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Montag, 5. März, Frühbesprechung Im Präsidium. Thematisiert wurden die Ereignisse vom Wochenende und die Entwicklung in den laufenden Ermittlungsverfahren. Während Kaffeeduft durch den Aufenthaltsraum zog und Müsli, Joghurt und belegte Brötchen aus der Kantine verzehrt wurden, referierte Thorsten Romeike, Leiter des LKA 45, über kleinere Brandereignisse in den Zentraldirektionen, welche ihre Zuständigkeit zwar nicht unmittelbar berührten, aus denen sich aber mitunter Serienzusammenhänge herausbilden konnten. Romeike schaute dabei wie jemand, der zu reden gewohnt ist, von einem zum anderen, um sich der Aufmerksamkeit gewiss zu sein, bevor er ihnen die ernsten Neuigkeiten unterbreitete.

Trotz großer Polizeipräsenz und schlechter Witterung kam es in der Nacht zum Sonntag wieder zu fünf zusammenhängenden Kfz-Bränden, Sachschaden über 200.000 Euro. Wie jeder wusste, dauerte die Serie mit Unterbrechungen bereits seit dem Sommer vorletzten Jahres an und zehrte an den Kräften der uniformierten Kollegen und Zivilfahnder. Zuletzt waren über Hamburg verteilt Nacht für Nacht 150 Polizeibeamte zusätzlich auf den Straßen, während die Täter ihren Vorteil stets in der Begehungsweise fanden. Sie setzten im Schutz der Dunkelheit auf den Autoreifen Grillanzünder in Brand. Wenn die Flammen mit größerer Verzögerung sichtbar wurden und auf Reifen und Karosserie übergriffen, waren die Delinquenten längst untergetaucht. Dem Ermittlungsteam um Pascal Matzel blieb immer nur die Hoffnung auf eine glückliche Fügung. Romeike warf ihm einen traurigen Blick zu. Im neuen Fall schien es diese wieder nicht zu geben.

Matzel, mit seinen langen, zu einem Zopf gebundenen grau-schwarzen Haaren und dem schelmischen Blick, nahm das Ganze ruhig und entspannt zur Kenntnis. Wie er andeutete, würde er am liebsten alle Besitzer von Luxuskarossen in die Pflicht nehmen und sie Selbsthilfegruppen organisieren und Streife laufen lassen. Sagte es mit ernstem Gesichtsausdruck, ohne es aber wirklich ernst zu meinen.

Während seine Leute sich über die Kfz-Brände die Köpfe heiß redeten und konstruktive und überzogene Ideen in die Diskussion warfen, streute Romeike Pfeffer auf sein Mettbrötchen und biss genussvoll hinein, ohne dass ihm etwas Wichtiges entging. Er würde sich mit Matzel später noch zusammen setzen.

Thorsten Romeike war von schlanker Gestalt und überragte selbst im Sitzen noch viele von ihnen. Kurz geschorenes graues Haar und unantastbares, zielgerichtetes, loyales Auftreten zeugten von einem Kriminalrat alter Schule. Freundliche, lausbubenhafte Augen hinter der randlosen Brille machten die Distanz in der Hierarchie aber immerhin erträglich.

Die Personalpolitik wollte es, dass Romeike die "Brandermittlung" übernahm, ohne über die Materie im Detail informiert zu sein. Als seine administrativen Pflichten es zwei oder drei Mal gestatteten, war er in seinen „Blaumann“ gestiegen, hatte sich einem Team angeschlossen und mit der Atemschutzmaske vor dem Gesicht in die Geheimnisse eines Brandortes einweisen lassen..

In einer Gedankenpause wischte er ein paar Brotkrumen von seinem dunkelgrauen Rollkragenpulli und ließ seinen Blick zu Pergande schweifen. „Euch hat’s ja nun auch ganz bös’ erwischt. Kannst du uns kurz die Fakten schildern, Gregor? Habt ihr schon einen Plan?“

Seine Augenbrauen wölbten sich, als wollte Pergande eine Posse zum Besten geben, aber er blieb angemessen ernst und kam rasch auf das Wesentliche: „Wir haben es hier unzweifelhaft mit einer Beziehungstat zu tun. Der Täter wollte den Asia-Markt brennen sehen. Aber wie's leider so ist: Unsere ersten Ermittlungen haben absolut kein beweisbares Motiv ergeben. Also haben wir uns auf die Spurensicherung beschränkt und machen heute weiter.“

„Und wie ist die Spurenlage?“

„Äußerst beklagenswert! Am Brandort selbst nur die Spuren, die uns die Tatausführung beschreiben. Wir haben rings um das Objekt jeden Quadratmeter in Augenschein genommen. Aber nichts gefunden, was man auch nur annähernd mit dem Täter in Verbindung bringen könnte. DNA-Spuren natürlich auch Fehlanzeige.“

„Lag vielleicht irgendwo ein Benzinkanister herum?“

„Nein. Weder geschmolzene Überreste noch als Spurenträger außerhalb des Objektes. Der Täter wusste einfach, wie er uns das Leben schwer macht.“

Herbert Eklund, Romeikes Stellvertreter, hatte aufmerksam zugehört und sich reihenweise Notizen gemacht. Er war bei den Kollegen als Theoretiker wohlgelitten und bevorzugte Computerprogramme, statistische Erhebungen und Schulweisheiten aus Kriminalistik und Kriminologie, um den Delinquenten auf die Spur zu kommen „Hättet ihr am Samstag nicht dem Konkurrenzunternehmen schon mal auf den Zahn fühlen können?“ Sein akkurates Äußeres, seine kurzen, schwarzen Locken und der sorgfältig gestutzte Bart verliehen seinem Äußeren eine sportlich-adrette Erscheinung. „Ihr solltet nie vergessen: Je mehr Zeit nach einem Verbrechen verstreicht, desto geringer ist die Chance, den Fall aufzuklären.“

„Herbert -“ Pergande setzte seinen väterlichen Blick auf, „welchen Erfolg hätten wir da erwarten können? Einen Konkurrenten, der zugibt, seine Finger im Spiel zu haben? - 'Oh ja, der Asia-Markt musste dort verschwinden. Uns sind nämlich schon die Kunden ausgeblieben?“

„Dass du nun so reagierst, Gregor, finde ich nicht gut.“ Eklund war sichtlich angestoßen. „Ihr habt die Geschädigten aufgesucht, also hätte ein Besuch bei dem anderen Geschäft nicht geschadet.“

„Geschadet nicht, aber er hätte uns nicht weiter gebracht. Außerdem hatten wir genug damit zu tun, die Geschäftsunterlagen einigermaßen heil ins Trockene zu bekommen.“

„Wir sind auch der Überzeugung, Herbert, dass ein Konkurrent nicht das Wagnis einer Brandstiftung eingeht“, mischte sich Stefan Henningsen mit ein, „da gibt es viel subtilere Methoden, die auch nicht gleich ein Verbrechenstatbestand sind.“ Er kippelte mit dem Stuhl zurück und verschränkte die Hände auf dem Bauch. „Nein, da ist irgendetwas anderes im Gange. Wir haben ja nachher die Geschäftsinhaberin, ihren Mann und ihre Schwester, die Geschäftsführerin zu Besuch. Vielleicht wissen wir nach den Vernehmungen mehr.“

„Der Supermarkt ist ein Einzelhandel“, hakte Romeike nach, „keine Gesellschaft, richtig?“

„Genau“, bestätigte ihn Henningsen, „also die Managerin, wenn du so willst. Keine Geschäftsführerin im zivilrechtlichen Sinne .“

„Dann wäre es sicher interessant zu erfahren, warum nicht die Schwester Inhaberin ist. Sie haben doch beide die Deutsche Staatsangehörigkeit, war’s nicht so?“

„Stimmt, Thorsten. Die Schwester lebt übrigens schon seit 1981 in Deutschland. Wir haben sie am Samstag noch kennen gelernt. Die Verständigung war so schlecht, dass wir heute zur Vorsicht eine Dolmetscherin hinzu gezogen haben. Uns ist es ein Rätsel, wie sie Supermarkt und Restaurant auf die Beine stellen konnte.“ Henningsen kippte mit dem Stuhl wieder nach vorn. „Wir werden eine ganze Menge Fragen zu stellen haben.“

Mit Gregor Pergande und Stefan Henningsen hatte das Schicksal zwei Kriminalbeamte in ein gemeinsames Büro gespült, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten.

Die Wand auf Gregors Seite war bis auf eine Magnettafel mit zahllosen Notizzetteln und Visitenkarten vollkommen kahl. Dazu standen noch vier Umzugskartons vor dem Fenster zum Innenhof. Sie bedeuteten nicht, dass er erst vor kurzem an das LKA 45 gewechselt ist, sondern zeugten von seiner Gewissheit, dass irgendwann ohnehin wieder Veränderungen bevorstehen würden. Auf seinem Schreibtisch bildeten Ermittlungsakten, Fotodokumentationen und Gutachten der Kriminaltechnik ein Chaos, das nur er selbst beherrschte.

Die Wand hinter Stefans aufgeräumtem Arbeitsplatz zierte ein großes Fotoposter, das ihn selbst und einen befreundeten Cop aus Los Angeles braun gebrannt vor einem Patrol Car abbildete. Im Hintergrund Palmen, Strand und buntes Treiben in Santa Monica. Er hatte den US-Kollegen vor zwei Jahren anlässlich eines Polizeisport-Events kennengelernt. Auf dem Aktenschrank neben der Tür hatte Stefan eine kleine Stereoanlage aufgebaut, die er nur dann betreiben konnte, wenn Gregor unterwegs war.

Jetzt saßen sie mit Bianca Jochens zusammen und planten die Vernehmungsstrategie, die damit anfing, wer von ihnen wen befragen sollte. Weil sie von einer Beziehungstat ausgingen, waren die Aussagen von Daniel und Sriwan Friedlaender, sowie ihrer Schwester, Yanqiu Kramer, gleichermaßen bedeutsam. Seine Anwesenheit nahe des Brandortes machte Daniel Friedlaender für sie besonders interessant, und wirklich überzeugend hatte er sie vorgestern Morgen nicht erklären können. Daher wollte Gregor ihn befragen. Es war sein Ermittlungsverfahren und dem entsprechend wäre es seine Entscheidung. Doch Bianca Jochens war der Meinung, dass sie mit Einfühlungsvermögen und weiblicher Intuition vielleicht mehr erreichen würde. Und Pergande und Henningsen könnten sich mit den beiden Frauen befassen.

Henningsen grinste. „Dann vernehme ich Frau Friedlaender.“ Mit diesen Worten wandte er sich augenblicklich Bianca zu und schlechtes Gewissen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Seine Kollegin verdrehte gequält die Augen und schüttelte kaum merkbar ihren Kopf.

„Seit ich bei der Polizei bin, reißen sich die männlichen Krimsches um hübsche Frauen. Ich war früher an einer Dienststelle, da wurde um die Vernehmung einer bildhübschen Zeugin gewürfelt!"

„Bianca...“ Pergande legte den Kopf schief und überlegte, ob seine Kollegin ernsthaft angestoßen war. „So ist das bei uns ja nun wirklich nicht. Aber wenn ich jetzt bestimme, ich vernehme Sriwan Friedlaender, höre ich dich sagen, ich sei verheiratet.“

„Was für eine Unterstellung, Gregor.“

„Lass uns jetzt konkret werden“, ging Henningsen mit ernster Miene dazwischen, die aber rasch wieder einem Lächeln wich, „in zehn Minuten kommen sie alle, und wir haben noch nichts besprochen.“

„Seid ihr nicht mit mir einer Meinung, dass es für uns in diesem Stadium noch gar nicht so viel zu besprechen gibt?“ Pergande sah sie beide an und biss sich nachdenklich auf die Unterlippe. „Wir müssen zunächst die Geschäfts- und Familienverhältnisse klären. Und was Thorsten vorhin sagte, war zwar nicht ganz unwichtig, aber für unser Verfahren wird's zunächst uninteressant sein, warum Sriwan Friedlaender Inhaberin und Yanqiu Kramer die Macherin ist.“

„Unsere Aufgabe ist es, die Drei auf die Beziehungstat hin anzubohren und auf Widersprüche zu achten“, wandte Bianca ein und zupfte an dem farbenfroh gemusterten Seidenschal, der zwischen ihrem rotbraunen Haar und dem mintgrünen Pulli leger um den Hals gewickelt war. „Dabei glaube ich gar nicht mal, dass Daniel Friedlaender unbedingt unser Hauptverdächtiger ist. Ich glaube, so bescheuert ist kein Brandstifter, dass er abseits von den Schaulustigen stehen bleibt und sich seelenruhig überprüfen lässt, obwohl es durch sein Feuer zu Opfern gekommen ist.“

„Wir legen uns ja auch noch gar nicht fest“, bestätigte Henningsen seine Kollegin, gerade als an die angelehnte Bürotür geklopft wurde.

„Wir müssen nur zusehen, dass wir aus dem Beziehungsgeflecht ein Motiv herausarbeiten können“, konstatierte Pergande rasch, schritt zur Tür und zog sie auf. Dort stand, höflich und zurückhaltend lächelnd, eine Asiatin mittleren Alters, mit kurzem dunklen Haar, dunkler Brille und dunklem Mantel.

„Ich bin Jiratchaya Bruhns, Ihre thailändische Dolmetscherin.“

Henningsen hatte sich mit Sriwan Friedlaender in das Büro von Maike Schmidt und Sammy Saalfeld zurückgezogen, weil die beiden zu gemeinsamen Außenermittlungen aufgebrochen waren. Die Thailänderin war - da legte er sich bei gleißender Bürobeleuchtung einfach fest - von chinesischer Abstammung und sie sah, da sie ihr Gesicht dezent aber gekonnt geschminkt hat, äußerst reizvoll aus. Sie bestätigte ihm in ihrer höflichen Art, dass ihr Großvater Anfang des vorigen Jahrhunderts aus politischen Gründen aus China ausgewandert sei. Er erfuhr weiter, dass ihre Familie in Bangkok Geschäftsleute sind und sich die beiden Frauen hier in Deutschland nach einem miserablen Start vorgenommen hätten, sich irgendwann nicht mehr ausbeuten zu lassen und sich selbständig zu machen. Henningsen konnte sie, auch wenn ihre Formulierungen mitunter etwas gewöhnungsbedürftig waren, gut verstehen.

„O.k., Frau Friedlaender, nur zum besseren Verständnis: Sie sind im Handelsregister als Inhaberin eingetragen, aber Ihre Schwester ist diejenige, die den Laden schmeißt.“ Er bereute diese flapsige Formulierung, kaum dass er sie ausgesprochen hatte.

Prompt sah sie ihn etwas irritiert an. „...den Laden schmeißt?“

„Die das Geschäft führt, hätte ich besser sagen sollen.“

Was hätte Henningsen dafür gegeben, ihre Gedanken lesen zu können! Er konnte nicht erkennen, ob sie überlegte, wie sie antworten oder was sie verschweigen sollte.

„Meine Schwester schon vor 12 oder 13 Jahren hierher gekommen. Erst nach Norderstedt und dort sie Geschäft aufmachen -“

„Auf ihren Namen? Yanqiu Kramer?“ hakte Henningsen sofort nach.

„Nein. Auf meinen Namen.“

„Aber warum?“

„Ist das denn wichtig?“

Henningsen lächelte. „Na ja, nicht direkt.“ Er unterbrach sich und schaute aus dem Fenster, wo in der Verglasung sein Spiegelbild zu sehen war. Auch in den Büros, die seinem Fenster gegenüber lagen, wurde gearbeitet, was man Kriminalbeamten auf die Entfernung aber nicht unbedingt ansehen konnte.

Natürlich musste sie auf diese Frage nicht antworten, immerhin waren sie Geschwister. Vielleicht gab es irgendetwas Belastendes zu verschweigen, was nicht einmal mit diesem Fall zu tun haben musste. „Um herauszufinden, wer die Brandstiftung begangen hat, kann jede Einzelheit wichtig sein.“

„Ob ich für das Geschäft meinen Namen gegeben, trotzdem meine Schwester ihr Geschäft, das, ich glauben, ist nicht wichtig“, erwiderte sie höflich aber bestimmt.

Henningsen erfuhr, dass Yanqiu Kramer, wie auch Sriwan Friedlaender selbst, ursprünglich in Frankfurt gewohnt hatte, von wo sie nach ihrer Scheidung fortgezogen war. Sie sei einige Monate kreuz und quer durch Deutschland gereist, ohne irgendwo sesshaft zu werden. Durch Beziehungen unter Landsleuten sei sie in Norderstedt an ein kleines Geschäft für asiatische Lebensmittel herangekommen, das jedoch nicht gut lief und sich nur durch einen Lieferservice an Restaurants halten konnte. Sie selbst habe Frankfurt mit den Kindern ein paar Monate später verlassen, um ihre Schwester zu unterstützen. Sie habe mit ihrem Arbeitgeber einen dreijährigen Erziehungsurlaub ausgehandelt, weshalb der Umzug überhaupt möglich wurde.

„Sie gehen zusätzlich also einer unselbständigen Arbeit nach.“

„Ich arbeiten bei der Lufthansa, in Personalkantine.“

„Aber als Geschäftsinhaberin haben Sie doch die ganze Verantwortung. Die Behördenangelegenheiten, die Buchhaltung für den Supermarkt und das Restaurant. Und Ihre drei Kinder.“

„Supermarkt und Restaurant gehören meiner Schwester. Sie erledigen alles allein.“

„Und das gibt keine Probleme?“ Henningsen sah sie an und schüttelte ungläubig den Kopf. „Aber irgendwie muss es doch Probleme gegeben haben. Sonst wäre es in Ihrem Supermarkt zu keinem Feuer gekommen.“

„Damit meine Schwester nichts zu tun.“

„Ich glaube auch nicht, dass sie mit der Brandstiftung etwas zu tun hat“, sagte Henningsen beschwichtigend, „aber vielleicht mag ja irgendjemand die Geschäftsfrauen Yanqiu Kramer und Sriwan Friedlaender nicht. Neider unter ihren Landsleuten, Neider in der Konkurrenz...“ Er fächerte ein paar beschriftete Seiten vor sich auf, um seiner nächsten Frage das nötige Gewicht zu verleihen. „Wo in Deutschland war Ihre Schwester unterwegs, Frau Friedlaender, wie hat sie ihren Lebensunterhalt bestritten?“

„Ich weiß nicht“, war ihre Antwort, wieder höflich und ohne seinem Blick auszuweichen. Und doch hatte Henningsen das Gefühl, dass sie dazu wesentlich mehr erzählen könnte. Ob darunter Fakten sein würden, die auf die Spur des Täters führten?

Er wurde pessimistisch, wenn er an die augenblickliche Beweislage dachte.

"Etwas ganz anderes...." Henningsen beugte sich vor und stützte sich mit beiden Ellenbogen an der Schreibtischkante ab. Er lächelte, um ihr ein wenig die Scheu zu nehmen und sprach langsam und deutlich: "Wir haben uns natürlich sehr gewundert, wieso eigentlich Ihr Mann, gerade als der Supermarkt lichterloh brannte, ganz in der Nähe stand und bei den Rettungsmaßnahmen zuschaute."

Sriwan Friedlaender sah ihn an, als erwartete sie, dass er noch etwas hinzufügte. Ein fragender Blick, ein zaghaftes Lächeln, dann: "Ich weiß nicht."

"Nun, mich interessiert natürlich: Wieso ist er so spät noch durch den Regen gewandert, anstatt zu Hause bei der Familie zu sein."

Sie verzog das Gesicht. Die Frage war ihr unangenehm, und das Lächeln misslang ihr gänzlich. "Ich nicht so gerne sagen. Muss ich erzählen?"

"Wenn die Frage geklärt ist, müssen wir sie nie wieder stellen."

Sie antwortete jetzt ohne zu zögern: "Mein Mann Streit mit meiner Schwester. Er furchtbar wütend und verlassen Wohnung. Weiter weiß ich nicht."

"Worum ging es bei dem Streit?"

Sie blickte zu Boden und schüttelte den Kopf. Als sie wieder aufsah und sich ihr Blick hinter ihm an der Wand verirrte, waren ihre Augen feucht. Henningsen spürte plötzlich, wie zerbrechlich Sriwan Friedlaender wirkte und wie unzufrieden.

"Wann hat er die Wohnung denn ungefähr verlassen?"

"Oh, ich nicht achten Uhrzeit. Vielleicht halb elf oder elf Uhr."

"Abends?

"Ja, abends."

"Und wann ist er zurückgekehrt?"

Sie überlegte einen Moment. Dann schüttelte sie ihren Kopf. "Ich weiß gar nicht....., ich schlafen. Ich wachen auf und sehen mein Mann schlafen in Fernsehsessel."

Henningsen hatte Sriwan Friedlaender nicht über ihre Rechte belehrt - dass sie ihren Mann nicht zu belasten und verfängliche Fragen demnach nicht zu beantworten brauchte. Er fand es so anstrengend, Unwissenden gegenüber die richtigen Worte zu finden, um die Rechtslage mit allen Konsequenzen transparent zu machen. Deswegen stellte er keine weiteren Fragen.

Daniel Friedlaender war durchaus genügend Zeit geblieben, sich irgendwo einen Reservekanister voll Benzin zu besorgen und zum Supermarkt zu spazieren. Wenn er sich dabei vollkommen unbefangen und zielstrebig verhielt, mochten andere Passanten glauben, er wäre irgendwo mit seinem Auto liegengeblieben.

Aber wie gewaltig musste eine Auseinandersetzung sein, dass jemand zu so einer Reaktion fähig ist?

Henningsen befielen heftigste Zweifel..

Bei Vernehmungen mit Dolmetscher fühlte sich Pergande stets unwohl. Jiratchaya Bruhns war zwar vereidigte Dolmetscherin, er befürchtete jedoch, dass Landsleute zusammen hielten, sich mitunter sogar privat kannten. Vor allem Thailänder, wie er von einem früheren Kollegen gehört hatte. Noch unbehaglicher wurde ihm, als Yanqiu Kramer vor ihm saß. Ihr Alter war schwer einzuschätzen. Mitte fünfzig mochte sie sein. Sie war klein und vollschlank, was durch die wattierte grüne Weste und die weite braune Hose noch mit einem Ausrufezeichen versehen wurde. Die Taschen ihrer Kleidung beulten sich aus, als hätte sie den Inhalt einer Reisetasche darin verstaut. Sie wusste kaum, wie sie sich hinsetzen sollte, bis sie sich beinahe provokativ zurücklehnte und die Füße von sich streckte. „Warum ich müssen hierher kommen?“ Der Gesichtsausdruck in pure Entrüstung gewälzt: schmale, scharf geschminkte Augen, zwei Bögen dünn gezeichneter Brauen und eine für die chinesische Abstammung unnatürlich spitze Nase. Dazu leicht nach vorn stehende Zähne und die ohnehin nur knapp schulterlangen Haare mit einem roten Gummiband zu einem Stummelschwanz zusammen gebunden. Ein weibliches Wesen, das vor lauter Unattraktivität ganz in der Geschäftsfrau aufging.

Sie wandte sich an die Dolmetscherin und unterhielt sich mit ihr, und Pergande blickte interessiert von einer Frau zur anderen. „Darf ich an der Unterhaltung teilhaben?“

Frau Bruhns lächelte verbindlich. „Frau Kramer möchte wissen, warum sie ihren Supermarkt noch nicht wieder betreten darf.“

Pergande lachte unverhohlen und blickte dabei in zornig funkelnde Augen. „Hatten Sie vor, rasch durchzufeudeln und wieder zur Tagesordnung überzugehen?“ Die Dolmetscherin übersetzte.

Die Geschäftsfrau funkelte ihn gehetzt an. „Ich morgen holen Lieferung von Flughafen Cargo. Zollpapiere in Büro ich brauchen.“

„Vom Büro ist nicht viel übrig geblieben, Frau Kramer. Und das, was von Ihren Geschäftsunterlagen noch einigermaßen leserlich war, haben wir sichergestellt. Wir müssen uns ein umfassendes Bild von der Situation verschaffen. Immerhin liegt hier ein Verbrechen vor.“

Nach der Übersetzung protestierte sie: „Aber ich brauchen das! Sonntag ich liefern bis Neumünster und Lüneburg. Kann ich mal sehen?“

„Später. Sie können gegen die Sicherstellung jederzeit Beschwerde einlegen.“ Pergande wuchs in seiner Sitzposition zur vollen Größe heran. „Ich möchte zuerst einiges von Ihnen wissen.“ Und nachdem die Dolmetscherin übersetzt hatte: „Was kann sich in der Nacht zum Samstag in ihrem Geschäft abgespielt haben, Frau Kramer. Wer, glauben Sie, wollte Sie schädigen?“

Pergande beobachtete sie genau, während sie in ihrer Muttersprache antwortete. Ein unangenehm herrischer, befehlsgewohnter Tonfall. In ihrer Reaktion entdeckte er nichts, was ihm zu denken geben müsste. Sie könne sich nicht vorstellen, wer in den Supermarkt eingebrochen ist und das Feuer gelegt hat. Zwischendurch klingelte ihr Mobiltelefon, und sie unterhielt sich mit dem Anrufer ungeniert und ausgiebig. Von der Dolmetscherin erfuhr er, dass es sich um ein normales Telefonat mit einem Kunden handelte. Danach bat er darum, das Handy bis nach der Vernehmung auszuschalten.

„Wissen Sie, Frau Kramer, ich lasse mich ungern an der Nase herum führen. Sie können mir nicht weismachen, dass Sie aber auch nicht den geringsten Verdacht haben. Das Verbrechen richtete sich gegen Sie und ihr Geschäft, der Täter ist nach meiner Auffassung nur in Ihrem geschäftlichen Umfeld zu suchen!“

Yanqiu Kramer rutschte unruhig in ihrem Stuhl hin und her und polterte aufgebracht los, nachdem sie die Übersetzung vernommen hatte. Sie schloss mit den Worten: „Ich - nicht - wissen!“

Die Dolmetscherin erklärte, dass es mit einigen Kunden ganz normale Probleme gäbe, wenn es um rückständige Rechnungen ging; eben so, wie auch andere Geschäfte und Firmen ihre Probleme hatten. Deswegen würde niemand kommen und ein Feuer legen.

Pergande erinnerte sich an einen Fall, als eine katholische Kirche in Poppenbüttel Ziel eines Brandanschlags wurde. Die Täter drangen durch das Fenster der angrenzenden kirchlichen Kindertagesstätte in die Gebäude vor und brachen die Tür zur Sakristei auf. Sie rissen die Messgewänder heraus und häuften sie auf, warfen Gesangsbücher auf den Altar, kackten auf die Pedalen der Kirchenorgel und beschmierten die Wände mit irgendwelchen Zeichen. Am Ende wurden die Gesangsbücher und Messgewänder mit Hilfe der Kerzen in Brand gesetzt. Die Sakristei brannte vollständig aus, und die Rauchgase verschmutzten alle angrenzenden Räume. Über eine halbe Million Euro Sachschaden. Dann aber gab es einen konkreten, aber anonymen Hinweis auf eine bestimmte Person, die mit jemandem in Verbindung zu bringen war, der ehrenamtlich für diese Kirchengemeinde arbeitete. Der Täter sollte satanistischen und rechtsradikalen Kreisen zuzurechnen sein. Der junge Mann aus dem Ehrenamt war eigentlich Auszubildender auf der Lufthansa-Werft in Hamburg-Fuhlsbüttel und der Denunzierte arbeitete in derselben Abteilung. Als die Vorermittlungen zu dem anonymen Anrufer in eine Sackgasse führten, fuhr Pergande zu ihm nach Haus, um ihn mit dem Vorwurf zu konfrontieren. Natürlich dementierte er ihn, aber was viel schlimmer war: Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, wer der anonyme Hinweisgeber sein könnte. Und genau das war es, was Pergande ihm nicht abnahm. Wenn er vielleicht mit dem Brandanschlag nichts zu tun hatte, aber er wusste unter Garantie, wer ihn denunzierte. Dass er es beharrlich abstritt, hatte Pergande fast in die Ohnmacht getrieben.

„Ich möchte, dass Sie sich ernsthaft Gedanken machen, was in ihrer geschäftlichen Vergangenheit relevant sein könnte und dann unterhalten wir uns noch mal darüber.“ Pergande beugte sich vor. „Warum laufen Supermarkt und Restaurant auf den Namen Ihrer Schwester?“

Yanqiu Kramer durchbohrte ihn mit einem Blick, als wollte sie sagen, dass er sich um die Täterermittlung zu kümmern und sie nicht mit privaten Fragen zu belästigen hätte. Entsprechend kurz fiel ihre Antwort aus: „Das hat mit dieser Sache nichts zu tun“, übersetzte die Dolmetscherin.

„Warum lassen Sie es nicht meine Sorge sein, was für diesen Fall wichtig ist und was nicht“, erwiderte er scharf.

„‘Tschuldigung“, kam es von Yanqiu Kramer weniger kleinlaut als unehrlich, und es folgten ein paar Ausführungen auf Thailändisch. „Der Grund dafür, dass ihre Schwester als Inhaberin fungiert, liegt über zehn Jahre zurück und ist eine rein zivilrechtliche Angelegenheit.“

„Und was ist in diesen zehn Jahren alles geschehen?“

Ein kurzer Dialog zwischen der Dolmetscherin und Yanqiu Kramer, dann übersetzte Jiratchaya Bruhns die Antwort: „Über diese Zeit möchte Frau Kramer nichts erzählen, weil das mit der Wahrheitsfindung nichts zu tun hat.“

„Woher will sie das nur wissen?“ Pergande drehte auf seinem Bürostuhl hin und her und dachte nach. Das Drehen beruhigte ihn, genau wie es ein Baby beruhigte, auf dem Schoß der Mutter geschaukelt zu werden. Ihm war äußerlich nicht anzusehen, wie es in ihm kochte. „Wenn’s tatsächlich unbedeutend ist, was steht dem entgegen, nur ein paar Worte darüber zu verlieren? Ich müsste ja sonst auf den Gedanken kommen, dass Sie uns schlimme Dinge verschweigen."

Wieder fiel ihre Antwort knapp aus, während sie mit nervösem Blick auf ihr erloschenes Handy-Display schaute. „Frau Kramer war in dieser Zeit mal hier, mal da. Unterwegs, um Arbeit zu suchen“, übersetzte die Dolmetscherin.

"Was ist mit Ihrem Schwager? Warum wurde er in der Nähe des Brandortes angetroffen?"

Nach der Übersetzung verschloss sich ihr Gesicht noch mehr. "Ich weiß nicht. Vielleicht er machen."

"Was machen?"

"Feuer."

"Glauben Sie das ernsthaft?"

"Vielleicht machen, vielleicht nicht. Ich nicht wissen."

"Und warum er?"

"Sagen nur so. Sie Kripo. Muss finden heraus."

Pergandes Siedepunkt war erreicht! "Frau Kramer!" Er rollte mit seinem Lehnstuhl im Nu um den Schreibtisch herum und verharrte auf Augenhöhe. "Wenn Sie meinen, unsere Unterhaltung ist ein Gesellschaftsspiel, da täuschen Sie sich gewaltig. Wenn Sie nicht augenblicklich aufhören, das Feuer und den Tod eines Menschen ins Lächerliche zu ziehen, werfe ich Sie aus meinem Büro und lasse Sie dem Richter vorführen!" Lange nicht hatte ihn ein Kunde so in Rage gebracht. "Hätten Sie sich bei der Polizei in Thailand so aufgeführt, wären Sie vermutlich längst im Knast gelandet."

Während die Dolmetscherin übersetzte, verrauchte sein Zorn ein wenig und er rollte hinter seinen Schreibtisch zurück.

"Was mit Thailand zu tun?", fragte die Kramer unbeeindruckt.

Pergande hörte darüber hinweg und zwang sich ruhig zu atmen. "War irgendetwas vorgefallen, worauf Ihr Schwager Wut im Bauch hatte und sich an Ihnen rächen wollte?"

"Nein", kam es gedehnt, "Herr Friedlaender sehr netter Mann. Meine Schwester haben Glück."

Er sah Yanqiu Kramer lange an und versuchte ihren Tonfall zu analysieren. Er klang nach Häme. Oder nach Neid. Sie wand sich unter diesem Blick, aber wahrscheinlich nur, weil er ihr zu lange andauerte.

Natürlich war die Aussage für weitergehende polizeiliche Maßnahmen viel zu vage. „Gut, Frau Kramer. Wir werden uns hier bestimmt noch einmal sehen, davon bin ich überzeugt. Wenn sich bis dahin heraus stellt, dass die Lösung des Falles in ihrer jüngsten Vergangenheit verborgen ist, werde ich Sie wegen Behinderung der polizeilichen Ermittlungen belangen.“

Die Dolmetscherin übersetzte seine Worte und danach die Antwort: „Frau Kramer möchte bitte noch sehen, was von den Geschäftsunterlagen sichergestellt wurde.“

Als Daniel Friedlaender vor ihr auf dem Vernehmungsstuhl saß, versuchte sie einzuschätzen, was für einen Menschen sie vor sich hat. Bianca Jochens machte sich bewusst, dass auf seine Angaben ein besonderer Wert zu legen war.

Der Mann trug atmungsaktive helle Turnschuhe, eine schwarze Jeans und ein schwarzes Sweat-Shirt, die Ärmel bis zu den Ellenbogen hoch geschoben. Die schwarze Regenjacke hatte er über einen freien Stuhl geworfen. Friedlaenders Drei-Tage-Bart und die lichten, nackenlangen, graublonden Haare bildeten zu der dunklen Kleidung einen interessanten Kontrast.

Als sie ihn vorhin begrüßte, bemerkte sie dunkelgrüne Augen und Lachfältchen. Ihr erstes Empfinden war allerdings, dass Mundpartie und Augenausdruck eher von seelischem Schmerz geprägt sind als von seiner Frohnatur.

Ihr entging nicht, mit welch intensivem Blick er dabei war, sich auch ein Bild von ihr zu machen.

Sein Mundwinkel zuckte; noch weniger als ein flüchtiges Lächeln. „Bevor ich irgendetwas sage, würde mich interessieren, in welchem Status ich hier eigentlich sitze.“ Friedlaender wirkte nach außen hin völlig ruhig und machte keine überflüssige Bewegung.

„Das müsste Ihnen doch klar sein, oder?“ erwiderte Bianca und sie merkte, wie seine Ruhe auch sie selbst erfasste. „Haben Sie etwa ein schlechtes Gewissen?“

Er schüttelte kaum merklich den Kopf und stellte fest: „Dann bin ich also ein Zeuge."

„Und ein Zeuge ist zur Wahrheit verdonnert, darf nichts verschweigen...“

„Wenn ich etwas verschweige, wird mir niemand nachweisen können, dass ich in Wahrheit Auskunft geben könnte.“

Bianca verzog missbilligend den Mund. Jetzt wirkte Friedlaender plötzlich spitzfindig, was sie eigentlich gar nicht von ihm erwartet hatte. Sie lehnte sich zurück, drehte spielerisch einen Kugelschreiber hin und her und überlegte, ob sie unter diesen Umständen besser sofort auf den Punkt kommen sollte. Sie entschied sich dagegen. „Wie kommt es, dass Sie in Frankfurt wohnen und Ihre Familie in Hamburg?“

„Oh“, Friedlaender verzog gequält das Gesicht. „das ist eine ziemlich lange Geschichte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie die hören wollen. Hat sich einfach so ergeben.“

„Konnten oder wollten Sie nicht hinterher ziehen?“

„Ich konnte nicht.“

„Wegen Ihres Berufes?“

„Wenn Sie so wollen."

"Und was machen Sie beruflich?"

Er verdrehte die Augen. "Unwichtig, Frau Jochens, glauben Sie mir."

Bianca ließ abrupt ihren Kugelschreiber fallen und sah ihm in die Augen. „Wenn Sie mir sagen, sie seien Schlosser oder Tankwart, müsste mir das zu denken geben.“

Das Fragezeichen in seinen Augen wich erst nach einer ganzen Weile, dann wurden die Lachfalten sichtbar, als er grinste: „Nein, da kann ich Sie wirklich beruhigen.“

„Die Sache ist ziemlich ernst“, fuhr sie fort. „Sie ist immer dann besonders ernst, wenn Menschen ihr Leben lassen mussten und alle Anzeichen dafür sprechen, dass wir es mit einer Beziehungstat zu tun haben. Umso mehr Verantwortung haben nämlich Zeugen und Geschädigte bei der Aufklärung.“

Friedlaender nickte. „Verständlich.“

„Und?“ Bianca Jochens überlegte kurz und entfächerte ein paar Seiten mit Fotografien, die sie mit einem Blick überflog. „Wer bricht in den Supermarkt Ihrer Frau ein und legt mit Hilfe von Brandbeschleuniger ein Feuer? Und entwendet nichts! Wir haben es definitiv nicht mit einem Einbruchdiebstahl zu tun.“

„Kann sein, dass der Einbrecher nur nichts gefunden hat.“

„Genau das müssten Sie vielleicht beantworten können. Ihre Schwägerin wird ja die Tageseinnahmen wohl nicht in der Kasse lassen.“

Von einer Sekunde zur anderen wirkte Friedlaender wieder in sich gekehrt. Irgendetwas begann sich vor seinem inneren Auge abzuspielen. Dann lächelte er geheimnisvoll. „Nein, wahrhaftig, die Tageseinnahmen hat sie nicht in der Kasse gelassen.“ Und mit einer Spur Bitterkeit setzte er hinzu: „Die hat sie immer bei sich und gibt sie aus. Frau Kramer ist eine Geschäftsfrau, die die Tageseinnahmen mit dem Gewinn verwechselt, über den sie nach Belieben verfügen kann.“

„So?“ Bianca zog erstaunt die Brauen zusammen. „Und was bedeutet das ganz genau?“

Friedlaender saß ruhig da, die Hände lagen entspannt auf seinen Oberschenkeln. Ein ganzer Film schien in ihm abzulaufen. Sein Augen spiegelten eine auffällige Bandbreite an Emotionen wider, von denen die meisten bestimmt nicht positiv waren. „Das bedeutet, dass sie am Ende des Tages das Geschäft mit einer überquellenden Geldbörse verlässt und die ganze Familie nicht selten zum Essen einlädt. In das Restaurant irgendeines Kunden, zur Kontaktpflege, wie sie immer sagt. Bei sechs Personen wird sie dabei natürlich immer rund hundert Euro los.“

„Das finde ich aber doch sehr nett“, kommentierte Bianca mit einem Anflug von Sarkasmus, „schön chinesisch oder thailändisch essen gehen.“

„Ja, sehr nett.“ Er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, winkte dann aber nur mit einer sparsamen Handbewegung müde ab. „Lassen wir’s lieber. Das führt Sie bestimmt nicht weiter.“

Sie stützte ihr Kinn auf dem Handrücken ab und lächelte Friedlaender verhalten und nachdenklich an. Und dann bekam die Situation von einer Sekunde auf die andere eine merkwürdige Eigendynamik. Bianca registrierte, wie sich seine Augenbrauen irritiert zusammenzogen, aber beinahe gleichzeitig ein weiter, interessierter Blick herausbildete. Als wollte er ihre ganze Erscheinung in sich aufnehmen. Zu gern hätte sie jetzt in seinen Gedanken herumstöbern mögen. Umgekehrt war es wohl nicht anders.

Seine Augen waren es, die sie faszinierten. Sein gesamter, etwas widersprüchlicher Habitus: Der Kontrast schwarze Kleidung, graue Haare mit ein paar restlichen blonden Strähnen, grauer Drei-Tage-Bart, helle Turnschuhe, aber kein Bestreben, ein Schönling zu sein. Es war zu sehen, dass er auf Gesichts- und Hautpflege keinen besonderen Wert legte.

Und dann ging Friedlaenders Blick mit einem Mal an ihr vorbei und machte an drei kleinen Foto-Postern fest, die hinter ihr an der Wand hingen. Bianca Jochens in einen grellgelben Trekking-Anzug und derbes Schuhwerk gekleidet, im Hintergrund ein beeindruckendes Gebirgspanorama. Mal in der Gruppe abgelichtet, auf dem mittleren Bild Arm in Arm mit einem schlaksigen Blonden mit schulterlangen Haaren und hoher Stirn und dann solo auf einem Felsen, durch eine Sonnenbrille über die Schulter zurück blickend.

„2005, eine Trekking-Tour durch Bhutan“, erklärte sie mit verträumtem Blick, um sich dann aber sofort wieder an die dienstlichen Pflichten zu erinnern. „Auch wenn mich familiärer Stress nicht weiter führt, wir gehen von einer Beziehungstat aus, und da muss ich mir ein umfassendes Bild machen können.“

„Ich will mich aus dieser Familiengeschichte wirklich heraus halten.

„Sie sind auf Ihre Schwägerin nicht gut zu sprechen, davon kann ich wohl ausgehen, oder?“

Friedlaender beugte sich ein Stück vor. Seine Augen versuchten zu lachen, aber die Gesichtsmuskeln wollten nicht mitmachen. Wäre er nicht von so ruhiger Natur, hätte man abgrundtiefen Widerwillen erkennen können. „Ich könnte jetzt sagen, mit Frau Kramer verbindet mich - abgesehen davon, dass es die Schwester meiner Frau ist - eine in zwanzig Jahren ausgereifte Hassliebe, aber ich sage lieber: ein ewiges Missverständnis bei zwei kulturell und gesellschaftlich völlig unterschiedlich aufgewachsenen Familien.“

„Wenn sich beide Seiten bemühen, muss es deswegen nicht zu Konflikten kommen.“

„Ja, wenn sich beide Seiten bemühen.“

Bianca Jochens betrachtete Friedlaender eine Weile. Sie konnte nicht ausschließen, dass er die Ruhe vorgaukelte und in Wahrheit innerlich ziemlich zerrissen war. Vielleicht bedurfte es nur eines kleinen Anstoßes, dass er die Fassung verlor. Und was müsste ihr das sagen? Dass er das Opfer asiatischer Dominanz ist und er sich das Problem von der Seele reden möchte, oder dass er seinen Frust in der Nacht auf den Samstag schon in anderer Weise ausgelebt hat?

„Was war in der Nacht zum Samstag gewesen?“ fragte sie gerade heraus. „Wieso haben meine Kollegen Sie in der Nähe vom Brandort angetroffen?“

Diese direkte Ansprache schockierte Friedlaender in keiner Weise. Er lehnte sich zurück und sah Bianca Jochens mit einem Blick an, der in der Flut seiner Gedanken ertrank. Sie glaubte in ihm auch eine Emotion zu entdecken, die sie nicht entdecken wollte. „Sie sollen nicht zu flirten anfangen, sondern meine Frage beantworten.“

„Ich hätte viel lieber etwas über Ihre Trekking-Tour gehört.“

„Falscher Moment. Es geht um Freitag Nacht.“

„Dann bin ich also doch tatverdächtig.“

„Das ist eine falsche Schlussfolgerung. Abgesehen davon: Abneigung oder gar Hass kann zu ganz anderen Exzessen führen, als zu einer Brandstiftung.“ Sie beobachtete seine Reaktion akribisch, seinen Gesichtsausdruck, seine Hände, aber er saß nur reglos da und lächelte verschmitzt. „Damit verdächtige oder beschuldige ich Sie dieser Brandstiftung noch lange nicht. Ich hätte ja gar keine Beweise gegen Sie in der Hand. Auf jeden Fall sind Sie für mich im Zusammenhang mit den Geschäftsgepflogenheiten ein wichtiger Ansprechpartner.“ Bianca kehrte einen Moment in sich, weil sie ihre Beweisnot nicht so leichtfertig hätte preisgeben dürfen, aber ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass dies nicht von Bedeutung sein würde. Sie verschränkte die Arme und stützte sich an der Schreibtischkante auf. „Leider kann ich nicht in Sie hineinschauen, Herr Friedlaender -“ sie sah ihn forschend an, „ ....ob Sie vielleicht ein schlechtes Gewissen quält? Na, ist es so? Mal ganz ehrlich.“

Er schüttelte, noch immer lächelnd, den Kopf.

„Dann sehe ich kein Problem mit der Beantwortung meiner Frage. Also: Warum hielten Sie sich in der betreffenden Nacht vis-à-vis vom Brandort auf?“

„Ganz einfach: Ich hatte einen Disput mit meiner Schwägerin und bin vor die Tür, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.“

„Einfach nur vor die Tür.“

„Nein. Ich bin kreuz und quer durch Eppendorf gewandert, hab eine Weile in irgend einem Pub gesessen und landete am Ende in der Hoheluftchaussee."

"Und da sind Sie auf die Idee gekommen... -"

"....kam in die Hoheluftchaussee, als die Feuerwehr schon mit den Löscharbeiten angefangen hat.“

Lodernder Hass

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