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Kapitel 3
Königsstraße, Haus des Goldschmieds Casendorpe 16. Mai, Morgen

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Der Oldermann der St. Kanutigilde, Goldschmiedemeister Burckhart Casendorpe, war es nicht gewohnt, aufregende Neuigkeiten aus dem Munde seiner Tochter zu hören. Gewöhnlich hörte er sie von den Gesellen in der Werkstatt oder von den anderen Meistern im Gildehaus. Je nachdem, was für erschütternde Neuigkeiten in Reval die Runde machten. Meister Casendorpe konnte man nicht als neugierigen Menschen bezeichnen. Der Beruf des Goldschmieds war zu bedeutend und ehrwürdig, als dass nebenbei viel Zeit geblieben wäre über Stadtangelegenheiten zu diskutieren oder zum Zeitvertreib einen Schwatz zu halten. Als Oldermann der St. Kanutigilde hatte er mehr als genug zu tun – mit der Pflege der Gildenaltare, der Einberufung von Zunftversammlungen, der Wartung der Kasse, der Fürsprache für die Meister und anderen Dingen. In den dreiundvierzig Jahren von Herrn Casendorpes Leben – von denen er dreißig in Reval verbracht hatte – hatten Gold- und Silberarbeiten immer im Mittelpunkt gestanden. Was für Zeiten auch herrschten, Krieg oder Hungersnot oder Pest – Gold blieb bestehen, wie auch das Verlangen der Menschen nach Gold bestehen blieb. Gold ernährte den Menschen. Gold war das Symbol für Macht und Reichtum dieser Welt. Reiche Männer brauchten Goldschmuck. Wenn sie kein Gold vorzuzeigen hatten und ihnen kein Gold um den Hals hing, hielt sie niemand für reich oder wichtig. Und darum war ein Goldschmied ein geschätzter Mann. Als Burckhart Casendorpe zum Oldermann der St. Kanutigilde gewählt wurde, musste er sich zu seinem Missfallen mit Dingen auseinandersetzen, die ihm zwar nicht am Herzen lagen, ihn aber zu einem wichtigen, sogar sehr wichtigen Stadtbürger machten. Und seine einzige Tochter zu einer der begehrtesten Bräute Revals.

Jetzt aber stand seine achtzehnjährige Hedwig am Fenster der Meisterstube und verkündete haarsträubende Neuigkeiten:

»Und ganz und gar in Stücke gehauen haben sie den Ritter auf dem Domberg. Arme und Beine ab! Vollkommen zerstückelt!«

Hedwig war am Morgen mit der Mutter auf dem Markt gewesen. Was bedeutete, dass sie das Neueste gehört hatte.

»Leiser, Mädchen, leiser«, raunte Casendorpe und sah sich misstrauisch in der Werkstatt um, wo seine Gesellen so taten, als seien sie mit der Arbeit beschäftigt und hörten nicht zu, welche furchtbaren Neuigkeiten die Tochter dem Goldschmiedemeister brachte. Es schickte sich nicht, dass junge Mädchen über solche Dinge sprachen.

»Vater, das ist doch unglaublich! Grauenhaft!«, rief Hedwig.

»Ja«, pflichtete der Goldschmied bei. »Das ist es wohl.« Er nahm seine Brille von der Nase und runzelte die Stirn. Die Arbeit des Goldschmieds musste für die Stadtbevölkerung sichtbar vonstatten gehen – damit jedermann sehen konnte, dass er das edle Metall nicht beschädigte. Deshalb verlangte der Rat, dass das Haus des Goldschmieds zur Straße hin ein großes Fenster habe, durch das in das Innere der Werkstatt zu sehen sei. Seine Kunden bediente Casendorpe durch das offene Fenster, an dem ein Tisch stand und neben dem Tisch ein Regal mit Gegenständen, die zeigten, dass der Goldschmied ein ehrwürdiger, reicher und in allerlei Geheimnisse eingeweihter Mann war. Auf dem Regal hatte er Haifischzähne, eine Kokosnussschale, eine Koralle, Pfauenfedern, einen Bernsteinklumpen, Papageienfedern, eine getrocknete Krabbe und andere bedeutungsvolle und magische Dinge aus fernen Ländern ausgestellt, die er von Händlern für viel Geld gekauft hatte. Dass es im Winter an seinem offenen Fenster kalt würde, das brauchte man nicht zu fürchten. In der Meisterstube gab es eine große Feuerstelle und einen Schmiedeherd, wo der Lehrling das Feuer ständig schürte, wenn gearbeitet wurde.

Hedwig stand aber am Fenster und rief, dass auch die Gesellen in der Werkstatt die Köpfe wandten: »Vater, aber das ist doch der Ritter, dem du gestern diese Kette verkauft hast! Stell dir nur vor, ach gütiger Himmel, du hast den Mann noch gesehen, kurz bevor er zerstückelt wurde ...«

Casendorpe hob langsam den Kopf. »Haben sie das auf dem Markt auch erzählt?«, fragte er mit unterdrückter Stimme und sah sich misstrauisch um.

»Nein, das nicht, aber du hast doch selbst gesagt, dass er Clingenstain hieß, dieser Ritter von Gotland, und jetzt reden die Leute auf dem Markt, dass er in Stücke gehauen worden ist!«

»In Stücke also?«, brummte der Goldschmied. Und fragte dann streng: »Du hast doch niemandem erzählt, dass ich dem Ritter eine Kette verkauft habe?«

»Nein, Vater, ich habe nichts gesagt«, beteuerte das Mädchen.

Casendorpe schob das Rechnungsbuch der Gilde, in das er gerade seine Eintragungen gemacht hatte, beiseite. »Wir könnten ein bisschen spazieren gehen, Hedwig«, sagte er dann. »Zum Beispiel in Richtung Markt und Apotheke.«

»Ah, du willst die Neuigkeiten also auch hören. Vater, ich habe dir doch gesagt, dass er in Stücke gehauen wurde und ...«

»Schweig still!«, befahl der Goldschmied seiner Tochter. »Das ist nichts, worüber junge Mädchen sprechen sollten. Warte vor dem Haus, ich mache mich gleich fertig.«

Gerüchte, Marktgeschwätz – das waren gefährliche Geschichten, die man umgehend hören sollte. Besonders, wenn sie einen Mann betrafen, der eine von dir gefertigte Goldkette um den Hals trug und jetzt tot war.

Dem Himmel sei Dank, dass er tot war.

Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche

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