Читать книгу Die Spiegeltänzerin - Ines Thorn - Страница 7

3.

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Bis zu meinem Geburtstag blieb mir noch genau ein Monat Zeit. Langsam machte ich mir Gedanken, wie ich diesen Tag am würdevollsten hinter mich bringen sollte. Am liebsten hätte ich mich in ein Kloster zurückgezogen, doch die Freunde und Verwandten erwarteten ein rauschendes Fest. Schließlich wurde man ja nicht alle Tage dreißig. Mir grauste. Ich sah mich schon Tage vorher in der Küche stehen und kreative Salate komponieren. An meinem Festtag selbst würde ich aufgetakelt meine lieben Gäste empfangen, die sich nach Abgabe der Geschenke erwartungsfroh die Hände reiben und darauf warten würden, dass ich für den Rest des Abends die Entertainerin spielte und dafür sorgte, dass sie sich gut amüsierten. Und das war so ungefähr das Letzte, was ich selbst wollte. Zu vorgerückter Stunde würde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch noch irgendwer meine beiden Lieblingssprüche loslassen, nämlich »Spaß MUSS sein!« und »So jung kommen wir nie wieder zusammen.« Es war mir vollkommen unerklärlich, warum Leute Platitüden, die sie anderswo schon tausend Mal gehört hatten, mit permanenter und lärmender Fröhlichkeit wiederholen mussten und das dann auch noch für witzig und originell hielten. Ich reagierte inzwischen regelrecht allergisch auf solche verbalen Euphorika und konnte ein unangenehmes Aufstellen meiner Nackenhaare und den Brechreiz kaum unterdrücken. Doch Spaß beiseite: Was also sollte ich tun? Ich hatte keine Idee und verabredete mich deswegen mit Constanze. Vielleicht hatte sie irgendeinen sächsischen Brauch in petto, der das Feiern von dreißigsten Geburtstagen bei Strafe untersagte?

Doch ich hatte Pech. Der Traditionsschatz der sächsischen Gemütlichkeit hatte für Festtagsemigranten kein Verständnis. »Natürlich müssen wir feiern«, bestimmte Constanze nachdrücklich. »Und ich weiß auch schon, wie! Du gibst eine Party im Stile der Dreißiger Jahre. Ich stelle unser Haus samt Garten zur Verfügung. Wir spielen Musik aus dieser Zeit, Gershwin und so was während des Essens und später die Comedian Harmonists zum Tanzen. Alle müssen sich verkleiden. Wir rauchen lange, dunkle Zigaretten in perlmuttbesetzter Zigarettenspitze und trinken Wein aus Ketchupflaschen wegen der Prohibition. Im Wohnzimmer lassen wir Marlene-Dietrich-Filme und ›Der große Gatsby‹ für die Damen laufen und im Gästezimmer spielen die Herren Poker, Black Jack und Roulette. Und mittendrin niedliche Mädchen in kurzen, weißen Schürzchen mit Bauchladen für Erdnüsse und dicke Havannas.«

»Ja!«, schrie ich atemlos. »Das machen wir. Ich ziehe meinen Nadelstreifenhosenanzug an und klatsche mir kiloweise Brillantine ins Haar. Neben die Eingangstür stellen wir einen Butler mit Silbertablett für die Visitenkarten. Und wenn dann noch jemand sagt: So jung kommen wir nie wieder zusammen, ziehe ich meinen entzückenden kleinen Damenrevolver und knalle ihn einfach ab.«

»Genau. So machen wir das. Und anschließend fliehst du mit Al Capone auf die Bahamas und Stephan und deine Schwiegermutter räumen derweil die leeren Ketchupflaschen auf«, zügelte Constanze erdverbunden meine Fantasie, die soeben mit mir durchzugehen drohte.

Trotzdem war ich restlos begeistert. Die Idee war einfach super! Endlich hatte ich wieder etwas, worauf ich mich freuen konnte, etwas, das mich wenigstens für den Moment meine Depressionen und Selbstzweifel vergessen ließ. Und das Wichtigste dabei: Die Partygestaltung war eine Herausforderung an meine Kreativität, denn die Fete selbst sollte anders werden als alle Feste, die ich je besucht hatte – inspirierend, interessant, aufregend, alles andere als alltäglich und damit genau so, wie ich gern sein wollte.

Mit Feuereifer stürzte ich mich in die Vorbereitungen. Ich durchsuchte sämtliche Videotheken der Stadt nach passenden Filmen und zog völlig ungeniert Raubkopien vom »Blauen Engel«, »Es war einmal in Amerika« und »Victor und Victoria«. Ich brachte den Nadelstreifenhosenanzug in die Reinigung, besorgte Zigarettenspitzen aus Plastikperlmutt und lieh von Stephans Mutter ein grandioses Silbertablett. Als die Rückantworten auf meine Einladungskarten eintrafen, erhielt meine Begeisterung einen ersten Dämpfer.

»Eine Fete im Stile der Dreißiger Jahre? Was soll denn das sein?«, flötete Miriam, die Ehefrau von Stephans Geschäftspartner der Computerfirma durch das Telefon. »Um stilechte Kleidung wird gebeten, haha. Ich habe mir gleich ein neues Kleid gekauft. Mit Blümchen drauf und kurzem Glockenrock. Du fällst tot um, wenn du das siehst. Und was ist mit den Kindern? Hast du einen Zauberer oder so was engagiert? Du, Marie-Manon und Maximillian freuen sich schon total auf Tante Utes Geburtstag. Sie haben dir aus Knetmasse ein Geschenk gebastelt. Ganz allein, ist das nicht goldig? Du kannst dir nicht vorstellen, was das hinterher für eine Schweinerei war. Zwei Stunden habe ich geschrubbt, bis die Glasplatte vom Esstisch wieder sauber war.«

Miriam, Michael, Marie-Manon und Maximillian Meyerhoff, so kannte ich sie. Ich wunderte mich, dass noch niemand von ihnen aufgrund der vielen »Ms« einen Sprachfehler entwickelt hatte. Ob Michael in stillen Stunden wohl »Miebling« zu Miriam sagte?

»Du, hör mal«, unterbrach ich sie vorsichtig. »Ich glaube, du hast da was nicht richtig verstanden. Die Fete ist abends und nur für Erwachsene. Und mit ›stilecht‹ war eigentlich Kleidung aus den Dreißiger Jahren gemeint.«

»So!« Miriam schluckte hörbar. »Das ist mal wieder typisch für den Egoismus kinderloser Paare. Die denken immer nur an sich. Und für so jemanden habe ich meine Kinder gezwungen, auf Biene Maja zu verzichten und stattdessen mit dieser ekelhaften Knete rumzumachen!« Sie knallte den Hörer auf. Ich seufzte. Seit Miriam vor vier Jahren ihren Chefsekretärinnenjob gegen den der abgesicherten und unantastbaren Nur-Hausfrau-und-Mutter eingetauscht hatte, schien sie bloß noch Meister Propper und Aletebrei im Hirn zu haben. Aber zum Glück hatte ich nicht nur Miriams eingeladen. Unverdrossen füllte ich also weiter Wein in Ketchupflaschen, besorgte Fackeln für den Garten und backte sogar – unter Anleitung meiner Schwiegermutter – eine dreistöckige Torte.

Selbst Stephan war von meiner Begeisterung angesteckt. Schon Tage vorher hatte er sich vom Ehemann seiner Schwester in die Kunst des Roulettes einführen lassen und mit den Angestellten in seiner Computerfirma nach Feierabend noch eine Runde gepokert.

Endlich war es so weit. Zur Feier meines Ehrentages hatte die Sonne den ganzen Tag geschienen, ganz so, wie sich das für einen 7. Juli gehörte. Und jetzt begann an einem wunderbar lauschigen Sommerabend das Fest, von dem alle noch jahrelang sprechen würden.

Vor lauter Vorfreude und Aufregung hatten Constanze, ihr Mann Jochen, Stephan und ich schon einige Ketchupflaschen geleert, ehe die ersten Gäste kamen. Jochen, der eine kleine PR-Agentur leitete, hatte mir zum Geburtstag eine Zeitung im Stil der Dreißiger Jahre gemacht, die er später auf der Party mit einer Klingel in der Hand verteilen wollte.

Miriam und Michael waren die ersten. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag«, wünschte Miriam. »Aber leider können wir nicht lange bleiben, ihr wisst ja, die Kinder.« Dann drückte sie mir ihr Geschenk in die Hand. Es war ein Backbuch, das vom Design her wunderbar zu Miriams Blümchen- und Glockenrockkleid passte.

»Vielen Dank. So etwas habe ich mir schon immer gewünscht«, presste ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und reichte Michael einen Willkommensschluck aus der Ketchupflasche. Kritisch beäugte er die Buddel.

»Neue Marke?«, fragte er misstrauisch.

»Nein, Konspiration wegen Prohibition«, flüsterte ich verschwörerisch und legte warnend einen Zeigefinger auf die Lippen.

»Aha«, flüsterte er zurück und guckte dabei, als überlege er, ob es zwischen Prohibition und Prostitution einen nennenswerten Unterschied gab.

So langsam liefen auch die anderen ein und je mehr sich das Haus füllte, um so rascher sank meine Stimmung. Keiner, ich wiederhole, nicht einer, hatte sich an meinen Kleiderwunsch gehalten. Die Herren trugen Jeans in black und blue und die Damen zeigten ihre neuen Miniröcke in den Farben der Saison vor. Constanze, Stephan, Jochen und ich waren die einzigen Ausnahmen. Wir standen da, sahen betreten an uns hinunter und fühlten uns auf der eigenen Party, beziehungsweise im eigenen Haus vollkommen deplatziert.

»Kopf hoch, Mädels. Das stehen wir durch!«, flüsterte Jochen. Und Stephan sagte: »Was man anhat, ist egal. Man muss es nur zu tragen verstehen.«

Entschlossen, die Fete trotz allem zu einem vollen Erfolg werden zu lassen, stürzten wir uns ins Gewühl. Als die Gäste der Meinung waren, sie hätten jetzt genug Nahrungsmittel im Gegenwert ihres Geschenkes vertilgt, belagerten sie die Sitzgelegenheiten und die Herren unterhielten sich über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und die Immobilienpreise, während die Damen über das Pillenrisiko jenseits der 30 und die Schönheitsfehler von Esther Schweins diskutierten. Einer hatte das Video mit »Victor und Victoria« einfach ausgeschaltet und informierte sich über den Stand bei der Formel 1. Jemand anderes hatte den Roulettetisch kurzerhand zur Geschenketafel umfunktioniert und die beiden Mädchen, die Jochen als Bauchladenverkäuferinnen engagiert hatte, saßen in einer Ecke und aßen ihre Erdnüsse selbst.

Mir stiegen Tränen in die Augen. Meine schöne Fete! Was war nur daraus geworden! Was lief hier falsch? Wo lag der Fehler? Heulend ging ich in die Küche und setzte mich zwischen leere Salatschüsseln und Baguettekrümel.

Kurz darauf kamen Constanze und Stephan in die Küche. Mein Mann nahm mich in die Arme.

»Es tut mir so leid! Sag mir, was ich machen soll, damit es doch noch so wird, wie du es dir vorgestellt hast«, tröstete er.

Constanze winkte ab. »Keine Chance. Die wollen gar nicht feiern, die wollen bloß essen und unterhalten werden. Die brauchen keinen Gastgeber mit Ideen, sondern einen Entertainer, Kindergärtner oder Quizmaster.«

»Wisst ihr was?«, rief Jochen, der eben dazu gekommen war und den letzten Satz von Constanze mitgekriegt hatte. »Wir fahren jetzt alle vier in eine richtig dekadente Nachtbar und gehen anschließend ins Spielkasino. Was haltet ihr davon?«

»Und was wird mit den Gästen?«, fragte ich zaghaft.

»Keine Sorge, die brauchen uns nicht. Die langweilen sich auch ohne unsere Hilfe«, versicherte Jochen, nahm mich einfach beim Arm und zog mich vom Stuhl hoch.

Meine Enttäuschung war so groß, dass ich mich am liebsten zu Hause in meinem Bett verkrochen und die Decke umarmt hätte. Wenn ich daran dachte, mit welchem Eifer ich die Fete vorbereitet hatte! Was für Erwartungen hatte ich gehegt! Das tollste, außergewöhnlichste, lustigste, kreativste Geburtstagsfest des Jahres hatte ich feiern wollen! Und nun? Meine Party war genauso eintönig, öde und langweilig wie die letzten einhundert Partys, zu denen ich eingeladen war. Kein bisschen fantasievoller und ausgefallener als alle anderen Geburtstage der letzten zehn Jahre! Ich hatte versagt, komplett versagt. Aber meine Gäste schienen sich ja durchaus zu amüsieren. Hatte ich wieder einmal zu hohe Erwartungen und Ansprüche gehabt? Oder fehlte denen ganz einfach nur der Sinn für das Besondere? Waren die schon zu abgestumpft? Egal, jetzt war mir einfach nur zum Heulen oder wenigstens zum Schmollen zumute. Doch ich wollte nicht genauso langweilig und öde wie meine lieben Gäste sein und meinem Mann und den Freunden, die sichtlich stolz auf ihren Einfall waren, die Stimmung verderben. Also log ich mir ein begeistertes Lächeln ins Gesicht und hakte mich bei Stephan und Jochen unter.

Der Rest des Abends war dann doch noch sehr nett. Wir tanzten, bis uns die Fußsohlen brannten, und wirkten in unserem Dreißiger-Jahre-Look an den Roulettetischen so, als hätten wir zeitlebens nichts anderes gemacht als gezockt. Wir setzten nach und nach unsere gesamte Taschenbarschaft in Spielchips um und hatten am Ende der Nacht einen Gewinn von DM 28,40. Großzügigerweise sollte das Geburtstagskind diesen Geldsegen behalten dürfen. Und da es inzwischen schon beinahe Zeit für ein erstes Frühstück im Morgengrauen war, lud ich alle zu Kaffee und Croissant in ein beliebtes, wunderbar ungesundes Fastfoodlokal ein.

Beim Essen erinnerte sich Jochen plötzlich an die eigens für mich hergestellte Festtagszeitung. Schnell sprintete er zurück zum Auto und zog die fünfzig Exemplare aus dem Kofferraum. Er schnappte sich die Klingel und verteilte laut rufend an jeden Nachtschwärmer im Schnellrestaurant und an das Lokalpersonal ein »Extrablatt«. War es der Restalkohol, der bei den meisten noch durch die Blutbahn rauschte? War es ein uneingestandenes Zusammengehörigkeitsgefühl derer, die die Nacht nicht unbedingt im Bett verbringen wollten, oder war es einfach nur Freundlichkeit? Nach fünf Minuten schmetterten mir alle Anwesenden ein unglaublich schönes Ständchen und der Geschäftsführer kam und setzte mir eine goldene Krone aus Pappe auf. Ich war so gerührt, dass ich schon wieder weinte, diesmal allerdings aus Freude über diese spontane Kundgebung. Wir verabschiedeten uns von allen mit Handschlag und fuhren endlich müde, aber glücklich nach Hause.

Die Spiegeltänzerin

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