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4.

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Die Vorbereitungen zur Geburtstagsparty hatten mich so in Anspruch genommen, dass ich darüber tatsächlich für einige kurze Wochen meinen Weltschmerz und die Unzufriedenheit über mein kümmerliches Dasein vergessen hatte.

Nun war ich dreißig Jahre alt und weder an meinem Job noch an meinem Ehealltag hatte sich irgendetwas geändert. Und dass das so war, lag ganz allein an mir, denn bis jetzt hatte ich einfach noch nichts gefunden, das mich zufriedener, glücklicher und erfüllter machte.

Auch der weiße Papierbogen schlummerte noch immer unberührt in der Schublade. Wochentags zwischen 8.30 und 17.00 Uhr dekorierte ich lustlos Kochtöpfe und Mikrowellengeschirr zu einfallslosen Pyramiden, während mein Mann damit beschäftigt war, Aufträge für seine Computerfirma an Land zu ziehen. Abends sahen wir fern, gingen höchstens mal ins Kino oder auf ein Glas Wein ins nächste Bistro. Die Wochenenden verschliefen wir, machten Verwandtenbesuche mit Käsekuchen und Salzgebäck, oder wir trafen uns mit Freunden zu den ewig gleichen Gesprächen rund um Karriere, Kinder .und Küche. Wir verbrachten Stunden damit, uns gegenseitig zu erklären, dass wir alle derselben Meinung waren. Das schaffte schließlich Gemeinsamkeit, Identifikation mit der Gruppe, Zugehörigkeitsgefühl, ja, sogar ein bisschen Sicherheit und Geborgenheit. Man wusste, wo man hingehörte, jawohl! Man gehörte dazu und das war doch das Wichtigste. Ich machte dabei keine Ausnahme. Hätte ich sagen sollen, was ich wirklich meinte? Dass wir irgendwie am richtigen Leben vorbeilebten? Dass wir Erfolg nannten, was nur Ersatzbefriedigung war, und unsere wahren Bedürfnisse mit Konsum und der unseligen Jagd nach Einfluss und Macht kompensierten? Aber das wollte doch sowieso niemand hören, also war es besser, ich hielt den Mund.

Ein Leben war wie das andere, eine Ehe genau wie die der Nachbarn. Wir holten uns das, was wir vermissten, per Knopfdruck aus dem Kabelgewirr. Satellitengewitter in strohtrockene Köpfe. Was würde am Ende bleiben? Ich wusste es nicht. Nur eines wusste ich, nämlich dass etwas fehlte: die Leidenschaft, die pure, atemlose Lust am Leben, das Kribbeln im Bauch, die zufriedene und vollständige Erschöpfung nach einer gelungenen Leistung, das Gefühl, vielleicht doch fliegen zu können.

Als Tragödie sah das allerdings außer mir kaum jemand.

Nicht einmal der Urlaub, den wir wie in jedem Jahr im Ferienhaus meiner Oma Margarete im holländischen Andijk verbrachten, änderte etwas an meiner Seelenlage. Aber natürlich bedeutete das nicht, dass ich die ganze Zeit über nur unglücklich, depressiv und lustlos am Strand hing. Nein, wahrhaftig nicht. Stephan und ich veranstalteten Wasserschlachten im Meer, saßen abends auf der Terrasse und tranken Rotwein und hatten eigentlich alles, was man sich im Urlaub nur wünschen kann: Romantik, Ruhe, Abenteuer und viel Spaß. Doch auch dem lautesten Lachen wohnte ein leichter Bittergeschmack bei, nie konnte ich ganz vergessen, dass mir etwas fehlte, dass ich nicht hundertprozentig glücklich war. Der Urlaub war eigentlich nur ein Ausflug in die frühere Unbeschwertheit, bei dem man von vornherein schon wusste, dass es halt nur ein Ausflug und von kurzer Dauer war.

Und als wir Anfang September nach Hause und in den gewohnten Alltag zurückkehrten, war es, als wären wir nie fort gewesen.

Ich überließ mich immer mehr meiner sentimentalen Melancholie und hatte Mühe, die depressiven Verstimmungen so weit im Zaum zu halten, dass ich den Alltag bewältigte. Ich hatte wirklich zu nichts Lust. Es gab keinen Witz, der mir ein Schmunzeln wert war, keine Aufgabe, die mich lockte, kein Gericht, das mir das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Ich war so gefangen in der Vorstellung, die nächsten dreißig Jahre meines Lebens genauso verbringen zu müssen, dass ich einfach zu nichts anderem mehr fähig war. Ja, ich gebe sogar zu, dass ich mich manchmal für kurze Momente an Frau Kochs Stelle wünschte, bei der vor einigen Monaten Brustkrebs diagnostiziert worden war. Sie hat wenigstens etwas, wogegen sie kämpfen kann, eine lohnenswerte Aufgabe, ein Ziel, dachte ich und vergaß dabei Frau Kochs Schmerzen, ihre Ängste, die Aussicht auf eine eventuell qualvolle Zukunft.

»Bist du verrückt geworden?«, hatte Stephan gefragt, als ich ihm davon erzählte. »So etwas wünscht man seinem ärgsten Feind nicht und du beneidest sie noch! Du bist ja völlig meschugge.«

»Wieso eigentlich?«, hatte ich mich trotzig und uneinsichtig verteidigt. »Frau Koch hat eine Herausforderung, der sie sich stellen kann. Und am Ende wird sie siegen, egal, was passiert. Bei diesem Kampf wird sie eine Menge Neues über sich selbst erfahren, wird viel lernen und ein ganzes Stück weiterkommen. Ist das etwa nichts?«

»Na, ganz toll. Monatelange Krankenhausaufenthalte, vielleicht Chemotherapien und immerzu den Tod vor Augen, eine verlockende Alternative! Und ein verdammt hoher Preis für die Selbsterkenntnis, die dabei herausspringt«, widersprach Stephan. »Ich glaube, du weißt nicht, was du da redest. Zur Selbsterkenntnis kann man wirklich einfacher gelangen.«

»So? Wie denn?«

»Das weiß ich auch nicht. Das muss jeder für sich selbst herausfinden.«

Na gut, so weit war ich auch ohne die klugen Ratschläge meines Mannes gekommen. Inzwischen schämte ich mich aber doch schon ein bisschen für meine takt- und mitleidlosen Gedanken über Frau Koch. Stephan hatte Recht. Vielleicht war ich nicht direkt verrückt, aber als intakte und allseits gefestigte Persönlichkeit, die mit beiden Beinen mitten im prallen Leben stand, konnte man mich derzeit wohl kaum bezeichnen. Ich beschloss, mal mit Constanze darüber zu reden. Immerhin war sie drei Jahre älter als ich und etwas länger verheiratet.

Gleich am nächsten Tag ging ich nach der Arbeit zu ihr. Wir setzten uns, die letzten Spätsommersonnenstrahlen genießend, in den Garten und tranken Kaffee.

»Du, Constanze«, begann ich vorsichtig. »Hast du auch manchmal das Gefühl, irgendetwas falsch zu machen?«

»Klar, pausenlos«, bestätigte meine beste Freundin unbekümmert. »Heute zum Beispiel. Ich hätte unter gar keinen Umständen diese sündigen Pralinen hier kaufen sollen.« Sie tippte mit dem Finger auf eine Packung mit leckeren Nussnougatkugeln. »Kannst du mir vielleicht mal erklären, warum man von 200 Gramm Schokolade drei Kilo zunimmt? Das läuft doch jedem mathematischen Gesetz zuwider. Greif zu! Geteilte Kalorien sind halbe Kalorien.«

»Das meine ich nicht. Übermäßiger Verzehr von Süßigkeiten zählt zu den lässlichen Sünden. Die schlimmste Strafe dafür ist ein Konto im Minus- und die Waage im Plusbereich. Aber ich habe seit Monaten das Gefühl, dass mein ganzes Leben irgendwie falsch läuft. Dass ich irgendwas verkehrt gemacht habe. Ich habe Angst, die nächsten dreißig Jahre genauso öde und bedeutungslos verstreichen zu lassen. Eigentlich habe ich alles, was ich brauche, und doch fehlt einfach etwas ganz Wichtiges: die Romantik, die Leidenschaft, Neugier, etwas, das nur mir gehört. Mein Alltag verläuft so banal, dass ich es kaum noch aushalten kann. Ich spüre mich nicht mehr.«

»Ich weiß genau, was du meinst«, antwortete Constanze und sah plötzlich ziemlich bitter drein. »Aber schließlich leben wir doch alle irgendwie so oder ähnlich. Die Highlights des Lebens jenseits der Dreißig bestehen nun mal nur noch in der Anschaffung einer Luxuslimousine und eines Eigenheimes, oder nicht?«

Ich schüttelte energisch den Kopf. »Damit kann ich mich nicht abfinden. Das ist mir zu wenig. Ich will nicht irgendwann dort, wo ich jetzt ein Herz habe, nur noch ein Fünfmarkstück schlagen hören. Ich will nicht verbittert werden und mein Unbefriedigtsein unter Zynismus und echten Perlenketten verstecken. Ich will etwas Eigenes schaffen, etwas, das nur ich machen kann, ganz allein und aus eigener Kraft. Ich dachte immer, wir hätten alle eine Aufgabe in diesem Leben. Und meine kann es einfach nicht nur sein, Kochtöpfe zu stapeln und am Wochenende zur Schwiegermutter zu fahren.«

»Eigentlich ist mir das auch zu wenig«, gab Constanze nachdenklich zu.

»Und was tust du dagegen?«, fragte ich neugierig.

»Vielleicht werde ich im Frühjahr einen Töpferkurs in der Toskana machen.«

»Na toll! Und wenn das nichts wird, im Sommer eine Göttinnen-Urschrei-Therapie oder dann im Herbst den medienbeliebten One-Night-Stand ausprobieren. Das wird helfen, da bin ich sicher!«

»Jetzt bist du zynisch und bitter«, beschwerte sich Constanze. »Deine Methode der ›Selbstbeschau statt Selbstverwirklichung‹ ist bis jetzt auch nicht effektiver.«

»Tut mir leid. Du hast Recht«, gab ich kleinlaut zu. »Verzweiflung ohne Taten ist reines Selbstmitleid.«

»Wir werden es schon schaffen«, tröstete Constanze sich und mich nach einigen Minuten des Schweigens. »Notfalls kriegen wir halt ein Baby.«

Ich wusste, dass ich einfach etwas tun musste und überlegte hin und her, was mir wohl Spaß machen könnte. Immer wieder fielen mir meine Zeichnungen von früher ein.

Als ich von Constanze nach Hause kam, stieg ich in den Keller und kramte in der alten Truhe, die unter einer dicken Staubschicht versteckt stand, nach meinen alten Zeichnungen. Das Herz klopfte mir dabei bis zum Halse. Seit Jahren hatte ich nicht mehr in die Truhe geguckt und jetzt hatte ich Angst, dass mir meine Zeichnungen, mein größter Schatz aus heutiger Sicht ungenügend, stümperhaft und einfach nur grottenschlecht erscheinen würden, quasi als weiterer Beweis der grenzenlosen Überschätzung meiner eventuell vorhandenen Begabungen. Vorsichtig öffnete ich den schweren Deckel, holte die verblasste rosafarbene Mappe hervor und strich mit dem Finger beinahe zärtlich über die Beschriftung »Bewerbung zur Aufnahme an der Hochschule für Grafik und Buchkunst«. Ich seufzte noch einmal tief auf und dann traute ich mich. Ich schlug den Deckel auf und betrachtete tapfer die erste Zeichnung. In einer Ecke stand eine kleine Bleistiftzahl:»1988«. Mein Gott, mit 19 Jahren hatte ich diese Landschaft gemalt! Kritisch beäugte ich das leicht vergilbte Blatt. Die Strichführung war ausgewogen und doch temperamentvoll. Aber die Perspektive! Ich sah alle handwerklichen Mängel überdeutlich. Doch ich fühlte auch die Begeisterung, mit der ich damals ans Werk gegangen war. Schnell blätterte ich weiter, bemüht, meine Zeichnungen zu betrachten, als wären sie das Werk einer Fremden. Einige Stillleben, zwei Collagen, eine weitere Landschaft und das Porträt meiner Oma Margarete. Unwillkürlich musste ich lächeln. Margarete Stern, meine Oma, die ich über alles liebte, die mich großgezogen und die mir den ersten Aquarellfarbkasten geschenkt hatte!

Blatt für Blatt ging ich die Mappe noch einmal ganz von vorn durch und wurde dabei immer zuversichtlicher. Ja, ich hatte Talent zum Malen. Doch ich musste auch selbstkritisch zugeben, dass ich in den letzten Jahren mit dieser Begabung sehr sorglos umgegangen war. Wie gut wäre ich heute schon, wenn ich mein Talent gepflegt und ausgebaut hätte! Plötzlich dauerte mich die verschwendete Zeit so sehr, dass ich die Mappe kurzentschlossen unter den Arm klemmte und den Truhendeckel mit einem Knall schloss.

Oben in meinem Arbeitszimmer holte ich in einem Anflug von Wehmut die weißen, unberührten Blätter aus der Schublade und breitete sie auf dem Schreibtisch aus. Probehalber nahm ich einen Stift in die Hand und überlegte, ob ich es nicht doch noch einmal versuchen sollte. Hin- und hergerissen spielte ich mit dem Stift, dann legte ich ihn entschlossen auf den Tisch. Nein, heute würde ich ganz bestimmt nicht wieder mit dem Malen beginnen! Mit einer Mischung aus Trotz und Selbstmitleid überblickte ich den Schreibtisch und seufzte.

Um mich in Zukunft ausschließlich dem Malen zu widmen, fehlte es mir wahrscheinlich an Charakterstärke und Durchhaltevermögen. Zumindest war das in den letzten Jahren so gewesen. Aber konnte ich nicht an mir arbeiten? Es wenigstens mal probieren? Sollte ich etwa noch mal ein Studium beginnen? Mit fünfunddreißig Jahren oder noch später fertig werden und als alternde Newcomerin den Kunstmarkt erobern? Unmöglich! Dazu war es längst zu spät. Die Galeristen warteten bestimmt nicht auf mich! Das Malen konnte ich wohl vergessen, berühmt würde ich damit nicht mehr werden. Ich hatte einfach schon zu viel Zeit verschenkt.

Doch was nun? Ich beschloss, Stephan erneut an meiner Sinnkrise teilhaben zu lassen. Ich durchsuchte das Fernsehprogramm nach Ankündigungen von Fußballspielen oder uralten James-Bond-Streifen und fand tatsächlich einen Abend, an dem außer einer Talkshow zum Thema »Sind Karrierefrauen besser im Bett als Hausfrauen?« nichts Besonderes lief. Als es soweit war, kochte ich Stephans Lieblingsgericht, stellte eine Flasche Wein kalt und deckte besonders liebevoll den Tisch.

»Was ist denn hier los?«, fragte mein Ehemann, als er nach Hause kam. »Habe ich den Hochzeitstag vergessen oder hast du mein Auto zu Schrott gefahren?«

»Weder noch«, beruhigte ich ihn. »Ich wollte einfach mal mit dir über unser Leben sprechen.«

Stephan sah mich argwöhnisch an, doch sein Hunger war einstweilen größer. Lustvoll schlang er mein provenzalisches Hühnchen in sich hinein und schaute erst beim letzten Löffel Mousse au chocolat wieder auf.

»Also, was gibt’s?«, fragte er lauernd.

»Ich bin so unzufrieden in letzter Zeit, so unausgefüllt und unterfordert! Ich suche eine Aufgabe, die mich befriedigt und ausfüllt. Ich habe einfach das Gefühl, mein Leben ist in eine Sackgasse geraten.«

Stephan legte den Löffel zur Seite und schaute mich ernst an.

»Ich habe schon lange gemerkt, dass mit dir irgendetwas nicht in Ordnung ist und habe mir auch Gedanken darüber gemacht. Was hältst du davon, wenn wir ein Baby bekommen?«

»Ein bitte was?«, fragte ich fassungslos.

»Ein Baby! Du weißt schon, diese kleinen Dinger, die immerzu schreien und in die Windeln kacken.«

»Ist das dein Ernst?« Ich konnte noch immer nicht glauben, was ich da hörte. Vergeblich suchte ich in Stephans Augen nach den kleinen Schalkpunkten. Doch Fehlanzeige. Der Mann wirkte absolut ruhig und gelassen.

»Ja, mein voller Ernst. Wir waren uns doch einig, dass wir mal Kinder haben wollten. Warum also noch länger warten?«

Ja, warum eigentlich? Vielleicht hatte Stephan Recht. Schon oft hatte ich mir vorgestellt, eine kleine Tochter zu haben, mit der ich herumalbern und die ich trösten konnte. Ich mochte Kinder recht gern. Aber musste das ausgerechnet jetzt sein?

»Hm«, dachte ich laut nach, um erst einmal Zeit zu schinden. »Angenommen, ich würde die Pille absetzen und schwanger werden. Wie ginge es dann weiter?«

»Alles nicht so dramatisch. Ich denke, du solltest vielleicht in den ersten drei Jahren mit dem kleinen Wurm zu Hause bleiben. Wenn er dann im Kindergarten ist, kannst du ja wieder halbtags arbeiten. Und was später kommt, warten wir einfach ab. Finanziell wird es auch gehen. Die Firma wirft inzwischen so viel Gewinn ab, dass wir uns ein Kind leisten können.«

»Du scheinst dir ja schon eine ganze Weile Gedanken über ein Kind zu machen«, stellte ich ziemlich überrascht fest.

Stephan nickte stolz.

»Na, was sagst du?«, wollte er wissen.

Ich schluckte und sagte erst einmal gar nichts.

»Was ist? Willst du etwa plötzlich kein Baby mehr?«

»Doch, schon, natürlich«, stotterte ich. »Aber das kommt jetzt alles ein bisschen plötzlich. Ich glaube, ich muss mich erst einmal an den Gedanken gewöhnen.«

Ich sah zu Stephan und erkannte, wie sich die Enttäuschung in seinem Gesicht breit machte. Er tat mir Leid. Bestimmt hatte er wochenlang gegrübelt, wie sich unser Alltag mit Kind am besten organisieren ließ. Und jetzt fiel ich ihm nicht um den Hals, sondern stotterte und stammelte.

»Lass mir ein bisschen Zeit«, bat ich leise. »Nur ein paar Tage.«

»Na, wie ist es?«, fragte Stephan eine Woche später. Ich wusste augenblicklich, was er meinte, doch ich tat so, als würde ich nicht verstehen, dass er die Babyfrage diskutieren wollte.

»Was meinst du?«

»Hast du dir inzwischen Gedanken gemacht, wann wir nun ein Baby bekommen wollen?«, fragte Stephan, schon wieder leicht verärgert, dass ich dieses wichtige Thema scheinbar auf die leichte Schulter nahm. Er irrte sich. Ich hatte mir sogar sehr viele Gedanken über Babys gemacht, war aber in meiner Entscheidungsfindung noch keinen Schritt weitergekommen. Und ich traute mich nicht, das zu sagen, weil ich Stephan nicht enttäuschen wollte und weil ich glaubte, dass man mit dreißig Jahren endlich zu Potte kommen musste, und zwar auch im Hinblick auf die Familienplanung. Außerdem hatte ich im Prinzip ja wirklich nichts gegen ein Baby einzuwenden. Es war einfach nur so, dass ich mich bei dem Gedanken, bald Mutter zu werden, irgendwie unbehaglich fühlte. Warum das so war, wusste ich allerdings nicht. Den absolut richtigen Zeitpunkt gab es sowieso nie. Doch wenn ich daran dachte, dass ich alle Veränderungen, die mit einem Baby auf uns zukommen würden, ganz allein tragen musste, klingelte in meinem Kopf das Alarmglöckchen Sturm. Ich musste meinen Job aufgeben. Ich musste Nikotin und Alkohol meiden. Ich musste für die nächsten achtzehn Jahre vierundzwanzig Stunden am Tag an dreihundertfünfundsechzig Tagen im Jahr als Mutter funktionieren. Konnte ich das? Wollte ich das? Ich wusste es einfach nicht.

Und jetzt stand Stephan mit erwartungsvollem Blick vor mir. Noch während mein Kopf fieberhaft an einer unverbindlichen Antwort arbeitete, hörte ich meinen Mund antworten: »Ein Baby zu haben, wäre wirklich nicht schlecht. Wir sind im besten Alter, um eine richtige Familie zu gründen.«

Halt! Stopp! Ich ziehe meine Aussage zurück! wollte ich rufen, aber Stephan strahlte über das ganze Gesicht, nahm mich in die Arme und sagte leise: »Ich wusste doch, dass wir uns einig sind.« Und dann lud er mich zum Essen in ein ganz tolles Restaurant ein.

Beim Essen redeten wir natürlich nur über ein Thema. Das heißt, Stephan redete und ich antwortete wortkarg, noch immer hin- und hergerissen zwischen dem Gedanken an ein eigenes Kind und dem Eigenen, das ich zu finden hoffte. Nur als er vorschlug, mein Arbeitszimmer zum Kinderzimmer zu machen, meldete sich mein Temperament zurück.

»Nein, nicht mein Zimmer!«, empörte ich mich.

»Warum nicht? Du nutzt es sowieso nie. Die meisten deiner Malsachen hast du schon vor einiger Zeit in den Keller geräumt. Der Raum steht überwiegend leer.«

»Na und? Seit wann spielt die Raumbelegung eine Rolle? Ich brauche ein Arbeitszimmer und basta!« Noch immer empört zündete ich mir eine Zigarette an und blies den Rauch so heftig aus, dass Stephan ihn genau ins Gesicht bekam.

Wahrscheinlich sah ich in diesem Moment so wütend aus, dass Stephan befürchtete, die ganze Familienplanung würde über den Haufen geworfen, wenn er darauf bestand.

»Also gut«, lenkte er ein. »Wir brauchen ein Kinderzimmer, das siehst du wohl ein. Doch sobald du dich von den Strapazen der Geburt so weit erholt hast, dass du wieder arbeiten möchtest, mieten wir dir ganz in der Nähe ein kleines Atelier. Einverstanden? Aber mit dem Rauchen muss Schluss sein, sobald du schwanger bist.«

»Schluss mit dem Rauchen! Strapazen der Geburt! Du redest schon wie deine Mutter«, maulte ich noch für einen Moment eigensinnig, doch irgendwie hatte das Babythema inzwischen eine Eigendynamik entwickelt, bei der jegliche Einwände meinerseits nur noch deplatziert, kindisch und trotzig wirken konnten. Für Stephan war ohnehin alles klar. Nur ich wusste wieder einmal nicht, was ich wollte.

So schnell wird man nicht schwanger, tröstete ich mich halbherzig, manche Paare brauchen Jahre, bis es endlich klappt. Wahrscheinlich dauert es noch Ewigkeiten, bis es bei uns so weit ist. Und überhaupt: Allein vom Reden darüber wird man ohnehin nicht Mutter und Vater. Warum also soll ich mir nicht mal unverbindlich vorstellen, wie es wäre, wenn ...

Wir redeten noch eine ganze Weile über unser zukünftiges Elternglück und leerten dabei eine Flasche Wein nach der anderen. Sogar über einen Namen für den künftigen Stammhalter diskutierten wir schon. Stephan hatte Sebastian und Felix vorgeschlagen. Ich schüttelte mich. Obwohl, einen Vorteil hatten diese Namen. Wenn ich auf dem Spielplatz laut und deutlich: »Felix, komm mal zur Mami!«, rief, würden mindestens drei Knirpse angetrabt kommen, und ich konnte mir immer aufs Neue den schönsten aussuchen, vorausgesetzt, die anderen Mamis waren ebenfalls an einem Tausch interessiert. Trotzdem war mir ein Lovis lieber. Erstens hieß mein Lieblingsmaler so, nämlich Lovis Corinth, ein überaus sinnenfreudiger Künstler. Und zweitens war Lovis eine Nebenform zu Ludwig und bedeutete so viel wie »berühmter Krieger.« Gab es ein besseres Omen? Auch der Mädchenname war klar: Hella Maria, frei übersetzt mit widerspenstige kleine Göttin. Stephans Lisa oder Laura waren dagegen doch einfach nur altbacken. Schlimmstenfalls hätte ich mich noch mit Sara abgefunden. Zu einer Einigung kamen wir selbstverständlich nicht, aber das war nicht schlimm, wir hatten ja noch unendlich viel Zeit.

Allmählich begann der Wein zu wirken. Kichernd und albernd verließen wir das Lokal und schlurften einträchtig durch das braune Herbstlaub nach Hause. Und als Stephan später im Bett noch auf meine Seite gekrabbelt kam, schoß mir der Gedanke an das übliche Kondom zwar durch den Kopf, doch ich verwarf ihn sofort wieder. Vielleicht war der Wein schuld daran, dass ich alle Vorsicht verdrängte. Und irgendwie war es ja auch unpassend, den ganzen Abend über Babys zu reden und anschließend in der Nachttischschublade nach Präservativen zu kramen.

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