Читать книгу Die schönste Frau der Welt - Hugo Bettauer, Hugo Bettauer - Страница 7
4. Kapitel
ОглавлениеDer arme reiche
Garrick ging in dem Herrensalon seines Palastes an Riverside Drive auf und ab. Der Schreibtisch war mit Briefen und Akten bedeckt, wichtige Dokumente harrten der Erledigung, er wollte heute nachts noch seine Entscheidung über den Ankauf einer Kupfermine treffen, aber er konnte sich nicht zur Arbeit entschließen, ging ruhelos auf und ab.
Die Stille und Einsamkeit in dem großen, ganz aus Marmor erbauten Palast sprang ihn heute an wie ein wildes Tier, erregte ihm Unbehagen. Immer wieder flogen seine Gedanken zurück zu dem albernen kleinen Hochzeitsfest im deutschen Hotel. Wie glücklich dieser junge Ehemann ausgesehen hatte, wie zufrieden und heiter die anderen. Diese Leutchen kannten das Gefühl des Alleinseins nicht, hatten ihre Frauen und Kinder, die jungen unter ihnen ihren Schatz, ihr „Sweetheart“, wenn sie den Garrickschen Wolkenkratzer verließen, waren sie freie, frohe Menschen, dachten nicht mehr an Geld und Geschäfte, unterhielten sich auf ihre bescheidene Art.
Er aber? Ein von der Arbeit und von Ehrgeiz Besessener war er, für ihn gab es keine Ruhepause, keine Erholung, kein stilles Glück – nichts als Arbeit und wieder Arbeit! Seit zwei, drei Jahren hatte er die halben Nächte hier an diesem Schreibtisch allein oder mit seinen Direktoren verbracht, in seinem kurzen Schlaf drängten sich Ziffern und Pläne, um sieben Uhr morgens duldete es ihn nicht mehr im Bett, bemächtigten sich seiner neue Ideen, schluckte er den heißen Kaffee herunter, hastete er in die City, warf er sich nie endender Arbeit in die gierig ausgestreckten Arme.
Und dabei war er noch jung. Wie alt eigentlich? Siebenunddreißig? Nein, erst sechsunddreißig! Und das Leben lockte ihn oft genug, es gab tausend schöne Frauen, die sich an ihn herandrängten, ihn umwarben, ihn mit schmachtenden Blicken verstricken wollten. Aber er hatte keine Zeit für das Leben und keine für die Frauen.
Ein hartes Lachen unterbrach die Totenstille ringsumher.
Würde man es ihm glauben, daß er seit zwei Jahren kein Weib umarmt hatte? Er, der kraftstrotzende, gesunde Mann von sechsunddreißig Jahren?
Aber wie denn auch? Am Morgen, am Tag, am Abend hatte er keine Zeit, konnte er sich nicht auf eine Stunde von der Arbeit befreien. Und nachts – ja, in seinen einsamen Nächten gab es Stunden, in denen die Wollust ihm das Blut in den Kopf trieb, ihm die Decken zur unerträglichen Last wurden, er sehnsüchtig die Arme ausstreckte, um die nackten Frauenleiber, die ihm die Phantasie vorgaukelte, an sich zu reißen. Bis er aufsprang, in das Badezimmer eilte, das eiskalte Wasser der Brause über den heißen Körper rieseln ließ und dann zentnerschwere Eisenhanteln schwang, um erschöpft und müde wieder in sein Bett zu kriechen und an Transaktionen, Fusionierungen, Neugründungen und Riesengeschäfte zu denken.
Das war sein Leben, das Leben des beneideten, gehaßten, bewunderten, fast schon sagenumsponnenen reichsten Mannes der Welt!
Wozu das alles, warum nicht Schluß machen, sich dem Leben in die Arme werfen, nach Europa fahren, diesem jauchzenden, den Frauen und dem Genuß lebenden Europa? Zu welchem Zweck weitere Millionen auf Millionen häufen, zu welchem Ende arbeiten und schuften, wie keiner seiner Angestellten, kein Erdarbeiter, kein Kohlengräber arbeitet?
Garrick schüttelte sich.
Lächerlich dagegen ankämpfen zu wollen! Seine Bestimmung, seine Mission, sein Lebenszweck – basta!
Und doch und doch! Ließ sich denn nicht das eine mit dem anderen verbinden? Warum nicht ein liebes, schönes Weib nehmen, mit ihm Kinder zeugen, der Arbeit Stunden der Erholung abstehlen? Sicher, würde er erst die Frau haben, so kämen die Stunden der Freude und des Glückes von selbst. Eine Frau würde heilige Rechte auf ihn haben, denen er sich nicht widersetzen könnte. Er würde mit ihr reisen und Bücher lesen, Theater und Feste besuchen. O ja, es ginge schon, mußte gehen!