie nach draußen. Ein Mann, eine Frau und drei Kinder. Trotz der weißen Atemschutzmasken husteten sie erbärmlich. Sie hatten sich notdürftig Mäntel und Decken umgehängt. Zwei Rettungssanitäter, die orangefarbenen Parkas eilig übergeworfen, liefen heran und nahmen sie in ihre Obhut. Der Mann gestikulierte wild unter seinen Hustenattacken und deutete zum Haus zurück. „Die alte Dame - - - die alte Dame - - - sie ist zu Hause! Ich weiß es! Ihr müsst die Wohnung aufbrechen!“

„Welche ist ihre Wohnung?“

„Direkt über“ – er hustete und keuchte – „über dem Supermarkt!“

Der Sanitäter rief es dem Einsatzleiter zu, der aber hatte von seinen Leuten längst Kenntnis erhalten und den Befehl erteilt, die Drehleiter in die erste Etage auszufahren. Gerade machte er ein paar Schritte rückwärts und schirmte das Funkgerät gegen den Regen ab. „Geht’s nicht mit der Motorsäge?“ fragte er nach.

„Keine Chance“, krächzte es aus dem Funkgerät, „liegt ein schwerer Stahlriegel hinter der Tür. Kriegen das Loch nicht groß genug!“

„Mann-oh-Mann!", presste er ärgerlich heraus "Die Menschen und ihr verdammter Sicherheitstick!“ Auf diesem Wege würden seine Leute mit ‚Schweren Atemschutz‘ nicht in die Wohnung gelangen, geschweige denn gefahrlos ein Opfer bergen können.

Die Leiter schwenkte zum Gebäude und fuhr beklemmend langsam aus.

Auf der gegenüber liegenden Straßenseite stand seit einigen Minuten ein Kamerateam und hielt sich mit je einer freien Hand eine Plastikplane über den Kopf. Eine Reporterin mit dunkler Kurzhaarfrisur sprach ins Mikro: „Das Feuer ist in den Räumen eines asiatischen Supermarktes ausgebrochen. Wie man sehen kann, brennt das Geschäft in voller Ausdehnung. Da es sich um alte Bausubstanz handelt, sei laut Feuerwehr damit zu rechnen, dass die Zwischendecke der Flammeneinwirkung nicht lange standhält und Rauch und Flammen in die darüber liegende Wohnung vordringen können.

Es heißt, dass in der ersten Etage eine alte Dame eingeschlossen ist. Ihre Wohnung liegt etwas zurück versetzt, so dass die Leiter leicht an der Balustrade angelehnt werden kann. Der Mauervorsprung würde die Rettung der alten Dame erleichtern. Durch das Fenster wird’s also hoffentlich schneller gehen.

Bedenklich ist, dass dort drinnen noch niemand Licht eingeschaltet hat, keine Hilferufe oder Geräusche zu vernehmen sind. Daraus könnte man schließen, dass die Bewohnerin im Schlaf überrascht wurde und es nun auf jede Sekunde ankommt.“

Sie drängte den Kameramann näher an das Geschehen. „Schwenk hinüber zu der geretteten Familie.“

Er folgte der Anweisung und nahm Unfall- und Notarztwagen ins Bild, wo durch die Milchglasfenster schemenhaft Erste-Hilfe-Maßnahmen zu verfolgen waren.

„Eine Familie mit drei Kindern im Alter von sechs bis zehn Jahren konnte soeben aus der zum Hinterhof liegenden oberen Wohnung über das Treppenhaus gerettet werden. Von der Feuerwehr war zu erfahren, dass alle fünf für einen kurzen Moment dem Qualm ausgesetzt waren und man mit einer Rauchgasvergiftung rechnen müsse. Sie werden vorsorglich in das Universitätsklinikum Eppendorf gefahren.“

Die Leiter lehnte an. Zwei Feuerwehrbeamte mit Gesichtsmaske und Sauerstoffflaschen auf dem Rücken hasteten hinauf und kletterten auf das schmale Vordach. Scheinwerfer warfen ihre Lichtkegel auf die Fenster, hinter denen sich noch immer nichts regte.

Derweil waren zwei weitere Rettungswagen vorgefahren. Das Stakkato der Blaulichter hatte dadurch eine noch aggressivere Arrhythmie entwickelt und schien die Dunkelheit zerfetzen zu wollen. Rufe ertönten, das Ehepaar und die Kinder wurden auf zwei Wagen verteilt, die kurz darauf wendeten und stadtauswärts davon fuhren.

Ein Feuerwehrmann hieb mit der Axt auf die Fensterscheibe ein und säuberte den Rahmen von den Splittern. Das Schwarz hinter den Fenstern sog die beiden Retter in die Wohnung, während der Angriffstrupp im Laden darunter erste Erfolge erzielte. Die Flammen loderten lang schon nicht mehr so ausgedehnt.

Die weiße Mütze tief in die Stirn gezogen, den Kragen der Lederjacke bis an die Ohren trat der Polizist an den Mann an der Bushaltestelle heran. Dessen Gesicht lag im Schatten einer übergroßen Kapuze. Er musste schon über fünfzig sein. Seine grau melierten Haare ringelten sich dünn über die hohe Stirn, und der Vollbart war mehr grau als dunkelblond.

„Haben Sie’s nicht mitbekommen? Der Nachtbus….“ der Uniformierte musste gegen Wind und Regen anschreien, „er ist auf die andere Fahrbahn umgeleitet. Dort drüben hält er jetzt!“

„Ich hatte nicht vor, mit dem Bus zu fahren.“

„Aha – dann ist es also das Feuer, an dem Sie Gefallen finden?“ Der Polizist provozierte ihn, weil er Schaulustige nicht ausstehen konnte. „Ich hoffe nicht, am Leid der Opfer, junger Mann.“

„Ich schaue nur dem Ablauf der Rettungsmaßnahmen zu.“

„Bei dem Sauwetter!“ Er legte seine Armbanduhr frei, ohne auf das Ziffernblatt zu gucken. „Um zwei Uhr liegen die vernünftigen Menschen alle im Bett. Wo zu dieser Zeit die Passanten plötzlich herkommen, ist mir einfach ein Rätsel!“ Der Polizist zog ein Notizheft aus der Brusttasche. Es hatte unter der Nässe schon arg gelitten. „Ich muss mir Ihre Personalien notieren.“

„Ich habe nichts Verdächtiges beobachtet.“

„Trotzdem. Haben Sie einen Personalausweis zur Hand?“

„Einen Reisepass.“ Der Bärtige griff in die Jackentasche, zog das Dokument hervor und händigte es aus.

„Daniel Friedländer – mit ‚a-e‘“, las er, notierte den Namen und musste mehrmals ansetzen, weil der Kugelschreiber auf dem feuchten Papier seinen Dienst versagte. „Wo wohnen Sie, Herr Friedlaender?“

„Im Falkenried. Nummer 74.“

„Das ist ja hier in der Nähe“

„Ich sagte ja, es war nicht meine Absicht, mit dem Bus zu fahren.“

Einfach nur ein Spätheimkehrer, der von den vielen Blaulichtern angezogen wurde? Der Beamte wischte sich Regentropfen von seinen Augenbrauen und gab über Funk Friedlaenders Namen zur Überprüfung an das Kommissariat durch. Im selben Moment lenkten aufgeregte Stimmen beider Aufmerksamkeit auf den Brandort. Sie konnten sehen, wie über die Leiter eine Trage auf das Vordach gebracht wurde. Gleichzeitig hoben die zwei Feuerwehrleute unter Pressluftatmung eine kleine weißhaarige Gestalt wie eine zerbrechliche Porzellanpuppe aus dem Fenster. Sie legten sie in kontrollierter Eile auf die Trage, arretierten diese an der Leiter und ließen sie vorsichtig zu Boden gleiten. Notarzt und Rettungssanitäter eilten mit großen Schritten herbei, besprachen sich kurz und wiesen die Kräfte an, die Trage in den Rettungswagen zu schieben. Die Türen wurden zu gezogen. Nur schemenhaft war zu erkennen, wie sie unverzüglich mit Reanimation und Sauerstoffversorgung begannen .

„Mit der alten Dame sieht es ernst aus“, bemerkte der Polizeibeamte wie beiläufig. Dabei beobachtete er die Reaktion des Mannes sehr genau. Friedlaender sah, die Hände in den Taschen, zum Brandort hin. Sein Gesicht verriet nicht die geringste Regung.

Nach endlos erscheinenden Minuten der Notbehandlung wurde endlich der Motor angelassen.

Über Funk wurde der Polizist angesprochen. Er trat ein paar Schritte beiseite, ohne die Zivilperson aus den Augen zu lassen. Er lauschte gespannt, bestätigte die Meldung und steckte das Funkgerät in die Brusttasche zurück.

„Der Regen scheint nachzulassen“, tat Friedlaender kund, als sich der Uniformierte wieder näherte. Dieser sah ihn widerstrebend an. Ihm missfiel der Plauderton. Um ihn zu reizen und ihn besser einschätzen zu können, blätterte er bedächtig den Reisepass noch einmal durch. Viele bunte Stempel, kaum noch eine freie Seite.

„Falkenried ist ja nur ihr Nebenwohnsitz“, bemerkte er schließlich.

„Richtig. Ich wohne in Frankfurt und Frau und Kinder in Hamburg.“

Der Beamte gab ihm das Ausweisdokument zurück. „Eben kam die Meldung durch, dass sie die alte Frau stabilisiert haben. Aber sie ist mehr tot als lebendig. Der Arzt meint, es bestehe Lebensgefahr. Vor allem, weil sie so alt ist.“ Friedländer sah die Straße hinunter zum Brandort, während er den Pass achtlos in seine Jackentasche steckte. Interessiert aber emotionslos verfolgte er, wie der Rettungswagen vorsichtig wendete und mit träger Beschleunigung der Richtung der anderen folgte. Von einer Sekunde zur anderen wandte er sich zum Gehen.

„Einen Moment, Herr Friedlaender. Ihre Telefonnummer brauch‘ ich noch. Sicher wird sich die Kripo mit Ihnen in Verbindung setzen wollen.“


Lodernder Hass

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