Читать книгу Zehn Frauen - Hubertus Meyer-Burckhardt - Страница 8

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Es ist ein Jammer, dass dies keine Fernsehshow ist, denn Barbara Becker hat während des ganzen Songs getanzt und Georg, unser Toningenieur, hat vergessen, die richtigen Knöpfe zu drücken. Du bist, wie Barbara Schöneberger gestern sagte, einfach die erotischste Frau, die ich je gesehen habe.

Ich hab’ tatsächlich noch eine Liebeserklärung bekommen, aber sie hat mir auch gesagt, dass sie in festen Händen ist.

Ist sie!

Ich bin mit ihr verabredet.

Aber da geht was!

Ja, sie hat gesagt, sie ist in mich verliebt. Ich liebe sie schon lange.

Ich bin mit dem Ehemann befreundet, ich lenke ihn ab.

Mit Golfen – da ist man lange weg.

» Bei uns ist alles ein bisschen Patchwork und meine Freunde zähle ich auch dazu. «

Du hast gerade gesagt, Familie ist das Wichtigste, das Beste. Ist die Familie dein Hort, sind das vor allem deine beiden Söhne?

Die engste Familie besteht natürlich aus mir und meinen Kindern, da wir zu dritt auf einem anderen Platz der Erde gewohnt haben, wo ich jetzt immer noch lebe. Dann selbstverständlich meine Mutter, meine Schwester und meine beiden Halbbrüder, die eigentlich meine richtigen Brüder sind. Und noch andere, bei uns ist alles ein bisschen Patchwork, das kenne ich schon ein bisschen länger, und meine Freunde zähle ich auch dazu. Natürlich ist auch der Vater ein Teil dieser Familie, das ist ganz wichtig.

Wie ist das? Ich stelle mir das sehr, sehr schwer vor. Wir haben hier ein eisernes Prinzip: Ich frage persönlich, aber nie privat.

Was ist denn da der Unterschied?

Privat ist intim, persönlich ist das, was du ohnehin preisgegeben hast. Du warst mit Boris Becker verheiratet und Boris war ja quasi Deutschlands nationales Erbe.

Ist er immer noch.

Kann man überhaupt eine Ehe führen, die permanent im Fokus der Öffentlichkeit stattfindet? Und wenn ja, wie?

Du meinst eine für immer?

Na ja, zumindest für ein paar Jahre. Du warst immer die Frau an seiner Seite, du hast ihn permanent begleitet. Ihr wart im Buckingham Palace, ihr wart bei Nelson Mandela, bei Muhammad Ali. Gibt es aus dieser Zeit eine Begegnung, an die du dich besonders gerne erinnerst? Wahrscheinlich Mandela?

Natürlich Mandela! Er war für uns alle eine Art Vaterfigur, eben der, der sich für uns in den Wind gestellt hat, der sein eigenes Leben, seine ganzen guten Jahre, seine Kinder, seine Ehe in die zweite Reihe gestellt hat, um für Freiheit und Frieden zu kämpfen – für uns. Deswegen war er das Idol. Niemals werde ich auch nur eins seiner Worte, die er gesagt hat, vergessen. Ich hatte wirklich das große Glück, viele wichtige und interessante Menschen zu treffen, konnte viele Sachen lernen, mitnehmen und aufschreiben.

Ich habe Boris Becker zweimal in meinem Leben getroffen. Ehrlich gestanden hätte ich nicht gedacht, dass er tatsächlich doch das ruhige Gespräch sucht, dass er auch gerne zuhört. Und dass er, wenn er Vertrauen gefasst hat, doch bereit ist, über verschiedene Dinge zu sprechen.

Ich kenne ihn ja nur so und finde es schön, wie du das beobachtet hast. Er ist ein sehr tiefgründiger Mann und auch jemand, dem man gerne zuhört. Er weiß einfach sehr viel.

Ich will nur eine Frage zu Boris stellen. Er ist ein Mann, dessen ganze Jugend, man muss ja fast sagen Kindheit, vor den Augen der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Jeder Irrtum, jeder Seitenweg, alles wurde penibel beobachtet. Du warst ihm eine Ehefrau, bist die Mutter seiner Kinder, aber warst du ihm am Ende auch so etwas wie eine mütterliche Freundin?

Nein, ich bin wirklich nur das eine Jahr älter, ich weiß nicht, ob man das sieht.

Ich meine jetzt im Hinblick auf …

… ob ich was gekocht habe?

Habt ihr Gespräche geführt, wo du schon mal gesagt hast: Boris, mach das so, mach es nicht so, das kannst du nicht machen …?

Als Partner gibt man natürlich Rat. Ich weiß nicht, ob das mütterlicher Rat ist. Aber bei einigen Sachen, die er gemacht hat, da konnte ich ihm nicht wirklich weiterhelfen. Weißt du, dass ich ganz schrecklich Tennis spiele?

Das wäre noch eine Frage gewesen.

Da konnte ich ihm wirklich nicht helfen. Ich muss sagen, diesen Mut, den man haben muss, um alleine für sich verantwortlich zu sein, wenn’s drauf ankommt: 0:40, zwei Sätze zurück und dann drei Asse zu schlagen – da hab’ ich schon überlegt, wer er ist, wie er das macht. Bis heute ist mir da nichts eingefallen, wie, also …

… welche Nervenstärke er hat?

Ja, und überhaupt. Wie man konstituiert sein muss, was da im Kopf passiert und wie der Fokus so sein muss. Also ich meditiere ja auch ein bisschen, aber das ist noch mal eine komplett andere Geschichte.

Bleiben wir beim Thema Meditieren. Du hast vorhin einen interessanten Satz gesagt „Gott ist überall“. Das ist ein altes Bild des Mystizismus: Gott ist in den Pflanzen, Gott ist in den Bäumen, in den Tieren, im Menschen, in mir, in dir. Ist das der Gedanke, der dich durchs Leben trägt, dass das Göttliche allgegenwärtig ist, vielleicht auch da, wo man es am Ende nicht vermutet?

Gerade da ist es auch. Ich denke, dass wir als Menschen, als Lebewesen alle dasselbe tun wollen, und ich glaube, das ist das, was the Buddha Mind oder der Gottgedanke, der Gottesfunke in uns ist, und das möglichst, ohne unser Ego zu leben, wäre natürlich die Idee. Für mich ist Gott tatsächlich in jedem Menschen und in allem, was ich sehe.

Hast du deine beiden Söhne religiös erzogen? Habt ihr beispielsweise gemeinsam gebetet, als sie kleiner waren?

Ich bete tatsächlich jeden Tag. Andere Leute sagen dazu meditieren. Ich bete, ich meditiere, ich habe eine Art Ritual oder Rhythmus gefunden, wo ich andocken kann bei mir, an die Stärke oder an die Kraft. Diesen Moment, den ich habe, wo ich connecte … was wäre ein deutsches Wort?

» Für mich ist Gott tatsächlich in jedem Menschen und in allem, was ich sehe. «

Wo du dich verbindest.

Danke schön, ich glaube, ich bin heute mit dem amerikanischen Fuß aufgestanden.

Es ist aber auch noch sehr früh, ein grauer Samstagmorgen.

Ein paar Ausreden gibt es immer. Es ist tatsächlich so mit der Sprache, es kommt und es geht. Gestern habe ich noch gedacht, dass Ralf Moeller jetzt auch wieder besser Deutsch spricht, weil er bereits eine Weile hier war.

Ralf Moeller hatte gestern in der Talkshow so einen leichten Ruhrpottslang drauf, was ich sehr sympathisch fand.

Über deine Kinder spreche ich übrigens deshalb, weil du über die „ausgeflogenen“ Kinder ein Buch gemacht hast, gemeinsam mit Christiane Soyke. „Mama allein zu Haus: Wie geballte Freundinnen-Power uns vor dem Empty-Nest-Syndrom bewahrte“. Ein Buch über das Loslassen, über die Fähigkeit, loszulassen.

Oder über den Versuch.

Ich weiß nicht, ob du meine Meinung teilst, dass die Liebe zwischen Mann und Frau im positiven Sinne immer etwas Egoistisches hat. Man möchte auf seine Kosten kommen. Aber die Liebe zu einem Kind ist eine völlig selbstlose Liebe und umso schmerzhafter, wenn diese selbstlose Liebe eines Tages keine Erwiderung mehr erfährt.

Sie erfährt eine andere Erwiderung, würde ich sagen, man muss dann vielleicht richtig zuhören oder reinhören. Tatsächlich ist dieses Verlassenwerden anders, als wenn ein Partner uns verlässt. In diesem Fall haben wir uns nicht losgelassen als Menschen, sondern die beiden sind auf ihrem Weg unterwegs beziehungsweise sind in ihre Welt gegangen. Meine Aufgabe verändert sich und auch das Zusammenleben ist anders. Man trifft sich und verabredet sich anders. Das Schöne bei erwachsenen Kindern ist, dass sie immer zurückkommen. Natürlich ist es kürzer als im normalen Alltag, aber sie kommen zurück und sie wollen dann auch Zeit mit dir verbringen oder mit mir – ich weiß gar nicht, warum ich in der dritten Person hier spreche. Also: Sie wollen Zeit mit mir verbringen.

Darf man aus Kinderzimmern Gästezimmer machen?

Es sind schon eine ganze Weile Gästezimmer draus geworden. Bei mir ist fast immer das Haus voll, Gott sei Dank. Im Moment wohnt auch gerade jemand in Elias’ Kinderzimmer.

Gibt es eine Tageszeit, wo du die Jungs besonders vermisst?

Ich vermisse sie immer. Wir müssen nicht ständig zusammen sein, aber ich liebe die Zeit mit ihnen, weil ich natürlich dann auch Musik höre und es wird gemalt. Es ist wahnsinnig inspirierend, sie bringen immer neue Sachen mit nach Hause oder neue Leute. Die Zeit ist so unglaublich schnell vorbeigegangen. Ich habe gestern noch mit ein paar Leuten aus deiner Redaktion gesprochen, die auch Kinder haben, ganz kleine oder auch pubertierende, und wo man momentan gerade mit diesem Homeschooling durchdreht und denkt, es hört nie auf. Ich habe das Gefühl, mich nur kurz umgedreht zu haben und dann sind meine Jungs schon ausgezogen. Also ich musste lernen, mich wieder neu zu sehen und mir selbst einfach auch zu genügen. Wie du es gerade schon richtig beschrieben hast, habe ich tatsächlich lange Zeit nichts anderes gemacht. Auch wenn ich viel gearbeitet habe, aber die Kinder standen immer im Fokus und das größte Stück von mir haben sie bekommen. Jetzt darf ich anders helfen. Ich werde weiter gebraucht, aber ich habe sehr viel Zeit, mich um mich selbst zu kümmern – und das ist eine schöne Aufgabe.

Mich um mich selbst kümmern … Männer sind ja im Vergleich zu Frauen, glaube ich, relativ simpel gestrickt.

Wenn du das sagst.

» Ich musste lernen, mich wieder neu zu sehen und mir selbst einfach auch zu genügen. «

Ich glaube, Väter erleben sich nicht.

Georg findet das nicht (schaut hinüber zu Georg, der am Mischpult sitzt).

Georg, unser Toningenieur, findet das nicht, aber ich will begründen, warum ich das glaube. Wenn Kinder die Familie verlassen, entdeckt der Vater sich nicht neu. Er vermisst die Kinder sicherlich, er hält Kontakt zu ihnen, aber es gibt keine neue Männlichkeit, die man an sich entdeckt als Mann. Bei Müttern, denke ich, gibt es doch den Versuch, die Weiblichkeit neu zu entdecken, wenn die Kinder weg sind. Das erzählen mir zumindest Freundinnen immer wieder, die in deiner Situation sind. Trifft das auf dich zu?

Ich denke, es geht nicht so sehr um die Weiblichkeit, sondern es ist eigentlich mehr eine Sinnfrage. Die Überlegung, für wen mache ich jetzt weiter und wer bin ich überhaupt? Deswegen war es so schön, als du anfangs gesagt hast, wer ist diese Frau? Da habe ich gedacht: Oh mein Gott, Hubertus, du bist schon so nah dran, erzähl mir, wer ich bin.

Ich habe aber auch trauernde Männer kennengelernt, weil sich auch in der Ehe, wenn man denn eine hat, etwas verändert oder das Verhältnis zur Partnerin ganz anders wird. Wenn die Kinder ausziehen, verändert sich einfach viel und das Trauern bleibt nicht nur den Müttern überlassen. Was bei mir natürlich wegfällt, ist, dass ich allein zu Hause sitze. Ich bin nicht einsam, ich kann allein bestimmen und ja, das musste ich erst herausfinden.

Das ist eine neue Freiheit, die man üben muss.

Genau.

Gleichwohl gibt es sicherlich Zeiten in der Pubertät, wo man die Kinder, Entschuldigung, eigentlich …

… an die Wand klatschen wollte.

Ja, wo man sagt: Mein Gott, warum ist er so? Ich kenne das auch von meinem Sohn. Der hat mich doch vor zwei Jahren noch geliebt, ich war sein Hero und nun bin ich Zero.

I love it. Ich habe angefangen, Bücher zu lesen, in denen beschrieben wurde, was in der Zeit zum Beispiel mit den Hormonen passiert, und ich habe dann einfach verstanden, dass sie gar nicht anders können. Da fehlt einfach noch was, dieses Gehirn ist noch nicht ausgereift. Dieser Abnabelungsprozess, der ja dann passiert, bereitet einen vor auf das, was kommt: Abnabeln, um dann anders zurückzukommen. Es braucht diese Veränderung.

Aber es war ja so, dass beide Kinder sofort gegangen sind.

Am Tag danach.

Am Tag nach dem Abitur, der Graduation, was auch immer.

Graduation.

Da sind sie beide raus? Dann gibt es diesen einen Tag, an dem man sozusagen die Postkutsche, das Taxi oder das Auto wegfahren sieht, man dreht sich um, geht ins Kinderzimmer und fängt an zu weinen. Das war bei mir so, obwohl ich nicht sehr nah am Wasser gebaut bin. Ich habe mich im Kinderzimmer auf das Stühlchen gesetzt und gedacht: Ich vermisse ihn. Und vor allen Dingen die gemeinsame Zeit.

Mir geht es immer wieder so. Wenn sie beide da sind, das ist zwar selten, geht es mir natürlich am besten. Auch wenn nur einer da ist, ich halte wirklich die Zeit an. Ich halt’ sie einfach an. Ich habe gemerkt, dass die Zeit wirklich zum Dehnen bereit ist. Man kann sich richtig reinsetzen, sie länger und breiter machen. Ich husche nicht mehr über den Tag hinweg, sondern er wird ausgebreitet und eingeatmet mit allem. Er wird wirklich zum Genuss gemacht. Aber manchmal überkommt es mich auch, so wie du es gerade beschrieben hast, wie du auf dem Stühlchen sitzt, da hätte ich schon fast wieder geheult.

Ich hatte die beste Mutter der Welt, aber sie neigte leider dazu, als ich die ersten Studentenbuden hatte, die natürlich dementsprechend aussahen, sich da, ich sag’ mal „einzubringen“.

Das kenne ich.

Sie sagte dann: Junge, ich komm’ mal vorbei und mache etwas Ordnung. Ich musste viel Überzeugungskraft aufbringen, um zu sagen: „Mami, alles will ich, aber das genau nicht.“ Ich befürchtete natürlich auch, dass sie auf irgendwelche Fundstücke der letzten Nächte traf, die mir unangenehm gewesen wären. Bist du so eine Mutter, die Studentenbuden renoviert?

Ich habe beides. Elias, der mich immer dabeihaben möchte, ob einkaufen, einrichten oder einräumen. Bei Noah ist es inzwischen so, dass ich auch schon mal was mitbringen darf.

Mit Elias bist du auch viel gereist, oder?

Mit Noah war ich auch viel unterwegs, in Afrika und Asien beispielsweise. Aber mit Elias ist es wirklich so, dass er mich oft dabeihaben möchte und auch meinen Geschmack gut findet.

Wie schön! Noah ist Maler, er ist Künstler. Und natürlich entdeckt man als Mutter sicherlich Facetten an den Kunstwerken, wo man sagt: Das hat mein Sohn gemacht, das ist mein Sohn, der ist aus mir herausgekommen, der war doch gerade noch so klein, und jetzt? Ist das manchmal auch erschreckend?

Ich muss sagen, er hat sich wirklich komplett aus sich heraus entwickelt und ist gerade in Berlin in einer Phase und in einer Umgebung, die er brauchte und wo er auf nahrhaften Boden getreten ist. Ja, ich steh’ dann staunend davor, genau wie du gerade sagtest, und bin natürlich sein größter Fan, ist klar.

Reden wir mal uncharmanterweise über das Älterwerden. Ich sage nicht das Alter, denn vor mir sitzt die schönste Frau, die je das Gelände des NDRs betreten hat. Wie erlebst du es?

Du hast jetzt gerade deine Brille abgenommen.

Uns trennt vor allen Dingen in Coronazeiten so eine lächerliche Scheibe hier.

Und die ist nicht mal geputzt.

Richtig, und das an einem grauen Samstagmorgen. Formulieren wir es anders: Wie erlebst du das Vergehen von Zeit?

Ich erlebe das jeden Tag neu und bin jeden Tag mit noch mehr Lust dabei, muss ich sagen. Natürlich hätte ich gern die Zeit zurück, zum Beispiel als wir neben dem Telefon gewartet haben, als man das noch nicht mitnehmen konnte – die Zeit hätte ich auch gern zurück. Aber ansonsten muss ich sagen, ich liebe auch das Altern. Wenn mir weniger wehtun würde, wäre es noch besser, aber ich finde das Leben insgesamt sehr schön. Das Altern und das Älterwerden gehört nun mal dazu und ist auch richtig. Die Kinder, die gestern mit uns in der Sendung saßen, erleben eine ganz andere Welt, schauen auf eine ganz andere Welt und gehen in eine ganz andere Welt. Und wir, die wir nicht zurückblicken, aber die wir schon an einer anderen Stelle stehen, mit nicht weniger Kraft, aber mit einer anderen Hoffnung. Mir ist das bewusst geworden, auch mit meinen Kindern, dass diese Zeit den Kindern gehört. Ich ziehe mich auch ein bisschen zurück. Nicht auf die Altenbank, aber in meine Zeit zurück. Diese Zeit, die jetzt mir gehört, in der ich mich noch mal neu erfinden und entfalten darf, ist eine wichtige Zeit. Man betrachtet die Dinge anders, weniger gehetzt, weniger von Selbstzweifeln getrieben, mit mehr Liebe zu sich selbst. Ich finde Altern schön.

Du sagtest gerade, ich zitiere dich: „Eine Zeit, wo ich mich neu finden darf.“ Finden setzt suchen voraus. Wonach suchst du?

Bliss! Tatsächlich Glück.

» Ich liebe das Altern. Ich finde Altern schön. «

Ich bin ein Mensch, der Zitate sammelt. Und zwar, weil ich es liebe, wenn jemand sprachlich auf eine großartige Idee gekommen ist, auf die ich nicht gekommen bin. Und der große deutsche Dichter Novalis hat gesagt: „Glück ist das Talent für das eigene Schicksal.“ Hast du Talent für dein Schicksal?

Vielleicht hat meine Mutter mir das früh beigebracht oder ich habe es an ihr gesehen: Wenn das Leben auf mich zukommt, habe ich die Möglichkeit, so zu reagieren, wie ich es kann. Also ich kann mein Glück selbst schmieden, das Schicksal schmieden – wie heißt dieser Spruch?

Jeder ist seines Glückes Schmied.

Vielen Dank, wäre mir gleich eingefallen. Es ist tatsächlich so, dass ich das Gefühl habe, inzwischen besser mit dem, was mir von außen oder auch von innen entgegenkommt, umgehen zu können, und dass ich das Glück und auch das Gute im Auge behalten möchte. Wirklich immer das volle Glas, wirklich immer: ja! Nicht beschweren, sondern wie geht’s weiter? Next. Und auch nicht die Vergangenheit mitschleppen, sondern sich im Hier und Jetzt bewegen. Ich habe natürlich das große Glück, dass ich zum einen hier geboren bin, in einer Gesellschaft, wo ich sehr viele Möglichkeiten habe und hatte als Frau, als schwarze Frau. Und dass ich es natürlich als meine Aufgabe sehe, anderen Frauen, anderen Menschen, die am Rande stehen, meine Hand zu reichen, dass ich sie mitnehmen kann und ihnen die Hoffnung geben kann, dass es auch gut ausgehen kann.

Wenn wir schon mal Besuch aus Florida, genauer aus Miami, haben, würde ich gerne ein bisschen über amerikanische Mentalität versus deutsche Mentalität sprechen. Warum möchte ich das? Nachdem du gestern bei uns in der NDR Talk Show warst, habe ich mir noch ein paar Mails angeschaut, die nach der Sendung reingekommen sind. Da gab es schon die eine oder andere Mail, wo gesagt wurde: Na ja, die Barbara Becker hat gut reden. Ihr geht’s finanziell sehr gut, sie kann im Prinzip gar nicht beurteilen, wie es mir als alleinerziehender Mutter mit wenig Geld geht. Da mag etwas dran sein, aber ich werde immer sehr allergisch, wenn ich bei uns Deutschen diese gewisse Neigung zum Sozialneid erkenne – zum Beispiel, wenn Menschen sagen: „Der oder die kocht ja auch nur mit Wasser!“ Dieser Satz wird immer mit einem Ausdruck der Erleichterung ausgesprochen, nie mit Bedauern, wie: „Gott sei Dank, genauso mittelmäßig wie ich selbst.“ Erlebst du Amerika anders? Erlebst du Amerika in der Beziehung offener oder ist das eine Illusion, gibt es dort denselben Sozialneid wie in Deutschland?

Den gibt es in Amerika genauso, aber es wird wahrscheinlich anders darüber gesprochen. In den prägenden Jahren, also die, die man für immer mitschleppt und wo es um Traumata oder Prägungen geht, haben meine Schwester und ich uns beispielsweise auch gegenseitig die Salami vom Brot geklaut.

Meine Mutter hat auch drei Kinder allein großgezogen. Ich war erst mit meinen Kindern allein, als sie schon etwas älter waren, und ich hatte natürlich finanzielle Unterstützung vom Vater. Auch wenn es mir finanziell sehr gut geht, habe ich doch nie vergessen, und werde es auch niemals tun, dass meine Mutter sich meine Geigenstunden vom Munde abgespart hat, sie immer dieselben Klamotten hatte, sich nichts gegönnt hat und alles in die Kinder gesteckt hat. Das ist eine Sache, die man auch nicht loswird. Das ist ein Teil meiner Kindheit und deswegen kann ich sehr gut mitfühlen. Natürlich lebe ich heute anders, aber trotzdem sehe ich mit wachen Augen und höre mit offenen Ohren, was in den Menschen vorgeht, denen es nicht gut geht.

Zwei Freundinnen von mir aus der Schulzeit sind mit amerikanischen Männern verheiratet und leben mit ihren Familien in Amerika. Ich habe sie beide mal gefragt, ob es irgendwas gibt, was sie vermissen, wenn sie in Massachusetts und in Ohio durch die Stadt gehen. Beide haben komischerweise die gleiche Antwort gegeben, als ob sie sich abgesprochen hätten, was aber nicht der Fall war: „Ja, die Tiefe der Verbindungen. Man sagt sehr schnell ‚friend of mine‘, aber die deutsche Freundschaft, das ist etwas, was es da so nicht gibt.“ Haben sie recht?

Das ist so, aber ich denke, insgesamt müssen wir Freundschaften pflegen. Auf meinen Deutschlandreisen spüre ich schon, dass die Leute tiefsinniger oder tiefgründiger sind. Dieses oberflächliche Geplänkel – das merke ich auch im Gespräch mit dir – ist deutlich weniger als in Amerika. Es geht wirklich mehr um das Sich-dem-anderen-Zeigen und um eine gewisse Verletzlichkeit, die man untereinander hat. Dinge werden angesprochen, nicht um Menschen zu nahe zu treten, sondern um herauszufinden, wer sie sind. Ich glaube, das ist in Amerika oftmals nicht so oder einfach weniger. Meine Freundinnen sind eher international, ich habe nur eine einzige amerikanische Freundin, die allerdings auch tiefgründiger ist. Miami an sich ist ja irgendwie auch eine Enklave von Rübergemachten oder Zugereisten. Sehr viele kommen aus Südamerika beziehungsweise aus der ganzen Welt.

Ich habe einige Filme in Amerika koproduziert, habe für zwei amerikanische Firmen gearbeitet, war insgesamt also sehr, sehr oft in den USA und habe somit eine Nähe zur amerikanischen Mentalität. „Let’s have a real good time“ – dementsprechend haben die Amerikaner beispielsweise die große Bereitschaft, schnell mal zu feiern. Da sind wir, glaube ich, etwas spaßbefreiter hier im Norden.

Das ist richtig.

Wir haben schon übers Älterwerden gesprochen und ich habe mit Vergnügen gelesen, dass zu deinem 41. Geburtstag niemand Geringerer als Lionel Richie „Three Times a Lady“ gesungen hat. Wie kam es denn dazu?

Es war tatsächlich so, dass ich mit 40 dachte, echt alt zu sein. Mit 40 war ich noch verheiratet, mit 41 dann geschieden, zum zweiten Mal. Da habe ich gedacht, jetzt bin ich so wahnsinnig alt geworden und zum 40sten hatte ich ein Riesenfest, und nun? Da hab’ ich Lenny angerufen und hab’ gesagt …

… Lenny Kravitz, ein Freund von dir?

Ja, genau. Und ich frage ihn also: Was soll ich nur machen? Sagt er: Komm nach New York, wir machen was ganz Kleines, nimm die Kinder und wir feiern allein. Es begann dann morgens damit, dass er mich zu einem Gospelbrunch schickte mit den Kindern, die er angerufen hatte. Dann hat er die ganze Zeit gesagt: Du weißt nicht, was ich noch für dich geplant habe. Irgendwann sind wir dann zu ihm gegangen, die Tür ging auf und am Klavier saß Lionel mit einem riesengroßen Strauß weißer Rosen, wirklich riesengroß. Ich glaube, danach habe ich nur noch einmal so viele Rosen bekommen.

Es gab auch Champagner, Dom Perignon?

Genau, es gab Dom Perignon aus der ganz großen Flasche.

Also ein ganz kleines Fest.

Ja, wenn ich dann mal meine Biografie schreibe …

… dann ist das das erste Kapitel.

Auf jeden Fall eins davon, denn diese Bilder gibt es tatsächlich noch. Meine Kinder waren auch dabei, die kannten Lionel allerdings damals noch nicht. Es war herrlich! Die Party war klein, aber mehr als fein. Ich denke heute immer noch: Was für ein schönes, feines, kleines Fest.

Ich mache jetzt was ganz Gemeines. Wir spielen für dich, Barbara, etwas von The Commodores. Und zwar den einzigen Hit, wo Lionel Richie nicht der Lead Vocalist war, nämlich „Night Shift“.

Schön, dass du das kennst, Hubertus! Ich möchte eigentlich auch nur mit Leuten reden, die diese Lieder kennen.

Zehn Frauen

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