Читать книгу Lodernder Hass - Horst Warnatsch - Страница 8

6

Оглавление

Was, um Himmels Willen, war das für eine Vernehmung! Nur ein paar Minuten war es her, dass Bianca Jochens nach Absprache mit Pergande und Henningsen ihren Zeugen ins Parterre, in die Besucherzone gebracht hatte. Anschließend war sie sofort in ihr Büro zurück und hatte die Tür geschlossen. Die anderen Vernehmungen schienen genau so wenig von positiven Resultaten gekrönt.

Nun saß sie hinter ihrem Schreibtisch, starrte zum Fenster und ließ das Gespräch noch einmal nachklingen. Es war wirklich so: Nicht ein fragwürdiger Umstand, den sie Friedlaender hätte vorhalten können. Diesen Mann, der im Rahmen einer Beziehungstat ins Zwielicht geraten war, konnte sie in keinen begründeten Tatverdacht rücken. Schlimmer noch: Sie wurde das Gefühl nicht los, dass Friedlaender sich in ihrer Nähe wohl fühlte. Auf dem unbequemen Vernehmungsstuhl zu sitzen, schien ihm nicht das geringste auszumachen. Ihm war es sogar gelungen, das Blatt zu wenden und ihr mehr Fragen zu stellen als sie ihm.

„Ich sehe in der Brandstiftung auch eine Beziehungstat“, hatte er eingeräumt, „und das erschwert eine Aufklärung ja wohl ungemein, oder? Eine Geschäftsfrau wie meine Schwägerin könnte sich viele Feinde gemacht haben.“

„Ja, dann helfen Sie mir, Herr Friedlaender!“

„Nicht einmal ich kenne all ihre Beziehungen. Ich kenne ein paar Kunden, ich kenne ihre geschäftlichen Gepflogenheiten, aber alles nur oberflächlich. Man kann nur erahnen, wie es in dieser kleinen thailändischen Gemeinde zugeht.“

Bianca konnte ihm nur noch das Zugeständnis abringen, innerfamiliär Nachforschungen anzustellen. Das würde jedoch dauern, weil er morgen Abend schon wieder nach Frankfurt zurückfliege.

Ansonsten interessierte er sich sehr für ihre kriminalistische Tätigkeit und die vielen Fahrzeugbrände, über die in den Medien fast täglich berichtet wurde.

Dann schlug er viel zu auffällig, aber durchaus mit ehrlichem Interesse, einen Bogen zu ihren Fernreisen. Er selbst wäre unausweichlich oft in Thailand und Hongkong gewesen, aber seit er vor einigen Jahren auf dem Rückflug nach Frankfurt die Himalaya-Region überflog und das Tibetische Hochland greifbar nahe unter ihm hinweg zog, wäre es sein erklärtes Ziel, sich genau dort einer Trekking-Tour anzuschließen. „Eine Bekannte bereist mit einigen Freunden häufig von Indien aus die Himalayaregion. Aber bisher hat es bei mir aus Zeitgründen noch nicht geklappt.“ Und dabei machte er eine Fingerbewegung, die Bianca bedeutete, dass eher finanzielle Gründe Ausschlag gebend waren. „Ich wollte unbedingt über Bangalore anreisen“, hatte er dann in einer Weise betont, die ihr eine Flucht aus dem Thema kaum noch möglich machte. Sie wusste genau, was jetzt kam.

„Warum gerade über Bangalore?“

„Wegen der Palmblattbibliothek. Ich habe viel darüber gelesen und wäre wirklich gespannt, ob da was dran ist. Kennen Sie das Geheimnis der Palmblattbibliothek?“

„Ja, ich kenne es. Mein Freund war dort gewesen, ich selbst noch nicht. Er erzählte mir, dass die wichtigen Ereignisse, die sein zurück liegendes Leben betrafen, in alten Redewendungen und in vorzeitlichem Vokabular tatsächlich übereinstimmend aufgeschrieben waren.“ Bianca Jochens hatte gespürt, wie dieses Thema und das gemeinsame Interesse sie aufwühlte. „Mein Freund meinte zwar, dass es einiger Fantasie bedürfe, um die Ausdrucksweise der Mönche von vor über tausend Jahren auf die heutige Zeit zu übertragen, aber genau das sei ihm gänzlich unvoreingenommen gelungen.“

„Ob es dort auch Aufzeichnungen über diese Brandstiftung gibt?“

Das, was sicher spaßig gemeint war, berührte Bianca nicht. „Wenn der Täter Gelegenheit findet, die Bibliothek zu besuchen und sich die Stationen seines Lebens vorlesen zu lassen, wird dieser dunkle Punkt vielleicht erscheinen.“

„Was macht Ihr Freund beruflich?“

Diese plötzliche Kurve in ihrer Unterhaltung irritierte Bianca nur im ersten Augenblick und sie zögerte auch nicht zu verraten, dass er ebenfalls Kriminalbeamter war. Er blieb dabei ja namenlos. „Oliver arbeitet -“ sie verzog gequält das Gesicht; also nicht mehr namenlos, was ihr letztlich aber kein Herzklopfen bereitete, „Oliver arbeitet nur zu fünfzig Prozent, ist drei Monate im Dienst und drei Monate Tourist. Die Stationen seiner Reisen stellt er dann häufig zu einem Lichtbild- oder Filmvortrag zusammen.“

Mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit begann sie, einem unbekannten Zeugen gegenüber ihr Privatleben offen zu legen. Fast mochte sie für sich daraus schließen, dass sie Daniel Friedlaender vertrauen konnte, er also aus privatem Interesse gefragt hatte und nicht, um Schabernack mit ihr zu treiben.

Die Tür öffnete sich einen Spalt und Henningsen steckte seinen Kopf herein. Die Neonbeleuchtung spiegelte sich auf seiner Kopfhaut. „Hey, Bianca, wir setzen uns gleich zusammen. Es gibt einiges zu besprechen.“

„Mach bitte die Tür zu, Stefan, ich brauche noch ein paar Minuten.“

„Alles in Ordnung?“

„Ja und nein.“ In einem ablenkenden Akt schob sie die Papiere mit ihren Notizen zusammen. „Bis gleich, Stefan.“

Sein schmunzelndes Gesicht zog sich wieder zurück, die Tür fiel ins Schloss.

Sie wusste selbst nicht, warum, aber am Schluss der Vernehmung hatte sie Friedlaender gegenüber behauptet: „Ich bin davon überzeugt, dass Sie eine ganze Menge mehr über das Geschäft und ihre Schwägerin preisgeben könnten. Wahrscheinlich würde dann einiges klarer werden“, - und erntete ein unbestimmtes Lächeln. „Ob es Ihnen leichter fallen würde, wenn wir uns nach Feierabend hier um die Ecke im Schweinske darüber weiter unterhielten?“ - Um Himmels Willen, Bianca! Was für eine bescheuerte Idee! - „Ich lad` Sie zum Bauernfrühstück ein.“

Sein Lächeln wurde persönlicher, offener. „Leider bin ich heute familiär eingebunden. Und morgen, tagsüber, werden Sie ja nicht können.“

„Wahrscheinlich nicht.“

„Dann bin ich erst in vierzehn Tagen wieder in Hamburg.“

„Das ist sehr schade.“ Bianca spürte aber, dass sich aus ihrer spontanen Eingebung etwas entwickeln könnte. Vielleicht musste sie nur geduldig sein.

Sie saßen zusammen in Pergandes Zimmer. Gregor und Stefan an ihren Arbeitsplätzen, Bianca blieb nur ein prall gefüllter Umzugskarton, weil sich auf dem einzigen Besucherstuhl jetzt ein Aktenberg stapelte. Sie sahen sich vielsagend an, ehe Pergande das Wort ergriff:

„Ich fürchte, das wird eine ziemliche Rennerei geben, Leute. Uns bleibt nichts anderes übrig, als die Suppe ordentlich umzurühren, die wir uns da eingebrockt haben und müssen sehen, dass wir ein paar Fleischstückchen zu fassen kriegen. Was heißt: Hin zu dem konkurrierenden Asia-Shop und Befragungen im weiteren Umfeld. Ich denke zum Beispiel an das Thai-Restaurant in der City, die Kundschaft, die dort verkehrt, das Personal. Der Laden hat immerhin nachts geöffnet und befindet sich mitten im Milieu.“

„Na ja“, wandte Bianca ein, „zwar mitten in St.Georg, aber das Rotlichtviertel liegt ja auf der anderen Seite der Langen Reihe.“ Sie lächelte tiefgründig. „Vis-à-vis steht sogar eine Kirche.“

Die Kollegen lachten. „Und was ist mit dem Friedlaender?“ wollte Henningsen dann wissen. „Abgesehen von den anderen Schaulustigen war seine Anwesenheit am Brandort ja doch schon irgendwie auffällig.“

Bianca Jochens gab in wenigen Worten die Vernehmung wieder, verschwieg jedoch den privaten Exkurs, der in ihr tiefgreifende Empfindungen ausgelöst hatte. Sie waren noch immer präsent. Sie schilderte ihnen zwar den Gesprächsverlauf mit Friedlaender, musste dabei aber ständig an sein Anliegen denken, unbedingt die Palmblattbiblliothek zu besuchen. Mit seinem Interesse für eine Bibliothek mit Prophezeiungen und dem persönlichen Lebensbuch eines jeden Besuchers befand sich dieser Mann mitten in der Esoterik.

Sie löste sich aus ihrer Gedankenwelt und wurde wieder sachlich. „Dass er mit der Brandstiftung etwas zu tun hat, kann man Friedlaender nicht nachweisen. Er ist zwar auf seine Schwägerin nicht gut zu sprechen, aber daraufhin den Supermarkt abzufackeln, ergibt irgendwie keinen Sinn.“

Pergande wiegte kaum merklich den Kopf. Statt eines Einwandes sagte er: „Dann wäre er auf jeden Fall unser Mann, um die Geschäftsverhältnisse offenzulegen. Denn weder Sriwan Friedlaender noch Yanqiu Kramer haben mit offenen Karten gespielt.“ Er sah seinen Kollegen an: „Nicht wahr? - die Inhaberin sehr zurückhaltend, weil sie ihre Schwester nicht in etwas verwickeln will, was vielleicht gar nicht mit unserem Fall zu tun hat, oder weil sie über Einzelheiten selbst nicht genau informiert ist. Und die Kramer halte ich einfach für abgebrüht, nicht unbedingt für kriminell, aber eben so, wie Geschäftsleute abgebrüht sein können.“

„Das heißt, Bianca, wir haben momentan sehr wenig, um den Fall zügig aufzuklären.“ Nebenbei nahm Stefan die Fernbedienung zur Hand und schaltete seine Musikanlage aus, an der die Leuchtdioden rhythmisch zuckten. Er lehnte sich zurück. „Ein bisschen haben wir gehofft, dass du Friedlaender auf unsere Seite ziehen würdest.“

„Ich glaube, dass genau das gelingen könnte“, erwiderte Bianca nachdenklich, „in der Familie stimmt es nämlich ganz und gar nicht. Nur scheut er sich glaub’ ich noch, seiner Frau zuliebe ihre Schwester zu denunzieren.“

„Wenn er aber morgen wieder nach Frankfurt fährt, bleibt nicht viel Zeit“, gab Henningsen zu bedenken.

Bianca erhob sich vom Umzugskarton und stützte sich auf Pergandes Schreibtisch. „Vorausgesetzt, ihr könntet mich morgen entbehren, würde ich mich zur Mittagszeit nochmal mit Friedlaender treffen.

„Aha...!“ kam es von Stefan, der aber dem ‘Aha’ mit seinem Lächeln die Bedeutung nahm. „Wenn er außerhalb der Büroatmosphäre redseliger ist, soll es uns recht sein, was, Gregor?“

Im Stadtteil Hoheluft, zwischen Eimsbüttel und Eppendorf gelegen, standen großflächig noch Wohnhäuser aus der Gründerzeit. Dort, wo die Bomben des Zweiten Weltkriegs Lücken gerissen hatten, waren neuere Gebäude errichtet. Die Hoheluftchaussee hatte damals besonders viele Wunden davon getragen, war in den vergangenen Jahrzehnten im Zuge der Modernisierung einem ständigen Wandel unterworfen. Die Architekten waren bei der Neugestaltung mit dem Feingefühl von Individualisten vorgegangen, um den ursprünglichen Charakter der Wohn- und Einkaufsmeile zu erhalten und gleichzeitig neuzeitliche Vorstellungen von Zweckmäßigkeit nebeneinander existieren zu lassen. Pergande erinnerte sich, weil seine Großtante früher ein paar Straßen weiter zu Hause war. In dem abgebrannten Asia-Markt war damals ein kleines Kino untergebracht, an der Ecke Eppendorfer Weg das flache Gebäude einer Polizeirevierwache, wo heute ein modernes Wohnhaus stand. Der Bauherr hatte sich damit einverstanden erklärt, zum angrenzenden alten Gebäude entgegen ursprünglicher Planungen einen Abstand zu lassen, weil man bei den Vorbereitungen ein Reklamegemälde aus den zwanziger Jahren an der Seitenwand entdeckte: Fünf Zwerge, die Dr. Thompson’s Bleichmittel „Seifix“ anpriesen.

Das alles musste Henningsen sich anhören, als sie bei Rot an der Ampel Eppendorfer Weg zu warten hatten.

Inzwischen standen sie vor einem Asia-Shop, der eine deutlich kleinere Verkaufsfläche hatte, als der Supermarkt von Sriwan Friedlaender. Vor dem Geschäft, unter einer Markise, waren Kisten mit exotischem Gemüse ausgestellt. Und drinnen verloren sich ein paar Kunden zwischen den schmalen Regalreihen. Etwa hundertsiebzig Meter trennten die beiden Märkte. Inhaber hier war ein Pakistani, wie Pergande vorher noch mit einem Anruf beim Gewerbeamt geklärt hatte. Mit der Polizei hatte der Mann selbst bisher nichts zu tun gehabt.

Im Abstand von einigen Sekunden betraten sie den Laden, spiegelten Interesse für das Warenangebot vor und ließen sich den würzigen und süßen Wohlgeruch Asiens um die Nase wehen. Sie wurden vom Personal schon wenig später interessiert beäugt, aber die beiden Pakistani mittleren Alters waren zu sehr damit beschäftigt, Kartons aufzureißen und Dosen und eingeschweißte Gewürze einzusortieren; die Frau am Tresen führte mit ausladender Gestik ein Kundengespräch. Einer der Männer - braunhäutig, braunäugig, schwarz gelockt und mit grobporigem Gesicht - löste sich vom Boden und trat auf Pergande zu. „Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Akzentfreies Deutsch.

Pergande, dem man mit einiger Fantasie türkische Wurzeln in den Stammbaum dichten könnte, setzte Kennermiene und ein Lächeln auf. “Ich mache mich gerade mit Ihrem Angebot vertraut.“

„Bitte schön.“ Der Verkäufer vollzog eine einladende Geste.

Pergande ging sofort in die Offensive. „Ich wusste gar nicht, dass es Sie hier gibt.“

„Wie das?“ Der andere war sichtlich erstaunt. „Unser Geschäft gibt es schon seit 15 Jahren.“

„Ich habe immer in dem Asia-Markt weiter oben eingekauft.“

Der zweite Verkäufer, etwas jünger als der andere, hatte sich beinahe unbemerkt hinzu gesellt. „Der hat dort erst vor gerade mal zwei Jahren eröffnet.“ Seine Gesichtszüge waren ähnlich, seine Haut aber reiner, und ein schmaler Bartstrich zog sich an Kieferknochen, Kinn und Oberlippe entlang. Wahrscheinlich waren sie Brüder. Er stand provozierend breitbeinig da und wischte sich die Hände in einem karierten Tuch.

„Aber er ist größer und die Beschilderung etwas auffälliger.“

„Dafür sind die Waren viel zu teuer.“ Er wischte seine Hände immer noch. Pergande schoss einen Moment durch den Kopf, dass er vielleicht gerade dabei war, Spuren von Qualm zu entfernen, die ihn als Brandstifter entlarvt hätten, musste dann aber innerlich über diesen Gedanken schmunzeln.

„Spionieren Sie sich denn gegenseitig aus?“

„Das ist doch normal. Wir haben uns über ihr Angebot informiert. Die Frau vom Asia-Markt war ziemlich sauer darüber.“ Dann erstrahlte sein Gesicht in einem breiten, glänzenden Lächeln. „Aber welchen Wunsch können wir Ihnen denn jetzt erfüllen?“

„Wahrscheinlich sind Sie froh darüber, dass der lästige Konkurrent jetzt weg ist, richtig?“

Sein Lächeln erstarb jäh. „Warum sagen Sie das?“ Eine steile Falte entstand über seiner Nasenwurzel, als das Misstrauen in ihm wuchs.

Pergande grinste provozierend. „Nur so. Interessehalber. Dass ein ganzer Supermarkt abbrennt, kommt ja nicht alle Tage vor.“

„Oh nein!“, rief der jüngere Pakistani aus, und Knobigeruch kam aus seiner Richtung, „das Geschäft war doch kein Konkurrent für uns! Die Frau von da oben war viel zu hochnäsig und eingebildet. Sie hat ihr Ding gemacht, mit Lieferservice und so weiter, wir sind für die Laufkundschaft ja viel preiswerter und kommen damit bestens über die Runden. Die Laufkundschaft hat die wahrscheinlich gar nicht interessiert. Oder sie hatte keine Ahnung vom Geschäft.“ Ärger lag in seinem Blick, als er über Pergandes Gesicht flog. „Sie sind vom Ordnungsamt, hab ich Recht?“

Pergande begegnete ihm jetzt mit einem heiteren Gesichtsausdruck. „Ich frage zu viel, nicht?“

„Und Sie haben noch nie asiatisch gekocht.“

Damit hatte er Recht. Pergande klappte seine Brieftasche auf, hielt dem Pakistani den Dienstausweis unter die Nase und nannte seinen Namen. „Das ist mein Kollege, Herr Henningsen“, stellte er Stefan vor, der in dem Augenblick mit einem gewinnenden Lächeln hinzu kam.

„Wir können unsere Herkunft einfach nicht verheimlichen“, stellte er mit eingeübter Verlegenheit fest.

Der ältere Pakistani sagte in seiner Landessprache etwas zu dem jüngeren, lachte und legte dabei zwei gelbe Zahnreihen frei.

„Was führt Sie nun zu uns? Doch wohl nicht die Frage, ob wir einen ungeliebten Konkurrenten ausgeschaltet haben könnten.“

„Nein, auf gar keinen Fall“, erwiderte Pergande mit übertriebener Betonung, „wir wollten nur etwas plaudern und mal hören, was man sich hier in der Geschäftswelt so erzählt.“

Die ältere Frau, vielleicht die Mutter ihrer Gesprächspartner, hatte den Tresenbereich verlassen und bediente eine junge Kundin, die eine Kinderkarre durch den schmalen Gang bugsierte, während gerade zwei Asiatinnen den Laden betraten. Der Pakistani mit dem Designer-Bart zog sich mit einem entschuldigenden Lächeln zurück und trat auf sie zu, um sie nach ihren Wünschen zu fragen.

„Sie beide sprechen auffallend gut Deutsch“, merkte Henningsen an. Sein Tonfall war dabei so unverfänglich, dass sogar den Pakistani Zweifel kommen mochten, wer sie waren und in welcher Mission sie sich in dem Geschäft aufhielten.

„Natürlich. Mein Bruder und ich sind in Hamburg geboren. Auch unsere Eltern sind seit Jahren im Geschäft. Haben in Barmbek einen Supermarkt.“

„Ich dachte, die ältere Dame dort wäre Ihre Mutter“, gestand Pergande.

„Eine Bekannte meiner Mutter. Hilft ab und zu aus, spricht aber nicht gut Deutsch.“

„Das Geschäft läuft also gut - ab heute vielleicht sogar noch besser - und der Asia-Markt war kein Konkurrent.“ Pergande nahm wahllos eine Konservendose aus dem Regal und studierte das Etikett. „Das sind ja alles chinesische Schriftzeichen. Wie soll einer wissen, was die Dose enthält?“

„Auf dem Deckel gibt es einen Aufkleber mit der Übersetzung.“

„Aha.“ Er drehte sie hin und her, machte sich aber nicht die Mühe zu lesen, weil die Schrift zu klein war und seine Brille bei der etwas schwachen Beleuchtung nicht ausreichte. Pergande stellte die kleine Konserve ins Regal zurück. „Aber man kann es essen...?“

„Sauergemüse. Für einen kleinen Imbiss zwischendurch. Mit Jasminreis sehr schmackhaft.“ Man konnte dem älteren Pakistani ansehen, dass er langsam unruhig wurde. Immer wieder fuhr er mit seiner Hand in die aufgestapelte Ware, um die Tüten, Dosen und Kartons ohne Notwendigkeit akkurat auszurichten. Henningsen vermutete, dass er einfach nur zu arbeiten hatte. Ohne die Kriminalbeamten anzusehen, sagte er: „Natürlich muss man besser sein, wenn zwei Geschäfte für asiatische Lebensmittel so dicht beieinander sind, man kann sich aber auch ergänzen. Die Frau von dort oben wäre dazu bestimmt nicht bereit gewesen. Sie war richtig unfreundlich, feindselig, aggressiv, als wir uns mit Mutter in ihrem Geschäft umgesehen haben. Vielleicht, weil wir nichts gekauft haben.“ Jetzt wandte er sich wieder zu ihnen um. „Von anderen Kunden haben wir übrigens ähnliches gehört: Zehn bis zwanzig Prozent teurer, als in anderen Märkten, wenig Kundschaft, einige Tiefkühlware, bei der das Verfalldatum überschritten war - über kurz oder lang wäre der Laden pleite gegangen. Das ist meine Meinung. Den Asia-Markt brauchten wir als Konkurrent wirklich nicht zu fürchten.“

Während sich Pergande und Henningsen im Geschäft aufgehalten haben, hatte es draußen leicht geregnet. Die Straße war nass und spiegelte nun die aufreißende Wolkendecke wider.

Wieder im Freien, tauschten die beiden vielsagende Blicke aus. Den alltäglichen Berufsverkehr auf der Hoheluftchaussee nahmen sie nur am Rande wahr. Alle paar Minuten der schwere Dieselmotor eines Doppelgelenk-Linienbusses, irgendwo immer, nah oder fern, das Martinshorn eines Polizei- oder Rettungswagens, die unterschiedlichen Schrittfrequenzen der Passanten.

„Genau so, wie wir es Herbert heute Morgen schon prophezeiht haben“, bemerkte Henningsen angestoßen.

Pergande zog seine dunkelblaue Strickmütze, die er in der Jackentasche stecken hatte, über den spärlichen Haarwuchs. „Ich habe irgendwie nichts anderes erwartet. Und weißt du, was das Schlimmste ist?“

„Sag’s mir.“

„Wenn wir über den Daniel Friedlaender nicht weiter kommen, glaube ich kaum, dass der Fall zu klären ist.“

„Das sehe ich nicht so, Gregor“, widersprach ihm Henningsen, „wir stehen ja gerade an Anfang.“

Pergande vermochte die Erfahrung aus 23 Jahren Kriminaldienst in die Waagschale zu werfen. Sie schlug sich mit der ganzen Last in seinem Augenausdruck nieder, als er seinen Kollegen forschend ansah. „Worum wollen wir wetten?“

„Vergiss es!“

Ihr Telefon schlug an. Bianca nahm den Hörer ab und vergaß, auf das Display zu sehen. „Jochens.“

„Jörn Naumann“, meldete sich eine etwas träge Stimme, „da habt ihr uns ja eine ziemliche Sauerei zukommen lassen.“

„Aha, und Du bist der Glückliche, dem jetzt das ganze Büro voll muffelt.“

Der Kollege von der Abteilung für Wirtschaftskriminalität.

„Hab mich mit den ganzen Verbrennungsrückständen in einen Kellerraum verzogen.“

„Wo du mit Overall und Atemschutz am Auswerten bist.“

„Natürlich“, kam es gedehnt. „Ich schaue mir alles noch etwas genauer an, Frau Jochens, aber ein erstes Statement kann ich Dir schon abgeben.“

„Das ist super.“ Bianca zog den Collegeblock zu sich heran. „Hast du etwas Verdächtiges heraus gefunden?“

„Für mein Ressort schon mal gar nicht.“ Und nach einer Kunstpause: „Aber aus den Überresten kann man erkennen, dass die Buchhaltung hunds-mi-se-rabel gehändelt wurde. Nicht einmal den Betrieb eines Kaugummiautomaten wird man dem Finanzamt so präsentieren können.“

„Eines Kaugummiautomaten...“ Bianca verkniff sich ein Lachen. „Hast Du etwas erkannt, das mit einer Brandstiftung im Zusammenhang stehen kann?“

„All' diese verkohlten Unterlagen.“

„Du weißt, was ich meine!“

Würde Naumann nicht so schleppend sprechen, wäre das Telefonat sicher in der Hälfte der Zeit abzuwickeln.

„Nach dem gegenwärtigen Stand meiner Auswertungen würde ich sagen, nein. Vor mir liegen die Fragmente von Vorsteueranmahnungen, Rechnungen von holländischen Lieferanten, Tankquittungen, Rechnungen vom Asiamarkt an kleinere Geschäfte in Stade, Bargteheide, an ein Restaurant in Lauenburg, allerlei Aufstellungen vom Steuerberater und dann noch ein Brief vom Steuerberater, in dem eine Sriwan Friedlaender um einen Ortstermin gebeten wird. Der Steuerberater könne nur dann für eine optimale und zeitgerechte Steuerabwicklung sorgen, wenn er sich im Geschäft selbst einen Überblick verschaffen kann. Gleichzeitig bietet er an, die Buchhaltung zu übernehmen.“

Eine Pause entstand.

„Das ist alles?“ hakte Bianca nach.

„Viel Kleinkram liegt hier noch, viel Unleserliches. Kann man kriminaltechnisch zum Teil vielleicht aufbereiten, aber das wird den Aufwand nicht lohnen. Ich sage Dir, Frau Jochens: Der Geschäftsführung fehlt es an jeglicher Erfahrung. So kann man in einer Seitengasse von Shanghai einen Kochtopf betreiben, aber ein Supermarkt geht in Deutschland, so geführt, unweigerlich vor die Hunde.“

Bianca machte Notizen und schüttelte dabei den Kopf. Sie musste an Daniel Friedlaender denken.

„Bist du noch am Apparat?“

„Habe fleißig mitgeschrieben.“

„Ich schaue bei Gelegenheit weiter durch. Wenn ich was Auffälliges entdecke, hört ihr von mir. Ansonsten kommt von mir nur ein Vermerk.“

„Großartig, Jörn, ich werde dich für eine vorzeitige Beförderung vorschlagen.“

„Bloß nicht. Nachher muss ich noch Verantwortung übernehmen.“

Bianca grinste. Dann war die Verbindung unterbrochen.

Sie starrte danach etwas ratlos auf den Apparat und fragte sich, ob die Brandstiftung mit einer miserablen Geschäftsführung zusammenhängen konnte. Sie beantwortete ihre Frage mit einem Nein. Verbrannte Rechnungen der Lieferanten ließen sich neu erstellen und dem Mietersparnis bis zur vollständigen Renovierung stand der Geschäftsausfall gegenüber. Es sei denn, der Geschäftsausfall wurde durch einen Versicherungsschutz aufgefangen. Das mussten sie bei Yanqiu Kramer noch erfragen.

Daniel Friedlaender. Sie suchte nach der Seite, wo sie seine Mobilfunknummer notiert hatte. Sie tippte dann die Nummer ein und wurde mit einer automatischen Ansage in die Mobilbox geleitet.

Ohne zu zögern hinterließ sie ihre Nachricht: „Nochmal Bianca Jochens, Kripo Hamburg. - Hallo, Herr Friedlaender. Morgen, 12 Uhr, ein Bauerfrühstück im Schweinske. Im Jahnring, gegenüber den Sportplätzen. Ausflüchte lasse ich nicht gelten.“

Lodernder Hass

Подняться наверх