Читать книгу Weg mit dem Corona-Bauch - Imre Kusztrich - Страница 3

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Einführung

Wiegen Sie mehr als vor Corona? Sie sind nicht allein. Die Mayo Clinic, die weltberühmte Forschungsanstalt in Rochester, Minnesota, gibt diesem Phänomen bereits die Bezeichnung Quarantäne 15. Ihre Wissenschaftler ermittelten eine durchschnittliche Gewichtszunahme von zwei Pfund pro Woche während des angeordneten Lockdowns von zwei Monaten.

Unsere Beziehung zum Essen ist äußerst eng. Sie begann als Voraussetzung zum Überleben. Mit der Zeit wurde sie eines unserer größten Vergnügen und eine unserer stärksten Leidenschaften. Daraus leitet sich die Erkenntnis ab, dass Nahrung in Stresssituationen den Druck reduzieren kann. Diese unleugbare Realität steht jedoch in krassem Gegensatz zu jedem Wunsch, sich gesund zu ernähren.

Es gibt auch viele verständliche Erklärungen. Zum Beispiel diese: Menschen änderten ihr Verhalten, und diese Unterbrechung der täglichen Routine veranlasst den Organismus zu besonderer Wachsamkeit. Eine der Maßnahmen ist größere Vorsorge in Bezug auf seine Energiereserven.

Mit dem Wenigsten begnügt sich ein Organismus bei verlässlich regelmäßiger Nahrungszufuhr. Wenn wir unseren Körper jedoch überwiegend im Unklaren lassen, wann das nächste Essen angesagt ist, zwingen wir seinen Grundumsatz in einen Sparmodus … und schon eine ganz normale Kalorienmenge kann dazu führen, dass allmählich das Gewicht steigt. Auslöser sind in normalen Zeiten bereits die Unwägbarkeiten des Social Jet Lag – wofür beispielsweise sehr spätes Nachtessen oder auch einmal gar keines typisch wäre, am Wochenende Brunch statt Frühstück, essen einmal allein, im Stehen, und dann wieder in geselliger Runde.

Der sensible Körper reagiert. Die gleiche Nahrungsmenge, regelmäßig aufgetischt, wird einer schlanken Person eher die gewünschte Figur erhalten. Die vielgepriesene Mittelmeerdiät funktioniert auch deshalb, weil dem Stoffwechsel signalisiert wird, dass die Anhänger definitiv großen Wert auf sichere Versorgung legen.

Für Millionen Menschen ging durch COVID-19 monatelang die für sich selbst gewählte Routine verloren. Nicht wenige reagierten mit nicht voraussehbaren Verhaltensänderungen. Ziemlich extrem. Unter den aktiven Politikern hatten wenige den Mut, erklärten Corona-Demonstranten mit Respekt zu begegnen. Wolfgang Nowak, ein früherer Experte für Bildung und Schulsysteme, Ministerialdirektor im Kabinett von Gerhard Schröder, zeigte Verständnis für den Zusammenhang zwischen einer Pandemie und einer sozialen Revolte und analysierte: „Es gibt ein Unbehagen, das schon vorher da war. Die Leute glaubten, sie werden nicht gehört und über sie hinweg würde bestimmt, auch mithilfe der öffentlichen Medien.“ (Quelle: „Wer sind die Corona-Demonstranten?“ Gabor Steingart. 4. August 2020).

Mediziner waren noch am ehesten im Stande, die neue Situation richtig zu bewerten. Die Sozialpsychologin und Soziologin Jutta Allmendinger warnte sogar vor Problemen, die dem durchaus positiv eingeschätzten Home Office zugeschrieben werden können. Als Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung war sie sehr geschätzter Gesprächspartnerin in Fernsehrunden zur Coronakrise. Jutta Allmendinger berichtete von einem verstärkten Auseinanderdriften der Gesellschaft in den Phasen von mobilem Arbeiten. Viele vermissen ihre Kolleginnen und Kollegen. Bis Corona hat der enge Kontakt in der Berufswelt Einzelgruppen noch zusammengebracht, auch in den öffentlichen Verkehrsmitteln oder mittags in der Cafeteria. Das wurde rapide unterbrochen. Persönliche Begegnungen sind wichtig für das gegenseitige Verstehen. Die Wissenschaftlerin zeigte sich jetzt besorgt: „Es verändert ein Land, wenn Menschen, die ohnehin schon wenig miteinander zu tun haben, sich nicht einmal beiläufig treffen – außer vielleicht im Supermarkt.“ [1] [2] [3].

Gefühle von Einsamkeit sind sowohl Vorläufer als auch Konsequenzen von Übergewicht, behauptet der klinisch arbeitende Psychologe J. Ryan Fuller (Quelle: „Loneliness – Antecedent and Sequel of Obesity“. Encyclopedia of Obesity). Betroffene erleben häufiger Depression.

Unbewusste Angst wird von der Gesellschaft nicht positiv bewertet, nicht als Vorsorge hochgeschätzt, sondern eher zurückgewiesen, unterdrückt, geleugnet. Mit Angst in Verbindung gebracht zu werden, wertet ab. Doch Angst lässt sich nicht so leicht wegwischen.

Verstärktes Zurückziehen und Einsamkeit werden mit Übergewicht in Verbindung gebracht. Dieser Zustand ist einer der am meisten verbreiteten Auslöser von Mehressen gerade bei jenen, die sich bemühen, die Nahrungsmenge zu reduzieren. Unter den zahlreichen Gründen sind Diskriminierung und Fettscham zu finden. Das Alleinsein ist eine starke Barriere für Gewichtsabnahme. Deshalb beinhalten die meisten professionellen Diätprogramme die Verstärkung jeder Form von körperlicher und gesellschaftlicher Aktivität. Dem hat das Corona-Lockdown Grenzen gesetzt.

Italienische Forscher untersuchten ganz genau die psychologischen Veränderung des Alltags zwischen dem 24. April und 18. Mai 2020. Ein hoher Prozentsatz der Untersuchten oder Befragten bekannte eine depressive Stimmung, erhöhte Ängstlichkeit, drückende finanzielle Sorgen, Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes und immer wieder Gefühle einer körperlichen oder seelischen Krankheit ohne konkreten Grund, konkreten Grund, Hypochondrie genannt. Etwa die Hälfte gab an, vermehrt Trostessen, Futter für die Seele, zu konsumieren, eine Gruppe von Nahrungsmitteln, die als comfort food bezeichnet wird. Die Tendenz zum Mehressen war mit Besorgnis und Schuldgefühl verbunden. Auch Schlafstörungen traten vermehrt auf. Das betraf Frauen, die auch mehr Vitamine schluckten oder Nahrungsergänzungsmittel verwendeten, stärker als Männer. Jüngere Befragte mit einem niedrigeren Body Mass-Index entwickelten weniger Heißhunger und weitere für die Situation typischen Symptome.

Aus früheren Erhebungen ist bekannt, dass sowohl Fremdbestimmung wie der Eindruck, von der Allgemeinheit im Stich gelassen zu werden, den Blutdruck erhöhen. Dieser Faktor ist Bestandteil des Metabolischen Syndroms und tritt häufig gemeinsam mit Insulinresistenz, bauchbetonter Fettleibigkeit, Zuckerstoffwechselstörung mit ständig erhöhtem Blutzucker und gestörtem Fettstoffwechsel auf. Gemeinsam bilden sie das tödliche Quartett der Risikofaktoren für Erkrankungen der Großgefäße, des Herzens und des Gehirns.

Umfragen aus mehreren Ländern ergeben, dass viele Verbraucher sich verunsichert und irregeleitet fühlen. Aus Deutschland, wo kritische Erhebungen eher selten sind, liegen derartige Warnungen nicht vor. Viele Unternehmen der Nahrungsindustrie, Pharmabetriebe und Werbeagenturen wittern eine größere Chance und versuchen, die Ängste in der Bevölkerung in Gewinne umzumünzen. Das gilt auch für unbegründete Gesundheitsversprechen im Zusammenhang mit Nahrungsergänzungsmitteln. Wenn eine verkaufsfördernde Aussage wie „Jetzt mit zusätzlichem Vitamin C für das Immunsystem“ auf dem Hinzufügen von gerade völlig wirkungslosen 20 Mikrogramm der Substanz beruht, dann ist das schlicht eine Täuschung.

Das italienische Publikum im Visier der Forscher bestätigte überwiegend die Neigung, mehr als sonst zu konsumieren. Jede zweite Person war schuldbewusst in Bezug auf die Ernährung. Menschen griffen vermehrt zu hochprozessierter Nahrung mit langer Haltbarkeit. Zahlreiche wissenschaftliche Studien verbinden dieses moderne Industrieessen mit mindestens fünf Zutaten, die in keiner Küche vorkommen, auf lange Sicht gesehen konkret mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Depression, einigen Krebsarten und verkürzter Lebensdauer. Kurzfristig startet eine Gewichtszunahme, begleitet von chronischen Entzündungsprozessen.

Alle diese Eigenschaften wurden von Frauen stärker zugegeben als von Männern [4].

Unterm Strich tragen zahlreiche ungewohnte Faktoren zu dem bei, was die Mayo Clinic Quarantäne 15 nennt. Aus all diesen Gründen ist die Schlussfolgerung verständlich: Corona-Pfunde sind ganz anders. Klar ist auch: Noch weniger als sonst war die Menge an Kalorien ausschlaggebend. Die Gewichtszunahme wurde entscheidend von der Beschaffenheit und der Qualität der verzehrten Nahrung bestimmt und von den psychologischen Bedingungen, unter denen sie konsumiert wurde.

Weg mit dem Corona-Bauch

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