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Ein Haus im Wald, irgendwo in Deutschland

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Ich habe schon beim Nachrichtenschreiben mit ihm gespürt, dass was nicht stimmt. Er hat fünfmal nachgefragt, ob ich auch wirklich „alles“ mache, was in meinem Profil steht. „Wirklich alles? Alles? Ganz sicher, alles?“ Das ist immer ein schlechtes Zeichen.

Er wohnt weit draußen. Er werde mich abholen, sagt er. Und dann führen wir zu ihm.

Das klingt nicht gut. Mein inneres Alarmsystem klingelt ununterbrochen.

Aber ich habe keine Wahl. Nächste Woche beginnt ein neues Uniseminar, für das ich drei Bücher kaufen muss. Außerdem ist der Kühlschrank leer. Ich habe heute meine Tage bekommen und nicht mal mehr Geld für Tampons. Verdammte Axt.

Also schiebe ich mir eins von diesen rosa Schwämmchen rein, die Prostituierte eben benutzen, wenn sie ihre Tage haben. Ich schiebe so tief wie möglich, damit er es nicht merkt.

Als ich am Treffpunkt ankomme, erwartet mich ein Männchen, kaum größer als ich. Glatze, schmächtig. Und großspurig. Da ist irgendwas in Schieflage, er versucht, etwas zu übertünchen, das spüre ich sofort. Sein Auto ist breit und groß wie ein Scheunentor.

Ich steige ein, wir fahren los. Klack, geht die Verriegelung. Während der Fahrt gibt er mir das Geld. „Schaust geil aus“, sagt er. „Gibst das Geld jetzt sicher für Schuhe und Handtaschen aus, was?“

Ich fühle, dass er mich kleinmachen will. Weil er sich selbst klein fühlt. Wo bin ich hier nur reingeraten. Fuck this. Ich blaffe zurück, was er damit meine. Er nimmt sich ein bisschen zurück. Aber während der halben Stunde Fahrt probiert er immer wieder, mich verbal zu erniedrigen. Er testet. Er testet, wo meine Grenzen sind. Er testet, was er mit mir alles machen kann. Und ich weiß sofort, ich bin an einen Psycho geraten. Eine Frau, die sich prostituiert, entwickelt irgendwann ein Gefühl dafür, was der Mann, der sie bucht, will. Wirklich will. Und der hier will mich erniedrigen. Das macht ihn geil. Ein Sadist.

Irgendwann fahren wir von der Straße ab in einen Wald. Mir schwant Übles. Ich sage aber bewusst nichts. Nach zwanzig Minuten Fahrt durch den Wald kommen wir an einem Haus an. Sagte ich „ein Haus“? Es ist ein verdammter Hochsicherheitstrakt. Mir gehen fast die Augen über, als wir ankommen. Um das ganze Gelände, auf dem seine Firma und sein Haus stehen, ist eine Mauer. Darüber Stacheldraht. Das Sicherheitstor geht auf, wir fahren durch. Ich werfe einen kurzen Blick auf mein Handy – ich habe keinen Empfang mehr. Oh Gott.

Wir steigen aus, zwei riesengroße Hunde, Weimaraner, rennen auf uns zu. „Die tun nichts“, sagt er, „bis ich es ihnen sage.“ Er wirft mir einen Seitenblick zu. Ich weiß, was er will. Er will sehen, ob ich Angst habe. Er will, dass ich Angst habe.

Ich darf sie ihm nicht zeigen. Das hier ist ein Sadist. Den geilt das auf. Wenn ich ihm zeige, dass ich Panik habe, wird es eskalieren. Dann wird alles, alles nur noch schlimmer. Runterschlucken. Die Angst runterschlucken. Adrenalin schießt mir durch die Adern. So viel davon, dass meine Haut prickelt. Ich komme hier nicht mehr weg. Ich kann keine Hilfe rufen. Ich muss da jetzt durch. Ich muss kalt sein. Frech sein. So tun, als würde ich die Gefahr nicht bemerken.

Wir gehen ins Haus.

Er führt mich zu seinem Waffenschrank.

„Na“, fragt er scheinheilig grinsend, „haste jetzt Angst?“

Ich werfe all meinen Mut in die Waagschale und lache ihn aus. Ich muss abgebrüht sein und dreist. Vorlaut und frech. Das finden Typen wie er auf eine andere Art und Weise geil. Es reizt ihren Eroberungs- und Jagdinstinkt. Es lenkt Typen wie ihn von ihren gestörten Vorhaben ab. Keine Angst zeigen, sonst eskaliert es. Wenn ich jetzt das Opfer gebe und winsel, bin ich tot. Wenn ich jetzt nicht gut schauspieler, liege ich in zwei Stunden in einer schwarzen Mülltüte. In Stücken.

„Wenn deine Waffen das Größte sind, was du mir zeigen kannst, bin ich aber mächtig enttäuscht! Los, lass uns ficken. Zeig mir mal, was du so kannst. Oder kannste nix?“

Hallo.

Ich bin Huschke.

Ich werde jetzt mit diesem Psycho ins Bett gehen.

Ich werde es überleben, aber das weiß ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Magst du mich vielleicht begleiten?

Denn ich möchte dir gern zeigen, was Prostitution ist.

Was die Wahrheit über Prostitution ist.

Ich bin gerade siebzehn Jahre alt, als ich aus meinem gewalttätigen Elternhaus fliehe und in eine Mädchenzuflucht komme. Bald jedoch endet die Hilfe des Jugendamtes, und nach einem Psychiatrieaufenthalt habe ich kein Obdach mehr. Ich gerate an einen Mann, der mein erster Zuhälter wird. Er ist Polizist. Bald prostituiere ich mich im Wohnungsbordell, dann wechsel ich in das nächste. Auch von dort haue ich ab. Doch der erste Ausstieg aus der Prostitution gelingt mir nicht. Ohne familiäre oder behördliche Unterstützung schaffe ich es nicht, mein Studium zu beenden. Also prostituiere ich mich ab und an weiter – ich mache Escort und Haus- und Hotelbesuche. Nach insgesamt zehn Jahren, in denen ich mich, mit Unterbrechungen, immer wieder prostituiert habe, schaffe ich endlich den richtigen Ausstieg.

Heute bin ich Doktorandin und Aktivistin für Frauen- und Mädchenrechte und setze mich für die Abschaffung der Prostitution ein. Wenn du selbst Prostitutionserfahrung hast, wenn du etwas über Prostitution wissen möchtest oder wenn du dich darüber informieren magst, warum wir sie abschaffen sollten und wie das geht, ist dieses Buch genau das Richtige für dich.

Um meine persönliche Geschichte mit der allgemeinen Betrachtung der Prostitutionsszene in Deutschland zu verknüpfen, mache ich ab und an Zeitsprünge und erzähle mein Leben nicht immer ganz chronologisch.

Die geneigten LeserInnen mögen mir das nachsehen.

Entmenschlicht

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