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Freitag, 23. März 1984

Ich will BITTE SOFORT NACH HAUSE!

Nach ein paar Tagen Aufenthalt in grauer Vorzeit hat mich heute mit aller Härte die Erkenntnis überwältigt, dass ich auf unbestimmte Zeit in einer völlig fremden Welt überleben muss. Ob es mir überhaupt gelingt, den Ausgang zu finden?


Es ist alles so unfassbar frustrierend!

KEIN Handy, nicht mal Festnetz-Telefon, KEINE Computer, KEIN Internet – was bedeutet: keine gute Musik, keine Filme, kein Chatten … einfach GAR NICHTS, das mich von dem ganzen Elend hier auch nur mal für Minuten ablenken könnte.

Stattdessen gibt es das Uralt-Radio mit Kassettenteil. Einen Fernseher, dessen Programm nicht ansehbar ist. ÜBERHAUPT KEINE coolen Serien! Ja, es gibt sowieso nur drei oder vier Stunden Fernsehzeit am Tag – so scheint es mir zumindest, denn immer, wenn ich ihn tagsüber doch mal versuchsweise heimlich einschalte, sehe ich ein totes Testbild!

Ich muss es schaffen, hier rauszukommen! Doch dafür muss ich gut durchhalten, um mich möglichst wie meine Junior-Mama durch den Alltag zu bewegen. Ich hab immer noch riesige Angst, dass ich sonst etwas hier oder in der Zukunft durcheinanderbringe und am Ende damit das Leben meiner Mutter und mein eigenes total verändere … Aber ich glaube, das habe ich schon mehrmals in den letzten vier Tagen geschrieben. Und so etwa 100.000.000.000-MAL gedacht. Doch bevor mich dieses deprimierende Gefühl jetzt völlig überwältigt, schreib ich auf, was heute so passiert ist …

Der Tag beginnt mit einem kleinen Schockerlebnis: Ich hatte zwar schon im Hausaufgabenheft meiner Mutter gelesen, dass ›PA‹ auf dem Plan stand, konnte mir aber nicht so recht zusammenreimen, was das heißen sollte. Britt steht morgens mit dem Fahrrad vorm Haus. Was mich überrascht, denn bisher sind wir zu Fuß in die Schule gegangen.

»Wo ist dein Rad?«, fragt sie.

»Warum?«

»Weil wir nachher doch noch zu PA fahren müssen, das ist ja nun wirklich nichts Neues.«

Ich würde am liebsten sagen: ›Doch, für einige von uns schon‹, halte aber die Klappe und schnappe mir das Rad (ohne Gangschaltung, eine richtige Klappermühle), das am ehesten das von Mama sein könnte. Es stehen nämlich vier Fahrräder gut sichtbar vorn in der offenen Garage. Glück gehabt, ich habe instinktiv zum richtigen gegriffen, wie ich später feststelle.

Nach der dritten Stunde fahren wir in ein Nachbarkaff, zusammen mit vier anderen Mädels aus unserer Klasse. Wir feilen dort in einer altmodischen Werkhalle an Metallteilen rum, die wir in einen Schraubstock einspannen müssen. Das ist so bizarr! Das Ganze nennt sich wohl ›Praktische Arbeit‹ (daher die Abkürzung PA) oder auch UTP, was hochoffiziell ›Unterrichtstag in der Produktion‹ heißt. Komplett überflüssig, aber mich fragt ja eh niemand nach meiner Meinung …

Am Nachmittag gibt es die grandiose Geburtstagsfeier – im Prinzip ja meine Party. Haha. Wie es halt einfach gar nicht meine Party ist … Britt, Nadine, Ines, Claudia und Christine aus ›meiner‹ Klasse und noch eine Christine aus der anderen 8. Klasse kommen. Die hat die echte Antje zum Glück schon vorige Woche eingeladen, ich hätte nämlich keine Idee gehabt, wer auf diese mitreißende Party gehört.

Die Christine aus der Parallelklasse wird sich vermutlich wundern, dass ich sie die ganze Woche ignoriert habe, da ich ja gar nicht wusste, dass ich mit ihr befreundet bin. Sehr doof, das Ganze, aber gut, das ist jetzt nicht zu ändern. Zumindest hat sie sich nix anmerken lassen.

Über den Nachmittag gibt es rein gar nichts zu erzählen. Ich habe überhaupt keinen Spaß, weil ich die ganze Zeit so tun muss, als wäre ich jemand anderes. Und als wäre ich in dieser Welt zu Hause, von der ich null Ahnung habe.


Ich vermisse meine richtigen Freundinnen zu Hause sehr! Wie cool das wäre, wenn wenigstens Sarah mit hier sein könnte. Mit ihr und den anderen zu Hause hätte mir ein solcher Nachmittag so krass Spaß gemacht.

Aber hier nervt mich selbst Britt gerade ein bisschen, obwohl sie mir ja in den letzten Tagen wirklich das Leben gerettet hat – vor allem in der Schule, da wäre ich ohne sie nie zurechtgekommen.

Gut, jetzt ist erst einmal Wochenende. Da hab ich ein bisschen Zeit, mich zu erholen. Dann wird es bestimmt wieder besser laufen.

Bevor ich einschlafe, lese ich noch die Ankündigung für den nächsten Tag, da steht nämlich jetzt eben ganz neu etwas im alten Tagebuch. Kombiniere: Mama scheint in ihrer Jugend immer abends so zwischen 21 und 22 Uhr über dem Tagebuch gehangen zu haben, denn um diese Tageszeit ›aktualisiert‹ sich das hier meist. Gut zu wissen!

Freitag, der 23. März 1984

Meine Geburtstagsfeier mit Freundinnen

Heute war der große Tag: Am Nachmittag feierten wir meinen Geburtstag nach. Britt, Nadine, Ines, Claudia und Christine und dann noch die andere Christine (Müller) aus der 8b. Es war lustig. Wir machten Spiele und aßen eine ganze Menge.

Morgen nach der Schule gehe ich mit Steffen ins Kino.

Wir sehen ›Die Olsenbande fliegt über alle Berge‹.

Immer noch Freitagabend

Ähm. Sorry?! Was soll denn das bitte heißen: Morgen ›NACH DER SCHULE‹???

Ich stürze zum Ranzen und fische das Hausaufgabenheft raus. Oh Gott! Wie konnte ich das nur übersehen?! Die haben hier wirklich, wirklich samstags Schule! Unfassbar!

Immerhin geht’s danach ins Kino. Was ich mir unter ›Die Olsenbande fliegt über alle Berge‹ vorzustellen habe, weiß ich zwar nicht, aber ich lass mich überraschen. Klingt zumindest nach Action …

Bin todmüde, werde deshalb jetzt aufhören zu schreiben und sicher sofort einschlafen, nachdem ich das Licht ausgemacht hab. Und das, obwohl ich als Antje hier viel eher ins Bett muss, als ich es als Alina jemals akzeptieren würde.

Wir sehen uns im Gestern

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