Читать книгу Mika liebt … - I. Tame - Страница 14

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Das Weihnachtsfest wird in Amerika üblicherweise am 25.12. morgens begonnen. Doch in Johns Familie pflegt man die alten deutschen Traditionen. Daher ist der 24.12. Tag der Bescherung.

Als John sich duscht und für den Feiertag umzieht, überlegt er intensiv, wie er seine Mutter und seine Schwester vor dem unausweichlichen Drama bewahren kann. Sie sind die Leidtragenden dieses Tages. Vielleicht schafft er es, seinen Vater an einen anderen Ort zu locken. Wie auch immer: irgendwann einmal ist die Stunde Null gekommen. Und John muss sich nur Kenos verzweifeltes Schluchzen in Erinnerung rufen, um die Adrenalinproduktion seines Körpers auf Hochtouren zu fahren. Diese Drecksau hat Cat auf dem Flughafen gesehen und direkt massiv bedroht.

Daher ist heute ‚D-Day‘! Heute wird Klartext geredet und wenn’s so sein soll … John spannt seine Muskeln vor dem Spiegel an, bevor er sein Hemd überzieht. Wenn es also sein soll, dann gibt’s heute auch Lack. „Gründe hab‘ ich genug!“ John starrt lange sein ernstes Gesicht im Spiegel an. „Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass er es getan haben soll. Ich weiß, dass Cat die Wahrheit sagt. Aber die ganze Sache ist so … absurd. So was passiert in irgendeinem billigen Horrorfilm. Doch nicht …“ „… doch nicht im wahren Leben“, flüstert er seinen Gedanken zu Ende. Mit einem Ruck reißt er sich aus seinen lähmenden Gefühlen heraus. Er muss wach sein; aufmerksam, auf der Lauer. Sein Alter soll ihn nicht in einem schwachen Moment erwischen. John lockert seine Schultern, rudert mit den Armen und testet einen Roundkick. Alles bestens.

Die Türklingel schreckt ihn nur für eine Sekunde auf. „Wer kann das denn sein?“ Er öffnet die Wohnungstüre und starrt in Georges Gesicht. Da steht er vor ihm in seinem teuren braunen Kaschmirmantel, den eleganten dazu passenden Schal locker um den Hals geschlungen.

„Hallo John“ begrüßt er seinen Sohn, als wäre nichts geschehen. Als hätte sich nicht die ganze Welt verändert, seit ihrem letzten Treffen. John starrt ihn einfach an. Er gibt keinen Ton von sich. Er starrt – wortlos – versucht, in diesen grau-blauen Augen – eine Kopie seiner eigenen – ein Stück Ehrlichkeit zu erkennen. Vergeblich. Georges Grinsen wird noch breiter.

„Hey! Hat’s dir die Sprache verschlagen?“ Jetzt lacht er auch noch, dass seine Jacketkronen hervorblitzen. Dieser kurze Moment holt John schlagartig zurück in die Gegenwart.

„Hallo Dad“, knurrt er ironisch, bevor seine rechte Hand vorwärts schnellt, in den Mantel packt und George mit einem Ruck in die Wohnung zieht. Die Haustüre knallt hinter ihm zu. Und schon schubst er seinen Vater heftig voran in Richtung Wohnzimmer. George ist mindestens genau so groß wie John, doch sein Körper schlackert wie der einer Stoffpuppe. Johns auflodernde Wut lässt seine Kräfte außer Kontrolle geraten. Nicht, dass es ihn kümmern würde.

„Bitte … John … hör‘ mir doch erst mal zu!“, stottert George, darum bemüht, Haltung zu bewahren und sich immer wieder aufzurichten, bevor der nächste kräftige Stoß ihn weiter schubst.

In dem kleinen schäbigen Wohnzimmer stehen sie sich schließlich gegenüber. Nur ein Meter trennt sie voneinander. Äußerlich ist John seine Erregung nicht anzumerken. Seine Atmung geht ruhig, er blickt seinen Vater ohne erkennbare Emotion an. George ergreift die Chance zu reden.

„John … wirklich … du musst mir glauben! Lass dich nicht von Keno hinters Licht führen.“ Während er seinen Mantel richtet und seinen Schal wieder geradezupft, gewinnt George seine Fassung zurück. „Er lügt dich an! Er hat schon immer gelogen! Du weißt doch, aus was für einer Familie er stammt. Sein Vater ist immer noch der größte Säufer und Schläger der Stadt. Und er lügt … genau wie sein Sohn. Überleg‘ doch mal!! Warum sollte ich ihm das alles angetan haben? Warum …“

„Was?!“, unterbricht John Georges Tirade.

Dieser sieht ihn fragend an. „Was meinst du?“

„Was sollst du ihm angetan haben?“

George streckt in einer unschuldigen Geste seine Handflächen von sich.

„Na, du weißt doch was er für einen Müll erzählt. Er wäre entführt worden, gefoltert … missbraucht … dieser ganze Quatsch eben.“

„Und woher weißt DU davon? Woher weißt du das alles, wenn du gar nichts damit zu tun hast?“

„Na ja … er …“

„Niemand weiß davon, denn er hat es Niemandem außer mir erzählt.“ „Edwina muss ich ja nicht unbedingt auch noch ins Spiel bringen.“

„John!! Er lügt!!! Bitte!! So etwas würde ich dir niemals antun! Ich bin doch dein Vater!“

John senkt kurz den Kopf und atmet einmal tief durch.

„Ich scheiß auf dich!“, murmelt er noch, bevor der erste präzise Schlag Georges Nase bricht.

Er prügelt seinen Vater nach allen Regeln der Kunst zusammen … schweigend. Die einzigen Geräusche sind Georges Schreie, sein Stöhnen, sein Wimmern, sein Jammern und Johns etwas schwerere Atmung.

Als George nur noch zusammengekrümmt auf dem Boden liegt und den fadenscheinigen Teppich vollblutet, steigt John über ihn hinweg, geht in die Küche und hält ein Geschirrtuch unter den kalten Wasserstrahl. Genau so wortlos wirft er den nassen Lappen im Vorbeigehen in Georges Richtung, bevor er sich in einen der Sessel fallen lässt.

Langsam richtet sein Opfer sich auf. Schwer atmend und stöhnend, drückt er das Handtuch auf seine Nase, während er sich gegen den zweiten Sessel lehnt.

„Ab heute will ich nie wieder hören, dass du behauptest, mein Vater zu sein, kapiert?“ Johns dunkle Stimme tönt voll und klar durch das kleine Zimmer.

„Du bist nicht mehr mein Vater. Du bist das Stück Dreck, das mich zufällig gezeugt hat. Das ist auch schon alles!“

Geradezu gelangweilt beobachtet John wie George gegen seine Schmerzen ankämpft. Er spricht ruhig und bestimmt weiter.

„Nie wieder wirst du Cat ängstigen, wie neulich auf dem Flughafen. Solltest du ihm zufällig begegnen, wirst du ihn ignorieren. Du wirst dich so verhalten, als ob du ihn nicht kennst. Nie wieder wirst du das Wort an ihn richten, geschweige denn ihn bedrohen oder unter Druck setzen. Denn ich schwöre dir – George“, ergänzt er den Namen seines Vaters süffisant, „ich schlag‘ dir den Schädel ein, solltest du es wagen ihn noch einmal zu belästigen. Hast du mich verstanden?“

George starrt entsetzt zu ihm hinüber. Er fasst es nicht, dass sein geliebter John so mit ihm redet. Mit grausamer Klarheit wird ihm bewusst, dass er soeben seinen Sohn verloren hat. Das Schlimmste, was ihm je passieren konnte. Das Allerschlimmste auf Erden. Doch er nickt.

Sein demoliertes Gesicht lässt nicht zu, dass er sich klar artikuliert. Seine Nase ist gebrochen, seine Lippen sind aufgeplatzt, ebenso eine Augenbraue. Am liebsten würde John ihn fotografieren.

„Warum eigentlich nicht?“ Er greift in seine hintere Hosentasche, zieht sein Handy hervor und knipst einige Schnappschüsse, noch bevor George verschämt sein Gesicht abwenden kann. „Das wird Cat freuen!“ Zufrieden schiebt John das Handy auf den Tisch.

„Du hast in unserem Leben nichts mehr zu suchen, George. Und eines noch!“ Er lehnt sich ein wenig vor. „Lass die Finger von Mika!“

„Wer…“ nölt George durch seine anschwellenden Nasenschleimhäute. Doch John lässt ihn nicht ausreden.

„Du weißt genau, wer Mika ist. Ich weiß nicht wie oder wo du ihn getroffen hast und es ist mir auch egal. Merk‘ dir nur eines: Mika gehört zu Cat und mir. Und solltest du ihm nachstellen oder ihm irgendwie schaden, dann finde ich dich, mein lieber George.“

„Das ‚Georgen‘ macht immer mehr Spaß“, grinst John innerlich.

„So!!“ John klatscht sich einmal mit beiden Handflächen auf die Oberschenkel und steht entschlossen auf. „Das war’s dann! Los! Raus hier! Es reicht mir, wenn ich deine verlogene Fresse heute Abend noch mal sehen muss.“

Er hält George eine Hand hin und zieht ihn aus der Hocke empor. Vornübergebeugt humpelt sein Erzeuger Richtung Haustüre. Mit einem „Bis später“ schiebt John ihn endgültig über die Türschwelle.

Als die Tür zufällt, lehnt John sich schwer atmend dagegen.

„Fuck!“, flucht er leise. „Fuck! Fuck!“

Er kann gar nicht mehr aufhören zu fluchen. Ein leises Zittern durchzieht seinen gesamten Körper. Hat er tatsächlich seinen eigenen Vater zusammengedroschen? Er hat ihm die Nase zertrümmert, einige Rippen sind geprellt, wenn nicht sogar ebenfalls gebrochen. Vielleicht hat er sogar innere Verletzungen.

Mit einem tiefen Seufzer stößt John sich von der Haustüre ab und schlurft mit hängenden Schultern ins Wohnzimmer. „Da liegt sein Schal. Den muss er verloren haben.“ Er bückt sich, hebt das Teil auf und lässt sich wieder in seinen Sessel fallen. Vorsichtig schnuppert er an dem Stoff. Er schließt die Augen. Ja, das ist der Duft seines Aftershave. Das ist seit Johns Kindheit das Sinnbild seines Dad. Dieser Geruch steht für Stärke, für Liebe und für ein behütendes Zuhause. John war immer so stolz auf seinen Vater. Immer hat er John unterstützt.

„Immer … immer warst du für mich da … oh Gott, Dad … warum hast du mich nur so …“

Er wimmert, schluchzt … endlich. Seine Trauer findet ihren Weg nach außen.

Doch gleichzeitig weiß John ganz genau, dass er seine Drohung wahr macht. Er würde ohne zu zögern mit aller Kraft, mit aller Gewalt, zu der er fähig ist, seinen Vater erschlagen.

Er wischt sich heulend die Tränen aus den Augen.

„Ich schlag‘ dich tot!“, haucht er. „Lass‘ Cat in Ruhe!“

Wie ein Mantra wiederholt er es immer und immer wieder, bis seine Stimme hart und entschlossen klingt.

„Lass‘ Cat in Ruhe oder ich schlag‘ dich tot!“

*

Pling! Eine MMS erreicht Keno am späteren Abend. Nur eine Bemerkung begleitet das Bild:

„Alles geregelt!“

Keno steht in der Küche und holt sich für seinen Drink einige Eiswürfel aus dem Tiefkühlfach. Doch in diesem Moment vergisst er einfach alles um sich herum, sackt zu Boden und starrt das Bild an, während seine Knie in einer Pfütze aus schmelzenden Eiswürfeln nass werden.

Er traut seinen Augen nicht. Das ist George! Zusammengekrümmt, blutverschmiert.

„Scheiße! Du hast ihn tatsächlich verprügelt!“, keucht Keno fassungslos. Er presst einen Handrücken auf seine zitternden Lippen.

„Gott verdammt, John!“, haucht er schließlich mit belegter Stimme, während ihm die Tränen über das Gesicht laufen. „Ich liebe dich auch!“

Das geöffnete Tiefkühlfach knistert. Schließlich rutscht ihm ebenfalls das Glas aus der Hand und kippt um. Nichts davon ist wichtig; nichts davon bemerkt er. Nur dieses Foto … mit seiner unglaublichen Botschaft.


Mika liebt …

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