Читать книгу DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband - Ina Kramer - Страница 8
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Die Tribüne der Rennbahn vor den Toren von Methumis war mit Wimpeln, Girlanden und Buketten aus Firunsglöckchen und dem ersten Ilmengrün aufs prächtigste geschmückt, denn zum diesjährigen großen Phex-Rennen erwartete man nicht nur den Herzog – auch der Erzherrscher von Arivor hatte seinen Besuch angekündigt. Und auch die Götter schienen dem Rennen gewogen: Seit Tagen ließ Herr Praios Sein Antlitz hell erstrahlen, die gütige Frau Peraine hatte die Auen in ein Gewand aus frischem Grün mit winzigen bunten Farbtupfern darin gehüllt, Herr Efferd hatte den Fischern einen reichen Fang beschert, und die Luft war erfüllt vom Duft der gebratenen Meerbarsche, Perlbeißer und Silberaale, die an kleinen Ständen rings um die Rennbahn feilgeboten wurden. Herr Phex, dem zu Ehren das Rennen veranstaltet wurde, ließ Kaufleute, Diebe und Bettler zufrieden schmunzeln über die bereits getätigten oder noch zu erwartenden günstigen Geschäfte, und der sinnenfrohen Frau Rahja Gebot hieß heute ganz besonders viele verliebte Paare und Pärchen zum Liebesspiel ins nahe Wäldchen schlendern …
Da Phex der neunte Monat ist, waren, wie jedes Jahr, neun Rennen angesetzt, sechs Bürger- und drei Adelsrennen. Die Bürgerrennen begannen üblicherweise um die zehnte Stunde und endeten, wenn alles gutging und nicht zu viele Unfälle geschahen, um die zweite Stunde nach Mittag. Es waren derbe Volksbelustigungen, und die wenigsten Gäule, die man auf der Rennbahn sah, waren wirkliche Reittiere – von Rennpferden ganz zu schweigen. Da gab es struppige Ponys, magere Karrengäule, Kaltblüter, deren wahre Bestimmung es war, einen Pflug zu ziehen, aber alle waren, genau wie ihre Reiter, aufs schönste geschmückt und herausgeputzt. Teilnehmen durfte ein jeder, sofern er ein Reittier besaß, das nur entfernt an ein Pferd erinnerte, und falls er es schaffte, sich rechtzeitig einen Platz unter den Startenden zu sichern, denn deren Anzahl war auf zehn für jedes Rennen beschränkt.
Für die meisten war die Teilnahme nicht mehr als ein Spaß, und nur die Besitzer der besseren Pferde – wie Fuhrleute, Botenreiter und Pferdehändler – mochten hoffen, die Siegesprämie zu gewinnen: wahlweise ein Faß Bier, gestiftet von der Geweihtenschaft des Phextempels, oder ein Fäßlein Wein, das die Rahjapriesterinnen für den heutigen Tag gespendet hatten. Doch mußte niemand darben, Verlierer nicht und auch nicht die große Schar der Schaulustigen, denn das herzogliche Freibier floß beim großen Phex-Rennen stets in Strömen.
Natürlich blieben die Adelslogen leer bei diesem groben Treiben, und auch die vornehmen Handelsherren und -damen zogen es vor, erst später zu erscheinen. Doch um die dritte Stunde nach Mittag, wenn der Rennplatz längst geräumt war von trunkenen Schustergesellen und zottigen Mähren, füllte die Tribüne sich allmählich. Das war nun für das Volk ein fast noch größeres Ereignis als die vorausgegangene Belustigung – so hohe Herrschaften von Angesicht zu sehen und so prächtige Gewänder zu bestaunen, das war ihm wahrlich nicht alle Tage vergönnt.
Am begierigsten erwarteten die Leute das Erscheinen des Erzherrschers und seiner Gemahlin. Er hatte sich auf seine alten Tage – die Sechzig mochte er bald erreicht haben – noch einmal vermählt, und zwar, wie es hieß, mit einer blutjungen ehemaligen Rahjageweihten aus Belhanka. Und so drängte sich jedermann so dicht zur Tribüne, wie Büttel und Gardisten es eben zuließen.
Unterdessen wurde die Rennbahn für die letzten drei Rennen, die Adelsrennen und das wahre Ereignis des Tages hergerichtet: Nachdem der Platz vom Kot gereinigt war, schleppten livrierte Helfer und Helferinnen buntbemalte hölzerne Gerüste herbei, die zu unterschiedlich hohen Hürden zusammengesetzt wurden. An anderer Stelle wurden schwere Eichenbohlen aus dem Boden der Rennbahn entfernt, und nun sah man, daß sich darunter wassergefüllte Gräben befanden. Die schönsten Hindernisse jedoch waren die Hecken. Dazu wurden immergrüne Sträucher und Äste der Goldpinie so zusammengesteckt und mit Schleifen aus roter Seide geschmückt, daß sie tatsächlich blühenden Rosenhecken glichen. Insgesamt galt es neun Hindernisse zu überwinden: drei Hürden, drei Gräben, zwei Hecken und als letztes und schwierigstes Hindernis eine Hecke, hinter der sich, unsichtbar für das Pferd, ein weiterer Wassergraben befand. Dieser war allerdings so flach, daß ein Pferd auch hineinspringen und hindurchwaten konnte – schließlich sollte nach Möglichkeit keines der kostbaren Tiere verletzt werden.
Das erste Rennen war für die vierte Stunde angesetzt, und die Tribüne hatte sich inzwischen gefüllt. Einzig die für den Herzog und den Erzherrscher reservierten Logen waren leer geblieben. Doch wurde das Volk aufs beste entschädigt durch den Anblick der in ihre kostbarsten Gewänder gehüllten Herrschaften, die je nach Stand, Vermögen und Temperament in prächtigen Kutschen, vergoldeten Sänften oder auf geschmückten Pferden zum Rennplatz gereist waren. Und als nun die Hochgeweihte des hiesigen Rahjatempels, eine zierliche Tulamidin, das Podest am Fuße der Tribüne bestieg, auf dem die Sieger der drei letzten Rennen geehrt werden sollten, da lief ein Raunen durch die Menge, und die Gemahlin des Erzherrschers war vergessen. Hochwürden Ludilla – wie schlecht sich doch der Titel zu Gebaren und Gewandung der Dame fügen wollte! – ist gewiß um vieles schöner als die Erzherrscherin, so dachten die meisten. Die schwarzhaarige Priesterin war dem Brauch des Kultes gemäß in ein kurzes Gewand aus durchscheinender roter Seide gekleidet. Das hüftlange Haar trug sie teils offen, teils zu dünnen Zöpfen geflochten, von denen jeder mit einer goldenen Schleife befestigt war. Goldene Sandaletten umschlossen die zarten Füße, und golden waren auch der Gürtel, dessen Schließe wie eine Weinrebe mit Blättern und Trauben geformt war, und die Armreifen und Fußkettchen, die sie trug. Lächelnd grüßte Ludilla die Gäste auf der Tribüne, die sieben Reiterinnen und Reiter, die soeben ihre Plätze hinter einer markierten Linie bezogen hatten, und schließlich die jubelnde Menge. Dann füllte sie einen von vier reichverzierten silbernen Bechern, die neben ihr auf einem Tischchen standen, mit rotem Wein. Es war ungeweihter Tharf aus dem Tempel, denn den geweihten Wein darf auch eine Priesterin nur innerhalb der Tempelmauern trinken.
»Herrn Phex, dem Listigen, zu Ehren und Frau Rahja, der Schönen, zur Freude soll das heutige Adelsrennen ausgetragen werden!« rief Ludilla mit dunkler, weittragender Stimme. »Mögen die Götter darüber wachen, daß weder Reiter noch Tiere zu Schaden kommen, und mögen die besten drei den Sieg erringen. Hiermit« – bei diesen Worten hob sie den Becher gen Himmel und leerte ihn anschließend in einem Zuge – »erkläre ich das Rennen für eröffnet. Reiter und Reiterinnen, macht Euch bereit!«
Die Menge hatte der kurzen Ansprache schweigend gelauscht, nun erklangen Hochrufe, Pfiffe und Schreie, Mützen und Tücher wurden geschwenkt, so daß die Pferde an der Markierungslinie nervös zu tänzeln begannen. Dem Jubel zum Trotze gab es kaum einen unter den Schaulustigen, der aufrichtig wünschte, die Rennen sollten völlig ereignislos verlaufen. Denn darin bestand ja gerade das Vergnügen: einmal so ein Herrensöhnchen im Wasser oder Schlamme landen zu sehen, zu erleben, wie es vom Platze humpelte, sich verstohlen den schmerzenden Steiß reibend, und ach, die feinen Kleider – vollständig ruiniert. Aber ein Phex-Rennen ohne Rempeleien, ohne scheuende Pferde und ohne aufsehenerregende Abwürfe hatte es kaum jemals gegeben, und so waren alle zuversichtlich, daß sie nicht um ihren Spaß betrogen werden würden.
Fuxfell tätschelte den Hals seiner Rappstute. »Ganz ruhig, Meriban, braves Mädchen«, sprach er begütigend auf sie ein, »wir werden es ihnen schon zeigen, nicht wahr, meine Schöne?«
In der Tat war Fuxfells Stute das schönste und edelste Tier auf dem Rennplatz – ein echtes Shadif aus der Zucht eines Hairans aus Achan. Fuxfell ärgerte sich, daß er für das erste Rennen ausgelost worden war, denn ein Sieg im letzten Rennen würde, seiner Erfahrung nach, mehr gefeiert und beachtet werden.
Zordan Fuxfell war ein zartgliedriger Mann Mitte der Zwanzig und von mittlerem Wuchs, dem man sein tulamidisches Erbteil deutlich ansah: Das rabenschwarze Haar trug er zum Zopf geflochten, schwarz waren die großen Augen mit den schweren Lidern, die ihnen einen stets etwas müden oder gelangweilten Ausdruck verliehen, schwarz waren die fein geschwungenen Brauen, und schwarz war der sorgfältig gezwirbelte Schnurrbart. Auch die gelbbräunliche Haut hatte er von seiner Mutter ererbt, und einzig die kurze, an der Spitze etwas rundliche Nase ging auf seinen Vater zurück. Zum heutigen Phex-Rennen hatte er sein bestes Reitkleid angelegt, rote, enganliegende Beinkleider und ein dunkelgrünes pelzverbrämtes Wams, das, wie er fand, seine schlanke und dennoch muskulöse Gestalt besonders gut zur Geltung brachte. Ein federgeschmücktes schwarzes Barett, schwarze Handschuhe und sorgfältig polierte schwarze Reitstiefel rundeten seine Erscheinung ab.
Statt zu hadern, sollte ich mich lieber auf das Rennen konzentrieren, dachte er, und froh sein, daß sie mir nach all dem Hin und Her die Teilnahme schließlich doch noch gestattet haben. Denn nur der Fürsprache und dem Einfluß seines Vaters, des alten Irineius, hatte er es zu verdanken, daß er, ein Bastard, zum Rennen zugelassen worden war. Lächerlich, dachte er, nachdem der Alte mich doch schon vor Jahren anerkannt hat. Aber er würde es ihnen zeigen, er und seine schöne Meriban!
Daß er siegen würde, daran hatte er bis zur Auslosung nicht einen Augenblick lang gezweifelt: Meriban war ein gut ausgebildetes Rennpferd, erprobt in mancher Fantasia und, wie der alte Hairan ihm glaubhaft versichert hatte, aus den zahlreichen tulamidischen Reiterspielen, an denen sie teilgenommen hatte, stets als Siegerin hervorgegangen. Und er selbst war ein vorzüglicher Reiter – das tulamidische Erbteil seiner Mutter. Uns Tulamiden liegt das Reiten eben im Blut, wir müssen es nicht erst lernen, dachte er mit grimmigem Stolz.
Diesen grimmigen Stolz hatte Fuxfell schon den ganzen Tag über empfunden – Stolz auf seine Reitkünste und auf die prächtige, empfindsame Meriban und Grimm über seine nichteheliche Herkunft. Sie ließen es ihn spüren, daß er nicht zu ihnen gehörte, diese blaßgesichtigen selbstsicheren Adelssprößlinge, und behandelten ihn mit spöttischer Herablassung. Aber Meriban hatte sie beeindruckt – kaum einem seiner Gegner war es gelungen, beim Anblick der schwarzen Schönheit einen gleichmütigen Ausdruck zu bewahren. In ihren Augen funkelten Neid und Begierde, dachte er befriedigt, während er die Gedanken an die äußerst verlockenden Kaufangebote verscheuchte, die ihm von einigen seiner Konkurrenten angetragen worden waren. Nein, er würde Meriban nicht verkaufen, nicht für alle Dukaten der Welt, und gewiß nicht im Moment, da sie sich auf dem Höhepunkt ihrer Kraft und Gewandtheit befand. »Wir beide sind ein unschlagbares Gespann, meine Schöne«, raunte er der Stute zu, und als hätte sie seine Worte verstanden, wandte das Tier in diesem Augenblick den Kopf und blickte ihn aus seinen wunderbaren, glänzenden schwarzen Augen an.
Eigentlich gab es nur einen ernstzunehmenden Gegner, und der Namenlose – oder wer auch immer – hatte es so gefügt, daß sie beide für das erste Rennen ausgelost worden waren. Sindar war ein muskulöser, feuriger Nebelschimmel (womöglich gar ein wenig sprungstärker als meine Meriban, ging es Fuxfell durch den Kopf, aber bei weitem nicht so fügsam und klug), und seine Reiterin, die junge Brinna von Efferdas, war eine kühne und kämpferische Frau. Verstohlen schaute er zu der Baroneß hinüber, aber sie blickte starr geradeaus, fast als schliefe oder träumte sie. Vielleicht sollte auch ich mich mehr auf das Rennen einstimmen, dachte Fuxfell. Meriban ist immer etwas langsam beim Start, da werden wir wohl ein paar Schritt zurückfallen, aber nach dem zweiten Hindernis sollten wir die Gegner hinter uns gelassen haben – bis auf Sindar, vermutlich. Ich hätte mir den Hengst genauer ansehen sollen, um ihn besser einschätzen zu können, aber wer konnte auch damit rechnen, daß wir für ein und dasselbe Rennen ausgelost werden? Nun, die Hürden und Wassergräben werden Meriban keine Schwierigkeiten bereiten, heikler wird es bei den Hecken – Hindernisse, die sie nicht überblicken kann, machen sie stets nervös. Da kommt es darauf an, daß ich ihr die Furcht nehme. Sie muß gehorchen und mir vertrauen … Weiter kam er nicht mit seinen Überlegungen, denn soeben hatte der oberste Phexenspriester, der traditionsgemäß das Starten übernahm, seinen Platz neben der Strecke bezogen. Er hielt einen aus feinstem Papier gefertigten Beutel in der Rechten, den er nun an die Lippen setzte und aufzublasen begann. Als der Beutel prall gefüllt war, holte er mit der Linken weit aus. »Und…«, erklang es in der atemlosen Stille, die sich über dem Rennplatz ausgebreitet hatte. Das nachfolgende »Los!« wurde übertönt von dem lauten Knall, mit dem der Beutel zerplatzte, als der Geweihte die Hände zusammenschlug.
Sechs Pferde stoben davon, allen voran Praiosblume, ein Falber aus dem Gestüt derer von Onjaro. Meriban, die bei dem Knall ein wenig gestiegen war und ein leises Wiehern ausgestoßen hatte, brauchte einen Moment, bis sie sich so weit gesammelt hatte, daß sie sich der Führung ihres Reiters überlassen konnte. Nun lief sie dreißig Schritt hinter dem Feld, und Fuxfell hieb ihr zornig die Fersen in die Flanken. »Schneller, Mädchen, mach mir keine Schande!« schrie er, und wieder war es, als hätte die Stute die Worte ihres Herrn verstanden: Mit geblähten Nüstern, den schönen Kopf stolz erhoben, begann sie zu laufen, schneller und immer schneller, bis ihre kleinen Füße den Boden kaum noch zu berühren schienen. »So ist es brav, meine Schöne«, rief Fuxfell begeistert, »zeig ihnen, was du kannst!« Sein Ärger über den mißlungenen Start war verflogen, als er spürte, wie das Tier seine Bewegungen aufnahm und Roß und Reiter zu der gewohnten Einheit verschmolzen, die ihn stets mit einem Gefühl von Glück und Macht erfüllte.
Das Feld rückte näher, bald unterschied er die einzelnen Tiere und ihre Reiter, und noch vor dem ersten Hindernis hatte er Aldara überholt, die schwächste seiner Konkurrenten. Sindar, Nachtvogel und Praiosblume bildeten die Spitze und erreichten fast gleichzeitig die erste Hürde. Sindar und Praiosblume nahmen das Hindernis ohne Mühe, aber Nachtvogel verweigerte, und Fuxfell sah, wie sein Reiter das Tier unwirsch herumriß, um einen zweiten Anlauf zu nehmen. Zwei weniger, dachte er mit Genugtuung, denn einen solchen Zeitverlust könnte auch das schnelle Halb-Shadif nicht wieder aufholen.
Meriban hatte nun ihren Rhythmus gefunden. Sie flog dahin, nahm die Hürde ohne Mühe und setzte ihren Lauf fort, als wäre er nie durch einen Sprung unterbrochen worden. »Weiter, Meriban, so ist’s gut, meine Schöne, lauf, lauf!« trieb er sein Pferdchen nun fast zärtlich an, denn das Tier hatte durch den weiten, eleganten Sprung so viel Raum gewonnen, daß es sich nun auf fast gleicher Höhe mit Beleman befand, einem etwas gedrungenen Fuchs-Wallach. Aber Beleman ist nicht schnell und auch nicht ausdauernd genug, um den Vorteil seines guten Starts zu halten oder gar auszubauen, dachte Fuxfell. Und richtig, just in dem Augenblick, als Beleman zum Sprung über den Graben ansetzte, hatte auch Meriban diesen erreicht, und wieder flog sie, fast ohne der sanften Anweisungen ihres Reiters zu bedürfen, in weitem Bogen über das Hindernis. Als sie, leicht wie eine Feder, ihren Lauf wieder aufnahm, hörte Fuxfell hinter sich das platschende Geräusch von Wasser. Er blickte sich um und sah, wie Freifrau Firisia von Marudret völlig durchnäßt aus dem Graben stieg, während Beleman verzweifelt versuchte, das Ufer zu erklimmen. Nun gut, nur noch zwei, und das Rennen ist noch lange nicht vorüber, dachte Fuxfell und fühlte, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln verzogen.
Die Rennstrecke war so angelegt, daß drei Hindernisse auf einer abgeflachten Kreisbahn aufgebaut waren: Hürde, Graben, Hecke. Diese Bahn mußte zweieinhalbmal umrundet werden, so daß der Reiter acht Hindernisse überwunden hatte, wenn er sein Pferd auf den geraden Abzweig lenkte, der zum dreihundert Schritt entfernten Ziel führte und auf dessen halber Strecke sich das letzte und schwierigste Hindernis befand, die Hecke mit dem Wasserbassin dahinter.
Das nächste Hindernis, die Hecke, rückte näher, und Sindar hatte nun endgültig die Führung übernommen – er war Praiosblume um fast eine Länge voraus. Aber der Abstand zwischen Meriban und Sindar hatte sich nicht vergrößert, nein, er schrumpfte, er schrumpfte ganz eindeutig. »Oh, Meriban, meine Kluge, meine Schöne, ich liebe dich!« rief Fuxfell begeistert; für einen kurzen Moment spürte er ein Auflodern hitziger Leidenschaft. Und wieder war es, als hätte das Tier seine Worte verstanden: Ein winziger Schauder durchzuckte die Stute, und sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: ›Ich liebe dich auch, mein süßer Herr, und dies ist nur ein Spiel, ein schönes, wildes Spiel, und wir werden es gewinnen.‹
Als zuerst Sindar und kurz darauf Praiosblume über die Hecke setzten, sah Fuxfell, daß beide Tiere die obersten Zweige gestreift hatten. Das durfte Meriban nicht passieren! Der plötzliche peitschende Schmerz an ihren empfindlichen Fesseln würde das empfindsame Tier so sehr verwirren, daß es womöglich aus dem Takt käme. »Keine Angst, meine Schöne, du schaffst es«, flüsterte er ihr zu, als er mit einem kurzen Ruck am Zügel die Stute zum Sprung ermunterte. Doch die kluge Meriban hatte das Kommando ihres Reiters schon im voraus erahnt und setzte ihren Sprung so hoch an, daß – als sie auf dem Scheitelpunkt ihrer Flugbahn elegant die Hinterläufe anzog – mehr als ein Spann Raum zwischen diesen und der Hecke blieb.
Als die zweite Runde begann, war Fuxfell sicher, das Rennen zu gewinnen. Der Abstand zu Praiosblume hatte sich so weit verringert, daß Meriban ihn noch vor dem Graben einholen würde. Zwar ging ihr Atem inzwischen stoßweise, und das Fell ihres Halses war naß von Schweiß, aber Fuxfell kannte ihre Zähigkeit und Ausdauer. Nein, vor dem Ziel würde sie nicht aufgeben! Zunächst aber galt es, wiederum die Hürde zu überwinden. Sindar nahm sie ohne Mühe, kurz nach ihm setzte Praiosblume zum Sprung an, doch was war das? Entweder Pferd oder Reiter hatten den Sprung falsch berechnet und zu früh angesetzt. Wie dem auch sein mochte – Praiosblume streifte den oberen Holm der Hürde so heftig, daß er beim Aufsetzen strauchelte, stürzte – und der Baronet von Onjet flog in hohem Bogen auf die Rennbahn, wo er reglos liegenblieb.
Bei Phex, was soll ich tun? Bürschchen, roll dich zur Seite! dachte Fuxfell verzweifelt, als ihm klar wurde, daß der Kopf des Baronets just an der Stelle lag, wo in wenigen Wimpernschlägen Meribans zierliche Hufe aufsetzen würden. Es war zu spät, denn schon spannte sie sich zum Sprung, wie er es ihr halb unbewußt befohlen hatte. Zu spät, zu spät, dachte er, denn nun stieg sie, flog – Fuxfell schloß die Augen – und gab im letzten Augenblick durch eine angestrengte Bewegung ihres Körpers und ihrer Füße dem Sprung eine andere Richtung, so daß sie wenige Spann neben dem Baronet landete.
»Oh, Meriban, mein Kleinod, mein Juwel«, jubelte Fuxfell, »bist nicht nur schön und klug – auch rücksichtsvoll!« Denn als er nun zurückblickte, sah er, wie der Baronet sich mühsam erhob; es war ihm wahrhaftig kein Unbill widerfahren, weder durch den Sturz noch durch Meribans Hufe.
Nun haben wir nur noch einen Gegner, dachte Fuxfell mit grimmiger Freude, und seine Kräfte erlahmten allmählich. In der Tat war es Sindar nicht gelungen, seinen Vorsprung auszubauen, obwohl Meriban durch ihr Ausweichmanöver ein wenig aus dem Rhythmus gekommen war. Den Graben schaffte der Hengst nur knapp, während Meriban weit und elegant hinübersetzte. Und dann, auf der Strecke zwischen Graben und Hecke, gelang es ihr tatsächlich, an Sindar vorbeizuziehen. Fuxfell warf einen Blick auf seine Gegnerin, aber Brinna von Efferdas schaute starr geradeaus, die Brauen gerunzelt und die Lippen fest zusammengepreßt.
Als Fuxfell seine Stute nun auf den Sprung über das nächste Hindernis vorbereitete, wurde ihm klar, daß auch ihre Kräfte nicht unerschöpflich waren. Zwar übersprang Meriban die Hecke ohne Furcht, doch an dem winzigen Schauder, der ihren Körper durchzuckte, spürte er, daß sie die obersten Zweige gestreift haben mußte. »Halt durch, halt durch, meine Schöne, nur noch drei Hindernisse!« rief er ihr zu, aber Meriban antwortete nicht. Ihr ganzer Körper war nun naß von Schweiß, und kleine Schaumfetzen flogen ihr vom Maul.
Bevor sie die Hürde erreichten, blickte Fuxfell sich um: Sindar war um drei Längen zurückgefallen; auch sein Fell glänzte naß, sein Atem flog, und sein Speichel schäumte. Wenn wir erst auf der Geraden sind, ist uns der Sieg gewiß, dachte Fuxfell. Die Anspannung und der in immer greifbarere Nähe rückende Sieg versetzten ihn in einen rauschhaften Zustand, in dem er mehr denn je mit seinem Pferd zur Einheit zu verschmelzen glaubte.
Die Hürde – Meriban nahm sie, touchierte, doch setzte sie auf, ohne zu straucheln. Fuxfell wußte, daß die zierliche Stute Schmerzen litt, doch verscheuchte er den Gedanken, kaum, daß er entstand. Der Graben noch – Meriban setzte über, sicher zwar, doch knapp –, und nun waren sie auf der Geraden, und nur noch ein einziges Hindernis stand zwischen ihnen und dem Sieg.
Ein nie gekanntes Gefühl von Glück und Triumph durchströmte Fuxfell, und als er sich wiederum umblickte und sah, daß Sindar nun dreißig Schritt zurücklag, schrie er laut auf vor Freude. »Oh, Meriban, du schaffst es, wir schaffen es!« rief er, während er sie auf die Hecke zutrieb. Ich kann nicht mehr, mein guter Herr, schien ihr fliegender Atem zu sagen, aber Fuxfell überhörte ihr Flehen. Dies eine, letzte Hindernis mußte sie noch schaffen, einen letzten hohen und weiten Sprung mußte er ihr noch abtrotzen, einmal noch sollte sie all ihre Kräfte sammeln und allen zeigen, was in ihr steckte! Ja, er würde sie zwingen, Hecke und Bassin in einem Satz zu nehmen! Trocken und unbesudelt würde er zur Siegerehrung schreiten! Und seine Schöne sollte so viel Zuckerbrot bekommen, wie sie nur fressen konnte …
Nun war die Hecke auf wenige Schritt heran. Fuxfell maß den Abstand, verstärkte im rechten Moment den Druck seiner Schenkel und riß am Zügel. Und die brave Meriban gehorchte: Kraftvoll stieß sie sich ab, überflog die Hecke wie ein Vogel und dann …
Fuxfell spürte einen dumpfen Schmerz in der Schulter. Er brauchte einen Moment, um zu begreifen, was geschehen war: Meriban war gestürzt und hatte ihn im Fallen abgeworfen. Verloren! Das Rennen ist verloren! war sein erster Gedanke. Als er sich nun erhob, merkte er, daß er unverletzt geblieben war – der Arm war nur geprellt und nicht gebrochen. Aber was war mit Meriban? Vielleicht können wir es doch noch schaffen, durchzuckte ihn ein irrwitziger Hoffnungsblitz. Doch als er die Stute sah, wußte er, daß alles vorbei war – aus, verloren, dahin.
Meriban lag am Rande des Wasserbeckens. Ihr schöner schlanker Leib bebte vor Erschöpfung und Schmerzen – verzweifelt zuckten und schlugen ihre kleinen Füße in dem vergeblichen Versuch, Halt zu gewinnen. Aber sie konnte sich nicht erheben: Ihr linkes Vorderbein hatte einen seltsam falschen Winkel an einer Stelle, wo sich kein Gelenk befand. Fuxfells Herz krampfte sich zusammen, als er es sah. Meriban würde dies Rennen nicht vollenden – sie würde nie mehr ein Rennen bestreiten! Und als sie nun ihren Kopf zu ihm wandte und ihn aus ihren wunderbaren schwarzen Augen anblickte, da schienen sie ihm noch schimmernder als sonst, fast so, als schwämmen sie in Tränen.
Hilf mir, lieber Herr! schien ihr Blick zu sagen. Und vergib mir, daß ich dich enttäuscht habe.
Wie durch einen Nebelschleier sah Fuxfell, wie Sindar über die Hecke setzte. Im Sprung rief Brinna von Efferdas ihm etwas zu – Fuxfell glaubte das Wort Bastard zu hören –, doch dann waren sie auch schon vorüber. Später folgten noch Beleman und Aldara – die anderen hatten wohl aufgegeben.
Fuxfell wußte, was er zu tun hatte: Er suchte die Stelle zwischen den Rippen, zog sein Rapier, zielte, bedeckte sich die Augen mit der Linken und stach zu. Meriban zuckte und schlug ein letztes Mal mit ihren zarten Füßen. Ein heiserer, seltsam heller Wehlaut entrang sich ihrer Kehle, dann war es vorüber.
Tränenblind verließ Zordan Fuxfell den Rennplatz.
Eine Woche war seit dem großen Phex-Rennen vergangen, eine Woche voll sonniger Tage und milder Nächte. In dieser Woche waren in dem blühenden Städtchen Methumis sieben Menschen gestorben – zwei durch den Strick, einer an der Wassersucht und vier an ihrem hohen Alter – und neun kleine Derebürger hatten Praios’ Licht erblickt, vier Buben und fünf Mägdelein. Die Menschen verrichteten ihr Tagwerk, zufrieden oder mißmutig, scherzend oder fluchend – je nach ihrem Temperament und dem Patz im Weltgefüge, den die Götter ihnen zugewiesen hatten. In dieser Woche hatten alle Mandel-, Kirsch- und Birnbäume ihre Blütenknospen entfaltet, während die zarten gelben Tsasternchen im Wald allmählich dahinschwanden.
Und nahe beim Hafen hatten Baumeister und Maurer damit begonnen, einen schönen, großen, steinernen Efferdtempel zu errichten, der einmal die bescheidene Bethalle ersetzen sollte.
Zordan Fuxfell bemerkte von alldem nichts. Dieser erste wirkliche Schicksalsschlag in seinem Leben machte ihn blind und taub für alles, was ihn umgab. Betäubt war er auch vom Weine, dem er seit dem unseligen Tage fleißiger denn je zusprach, zum Frühstück schon – oder besser: statt desselben, auch wenn von Frühstück zu sprechen kaum passend erscheint, da er sich vor der zwölften Stunde nicht vom Lager erhob. Doch er mußte sich betäuben, mußte die Stimme in seinem Kopfe zum Schweigen bringen, die unablässig sagte: Es war deine Schuld, mein Lieber, einzig und allein deine Schuld.
Ziellos, wie schon an den Tagen zuvor, streifte er durch die Stadt und ließ seine Füße entscheiden, wohin sie ihn tragen wollten. In wie vielen Schenken er schon seine Taler und Heller gelassen hatte, wußte er nicht und wollte es auch nicht wissen, ebensowenig wie er gemahnt werden wollte, daß sein Vermögen nicht unerschöpflich sei.
Die sinkende Praiosscheibe verwandelte das Meer in einen endlosen Teppich aus Blau und Grau mit schillernden rotgoldenen Mustern darin. Dicht über dem Horizont schlossen sich violette Wölkchen zu einem feinen dunklen Streifen zusammen, dessen gleißender Saum allmählich verblaßte und mit dem fahlgrauen Purpur des Himmels verschmolz. Auch der morgige Tag würde Fischern und Kauffahrern eine ruhige See bescheren. Efferd sei Dank, so dachte manch einer mit kundigem Blick zum Himmel.
Als Fuxfells Füße den Weg zum Hafenviertel einschlugen, war alles Gold von Meer und Himmel verschwunden. Der Abend hatte sich über Methumis gebreitet, Düfte von Kohl, Speck und Fisch drangen aus Garküchen und Fischbratereien in die engen Gassen, und die ersten Schönen der Nacht bezogen ihre angestammten Plätze. Doch Fuxfell war unempfänglich für beiderlei Verlockungen. Ein Schenkenschild, von der Abendbrise sanft bewegt, erregte seine matte Aufmerksamkeit: Es zeigte, in ungelenken Pinselstrichen auf hell gebleichtem Holz, das Abbild eines seltsamen Fisches, dessen Maul ein langes gedrehtes Horn zierte. Zum Drillfisch stand darunter. Der Name kam Fuxfell vage bekannt vor, doch hätte er nicht zu sagen gewußt, ob von angenehmen oder üblen Erinnerungen. Was soll’s, eine Kaschemme hier ist so gut oder schlecht wie die andere, dachte er verdrossen, während er die Tür zum Schankraum öffnete.
Trotz der frühen Abendstunde war der Drillfisch schon gut besucht. Matrosen, Schauerleute und Fischer drängten sich an der Theke, und auch die meisten Tische in der niedrigen dunklen Stube waren besetzt. Zwischen die Männer und Frauen, an deren Kleidung und Sprache man ihr efferdgefälliges Gewerbe erkannte, mischten sich Gestalten von verwegenem Äußeren und schwer durchschaubarer Profession. Während Fuxfell einen freien Tisch im hinteren Teil des Schankraumes ansteuerte, wo ein mächtiger Stützpfeiler ihn vor neugierigen Blicken schützen würde, wurde er von einer rotblonden Hünin zu einer Partie Boltan eingeladen. »Vergebung, schönste Dame«, hörte Fuxfell sich sagen, »aber Phex ist mir heute nicht gewogen, und so muß ich Euer verlockendes Angebot leider ausschlagen.« Er schenkte der Matrosin ein schiefes Lächeln und setzte mit einer knappen Verbeugung den Weg zu dem erwählten Tische fort. Dröhnendes Lachen folgte ihm vom Tisch der Boltan-Spieler, und Fuxfell war sich gewiß, daß seine Worte, seine Kleidung oder sein Gebaren den Anlaß für den prächtigen Scherz geliefert hatten. Gesindel!
Ein falsches Wort, und ihr werdet mich kennenlernen! dachte er grimmig und tastete verstohlen nach dem Griff seines Rapiers. Auch wenn das ständige leichte Zittern seiner Finger und die mangelnde Übung in der letzten Zeit ein Boltan-Spiel weder heute noch morgen ratsam erscheinen ließen – zum Stoßen und Stechen würde seine Gewandtheit allemal ausreichen!
Die Schankmagd, eine knochige blasse Person mit strähnigem Blondhaar, fragte Fuxfell nach seinen Wünschen, und er bestellte einen großen Krug gewärmten und gesüßten Weines. Es war allein deine Schuld, begann es soeben wieder in seinem Kopfe. Hättest sie halt nicht so schinden sollen, dann könnte sie heute noch leben … Gierig leerte er den ersten Becher. … und du hättest den Sieg erringen können. Mit zitternden Fingern füllte er den Becher von neuem.
»Na, Fuxfell, alter Pferdeschinder«, erklang hinter ihm eine fröhliche und vage vertraute Stimme.
Eine Woche lang hatte Zordan Fuxfell auf diese Worte gewartet. Eine Woche lang hatte er sich ausgemalt, was er täte, sollte ihn jemand wegen seines Unglücks verspotten. Nun zuckte er unter den Worten zusammen wie unter einem Hieb. Doch dann, kaum vom Willen gesteuert, schoß seine Rechte nach hinten, noch bevor er sich selbst umgewandt hatte, und er wußte, der juwelenbesetzte Ring auf dem Mittelfinger des Spötters würde den Kiefer brechen.
Ein eiserner Griff schloß sich um Fuxfells Handgelenk. »Aber, aber!« Die Stimme hatte nichts von ihrer Fröhlichkeit eingebüßt. »Behandelt man so alte Freunde, die einem helfen wollen? Vielleicht solltest du weniger trinken, wenn es dir nicht bekommt.« Der Griff verstärkte sich schmerzhaft, als ihm der Arm auf den Rücken gedreht wurde. »Wirst du nun brav sein, wenn ich dich loslasse?« fragte der Fremde, und Fuxfell nickte düster.
Während Zordan Fuxfell sich das schmerzende Handgelenk massierte, ließ sich der Fremde auf einem Schemel bei ihm nieder. Es war ein sehniger Endzwanziger in abgewetzter Lederkluft, über deren Wams ein breiter Spitzenkragen fiel. Während er Fuxfell aufmerksam beobachtete, zog er einen wertvollen tulamidischen Zierdolch aus dem Gürtel und begann sich damit sorgfältig die Fingernägel zu reinigen. Die Züge des Neuankömmlings wurden von einem federgeschmückten schwarzen Schlapphut beschattet, doch Fuxfell wußte inzwischen, mit wem er den Tisch teilte: Es war Ratzo Nattel, genannt die Ratte, ein alter Kumpan aus Kindertagen und jemand, nach dessen Gesellschaft Fuxfell sich nicht im mindesten sehnte. Nachdem Ratzo seine Maniküre beendet und das Ergebnis ausgiebig überprüft hatte, gab er der Schankmagd ein Zeichen, einen zweiten Becher zu bringen. Dann zog er den Hut vom Kopf, blies ein unsichtbares Stäubchen von der Krempe und warf ihn, ohne hinzuschauen, zur Wand, wo er sicher auf einem Haken landete. Das Mädchen hatte inzwischen den zweiten Becher gebracht, und Ratzo schenkte sich ein, ohne Fuxfells Aufforderung abzuwarten. Ein breites Grinsen entblößte große gelbe Schneidezähne, die, im Zusammenspiel mit den kleinen schwarzen Augen, der spitzen Nase und dem schwach entwickelten Kinn, seinen Zügen in der Tat etwas Rattenhaftes verliehen. »Ich kann mich nicht erinnern, dich eingeladen zu haben, Ratte«, knurrte Fuxfell. »Und nun trink aus und mach, daß du weiterkommst!«
Das Lächeln war beim Klang des Spitznamens für einen halben Wimpernschlag einem Ausdruck wild lodernden Hasses gewichen, doch Ratzo hatte seine Züge sogleich wieder unter Kontrolle. »Warum so unfreundlich?« fragte er verbindlich. »Wer wird denn einen alten Freund und zukünftigen Geschäftspartner so brüsk davonjagen? Mir scheint, dein adeliger Herr Vater hat verabsäumt, dich in die Geheimnisse der Etikette einzuweihen. Doch nun zur Sache. Aischa, bring uns noch einen Krug!« Er warf der Magd ein Silberstück zu, das diese mit einem flüchtigen Knicks rasch in ihrem Mieder verschwinden ließ.
»Freund? Geschäftspartner?« Fuxfell wurde von einem Lachen geschüttelt, das bald in einen quälenden Hustenanfall überging. »Zur Sache also«, stieß er nach Atem ringend hervor. Während er sich die Tränen von den Wangen wischte und die letzten Attacken des Hustens mühsam niederkämpfte, betrachtete er angewidert seinen Tischgenossen. »Hast dich kaum verändert in all den Jahren. Und nun bist du also gekommen, um mir ein Geschäft anzutragen. Da darf man ja gespannt sein.«
»Ich habe gehört, du hast dein Pferdchen zuschanden geritten.« Die Ratte legte den Kopf auf die Seite und die Stirne in kummervolle Falten. »Ich wollte sagen: Deine unvergleichliche schwarze Stute ist kürzlich einem tragischen Unfall erlegen, und nun brauchst du über kurz oder lang ein neues Pferdchen – man will ja nicht wie ein Bettler oder Tagelöhner im Schloßhof der schönen, reichen Schwester Kriegerin erscheinen, nicht wahr?«
»Woher weißt du das alles?« Fuxfell nahm einen kräftigen Schluck und beobachtete Ratzo aus halbgeschlossenen Lidern. »Ich meine, nicht nur das von dem Unfall, sondern auch, daß ich vorhabe, meine Schwester zu besuchen.«
»Man hat Augen.« Ratzo wies mit beiden Zeigefingern auf seine schwarzen Augen, die er bei den Worten übertrieben aufriß. »Man hat Ohren.« Er führte die Finger zu seinen überraschend kleinen Ohrmuscheln, die im Schein der Kerzen rötlich leuchteten. »Man hat ein feines Näschen.« Er tippte seine Nasenspitze an. »Und ich weiß auch, daß dir der Saft allmählich ausgeht.« Die Ratte ließ ein helles Kichern hören. »Ja, Barönchen, du hast Sorgen.«
Fuxfell hatte sich bei Ratzos letzten Worten halb von seinem Sitz erhoben. »Was meinst du mit Saft?« stieß er hervor.
»Setz dich wieder!« Ein mitleidsvolles Lächeln kräuselte Ratzos Lippen, während er sein Gegenüber scharf beobachtete. »Nun, du wirst dich erinnern: Die Kindertage, unsere innige Freundschaft, das schicksalhafte Boltan-Spiel, bei dem deine Würfel so seltsam rollten, und mein Messerchen …« Er bedachte seinen Dolch mit einem zärtlichen Blick: »… fast den Besitzer gewechselt hätte. Fast …« Er hielt inne und entblößte die häßlichen Zähne. »Aber ich war schneller.« Plötzlich steckte der Dolch zwischen Fuxfells rechtem Zeige- und Mittelfinger in der Tischplatte. »Und bin es immer noch. Einen hübschen Ring hast du da übrigens«, fuhr er fort, noch immer grinsend, während er den Dolch aus der Tischplatte zog. »Aber warum zitterst du denn so? Ach Fuxfell, alter Pferdeschinder, der Wein bekommt dir nicht, er saugt dir die Kraft aus, so kümmerlich sie auch sein mag.«
»Du wolltest zur Sache kommen…« Fuxfell betrachtete seine Hand, an der, außer einer alten silbrigen Narbe, kein Kratzer zu sehen war. Aber sie zitterte tatsächlich mehr als zuvor. Wütend ballte er sie zur Faust, um das Beben zu verbergen. »… Ratte!« vollendete er den Satz und spie auf den Boden.
Ratzo Nattel steckte den Dolch unter den Gürtel zurück, unterzog seine Fingernägel abermals einer sorgfältigen Prüfung und spitzte die Lippen, als ob er pfeifen wollte. Dann blickte er sich ausgiebig in der Gaststube um. »Du bist ein unhöflicher Mensch, Zordan Fuxfell«, sagte er schließlich, »beschimpfst die Leute, die es gut mit dir meinen und die deine Schritte voller Anteilnahme beobachten. Ich glaube, ich sollte meine schöne Fatima einem anderen anbieten …«
»Was ist das für ein Pferd«, unterbrach ihn Fuxfell, »und wie kommt es in deinen Besitz? Gestohlen?«
»Gestohlen? Welch häßliches Wort und welch häßliche Unterstellung!« Wieder hob Ratzo die Brauen und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Du weißt doch, daß Pferdediebe baumeln, und ich bin, wie mir scheinen will, ganz lebendig. Nein wirklich, ich glaube, meine Fatima ist zu schade für dich. Ein Apfelstutchen, schön wie das Madamal … die Mutter ein Shadif, der Vater ein Elenviner. Mit Nüstern, weicher als Samt, und einer Seele, treuer als Gold – der gute alte Khalid hatte Tränen in den Augen, als er sie mir überlassen mußte …«
»Wahrscheinlich hundert Jahre alt und zu schwach, sich aus eigener Kraft zum Schlachter zu schleppen, deine gute Fatima.« Fuxfell ließ ein häßliches Lachen ertönen und nahm rasch einen Schluck Wein, als er merkte, daß der Husten ihn wieder beuteln wollte. »Aber laß hören, wie sie in deinen Besitz gelangt ist, für spannende Märchen habe ich schon immer etwas übrig gehabt.«
»Unhöflich, mißtrauisch, beleidigend – Fuxfell, Fuxfell, wie sehr du dich verändert hast. Allmählich mache ich mir Sorgen um deine Seele. Vielleicht solltest du etwas häufiger in den Tempel gehen.« Diesmal war es Ratzo, der häßlich lachte. »Doch nun zu Fatima: Sie ist sieben Jahre alt, gut genährt, kerngesund und fügsam. Und ich habe sie im Spiel gewonnen. Nein, nicht beim Boltan – das ist deine Spezialität oder war es vielmehr.« Ratzo wies mit dem Kopf zum Tisch der rotblonden Matrosin. »Die Wüstenkinder halten es mehr mit dem Kamelspiel, wie du weißt, und zufällig verstehe ich mich ein wenig darauf. Es ist ein Spiel der Taktik und Strategie, falls du die Begriffe unterscheiden kannst, und wenn man schnell genug ist, so wie ich, und den Dampf des Rauschkrautes nicht bis in die Lunge dringen läßt, dann kann man ein« – er legte eine kleine nachdenkliche Pause ein – »Geschicklichkeitsspiel daraus machen.«
»Beim Falschspiel ergaunert also, und jetzt muß sie möglichst schnell aus Methumis verschwinden«, faßte Fuxfell den Bericht zusammen. »Was soll sie kosten? Viel Geld habe ich nicht.« Wie zum Beweis ließ er die Rechte in die Tasche seiner Jacke gleiten und klimperte mit ein paar Münzen.
»Wer redet von Geld, wer redet von Dukaten?« Die Ratte riß erstaunt die Äuglein auf. »Glaubst du, ich würde mein Kleinod für schnödes Gold verschachern?« Nachdenklich betrachtete er sein Gegenüber, ließ den Blick zur Theke wandern, von dort zur Tür, durch die eben ein paar betrunkene Schauerfrauen grölend in den Gastraum stolperten. »Dein Ring gefällt mir«, sagte er unvermittelt.
»Der Ring ist unverkäuflich!« Fuxfell ballte die Rechte in der Tasche zur Faust. »Er ist ein Erbstück …«
»Ein Erbstück, ja ich weiß«, erwiderte Ratzo nickend, »von deiner Mutter Suleibeth Fuxfell, Boron hab sie selig – seltsamer Name für eine Tulamidin übrigens –, aber ich wollte ihn auch nicht kaufen, mein Lieber, ich will ihn eintauschen, und zwar gegen das zweitbeste Pferdchen der Welt, samt Sattel, Zaumzeug und …«
»Du scheinst es sehr eilig zu haben, Ratte. Sind sie schon hinter dir her?« Fuxfell griff lachend zum Becher, stellte fest, daß dieser leer war, und wollte ihn von neuem füllen. Aber auch der zweite Krug war schon fast bis zur Neige geleert, wie er überrascht bemerkte. »Wie heißt die knochige Person noch gleich? Aischa? He, Aischa, noch einen Krug!« Er schwenkte den leeren Krug, um die Aufmerksamkeit der Schankmagd zu erregen, und als das Mädchen den Wein brachte, zählte er sorgsam sechs Heller auf den Tisch. »Zurück zu meinem Ring.« Fuxfell betrachtete ihn kurz, dann langte er nach dem Krug.
Doch bevor er den Henkel erreichte, schloß sich Ratzos Linke um sein Handgelenk. »Du trinkst zuviel, mein Lieber, das ist nicht gut für dich, es raubt dir …«
»Den Saft, ich weiß, die Kraft, so kümmerlich sie auch sein mag«, fiel Fuxfell ihm ins Wort. »Das wolltest du doch sagen, nicht wahr?«
Ratzo nickte mit unbewegtem Gesicht. »Ja, darauf wollte ich zu sprechen kommen.«
»Dann laß dir sagen«, fuhr Fuxfell fort, »daß dich erstens meine Kraft einen Haufen Dämonendung angeht und daß sie zweitens in der Tat so kümmerlich bemessen wurde, daß es kaum einen Unterschied macht, ob sie wächst oder schrumpft. Viel ist da leider nicht.« Gedankenverloren griff er nach dem Krug, und diesmal ließ ihn Ratzo gewähren. »Das hat meine Mutter und Lehrmeisterin früher schon behauptet, und später hab ich’s dann mal von den Hesindepfaffen überprüfen und bestätigen lassen. Worauf willst du eigentlich hinaus?« Mißtrauisch beobachtete er die Ratte.
»Daß zum Beispiel so ein Boltan-Spiel, wie du es eben diesem blonden Prachtweib verweigert hast, jederzeit für ein paar Silberstücke gut ist. Was schaust du so verwirrt? Ich hab dich beobachtet, als du in den Drillfisch kamst – schließlich warte ich hier schon seit der zwölften Stunde auf dich.« Er lachte und glich mehr denn je einer Ratte, wie Fuxfell befand. »Das Geschäft lautet folgendermaßen«, sagte er, unvermittelt ernst geworden. »Dein Ring gegen das Pferd samt Sattel und so weiter, dazu ein wenig Kraft, die dir für immer gehören wird, wenn du sorgsam damit umgehst.«
»Welcher Magier sollte dir oder mir etwas von seiner Kraft abtreten?«
»Ein Scharlatan, über den ich mehr weiß, als gut für ihn ist. Aber du hast bei diesem Geschäft keine Fragen zu stellen.« Die kleinen Rattenaugen bohrten sich in Fuxfells Blick. »Du mußt dich nur entscheiden, und zwar schnell: ja oder nein?«
»Woher weiß ich, daß du mich nicht betrügst?« Fuxfell fühlte sich plötzlich sehr unwohl in seiner Haut. Ich hätte nicht soviel trinken sollen, dachte er. Wie kann ich jetzt die richtige Entscheidung treffen? Ein gutes Pferd und etwas Kraft, das klingt verlockend – aber der Ring …
»Du kannst es nicht wissen«, unterbrach Ratzos Stimme den Lauf seiner Gedanken, »ebensowenig, wie ich wissen kann, ob du mir nicht dein spitzes Eisen zwischen die Rippen stichst, sobald du das Pferdchen siehst. Du sehnst dich nach Macht, bist aber nur ein kleines Tempellicht.« Ratzos sprach jetzt leise und klar. »Nun ja, das wirst du auch bleiben, eine Koryphäe kann mein Mann nicht aus dir machen. Aber ein bißchen besser und mächtiger kannst du werden, wenn du willst. Und du brauchst ein Pferd und hast kein Geld. So ist deine Lage.« Er lachte. »Und ich muß für eine Weile unsichtbar werden und will deinen Ring. Ich will ihn schon immer. Also, entscheide dich, und zwar schnell, ich habe noch mehr Interessenten für Fatima.«
»Wieviel Kraft?« fragte Fuxfell.
»Du hast doch früher gelegentlich und wenig erfolgreich mit diesem Freundschaftszauber herumexperimentiert. Nun, in Zukunft könnte er dir etwas zuverlässiger gelingen. Vielleicht kann mein Mann dir auch eines von seinen Gauklerstückchen beibringen – bunte Flämmchen und dergleichen, du weißt schon …«
»Also gut«, stimmte Fuxfell nach einer Weile zu, »der Handel soll gelten. Führ mich zuerst zu dem Pferd und dann zu deinem Scharlatan.«
Ratzo erhob sich und nahm seinen Hut vom Haken. »Dann komm«, sagte er, »und achte darauf, daß du dein spitzes Eisen auch recht gut festhältst, damit kein Räuber dir etwas zuleide tun kann.« Er kicherte, während er sich einen Weg zur Tür bahnte.
Kühl und sternenklar hatte die Nacht ihren Mantel über Methumis gebreitet. Aus dem Drillfisch und den anderen Hafenschenken erklangen Gelächter und Gesang, sonst war es still. Vom fernen Hesindetempel ertönte ein Gongschlag.
Als Zordan Fuxfell der Ratte Ratzo Nattel durch die dunklen, verlassenen Gassen folgte, hielt seine Rechte den Griff des Rapiers fest umklammert. Aber in dieser Nacht drohte seinem Leben keine Gefahr.