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7. Kapitel

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Fatty hat einen flirt

Fred Holme hatte Glück. Eine Familie bestellte in letzter Stunde ihre Kabinen ab, und so bekam er auf dem vollbesetzten ‚Leviathan‘ noch ein ganzes Appartement für sich allein: Schlafraum, Salon und Badezimmer.

Trotzdem fühlte er sich während der ersten Stunden recht unbehaglich. Was sollte dieser ganze Witz? Rund herum nichts als widerwärtiges Salzwasser und drüben am anderen Ende des großen Teiches Europa. Unmittelbar vor seiner Abfahrt hatte er noch im Lexikon nachgeschlagen und zu seinem Entsetzen erfahren, daß das kleine alte Europa ungefähr vierhundert Millionen Menschen beherbergt, also viermal so viel als sein gesegnetes Nordamerika. Und nun sollte er aus diesen vierhundert Millionen Menschen das schönste, beste und feinste junge Weib herausfinden. Das Weib ohne Habgier, ohne amüsante kleine Flecken in der Vergangenheit, ohne Tante und Onkel! Es graute ihm, seine borstigen Haare sträubten sich, und er dachte an den Heuschober und die Stecknadel.

Nach etlichen Stunden wurde ihm schon wesentlich wohler zu Mute. Man hatte die „Temperenzzone“ passiert, ein Kutter schlängelte sich an den Riesendampfer heran, mächtige Körbe mit Weinflaschen, Fässer mit Whisky und Bier wurden im Nu an Bord gebracht, worauf die Sirene des „Leviathan“ fröhlich zu krähen begann und sich sämtlicher Passagiere mit Ausnahme einiger presbyterianischer Pastoren lebhafte Heiterkeit bemächtigte.

Vor dem ersten Souper rief Holme den Chiefsteward herbei, drückte ihm einen Zehndollarschein in die automatisch entgegengestreckte Hand und befahl ihm, einen Tisch für ihn auszusuchen ohne alte Damen und Herren, aber dafür mit mindestens einem netten Frauenzimmer.

Der Chiefsteward verstand, lächelte diskret und berichtete schon nach einigen Minuten:

„Eine vornehme polnische Familie mit einer entzückenden jungen Dame. Die Mama ist ein wenig zu dick, aber ich hoffe, daß sie seekrank werden wird.“

Der Steward hatte nicht übertrieben. Die polnische Mama war ungeheuer dick, der Papa hager, Habichtsnase mit leichter Rötung, zwanzig bunte Bändchen im Knopfloch und die Tochter direkt zum Anbeißen. Mittelgroß, mollig, kurzgeschnittene braune Locken, unschuldige Augen, winzige Händchen und Füßchen und Beine, Beine – – –

Gegenseitige Vorstellung. Kasimir Schlampovsky samt Gemahlin und der Tochter Valeska. Schlampovsky, der ein Monokel an dickem, schwarzem Seidenband trug, war Direktor im polnischen Wirtschaftsamt und nach New York gefahren, um bei Verwandten Geld zu schnorren. Jetzt fuhr er mit Frau und Tochter zurück nach Warschau. Er hatte seine Mission glücklich erledigt, das heißt, so viel Geld bekommen, daß die Regiespesen nur um ein geringes größer waren als das Darlehen.

Fatty war von Valeska einfach entzückt und bestellte sofort zwei Flaschen Mumm extra dry. Nach dem animierten Souper lud er die ganze Gesellschaft in den Rauchsalon zu etlichen Punschen und Likören ein, aber der Mama war schon nicht mehr ganz gut, auch konnte sie ihre Fülle nicht durch die schmale Türe des Rauchsalons pressen, also ließ sie sich lieber von dem schönen Töchterchen zu Bett bringen. Valeska versprach, mit einem kindlich koketten Blick auf Holme, sofort wiederzukommen.

Herrn von Schlampovsky fiel das Monokel direkt in den Cocktail, als er erfuhr, daß Fred Holme Generalsekretär des Henry Garrick sei.

Er hatte nämlich schon in New York erzählen gehört, daß dieser Generalsekretär zehntausend Dollar wöchentlich Gehalt und ein Promille Gewinnbeteiligung bei allen Garrickschen Unternehmungen habe. War sein Herr der reichste Mann Amerikas, so dieser Holme sicher der bestgezahlte Angestellte der Welt.

Und noch dazu Junggeselle! In diesem Lande, in dem die jungen Leute gewöhnlich das Heiraten gar nicht erwarten konnten, war dieser reiche sympathische Mann Junggeselle geblieben!

Herr von Schlampovsky setzte sich in Positur, vergoß eine Träne über sein unglückliches Vaterland, das, da es nun geeinigt war, seine beliebtesten Volkslieder nicht mehr singen konnte; dann lenkte er, nach dem dritten Cocktail, das Gespräch auf seine geliebte Tochter Valeska.

Ideal polnischen Mädchentums. Keusch und vornehm, häuslich und mondän, fünf Weltsprachen beherrschend, grandiose Tänzerin, preisgekrönte Tennisspielerin, hochbegabte Pianistin. Und schön, schön!

Der Pole schnalzte mit der Zunge und versicherte in seinem drolligen Gemisch von Polnisch und Englisch: „Mein Herr, Sie haben ja meine Valeska gesehen, Sie wissen jetzt, wie schön sie in großer Toilette ist. Aber Sie müßten sie erst nackt sehen! Mein Herr, ich als Vater bin ein solcher Feinschmecker, daß ich immer, wenn Valeska badet, durch das Schlüsselloch zuschaue. Mein Herr, die Venus Kallipygos ist häßlich gegenüber meiner Tochter. Der Körper, diese Brüste, diese Hüften, mein Herr, ein Gotteswunder ist Valeska!“

Fred Holme rannen dicke Schweißtropfen über die Stirne. Die temperamentvolle Schilderung des Herrn von Schlampovsky erregte ihn sehr, und er, der noch nie in Europa gewesen, noch nie einen lebendigen polnischen Edelmann zu Gesicht bekommen, beschloß, in sein Tagebuch zu vermerken:

„Polnische Edelleute schauen durch das Schlüsselloch zu, wenn die Tochter badet”.

Valeska kam, das Gespräch wurde abgebrochen, und jetzt schnalzte Fred unwillkürlich mit der Zunge. Tatsächlich, sie war entzückend, diese Valeska. Neugierig blinzelte Fatty das Dekolleté an. Hm, der Vater schien nicht gelogen zu haben – was man da sah, war mehr als vielversprechend.

Ein Gedanke schoß ihm durch den Kopf: Vielleicht hatte er jetzt schon gefunden, was Garrick suchte, so daß er nicht erst den ganzen europäischen Heuhaufen durchwühlen mußte! Neunzehn Jahre alt, gebildet, tugendhaft wie der Vater, der es doch wissen mußte, versichert hatte, lieb und freundlich. – Garrick, was kannst du noch mehr wollen?

Die Unterhaltung wurde sehr gemütlich; Valeska klatschte fröhlich wie ein kleines Mädchen in die Hände, als sie erfuhr, daß Fred Holme der Vertraute, Freund und Generalsekretär des reichsten Mannes der Welt sei, und er fand es entzückend naiv und kindlich von dem schönen Mädchen, daß es so zutraulich war und im Eifer des Gespräches immer wieder ihre niedliche kleine Patschhand auf sein Knie legte. Sehr nett fand er das, aber es wurde ihm so heiß, daß er einen eisgekühlten Gin mit Whisky nach dem anderen herunterstürzen mußte.

In der Nacht hatte Fred seltsame Träume. Er lag in einer Badewanne mit Rotwein gefüllt, und Valeska, mit einem Myrtenkranz auf dem Kopf, sah durch das Schlüsselloch und rief immer: Ei, was für einer schöner Mann!

Am anderen Tag ging die See hoch, Mama Schlampovsky war wirklich seekrank, Herr von Schlampovsky fühlte sich auch nicht ganz wohl, und so verbrachte denn Fred mit Valeska fast den ganzen Tag allein.

Abends nach dem Souper lagen beide nebeneinander in ihren Streckfauteuils auf Deck, tausend Sterne funkelten auf sie herab, die Luft war milde, Valeska schweigsam und verträumt, und Fred hielt die Zeit für gekommen, das Herz und die Wünsche des schönen Mädchens zu sondieren. Verständigen konnten sie sich recht gut miteinander, da Fred, der eine deutsche Mutter gehabt hatte, die deutsche Sprache beherrschte, außerdem ein wenig französisch sprechen konnte, und Valeska wieder recht gut englisch sprach.

Fred ergriff die Hand des dicht neben ihm liegenden Mädchens.

„Miß Valeska, was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen mitteilen würde, daß ich Sie für einen sehr, sehr reichen Mann, einen klugen, stattlichen Mann von sechsunddreißig Jahren, der sich sehr einsam fühlt, auserkoren habe? Wären Sie bereit –“

Weiter kam Fred nicht, denn Valeska schlang plötzlich stürmisch ihre weichen im Abendkleid nackten Arme um seinen Hals, schob sich mit einer schlangenartigen Bewegung auf seinen Streckfauteuil hinüber, preßte ihre Lippen auf seine gut ausgepolsterten Backen und flüsterte:

„Geliebter du, ich habe es ja vom ersten Augenblick an geahnt, daß du mich begehrst! Ich sage nicht nein, Fred, denn seit jeher habe ich eine Vorliebe für dicke und reiche Männer gehabt!“

Fatty bekam einen Schlaganfall vor Entsetzen. In seiner Verwirrung preßte er das Mädchen ganz fest an sich – wirklich, ihr Vater hatte, was den Busen betrifft, nicht gelogen – und er wollte das fatale Mißverständnis aufklären, aber Valeska ließ ihn nicht zu Wort kommen.

„Weißt du, Fred, ich bin sehr unglücklich, ich habe enorme Schulden in Warschau. Nicht wahr, du wirst sie mir bezahlen? Papa hat selbst nichts und gibt sein ganzes Einkommen für seine Maitresse aus. Und Mama, die hat früher einen reichen Freund gehabt, aber seit dem sie so dick geworden ist, will der von ihr nichts mehr wissen, du aber, Geliebter, du wirst mir helfen, nicht wahr?“

Fred preßte noch intensiver und sah im Bruchteil einer Sekunde ein, daß in Europa die Dinge mit anderem Maßstab zu messen sind und er ein rechter Esel war.

Er wälzte sich gemeinsam mit Valeska wie ein Walroß aus dem Streckfauteuil heraus und erklärte, er wolle das Geschäftliche mit Valeska in seiner Kabine ordnen.

Als Valeska zerzaust und übernächtig um vier Uhr morgens aus dem Appartement Fred Holmes in ihre Kabine schlüpfte, hatte sie im Dekolleté einen Scheck liegen, mit dem sie ihre Schulden bezahlen und noch dem Papa ein wenig auf die Beine helfen konnte.

Am sechsten Tag kam man in Southampton an, Fred Holme verabschiedete sich zärtlich von Valeska und schüttelte Papa Schlampovsky kräftig die Hand.

„Sie sind ein ehrlicher Mann, Herr von Schlampovsky, und ihre Beobachtungen durch das Schlüsselloch waren nicht übertrieben.“

Und nun fuhr Fatty nach London, um im Heuhaufen nach der Stecknadel zu suchen.

Die schönste Frau der Welt

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