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2 Cody

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Ball oder Kauknochen? Eine schwere Entscheidung, die leichter zu treffen gewesen wäre, wenn es sich um einen frischen Kauknochen gehandelt hätte. Aber nachdem ich ihn gerade erst in der Erde eines Blumentopfs wiedergefunden hatte, roch er eher unappetitlich. Der Gummiball mit dem Loch hingegen machte schmatzende Geräusche, wenn ich hineinbiss. Außer diesem Genuss bot er jedoch nichts weiter, da ihn mir niemand werfen würde. Also doch lieber den Stinkeknochen aus Tierhaut?

In der Küche klapperte es verdächtig. Mein Boss räumte Geschirr mit Essensresten darauf in diesen Zauberkasten, aus dem es – nachdem es darin ordentlich rumort hatte – wie durch ein Wunder blitzeblank wieder herauskommen würde. Schnell erhob ich mich, um ihm stattdessen meine Reinigungsdienste anzubieten. Zu spät, denn er kam mir mit leeren Händen entgegen.

Enttäuscht legte mich wieder hin und entschied mich für den Kauknochen, der kleine Stücke preisgeben würde, wenn ich lange genug darauf herumbiss.

Mein Boss nannte mich übrigens „Cody“, mein Tierarzt „Was-fehlt-uns-denn“, und die im Apartment unter uns wohnende alte Dame „alter Kläffer“. Seit wann hört sich das Melden eines reinrassigen Deutschen Schäferhunds wie das Wäffwäff eines kleinen Möchtegernhunds an? Bellen ist nämlich nicht gleich Bellen. Es sagt nicht nur etwas über unsere Körpergröße, unser Geschlecht oder unsere Gemütsverfassung aus, sondern verkündet auch, was gerade los ist.

Mein linkes Knie schmerzte, weshalb ich den Knochen zu dem von der Sonne beschienenen Teil des Teppichs trug. Dumm nur, dass die Sonne weiterwanderte und ich ihren Strahlen folgen musste. Wir lebten in einer frisch renovierten Altbauwohnung, wie Dirk die riesige Hundehütte nannte. Glatte Parkettböden und Fliesen in der Küche, während mir im Wohnzimmer ein kuscheliger Teppich das Leben versüßte.

Ich war ein Polizeihund, ein sogenannter K-9; ausgesprochen „Key-Nein“. Wobei das „Nein“ angeblich die Zahl „Neun“ bedeuten sollte – oder war es umgekehrt? Egal, jedenfalls war ich nicht neun und außerdem bedeutete „Nein“ selten etwas Gutes.

Mein Vater war schon im Polizeidienst gewesen, mein Großvater ebenfalls und mein Ur-Ur-Urahne war der berühmte Edor von Tresko, der dem tollkühnen Detektiv Erich Zehmke gedient hatte. Edor war ein stattlicher Hund gewesen, und die Anzahl der Waden und Unterarme, in die er im Laufe seiner Karriere gebissen hatte, war mit den Jahren ins Unermessliche gestiegen. Furchtlos und treu hatte er seinem Boss gedient und war deshalb mein großes Vorbild.

Die Menschensprache hatte ich von Papa und Mama gelernt, auch wenn mir viele Ausdrücke und Gepflogenheiten der Zweibeiner ein Rätsel blieben, und ich fragte mich, ob ihnen das mit uns Hunden genauso erging.

Mein Boss hieß Dirk Baumann und war ebenfalls ein K-9 – ein zweibeiniger halt. Allerdings trug er keine Uniform und zu meinem Verdruss durfte ich ihn nur selten zum Dienst begleiten. Das läge daran, dass ich ausgemustert worden wäre, hatte er versucht, mir zu erklären, als ich ihn an der Wohnungstür auf mein altes Polizeihunde-Geschirr aufmerksam machte. So blieb es am Wandhaken hängen, aber dafür trug ich jetzt ein leichteres, wenn wir auf Streife gingen. Eine schlimme Situation, denn ich wollte ebenfalls etwas zu unserem Lebensunterhalt beitragen. Hoffentlich würde sich mein Ausscheiden aus dem Dienst nicht auf die Menge des Futterschüsselinhalts auswirken.

Die Polizeiarbeit vermisste ich sehr. Welch eine Genugtuung, einem Flüchtenden in den Arm, das Bein oder den Po beißen zu dürfen. Das Wort „ausgemustert“ musste etwas ganz Schlimmes bedeuten, da ich seitdem nur noch in Kauknochen und Bälle beißen durfte. Längeres Nachdenken darüber machte mich schläfrig, wie jetzt zum Beispiel. Zudem schmeckte der Kauknochen fade.

Dirk und ich lebten in einer Stadt, deren Name für mich keine Bedeutung hatte. Eher schon die Wälder, die sie umgaben, der Fluss, der durch sie hindurchfloss oder die Seen, in denen ich badete und mit Dirk um die Wette schwamm.

Mein Knieproblem war übrigens keine Alterserscheinung. Ich hatte mich während eines Einsatzes verletzt. Mein ehemaliger Boss hatte wohl geahnt, was kommen würde, denn er hatte „Aus!“ gebrüllt und: „Nein, nicht!“ Ich hätte lieber auf ihn hören sollen.

Trotzdem war das noch lange kein Grund, mich gleich auszumustern.

Manchmal beschlich mich der leise Verdacht, es hätte noch einen anderen Grund dafür gegeben, etwas, das meinen damaligen Partner gestört hatte.

Mein jetziger Boss und ich lebten ohne weibliche Gesellschaft. Wir kamen gut miteinander aus. Dirk hatte gelernt, was mir schmeckte und gab mir stets reichlich zu fressen, obwohl es durchaus mehr hätte sein können. Auch bürstete er mich regelmäßig, pflegte meine Krallen und Zähne und manchmal brachte er mich zum Tierarzt, der mich dann mit einer Nadel piekte.

„Wollen wir in den Park?“, fragte Dirk.

Welche Frage. Ich konnte ihn doch nicht allein gehen lassen. Nicht auszudenken, wenn da etwas ohne mein Beisein passierte. Freudig erregt und hechelnd sprang ich auf ihn zu. Seit ich bei ihm lebte, sah ich es als eine meiner Aufgaben an, den Park von Katzen freizuhalten, denn sie waren meine natürlichen Feinde und nahmen uns Hunden oft den Platz im Herzen eines Menschen weg. Dirk mochte es nicht, wenn ich sie jagte und pfiff mich dann jedes Mal zurück. Warum eigentlich?

Während unseres Spaziergangs ging ich, wie es sich gehörte, brav bei Fuß: keine Spannung auf der Leine, meinen Kopf auf Höhe seiner Knie. Wie immer hoffte ich auf einen Einsatz, aber leider auch heute wieder vergebens: kein Mensch, keine Ente, keine Katze.

Auf meiner Stammwiese ließ er mich endlich von der Leine. Freiheit! Ich rannte los – stoppte. Da war dieser Geruch von dem Hund mit den blauen Augen, der behauptete, ein Schlittenhund zu sein. Als gäbe es hier Schlitten. Tatsächlich, der Kerl hatte seine Duftmarke an meinem Lieblingsbaum hinterlassen. Also sofort den eigenen Strahl auf die Markierung gerichtet und schnell nachgeschnüffelt, ob ich auch richtig getroffen hatte. Naja, könnte besser sein. Also nachgelegt. Jetzt hatte ich besser gezielt und seine Markierung in meiner ertränkt. Zufrieden kehrte ich zu meinem Boss zurück.

Dirk trug ein breites Grinsen im Gesicht, während er in eine seiner Jackentaschen langte. Er würde doch nicht …? Tatsächlich! Der Ball! Endlich etwas zum Reinbeißen und Apportieren. Und schon flog die Kugel durch die Luft. Ich nix wie hinterher, immer schneller, bis sie auf dem Boden aufschlug, dort abprallte und ich sie ihm Flug schnappte. Im Galopp zurück zum Boss und dann begann das Spiel aufs Neue. Wie durch ein Wunder schmerzte mein Knie plötzlich nicht mehr.

Als ich wieder einmal zu ihm zurückkehrte, bemerkte ich aus dem Augenwinkel unter einem Busch eine Bewegung. Der Sache musste ich auf den Grund gehen. Katzengeruch stieg mir in die Nase. Und dort sah ich sie auch schon hocken.

„Cody, hierher!“, rief Dirk. „Wo steckst du denn schon wieder?“

Was sollte ich tun? Es war doch meine Pflicht, das Katzenvieh zu verjagen. Ein Hund muss sich seine Futterration verdienen, hatte Papa stets gemahnt. Die Katze sauste davon und rettete sich auf einen Baum. Schade, beinahe hätte ich sie erwischt. Welch ein Spaß.

Schon von Weitem sah ich an Dirks Körperhaltung, dass sich dessen Spaß in Grenzen hielt. Seine nach unten gezogene Mundwinkel verhießen nichts Gutes.

„Du bist mir ein schöner Polizeihund. Kein Wunder, dass sie dich ausgemustert haben. Oder hast du was an den Ohren?“

Meine Ohren funktionierten prima. Ich setzte mich hin und spitzte sie ordentlich.

Dirk legte den Kopf schief, und die Falte über seiner Nase verschwand wieder. „Alter Gauner. Du weißt genau, was los ist.“

Richtig. Hier gab es eine Katzenplage, was die Menschen aber nicht zu kümmern schien. Ich sah ihn lange an, um ihm die Situation zu verdeutlichen, aber Dirk schien heute etwas begriffsstutzig zu sein.

Gemächlich wanderten wir nach Hause zurück, wobei Dirk auf sein kleines, flaches Kästchen schaute und es mit dem Daumen streichelte. Das machte er oft, und manchmal sprach er sogar mit ihm. Plötzlich blieb er stehen. Sofort setzte ich mich hin, denn schließlich war ich ein wohlerzogener Hund.

„Ich hab’s!“, rief er plötzlich. „Wie wär’s mit einem speziellen Training für dich?“

Au ja. Training hörte sich verdammt gut an. Mann suchen, Mann finden, Mann beißen – toll. Vielleicht sogar eine Drogensuche? Die hatte ich schon ewig nicht mehr gemacht. Am spannendsten war es immer gewesen, wenn nicht mein Boss, sondern ein anderer das Päckchen versteckt hatte. Dann konnte ich nicht seiner Spur folgen, sondern musste mich wirklich anstrengen, um es zu finden. Erwartungsvoll wedelte ich mit meinem Schwanz.

„Schutzhundetraining beim Tuff-K9-Club. Was? Mit Schock-Halsband? Nein danke, das wollen wir nicht.“

Keine Ahnung, wovon er sprach. Moment. Hier war vor Kurzem eine läufige Hündin entlanggegangen. Oh, diese süßen Düfte waren unwiderstehlich. Ich trabte an, bis mich ein Ruck am Geschirr auf den Boden der Tatsachen zurückholte.

„Bei Fuß, Cody! Warte, vielleicht ist das hier etwas: Agility Training. Fördert die Zusammenarbeit zwischen Führer und Hund, und macht beiden Spaß.“

Mir sagte das Wort „Agility“ nichts. Vielleicht eine neue Droge oder gar Sprengstoff? Ein Kollege von mir war darauf spezialisiert. Das Lieblingswort seines Führers war „Such vorsichtig“. Über so viel Unverständnis konnte der Kollege nur lachen, denn schließlich wusste er genau, wo das gesuchte Päckchen versteckt war.

„Hört sich gut an. Mal schauen, ob wir einen Trainer in unserer Nähe finden.“

Wenn er meinte. Dirk war nicht nur mein Boss, sondern auch mein Partner. Um ihm meine Zweifel mitzuteilen, wedelte ich schwach.

Zu Hause angekommen, füllte er meinen Fressnapf mit Trockenfutter, das stark nach Rindfleisch und Kartoffeln roch. Mir lief das Wasser im Maul zusammen. Brav machte ich Sitz. Warum dauerte das so lange?

„Pfote“, forderte Dirk.

Wenn’s sein musste. Ich patschte meine Pfote in seine Handfläche und endlich wanderte der Napf auf den Boden.

Oh diese Wonne! Ich schlang hinein, was das Zeug hielt.

„He, nicht so gierig“, versuchte Dirk mich zu bremsen.

Der Mann hatte keine Ahnung, dass alles sofort verputzt werden musste.

Was? Schon alle? Nein, da rollte noch ein Stückchen davon. Schnell geschnappt und runtergeschluckt und zur Nachreinigung die Schüssel ausgeschleckt.

„Hat’s geschmeckt?“

Natürlich hatte es das. Wie durch ein Wunder erschien in Dirks Hand ein Hundebiskuit. „Zum Zähneputzen“, sagte er grinsend.

Ich packte das Leckerli und verkrümelte mich auf mein Hundebett, wo ich es ungestört vertilgen konnte.

In der Zwischenzeit hörte ich Dirk im Wohnzimmer rumoren. Ich legte mich unter den Tisch und der Boss auf die Couch, die ich nur besetzte, wenn er nicht zu Hause war. Bald schon würde er sich sein Abendessen zubereiten, doch vorläufig rührte er sich nicht, blätterte nur müde durch übereinanderliegende Papierblätter. Endlich legte er sie beiseite und blickte ins Leere.

Menschen mit diesem Blick sprangen oft plötzlich auf und taten dann etwas völlig Unvorhersehbares, weshalb ich es vorzog, mich still zu verhalten. Manchmal schüttelten sie aber auch nur ihren Kopf. Ich war gespannt, was es dieses Mal sein würde.

Nichts dergleichen, denn an der Wohnungstür klingelte es. Dirk stand auf, sprach mit dem Kasten an der Wand und drückte auf einen Knopf. Nach einer Weile hörte ich die schweren Schritte eines Mannes und die leichteren einer Frau. Jetzt wusste ich, warum heute die Küche kalt geblieben war.

Die Frau umarmte Dirk und drückte ihm ihre Lippen auf die Wangen. Menschen tun dies, um zu zeigen, dass sie sich mögen, was ich merkwürdig finde, denn wir Hunde beschnuppern uns zuerst am Hintern.

Da Dirk die beiden herzlich begrüßte, konnte ich sie hereinlassen; vielleicht auch deshalb, weil sie Futter mitgebracht hatten. Es roch verlockend nach Schinken, Tomaten und Käse – alles zusammen nannten sie Pizza. Die würde noch gut in meinen Magen passen.

Dirk öffnete eine Flasche Rotwein und sie begannen die kreisrunde Scheibe zu verzehren. Ich setzte mich vor die drei, wartete, bis sie damit fertig waren und bot dann meine Dienste zur Resteverwertung an.

„Vorwaschgang“, sagte Dirk lachend und hielt mir die Pappschachtel unter die Nase.

Viel war nicht übriggeblieben, aber besser als nichts. Hoffnungsvoll schnüffelte ich auf dem Fußboden nach Runtergefallenem, denn die Wohnung musste sauber bleiben.

„Wenn du mal Zeit hast …“, sagte der Mann, den der Boss Ben nannte.

„Was Dienstliches?“

„Nee, nicht direkt. Oder doch.“ Ben wiegte seinen Kopf hin und her.

„Mach’s nicht so spannend.“

Sie setzten sich auf die Couch zu der Frau. „Ben wundert sich nur“, sagte sie.

Dirk lehnte sich zurück. „Worüber? Ein Versicherungsfall?“

„Wenn’s nur einer wäre.“ Ben kratzte sich an der Stirn. „Für eine Anzeige reicht es noch nicht, aber wir haben einen Anfangsverdacht. Es geht um eine Witwe, der wir eine erhebliche Lebensversicherungssumme auszahlen mussten, weil ihr Mann kurz nach der Heirat verstarb.“

„Das soll vorkommen.“

„Aber nicht zweimal hintereinander.“

„Wie? Der Mann starb zweimal?“

„Scherzkeks. Sie war zweimal verheiratet und beide Male segneten ihre Angetrauten kurz nach der Hochzeit das Zeitliche – angeblich wegen Herzversagens.“

„Vielleicht nimmt sie sie zu sehr ran?“, erwiderte Dirk lachend, wurde aber schnell wieder ernst, als er in das versteinerte Gesicht von Bens Frau blickte.

„Sorry.“

„Könntest du mal in eurer Datenbank nachschauen, ob sie schon mal auffällig war?“, fragte Ben. „Ganz inoffiziell natürlich. Sie hat erst vor Kurzem wieder geheiratet und ich möchte wetten, dass ihr Neuer bald einem Herzschlag erliegen wird.“

„Hm“, machte Dirk.

„Sie heißt jetzt Anette Flechsenberg, ihr Mädchenname ist Lebwohl.“

„Also bei dem Namen dürfte so etwas eigentlich nicht vorkommen.“

Jetzt lachten alle. „Er hat eine Enkelin mit Namen Susi Döhler, die er vorher als Begünstigte seiner Lebensversicherung eingesetzt hatte. Vor Kurzem hat er sie auf seine Frau Anette umschreiben lassen.“

„Den Namen habe ich erst heute in einer Zeitungsanzeige gelesen. Susi Döhler. Positive Erziehungsmethoden beim Hund. Ich will mit Cody dorthin. Vielleicht eine Gelegenheit, Näheres zu erfahren, falls es sich um dieselbe Dame handelt.“

Ich setzte mich aufrecht hin. Konnte es sein, dass sich hier gerade ein neuer Fall entwickelte? Das wäre echt super. Ich würde Dirk nach Kräften unterstützen, und wenn wir den Bösewicht aufgespürt hätten, würde ich ihn am Hosenbein festhalten, bis Dirks Handschellen zuschnappten. Ein voller Fressnapf wäre mir weiterhin sicher.

Apropos, wie wäre es mit einem Snack?

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