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VORWORT
ОглавлениеAhnungslosigkeit darüber, was er bedeutet, treibt niemanden in den Krieg; Angst hält keinen davon ab, der einen Nutzen in ihm sieht.
(HERMOKRATES VON SYRAKUS in THUKYDIDES 4.59)
Es ist leicht, den Krieg zu verdammen, und in Bausch und Bogen alles, was mit ihm zu tun hat. Sie und ich werden mit großer Wahrscheinlichkeit keinen Krieg beginnen. Krieg ist eine recht exklusive Sünde für Könige und Präsidenten. „Auf den König,“ seufzt der exemplarische Kriegerkönig Heinrich V. in Shakespeares Stück in der dunkelsten Stunde der Nacht vor der Schlacht von Agincourt, „lasst uns all unsere Sünden abladen!“ Man macht es sich leicht: Kriege, wie alle Menschheitsübel, sind einfacher zu ertragen, wenn man sich selbst nicht unmittelbar schuldig fühlen muss. Wenn Böses geschieht, weil böse Menschen Böses tun, dann ist es leicht gut zu sein, wenn man keine Gelegenheit dazu hat.
Sünden, an denen wir alle Anteil haben, relativieren wir gerne: Welthunger, Epidemien, Umweltzerstörung, organisiertes Verbrechen mit Prostitution, Menschen- und Drogenhandel und selbst der Tod im Straßenverkehr – all das fordert alljährlich mehr Opfer als alle bewaffneten Konflikte zusammen. Und all das erregt bei Weitem nicht so viel einhellige Ablehnung wie der Krieg. So leicht kann man sich aber nicht aus der Verantwortung stehlen. Die Wanderung durch die Geschichte des Kriegs im folgenden Buch zeigt eines unleugbar: Krieg ist systemisch. Kriege sind keine Unfälle der Geschichte, keine Verbrechen historischer Schurken, sondern funktionale Elemente der politischen und wirtschaftlichen Ordnung einer Gesellschaft. Menschen ziehen in den Krieg, weil sie einen Nutzen darin sehen; manchmal im Krieg selbst, oft in der erhofften Nachkriegsordnung.
Wir werden Menschen begegnen, die gute Gründe hatten, Krieg zu führen und sehr wohl wussten, worauf sie sich einließen; die die Alternativen bedachten und Krieg als die vorteilhaftere erkannten. Kaum einer von ihnen war deswegen ein böser Mensch. Mancher ist vielleicht gierig gewesen, ehrgeizig oder abenteuerlustig; doch keine dieser Eigenschaften ist per se unmoralisch. Im Kontext ihrer Zeit konnte jede dieser Motivationen indes dazu führen, dass sie zum Schwert griffen, um ihre Interessen durchzusetzen, weil Krieg ein akzeptiertes Mittel zu diesem Zweck war. Krieg war immer die Fortsetzung eines anderen Unterfangens mit gewaltsamen Mitteln. Und Gewalt ist – entgegen der populären Plattitüde – eine Lösung; weil sie, wie alle Lösungen im menschlichen Dasein nur eine auf Zeit sein muss. Wenn wir den Feind heute niederwerfen, haben wir Frieden in unseren Tagen. „Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor,“ war daher auch die Maxime der Römer. Rom ist Staub, doch garantierte es mit diesem Motto immerhin Jahrhunderte des Römischen Friedens. Friede auf Zeit, scheint es, ist alles, worauf je zu hoffen war.
Daran hat sich nichts geändert. Dieser Friede ist ein Friede auf Zeit! Unsere Lebensweise wird tatsächlich am Hindukusch verteidigt. Ihre und meine. Gewalt ist weiterhin die einfachere Lösung, weil es tatsächlich leichter ist, in einem Land weit, weit weg eine Generation lang Krieg zu führen, als einen funktionierenden Staat aufzubauen und eine Gesellschaft so umzuformen, dass sich bis in die Köpfe jedes Einzelnen die Ansicht durchsetzt: Gewalt ist eben keine Lösung. Das ist der tiefe, intellektuelle Graben, der jeden von uns von den meisten Menschen, deren Schicksale dieser Band thematisiert, trennt: Wir sind Produkte einer Kultur, die uns individuelle Gewalt weitgehend abgewöhnt hat. Deswegen fällt es uns auch so schwer, den Krieg – die maximale Form der kollektiven Gewalt – weiterhin zu ertragen, selbst wenn er andere betrifft. So elend macht es uns, ihn anzusehen, dass wir Gefahr laufen, ihn zu verdrängen.
„Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“ ist ein hilfloser Aufruf zur Realitätsverweigerung. Doch wir sind keine Kinder mehr. Das Ungeheuer geht nicht weg, nur weil wir unsere Augen davor verschließen. Wir müssen Mars ins Angesicht schauen und sagen: „Ich kenne dich, alter Mann! Ich kenne deine Tricks und deine Fallstricke. Du wirst mich nicht mehr überlisten!“ Indem wir anhand des Lehrbuchs, das uns die Geschichte eröffnet, lernen, weshalb Kriege geführt werden, welchen Nutzen und welche Risiken sie bergen, können wir das Ungeheuer domestizieren. Wir sollten vielleicht nicht vorschnell hoffen, dass wir es endgültig wegsperren können. Beizeiten wird es uns noch dienen müssen.
Ilja Steffelbauer
Im abgeschiedenen Hochland von Neuguinea sitzt ein Mann mit einer Kamera und filmt Krieg. Es ist der ethnographische Filmemacher Robert Gardner. Wir schreiben das Jahr 1961. West-Neuguinea ist der letzte Rest des holländischen Kolonialreiches, an den sich die ferne Metropole noch klammert. Im dschungelbedeckten Hinterland der Insel befindet sich in diesen Jahren so etwas wie ein Eldorado für Ethnologen. Es sind die letzten weißen Flecken auf der ethnographischen Landkarte der Welt, die hier gerade beseitigt werden. Die Existenz der Völker im bergigen Inneren der Insel wurde erst in den Jahrzehnten vor dem Weltkrieg bekannt. Die Dani des Hochlandes, deren Kultur und Gesellschaft Gardner mit der Kamera einfangen möchte, wurden in den 1930ern zum ersten Mal gesichtet: von einem Flugzeug aus. Der Österreicher Heinrich Harrer wird ein Jahr nach Gardner das Gebiet auf dem Weg zur Besteigung des Puncak Jaya durchqueren. Auch er verzeichnet in seinen Erinnerungen, was der Filmer ebenfalls feststellt: Die Dani lebten effektiv in der Steinzeit; und sie waren extrem kriegerisch. Mehrmals musste der Bergsteiger auf seiner Expedition wegen abrupt ausgebrochener Stammesfehden seine Route ändern oder gar um sein Leben fürchten.
1963: Gardner ist zurück in den USA. An der Universität Harvard, wo er das Film Study Center leitet, das er begründet hat, schneidet er aus seinen Aufnahmen aus Neuguinea einen Film. Im intellektuellen Netzwerk der amerikanischen Ostküste, in deren Zentren die Ivy League Universitäten wie Harvard stehen, brodelt es. Die ersten