Читать книгу Der Baum gehört mir! - Hubert Schirneck - Страница 17
Оглавление4. Kapitel
Ein Baum heiratet nicht
Der Baum wurde eine Treppe hinaufgetragen und in einer Ecke des Wohnzimmers abgestellt. Das Wohnzimmer war wirklich riesig, sodass die große Edeltanne gut hineinpasste.
„Herzlichen Glückwunsch!“, sagten die Baumträger und gingen wieder.
Die ganze Familie Parmakoski stand um den Baum herum: Herr und Frau Parmakoski, die kleine Elisa und der vierzehnjährige Marlon. Und dann ging das große Schwärmen los.
Der Vater: „Was für ein Baum!“
Die Mutter: „Herrlich!“
Die Tochter: „Wahnsinn!“
Der Sohn: „Hmmhmmhm.“
Der Vater: „So einen tollen Baum hatten wir noch nie!“
Die Mutter: „Noch nie im Leben! Gut, dass wir an der Lotterie teilgenommen haben!“
Die Tochter: „Wahnsinn! Doppelwahnsinn! Das wird das schönste Weihnachten aller Zeiten!“
Der Sohn: „Hmmhmmhm.“
Man muss dazu sagen, dass Marlon vor einiger Zeit seine Fähigkeit zu sprechen verloren hatte. Er konnte neuerdings nur noch brummen. Wie ein Bär.
Niemand konnte sich das erklären. War es möglich, dass jemand im Alter von vierzehn Jahren einfach das Sprechen verlernte?
Elisa war die Einzige, die eine Vermutung hatte: „Er brummt wie ein Bär, und das könnte bedeuten, dass er sich in einen Bären verwandelt. Zuerst ändert sich seine Sprache, dann wahrscheinlich auch sein Aussehen: Er bekommt überall Haare, vor allem dort, wo jetzt sein Gesicht ist. Und irgendwann wachsen ihm wahrscheinlich Krallen, mit denen er die Möbel zerkratzt. Ich sehe schon genau vor mir, wie er sich dann am Türbalken den Rücken schubbert.“
Für Elisas Theorie sprach auch, dass es in Marlons Zimmer inzwischen roch wie in einer Bärenhöhle, und diese Höhle verließ er nur noch selten. Meistens saß er dort an seinem Computer und machte Spiele, stunden- und tagelang. Woraus sich die Frage ergab: Können Bären eigentlich einen Computer bedienen?
Lona hatte unterdessen ganz andere Fragen, zum Beispiel diese: „Wie stelle ich es an, dass mich diese Menschen nicht sehen, wo sie doch alle da unten stehen und gar nicht aufhören können, zu mir hoch zu starren?“
Sie machte sich so dünn, dass sie hinter dem Stamm des Baumes verschwand. Allerdings begannen die Menschen, den Kübel mit dem Baum hin und her zu drehen. Sie wollten herauskriegen, von welcher Seite die Tanne am schönsten aussah. So musste sich Lona immer ganz flink am Stamm entlanghangeln, um nicht entdeckt zu werden.
Endlich sagte Matti, der Familienvater: „So jetzt steht er richtig. So lassen wir ihn.“
Offenbar war er der Weihnachtsbaumexperte der Familie.
Lona atmete erleichtert auf, weil sie überhaupt keine Lust mehr hatte, sich ständig ein neues Versteck zu suchen. Doch dann bekam sie einen riesigen Schreck: Zu den vier Familienmitgliedern da unten gesellte sich noch ein fünftes hinzu. Dieses fünfte Familienmitglied unterschied sich von den anderen: Es hatte nicht nur zwei Beine, sondern vier. Es hatte Fell. Es hatte einen buschigen Schwanz. Es hatte Schnurrhaare. Es war ganz eindeutig – eine Katze!
EINE KATZE!!!
Lona wurde augenblicklich schlecht. Das war eine dieser Situationen, in der sie sich normalerweise übergab, aber sie hatte den ganzen Tag noch nichts gegessen, und deshalb war nichts da zum Übergeben. Zum Glück! Es wäre doch recht auffällig gewesen, wenn sich Lonas Mageninhalt über die Köpfe dieser Zweibeiner ergossen hätte. Das hätte zumindest Fragen aufgeworfen: „Nanu, wo kommt das denn her? Hat der Baum Magenprobleme? Ist ihm von dem langen Transport schlechtgeworden?“
Jetzt bereute Lona, dass sie sich vor zehn Minuten nicht dazu entschlossen hatte, das Weite zu suchen und auf ihren Baum zu verzichten. Wie kam sie aus diesem Haus jetzt wieder heraus?
Der Katze des Hauses war natürlich längst klar, dass da nicht nur einfach ein Baum vor ihr stand. Sie hatte das Eichhörnchen zwar noch nicht entdeckt, aber sie wusste, dass es da war. Sie konnte es riechen.
„Da oben ist ein Eichhörnchen!“, miaute sie. „Es hat sich in unser Haus eingeschlichen. Lasst mich auf den Baum klettern. Ich will es auffressen!“
Die vier Menschen hörten natürlich nur ein aufgeregtes „Miau! Miau! Miau!“, und sie wunderten sich darüber, dass die Katze an dem Baum hochsprang.
„Was hat sie denn nur?“, fragte die Mutter irritiert. „Das hat sie doch noch nie gemacht. Das ist ja schließlich nicht unser erster Weihnachtsbaum. Und an diesem hängen noch nicht mal Kugeln.“
„Hör auf, Frau Präsidentin!“, befahl Elisa.
„Hmmhmmhm“, brummte Marlon und runzelte die Stirn.
Die Katze, die auf den exklusiven Namen Frau Präsidentin hörte (beziehungsweise die meistens nicht auf diesen oder auf irgendeinen Namen hörte), dachte gar nicht daran, sich zu beruhigen.
„Ein Eichhörnchen!“, miaute sie wieder und wieder. „Ein Eichhörnchen! Warum versteht mich denn niemand?“
Das stimmte nicht ganz. Lona verstand die Katze, denn sie kannte die Sprache der Katzen. Die hatte sie in der Schule gelernt. Die Lehrerin hatte immer gesagt: „Es ist wichtig, dass wir die Sprache unserer Feinde kennen. Damit wir immer wissen, was sie über uns sagen.“
Auch Elisa beherrschte die Katzensprache ein wenig, und sie dachte darüber nach, was die Frau Präsidentin so aufregte. Da oben auf dem Baum war irgendetwas. Aber was? Schließlich schnappte sich Elisa das unaufhörlich miauende Wollknäuel und sperrte es in ihr Zimmer.
„Wollen wir ihn gleich schmücken?“, fragte Matti.
„Heute ist es schon zu spät“, sagte Helga. „Lasst uns zu Abend essen und früh ins Bett gehen. Den Baum schmücken wir morgen in aller Ruhe.“
Lona spitzte die Ohren. Den Baum schmücken? Was bedeutete das nun schon wieder? Menschen schmücken sich manchmal, das war ihr klar. Sie hängten sich Ketten um und steckten sich Ringe an die Finger. Auch Eichhörnchen schmückten sich manchmal, zum Beispiel wenn sie zu einer Party gingen oder wenn sie heirateten. Eine Tanne ging nicht zu einer Party, und sie heiratete auch nicht. Warum sollte man sie dann schmücken?
Ihr wurde klar, dass sie an diesem Abend keine Antwort mehr auf ihre Frage bekommen würde.
Die Menschen machten das Licht aus und verließen das Zimmer. Lona hörte danach noch zwei Stunden lang Geräusche aus den anderen Zimmern, dann wurde es endlich still in der riesigen Menschenhöhle.