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Der Empfindsame

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Bekanntlich verfügen poetische Naturen über ein besonders hohes Maß an Empfindsamkeit. Wenn nicht, wären sie nicht in der Lage, ihr feinstes Beobachten der Natur und des innersten Wesens des Menschen literarisch so zu beschreiben, dass der Leser nickt und denkt: „Ja, genauso ist es. Darin finde ich meine eigenen Erkenntnisse und Gefühle wieder.“

Der empfindsame Poet nimmt die Außenwelt jedoch nicht nur als Subjekt mit äußerst scharfen Sinnen wahr, sondern auch das Einwirken der Welt auf seine Person und somit als Objekt. Das kann, je nach dem Grad seiner Sensitivität, in einem Lyrik-Forum zum Problem werden, erst recht dann, wenn ein Hobbydichter weit von den Höhen des Olymps entfernt ist und ihm das in mehr als nur einer Kritik zwar freundlich, aber deutlich hingedrückt wird.

Der idiosynkratisch (= überempfindlich) veranlagte Foren-Dichter, den man auch mit der poetischen Metapher „Mimose“ beschreiben könnte, hält vor allem eine Grundregel nicht ein, die für jeden Literaten verbindlich sein sollte, nämlich Kritik an seinem Werk nicht mit Kritik an seiner Person gleichzusetzen.

Für die dichtende Mimose ist belehrende oder gar missbilligende Kritik an ihrem Werk verheerend, weil sie diese Kritik immer persönlich nimmt, egal wie vorsichtig sich der Kritiker ausdrückt. Holpert der Rhythmus in einem Vers, ist ein Reim missglückt, hat die Mimose versehentlich das Strophenschema nicht eingehalten, oder hat sie willkürlich von Jamben zu Trochäen und umgekehrt gewechselt … egal, was die Kritiker ihr fachlich und sachlich vorwerfen, sie übersetzt es in Angriffe auf ihre Person und ist beleidigt. Für sie steht fest: „Die hauen alle nur deshalb auf mich ein, weil sie gehässig und neidisch sind.“

So deutlich wehrt sich die Mimose jedoch nicht, sondern begnügt sich mit einem Kurzkommentar wie zum Beispiel „aber alle meine Freunde finden mein Gedicht toll“ und schließt ihren Blütenkranz, fest entschlossen, ihn nie mehr zu öffnen, egal wie hell die Forensonne am nächsten und übernächsten Tag wieder scheinen möge.

Das ist die introvertierte Form des empfindsamen Dichters. Es gibt aber auch die extrovertierte Form, der etwas Pathologisches anhaftet. Das ist der Überempfindsame, der jedes neu präsentierte Gedicht eines anderen Users wie mit dem Stethoskop darauf abhört, ob es als Satire auf seine Person gemeint sein könnte. Natürlich hat dieser Überempfindsame ein unschlagbares Talent, so oft er will einen Beweis dafür zu finden, dass ein bestimmter Vers nur dazu erdacht wurde, ihn in niederträchtiger Weise zu karikieren oder ihm mit der Sprachkeule das geniale Gehirn zu zerschmettern.

Natürlich hält die Mimose dem Widerspruch, sich mittels ihrer Werke der Forenwelt zu öffnen, sich aber gleichzeitig von ihr abzuschirmen, um keine Schrammen davonzutragen, nicht lange stand und stellt ihre Aktivität entweder ganz ein oder wagt nur noch hier und da, ein paar Blütenblätter aufzuklappen, um nachzusehen, ob das Forenpublikum sich zu ihren Gunsten entwickelt haben könnte – und klappt die zarten Blättchen ganz schnell wieder zu.

Trolle, Rechthaber, Provokateure

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