Читать книгу Gut gebellt, Katze - Ilona Schmidt - Страница 5

1 Cleo

Оглавление

„Gut gebellt, Katze.“ Der große Hund starrte mir mit aufgerichteten Spitzohren direkt in die Augen. Unverschämtheit. Mir missfiel dieser gierige Blick, denn wer wollte schon gern als Beute gelten? Zu meiner Schande musste ich gestehen, dass er mich gestellt hatte.

„Katzen bellen nicht, sie miauen“, fauchte ich zurück, während ich fieberhaft überlegte, wie ich ihm entkommen könnte.

Meine Chancen standen schlecht. Vor mir breitete sich ein See aus, in den ich nur im äußersten Notfall flüchten würde, und das nahe Bäumchen würde mich kaum tragen. Dazwischen klaffte eine offene Fläche.

Ich saß in der Falle wie ein unerfahrenes Kätzchen.

„Stimmt, denn Bellen kann man euer Gejammer kaum nennen.“ Stocksteif stand er vor mir, den Schwanz steil erhoben, während meiner hin und her peitschte.

„Wer bist du eigentlich, und was hast du hier zu suchen?“, blaffte er. „Du solltest wissen, das hier ist ein Hundepark.“

Das stimmte nicht, denn der Park wurde auch von Menschen und anderem Getier besucht. „Seit wann bin ich einem Hund Rechenschaft schuldig?“

„Das hier ist mein Revier, kapiert?“

„Wer sagt das?“

„Ich sage das.“ Er besaß die Unverschämtheit, seine Lefzen hochzuziehen und mir seine Waffen zu zeigen. „Und zwar mit dem Recht des Stärkeren.“

Zugegeben, sein Gebiss war beeindruckend, vor allem die Fangzähne. Wir Katzen sind da bescheidener, was aber nicht heißt, dass unsere weniger effektiv wären. Aber gegen so etwas …

„Stärker schon, aber nicht schlauer.“ Eigentlich keine gute Idee, ihn zu provozieren, aber manchmal kann ich mein vorlautes Maul nicht halten. Ich machte einen besonders imposanten Katzenbuckel, was ihn aber nicht sonderlich zu beeindrucken schien. Vielleicht sollte ich ihm meine gut geschärften Krallen über den Riechkolben ziehen. Das hatte bei Nachbars Mops bislang immer bestens funktioniert. Leider hatte die Erfahrung gezeigt, dass Schäferhunde wie dieser hier in solchen Situationen im Vorteil waren. Die arme Missy hatte dies am eigenen Leib erfahren müssen. Seit dem Kampf mit zwei Hunden humpelte sie und hatte einen krummen Rücken.

„Ich krieg dich, Katze.“ Der Hund verlagerte sein Gewicht auf die Vorderpfoten. Die Pupillen seiner Augen glühten rot, gleich würde er losspringen.

Ein Feigling war ich noch nie gewesen, aber man musste wissen, wenn die Chancen schlecht standen. Und da wir Katzen sowieso die Klügeren sind, beschloss ich, nachzugeben.

„Ich heiße Cleo von Siam. Und nur, dass du’s weißt: Der Park ist für alle da. Du hast mir nichts zu verbieten.“ Ich spannte meine Hinterbeine an und schnellte mich ab, um an ihm vorbeizuspringen. Blitzschnell warf er seinen Kopf mit weit aufgerissenem Maul herum. Klack! Das war danebengegangen.

Ich landete auf allen Vieren und sauste auf das Bäumchen zu. Im Nu war ich oben. Zum Glück trug der Ast mich, obwohl er sich bedrohlich bog. Jetzt würde der Köter zusehen müssen, wie er an mich herankäme.

Keuchend blickte ich hinunter. Das war verdammt knapp gewesen. „He, du Monster! Kannst wohl nicht klettern?“

„Warte nur, ich pack dich gleich!“ Prompt sprang er laut kläffend am Baumstamm hoch. Donnerwetter, der Kerl hatte wirklich ein beeindruckendes Gebiss, aber erneut zerteilte es nur die Luft. Sein nächster Versuch verfehlte mein hübsches Schwänzchen nur um Haaresbreite.

Nach dem dritten Fehlversuch setzte er sich auf seinen Hintern und grinste frech zu mir hoch. „Irgendwann musst du runterkommen. Ich kann warten.“

Leider wahr. Mir gefiel die jetzige Situation auf dem Baum kaum besser als die vorhergehende. Zwar waren jetzt seine Beißerchen weiter entfernt, aber ich noch lange nicht in Sicherheit, und auf Hilfe konnte ich nicht hoffen, denn weder mein Mensch noch die Katzenbande ahnten etwas von der Misere, in der ich steckte.

Ich legte mich auf den Ast, äugte zu meinem Gegner hinunter und begann, mir die Pfoten zu lecken. Diese Entspannung brauchte ich dringend, denn nur ein freier Kopf kann klar denken. Der Hund legte sich ebenfalls nieder; anscheinend einer von der hartnäckigen Sorte. Ihm zu entkommen würde meine ganze Gewitztheit erfordern. Nur leider fiel mir nichts Gescheiteres ein, als auf die Nacht zu warten, oder zu hoffen, dass ihm die Warterei zu lang werden würde. Aber letztlich war ich in der besseren Position, schließlich bin ich eine Katze und er bloß ein Hund.

„Komm endlich runter, Mieze“, rief er nach einer halben Ewigkeit.

„Ich heiße Cleo, schon vergessen?“

„Du kannst nicht ewig da oben bleiben.“

„Wir Katzen sind geduldig.“ Ich betrachtete ihn genauer. Er trug ein starkes Lederhalsband, also musste er jemandem gehören. „Musst du nicht bald nach Hause?“

„Wieso sollte ich?“

„Weil ihr Hunde die Sklaven der Menschen seid.“

„Unsinn. Wir sind ihre Freunde, Partner und Kollegen.“

Diese Diskussionen kannte ich zur Genüge. Nachbars Mops zum Beispiel gab sich der Illusion hin, für seine Familie wichtig zu sein. Aber warum ließen sie ihn dann den ganzen Tag allein? Und wenn sie abends endlich zu Hause waren, kümmerte sich auch keiner um ihn. Dann musste er ihnen beim Starren auf eine eckige Fläche mit ständig wechselnden Bildern zusehen, während ihre Jungen auf einem Ding, das sie Handy nannten, herumdrückten. „Wenn du meinst. Wo ist denn dein Partner jetzt?“

Der Hund blickte sich um, als fiele ihm die Abwesenheit seines Menschen erst jetzt auf. „Der kommt gleich.“

Hörte ich da eine gewisse Unsicherheit in seiner Stimme? „Bist du dir sicher?“

„Absolut.“

Sein Schlapperlappen hing ihm lang aus dem Maul, was fast so aussah wie die Krawatten der Männer, die bei meinem Menschen namens Anette ein- und ausgingen.

Zeit, sich etwas einfallen zu lassen. Meine Schnelligkeit sollte mir helfen, zumindest auf den nächsten Baum zu gelangen. Von dort aus könnte ich mich möglicherweise über die Mauer in Sicherheit bringen.

„Cody! Hierher!“, ertönte eine Männerstimme vom Weg her, der am See entlangführte. „Wo steckst du Ausreißer denn schon wieder?“

Der Hund sprang auf alle Viere und richtete seine Aufmerksamkeit in die Richtung, aus der die Stimme gerufen hatte. Seine Flanken zuckten, gleich würde er lossausen. Braver Hund.

„Heute hast du Glück gehabt, aber beim nächsten Mal bist du dran“, knurrte er zu mir hoch.

„Dem sehe ich gelassen entgegen, du Menschensklave.“

„Wir werden sehen.“ Als er endlich davongaloppierte, schickte ich ihm ein leises Fauchen hinterher.

Meine Wohnhöhle lag gleich hinter dem Park und war nur durch eine Straße sowie eine weitere Mauer davon getrennt. Sie war weiß, nicht zu hoch und hatte auf dem Sims rote Ziegel. Erst im letzten Herbst waren wir dort eingezogen. Zuvor hatten wir in einem Apartment hoch über der Stadt gewohnt; luxuriös zwar, aber todlangweilig. Wenn der Mensch der einzige Unterhalter wird, und der nichts weiter als sich selbst im Kopf hat, wird das Zusammenleben öde. Wie bei Nachbars Mops. Aber zum Glück wohnten wir jetzt in dieser wunderschönen Villa, die ein vorzügliches Versteck darstellte. Gutes Futter, ein weiches Bett und die Katzenklappe waren die perfekte Ergänzung. Zudem war es darin im Sommer angenehm kühl und im Winter mollig warm.

Schließlich war ich nicht irgendeine dahergelaufene Straßenkatze, sondern eine reinrassige Siamesin – selten, intelligent und teuer, wobei Letzteres für Menschen wie Anette wichtig war.

Die Erfahrung hatte gezeigt, dass die meisten Menschen nichts taugten – und Hunde erst recht nicht. Wie sollte ich Menschen auch lieben? Meine ersten Lebensjahre hatte ich in einem lichtlosen Schuppen verbringen müssen, Babys bekommen, die ich nicht behalten durfte. Nach vielen Jahren und vielen Kindern wurde ich dann selbst an Anette verkauft.

Ich durchquerte den Garten, der dem Park sehr ähnlich war. Mitten aus dem Grün erhob sich ein weißes Haus, davor eine Terrasse sowie ein großes Becken voller Wasser, dessen Funktion ich nicht ganz verstand. So viel Durst konnte einer allein doch gar nicht haben, um es leerzutrinken. Manchmal schwamm Anette darin. Ein sonderbares Vergnügen, das ich nicht nachvollziehen konnte. Sonnenschirme, Liegen, Stühle und Tische – alles nur für Anette und ihren menschlichen Schmusekater. Ihr neuer Mann roch alt – mehr noch als dessen Vorgänger.

Der Neue döste gerade auf einer der Liegen und hielt sein faltiges Gesicht in die Sonne. Eine Hand war in die Decke verkrallt, während die andere zitternd auf seiner Brust ruhte. Seine Haut schien durchsichtig zu sein und war gelblich verfärbt, der Mund stand halb offen. Der Geruch des Todes umwehte ihn bereits, es war nur noch eine Frage der Zeit.

In der weit geöffneten Terrassentür erschien Anette, deren rötliches Haar im Sonnenlicht glänzte, und die ein kleines Tablett vor sich hertrug. Sie stellte es auf dem Tisch ab und betrachtete den Alten mit ihren grünen Augen genauso, wie ich eine gefangene Maus mustern würde.

„Na Pupsi, wie geht’s dir? Du siehst ein bisschen blass um die Nase aus.“

Er hauchte etwas Unverständliches.

„Wie bitte?“ Sie trat näher an ihn heran und beugte sich zu ihm hinunter. „Ins Krankenhaus? Aber nein, du bleibst hübsch hier in der Sonne liegen. Wirst sehen, das tut dir gut.“

Der Mann stöhnte und versuchte, seine Hand auszustrecken.

„Hast du Durst?“ Sie starrte ihn eine Weile an, und wandte sich dann dem Tablett zu, auf dem ein Glas mit Orangensaft und ein braunes Fläschchen standen.

„Mehr brauche ich dieses Mal wohl nicht.“ Anette wirkte unschlüssig. „Umso besser. Ist immer ein gewisses Risiko dabei, weil jeder anders reagiert. Nicht wahr, Cleo?“

Sie redete oft mit mir wie mit einem Menschen. Obwohl nicht alles Sinn ergab, was sie sagte, verstand ich, dass sie mich als ebenbürtig erachtete. Welch ein Irrtum, denn wer kann einer Katze schon das Wasser reichen? Ich spazierte zu ihr hinüber und strich um ihre Beine, den Schwanz steil aufgerichtet.

Der Alte bekam fast nichts mehr zu trinken, aber mir versprach sie mein Fresschen. Gut. Als wir eingezogen waren, hatten wir eine Küchenhilfe, eine Hausdame sowie eine Pflegekraft. Anette hatte sie allesamt entlassen und kümmerte sich seitdem selbst um alles.

Sie entnahm meinem Futterschränkchen eine Dose, die beim Öffnen einen köstlichen Duft verströmte: Lachspastete, serviert in einem goldfarbenen Schüsselchen. Einfach köstlich. Ich schmatzte die Leckerei in mich hinein, ließ nur ein Anstandsbröckchen übrig. Cat Capone, der Anführer der Katzenbande, hätte sich alle Krallen danach geleckt, aber für einen wie ihn war diese Köstlichkeit viel zu schade. Ich sprang auf das weiße Ledersofa, legte mich auf meine geliebte Kaschmir-Decke, schnurrte zufrieden und ließ mir von Anette die Ohren kraulen. Als ich genug davon hatte, schlug ich nach ihrer Hand.

Sie lachte nur. „Genau das ist es, was ich an euch Katzen so liebe.“

Na bitte, alles bestens. Warum sollte sich daran etwas ändern?

Gut gebellt, Katze

Подняться наверх