Читать книгу Gut gebellt, Katze - Ilona Schmidt - Страница 9
5 Cody
ОглавлениеAm nächsten Tag nahm mich mein Boss mit zu seiner Blechkiste, die er Auto oder BMW nannte; neulich auch mal Mistkarre, als sie nicht zu knurren beginnen wollte. Mir war das egal, obwohl dieses Ding phänomenal war. Man sprang hinein und ließ sich ordentlich durchrütteln, wobei die Außenwelt hinter dem undurchdringlichen Nichts an einem vorbeihuschte. Wenn ich Glück hatte, versenkte der Boss das Nichts und der Wind brauste mir dann um die Ohren. Aber das Wundersamste war: Wir stiegen meistens an einem anderen Ort aus, als wo wir eingestiegen waren. Oft wartete dann ein neues Abenteuer auf mich. Und wenn ich mich einmal schlecht fühlte, ging es zu dem, der mich „Was-fehlt-uns-denn?“ nannte.
Obwohl das undurchdringliche Nichts in der Autotür heute oben blieb, blies mir trotzdem kalte Luft um die Nase, die von vorne aus Öffnungen kam. Der Boss folgte der Geisterstimme des Autos, und ab und zu starrte er auf die Fläche, auf der sich bunte Striche um ein kleines Dreieck bewegten. „Was du hier auf dem Navi siehst, soll unser Auto sein“, hatte er einmal einem Menschenwelpen erklärt und auf das Dreieck gedeutet. Mir war das egal, denn es roch nach nichts, hatte keinen Atem und keinen Herzschlag.
Nach einiger Zeit – ich begann gerade, müde zu werden – hörten die Bewegungen der Außenwelt auf und das Auto wurde still. Neugierig sah ich nach draußen: ein niedriges Haus mit flachem Dach, daneben eine große Rasenfläche, darauf merkwürdige Sachen. Dahinter konnte ich eine Wildwiese, die an einer großen Hecke endete, ausmachen. Das roch nach Abenteuer.
Einige der Sachen auf dem Rasen erkannte ich auf Anhieb wieder: ein Ring zum Durchspringen, ein paar Hürden und eine dachförmige Holzwand. Ui, ein Trainingsplatz. Endlich würde ich dem Boss zeigen können, dass ich noch nichts verlernt hatte. Die mir unbekannten Hindernisse störten mich nicht, irgendwie würde ich auch die meistern. Am liebsten wäre ich sofort losgesaust, um den Parcours zu absolvieren.
Dirk stieg aus, ging zu einer Frau und sprach mit ihr. Zuerst interessierte mich das nicht sonderlich, aber dann deutete er auf mich. Bestimmt war das die Trainerin, die einen freundlichen Eindruck machte.
Mit einem Satz sprang ich aus dem Auto, musste Sitz machen – kein Problem – und wurde angeleint. Wolken trieben am Himmel, angenehm kühle Luft wehte mir den Duft von frisch gemähtem Rasen in die Nase. Die Frau sah jung und sportlich aus. Sie warf einen prüfenden Blick auf mich und lächelte – ein gutes Zeichen.
„Du bist also Cody, der es mit dem Gehorchen nicht so genau nimmt?“, fragte sie mit wohlklingender Stimme.
Lautstark wollte ich widersprechen, aber dann fiel mir ein, dass Menschen die Hundesprache nicht verstanden. Als Zeichen der Freundschaft klopfte ich stattdessen mit meinem Schwanz auf den Boden.
„Kommt mit, ihr zwei.“ Sie öffnete ein Tor und Dirk führte mich auf den Trainingsplatz. Ich durfte an ihrer Hand schnuppern – sehr sympathisch. Die Dame wusste, was sich gehörte. Nur allzu gern hätte ich auch ihr Hinterteil beschnüffelt, aber sie drehte es mir nicht zu. Auch gut, denn Dirk wäre bestimmt dagegen gewesen.
„Wie ich Ihnen am Telefon bereits sagte, hat er eine Ausbildung zum Schutz- und Suchhund absolviert.“
„War er im Polizeidienst eingesetzt?“
„Ja, einige Jahre,“ Dirk kratzte sich am Ohr. „Nur leider hat Cody seinen eigenen Kopf.“
Natürlich hatte ich den. Allein die Vorstellung, dass Dirks Kopf auf meinem Körper säße, machte mich nervös. Unsicher, wie ich mich verhalten sollte, stand ich auf, zumal es hier ganz intensiv nach anderen Hunden roch. Nur zu gern wäre ich losgelaufen, um alles genau zu erkunden.
„Wie alt ist er denn?“
„Sieben.“ Dirk sah sie durchdringend an. „Im Großen und Ganzen war er früher ein folgsamer Diensthund, aber seit er bei mir ist, hat er eine gewisse Eigenwilligkeit entwickelt, die seit Kurzem in einen regelrechten Ungehorsam ausgeartet ist.“
„Vielleicht hat er ein selektives Hörvermögen?“
„Das wäre gut möglich.“
Sie lachte. „Für einen K-9 keine gute Eigenschaft. Waren Sie schon beim Tierarzt mit ihm?“
„Natürlich, aber der konnte nichts finden.“
„Wie ist er in Ihren Besitz gelangt?“
„Durch einen Freund. Nachdem der Diensthundeführer unserer Inspektion Cody nach seiner Ausmusterung nicht aufnehmen konnte, habe ich mich bereit erklärt, ihn zu adoptieren. Immerhin ist er auch so etwas wie ein Kollege, dem man sich verpflichtet fühlt.“
Sie bückte sich und strich mir über den Kopf. „Bist aber ein hübscher Kerl.“
Das fand ich auch.
„Was wollen Sie mit ihm erreichen?“
„Ich glaube, Cody ist nur langweilig. Er braucht eine Aufgabe, die ihm Spaß macht, und er muss lernen, sich seinem Führer unterzuordnen.“
Spaß hörte sich zwar gut an, aber ein Polizeihund sollte in erster Linie seinen Dienst ordentlich versehen. Wollte oder konnte mein Boss das nicht verstehen? Immerhin trieben sich im Stadtpark höchst verdächtige Katzensubjekte herum.
„Bleib, Sitz!“, herrschte mich der Boss an.
Wie bitte?
Susi hob den Zeigefinger. Ich setzte mich. „Zuerst ein paar Regeln: Auf dem Übungsplatz werden keine Geschäfte verrichtet. Die Hunde sollen sich vorher erleichtern.“
„Oha“, machte der Boss. „das habe ich nicht gewusst.“
„Weil wir sonst zu nichts kommen. Fängt einer erst mal damit an, macht es ihm die ganze Rasselbande nach. Die Hunde sollen sich auf ihre Aufgabe konzentrieren und nicht Zeitung lesen.“
Der Boss blinzelte. „Zeitung lesen?“
„Das Erschnuppern der Markierungen ihrer Artgenossen ist für sie wie Zeitunglesen.“
„Guter Vergleich.“
Eine Zeitung, wo war eine? Sollte ich sie apportieren? Fressen durfte man sie nicht, wie ich seit meiner Welpenzeit wusste. Wozu auch, sie schmeckte nach nichts.
„Kommt mit.“ Sie marschierte voran und stoppte zwischen zwei in den Boden gesteckten Fähnchen.
Der Boss folgte ihr und ich zeigte, wie gut ich bei Fuß gehen konnte.
Erneut musste ich sitzmachen, dann loslaufen, über die A-Wand und durch einen Reifen springen. Nach getaner Arbeit erhielt ich viel Lob und ein Leckerchen. Pah! Das konnte jeder Welpe. Als nächstes musste ich über mehrere Hürden hopsen, wobei der neben mir laufende Boss gehörig ins Schnaufen kam. Susi gab die Kommandos, und es war herrlich anzuschauen, wie der Boss gehorchte. Es folgten die Slalomstangen.
„Der Slalom ist eine der schwierigsten Übungen“, erklärte die Frau.
„Hm“, machte Boss. „Frau Döhler …“
„Sagen Sie ruhig Susi zu mir – wie alle anderen.“
Sein Körper strahlte plötzlich mehr Wärme aus. „Gerne. Ich bin Dirk.“
„Prima, Dirk. Lass ihn ablegen.“
Mit heraushängender Zunge legte ich mich hin. Immer noch kein Arm zum Reinbeißen – schade.
Sie schritt die in einer Reihe stehenden Stangen ab, wobei sie sagte: „Meistens dauert es einige Zeit, bis die Hunde verstehen, was sie tun sollen.“
Nicht bei mir. Es war doch klar, dass ich an den Stangen so schnell wie möglich vorbeirennen sollte.
„Wollen wir es mal probieren?“, fragte mich der Boss.
Gespannt, was er tun würde, stellte ich mich auf alle Viere.
Auf seiner Stirn erschien die altbekannte Furche. „Was hatte ich befohlen?“
Keine Ahnung, was er meinte. Also setzte ich mich wieder. Gespannt sah ich zu ihm hoch. Wahrscheinlich würde jetzt der Reinbeißarm zum Einsatz kommen.
„Das ist noch zu früh“, sagte Susi. „Wir fangen erst mal mit drei Stangen an.“
Sie hielt mir ein Leckerchen vor die Schnauze und als ich es mir einverleiben wollte, zog sie es schnell weg. Da es gar zu verführerisch roch, folgte ich ihm durch die Stangen. Am Ende bekam ich es dann doch. Warum nicht gleich so?
Susi lachte wieder, was sie gern zu tun schien, und auch der Boss stimmte mit ein.
Plötzlich summte es an ihrem Hinterteil. Sie zog ein flaches Ding aus der Gesäßtasche ihrer Jeans, sagte zum Boss: „Einen Moment, bitte“, und sprach in das schwarze Ding. Noch während sie damit redete, veränderte sich ihr Körpergeruch. Auch der Boss schien das bemerkt zu haben, denn er beobachtete sie aufmerksam.
Mit hängendem Kopf ließ die Hand, in der sie das Ding hielt, sinken. „Mein Opa ist gestorben.“
„Oh, das tut mir leid“, sagte der Boss leise.
„Er war zwar schon ziemlich alt, aber trotzdem noch fit wie ein Turnschuh.“ Ihre Stimme veränderte sich, gleich würde sie zu weinen beginnen. Sie richtete sich wieder auf. „Ich verstehe nicht, warum er diese geldgierige Tussi geheiratet hat. Nur weil sie ihm Honig ums Maul schmierte und mit ihren körperlichen Reizen nicht geizt?“
„Alter schützt vor Torheit nicht“, murmelte Dirk.
„Opa war nicht dumm, er war nur viel zu gutherzig zu diesem Flittchen“, fuhr Susi ihn an.
Der Boss schwieg dazu.
„Es kommt mir halt komisch vor.“
„Verstehe ich. Soll ich mal nachforschen, ob etwas gegen sie vorliegt?““
„Bitte ja. Sie ist kaum älter als ich.“ Susi redete sich allmählich in Rage. Ich ließ sie keinen Moment aus den Augen, denn schließlich wusste man nie, wie so etwas enden würde.
„Er hätte ihr Großvater sein können!“, schnaubte sie wütend. „Die war bereits zweimal verwitwet als sie ihn heiratete. Also wenn das nicht verdächtig ist?“
„Das allein reicht noch nicht für einen Anfangsverdacht. War dein Großvater denn vermögend?“
„Was heißt vermögend? Jedenfalls gehört man mit einer Villa mit Swimmingpool und einer dicken Rente nicht zu den Armen. Dazu noch eine Lebensversicherung, die ursprünglich für seine Enkelkinder bestimmt war. Unsere Eltern sind bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen. Ach ja, und da gibt es noch die Kunstsammlung, die einer Stiftung versprochen ist.“
„Ich kann mich mal nach der Todesursache erkundigen, wenn dir das hilft.“
„Das wäre sehr nett.“ Jetzt flossen die Tränen in Strömen. „Er heißt Alfred Flechsenberg. Sorry, das Training müssen wir leider abbrechen. Ich bin fix und fertig.“
„Selbstverständlich“, murmelte der Boss. „Ich rufe wegen eines neuen Termins in ein paar Tagen an, okay?“
Wir zogen ab, wobei mein Boss den Kopf tief gesenkt hielt. Gern hätte ich ihn getröstet, obwohl mir der Grund seiner Traurigkeit nicht ersichtlich war. Vielleicht hätte er lieber einen Fall lösen sollen, anstatt mit mir auf dem Übungsplatz herumzuturnen.