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Donnerstag, 22. März 1984

Ein Shoppingerlebnis der anderen Art

Uuuupsi, vorhin ist mir aufgefallen, dass es gestern Abend vielleicht doch noch angesagt gewesen wäre, das Aquarium zu putzen. Das hab ich nun heute endlich getan. Es war ziemlich eklig … Und die zwei toten Fische musste ich im Klo runterspülen.


Ansonsten gibt es heute nicht viel Nervenzerfetzendes. Natürlich Schule, mit einem aufgeregten Steffen, der mich die ganze Zeit ansmylt – oder besser: der dauernd Antje angrinst! Langsam graust mir ein bisschen vor dem Kino am Samstag. Vielleicht passiert ja doch etwas und meine Mutter hat nur wieder mal nix davon aufgeschrieben?! Zumindest kann ich mich nicht erinnern, dass etwas in Richtung ›erster Kuss‹ oder so in dem Tagebuch stand, als Mama es aus dem Keller raufschleppte – das wäre mir definitiv in Erinnerung geblieben!

Nach Unterrichtsschluss habe ich als Antje donnerstags Zeichenzirkel (so ’ne Art Kurs oder AG) bei Herrn Beyer, dem Kunst-Lehrer. Das macht genauso viel Spaß wie der Zeichenunterricht am Dienstag bei ihm! Ich finde Herrn Beyer echt cool, ohne dass ich genau begründen kann, warum. Ich habe das Gefühl, er lässt jeden Menschen so sein, wie er ist. Das ist auch etwas, was ich nach meiner Rückkehr in die Neuzeit mal genauer checken werde: Welche Menschen ich mag und warum. Mir scheint nämlich bei genauerem Nachdenken, dass ich die Lehrerinnen und Lehrer am besten finde, bei denen ich Alina sein darf – einfach nur ich selbst.

Doch leider, leider bin ich ja noch hier …

Der Kurs hat wenigstens noch einen weiteren Vorteil (der gleich zu Herzrasen bei mir führt): Axel ist dabei! Mega! Wir haben zwar nichts direkt miteinander zu tun, weil da jeder an seinem Bild oder Kunstprojekt vor sich hinarbeitet. Aber trotzdem könnte dieses gemeinsame Interesse an Kunst doch irgendwann einen Vorwand bieten, sich miteinander zu unterhalten, oder?

Nachteil an diesem Kurs: Cindy ist auch drin. Das ist ein Mädchen aus meiner Klasse, das mich vom ersten Moment an genervt hat. Die kommt sich superschön und toll vor. Leider sieht sie wirklich gut aus, wie ich widerwillig zugeben muss.

Nach dem Kurs treffe ich Axel noch mal auf dem Schulhof. Ich muss direkt an ihm und seinen Freunden vorbeigehen, und ich glaube, er hat mir nachgesehen. Oh Mann, das ist so endlos gemein, dass der genau wie Tomek aussieht! Ich hoffe so sehr, dass ich bald wieder in meinem eigenen Leben bin und nichts verpasst habe!

Zu Hause sitze ich dann eine Weile im Zimmer rum, bis Mutti aus der Küche ruft: »Anschi, gehst du schnell mal in den Konsum?! Wir brauchen noch Milch und Käse.«

Zum Glück habe ich gestern auf dem Rückweg von der Schule mit Britt einen kleinen Umweg gemacht, weil die mir noch was erzählen wollte (sie steht auf Tobias, einen Typen aus der 8b, und der hatte sie in der Mittagspause mit der Schulter gestreift …). So weiß ich jetzt schon, dass der ›Konsum‹ ein dörflicher Supermarkt ist, und auch, wo ich ihn finde.

Ich also hin.

Das Ding Konsum zu nennen, ist nicht mal mehr ironisch, es ist zynisch. Meines Wissens hat ›konsumieren‹ mit ›verbrauchen, einkaufen, irgendwas geboten bekommen‹ zu tun. Nichts davon kann ich dort feststellen. Gemeinsam mit anderen ebenso wenig begeisterten Dorfbewohnern flaniere ich vorbei an welken Kohlköpfen und einem Süßigkeitenregal, dessen Inhalt mir jede Illusion raubt: Wenn die Schlagersüßtafel so schmeckt, wie sie aussieht, dann verzichte ich bis auf Weiteres auf Schokolade. Bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, ob ich hier eigentlich Taschengeld bekomme, wie viel und wann – und wo Mama ihr Taschengeld damals überhaupt aufbewahrt hat. Langsam hab ich Heißhunger auf Süßigkeiten bekommen und zu Hause bisher keine entdeckt. Hier im Supermarkt seh ich nun leider auch nichts, was ich gern wegsnacken würde, womit die Taschengeldfrage schlagartig auch wieder weniger dringlich wird.

Auf meinem Trip durch das Konsumparadies des Ostens entdecke ich zumindest Cola und Limo – sehr gut! Ich beschließe, zwei Flaschen zum Testen mitzunehmen. Von Saftschorle und dergleichen haben die hier offensichtlich noch nichts gehört, auch stilles Wasser habe ich bis jetzt nicht entdecken können. Zu Hause trinke ich meist Wasser und Saftschorle, nun muss ich mich für meinen Besuch in der Urzeit wohl umstellen.

Nach meiner bisherigen Erfahrung hier gibt es auf jeden Fall immer wieder mal Apfelsaft zu trinken. Zugegeben, der ist wirklich lecker. Wie ich inzwischen mitbekommen habe, ordern die den direkt bei einer Mosterei – wo die Leute vorher auch die Äpfel hinbringen, die sie von den eigenen Bäumen im Garten geerntet haben. Eine Art Uralt-Bio-Öko-Wirtschaft.

Weiter geht’s durch den Konsum. Es dauert eine Weile, bis ich die Milch gefunden habe. Die gibt es hier in Plastiktüten. Und Käse haben die nur an der Käsetheke, gar keinen abgepackten. Seit ich mich mit Tiertransporten und dergleichen befasst habe, versuche ich in meinem wahren Leben beinahe-vegetarisch zu essen. Das gelingt mir nicht immer (es ist vor allem deshalb schwierig, weil dieser Wunsch leider mit meiner Vorliebe für Schnitzel kollidiert!). Aber ich versuche zumindest, so wenig Fleisch und Wurst wie möglich zu essen. Die einzige Möglichkeit auf Fleischverzicht, die sich mir an der Käsetheke des Ostens an diesem Tag eröffnet, heißt offensichtlich ›Schnittkäse‹. Weder wird mir klar, was für ein Käse das genau ist, noch, welchen Fettgehalt der hat. Egal, ich kapituliere und lasse mir ein Stück davon in Scheiben aufschneiden.

Es gibt beinahe nichts. Allein das Angebot an Süßigkeiten ist bestürzend minimalistisch! Man muss allerdings zugeben, dass das, was es dann gibt, wenigstens richtig billig zu haben ist. Ich bezahle für den Batzen Käse (welcher auch immer das ist), die zwei Tüten Milch sowie Cola und Limo nicht mal fünf Mark!

Und nun lieg ich wieder hier rum. Der Abend ist bis jetzt relaxed, ich hab die meiste Zeit Tagebuch geschrieben. Yvi war leider lange unterwegs und muss nun was für die Schule tun. Schade. Sie hat vorhin nur kurz in mein Zimmer geschaut und spöttisch mein Flaschenduo angesehen: Cola und rote Fassbrause. »Was willst du rausfinden? Den Unterschied zwischen eklig für Vita-Cola und supereklig für Leninschweiß?«, meinte sie ironisch, bevor sie grinsend zum Lernen in ihr eigenes Zimmer verschwand.

Nun, nach einem kurzen Geschmackstest muss ich sagen: In etwa dieser Reihenfolge wie von Yvi gerade angemerkt hätte ich die Verkostung auch eingestuft.

Der Eintrag, der jetzt am Abend noch in Mamas altem Tagebuch auftaucht, ist wieder so nichtssagend, dass er meine Laune auch nicht hebt.

Donnerstag, der 22. März 1984

Vorfreude, schönste Freude

Morgen ist meine Geburtstagsfeier, die wird bestimmt schön. Und übermorgen bin ich dann mit Steffen fürs Kino verabredet, das hatte ich noch gar nicht geschrieben. Ich freu mich schon so! Wenn jetzt auch Schnurz bald wieder da ist, bin ich wirklich rundum glücklich!

Wir sehen uns im Gestern

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