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2.6 Martin Wellenreuther und sein Forschungsprojekt

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In Abschnitt 2.2 bin ich kurz darauf eingegangen, dass Hattie für weithin propagierte offene Unterrichtsformen nur geringe Effektstärken ausweist. Anhand seiner Analysen kann er hingegen zeigen, dass lehrergesteuerte Methoden wie Direkte Instruktion besonders lernwirksam sind. Im deutschsprachigen Raum werden diese Ergebnisse teilweise mit Verwunderung und nicht zuletzt mit Skepsis aufgenommen (vgl. TERHART 2011). Dabei gibt es auch in Deutschland bekannte empirisch arbeitende Experten wie z.B. Helmke, Klieme und Lipowsky sowie prominente Hirnforscher wie Gerhard Roth, die seit Jahren mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck bringen, dass individualisiertes Lernen im Vergleich zu angemessenen (!) lehrergesteuerten Methoden nicht besonders lernwirksam ist.

Wohlgemerkt: Es geht nicht um Fördermaßnahmen für lernschwächere Schülerinnen und Schüler oder solche mit größeren Lernrückständen. Förderung erfolgt am besten individuell und in möglichst kleinen Lerngruppen (vgl. z.B. DE FLORIO-HANSEN & KLEWITZ 2011). Offene Unterrichtsformen hingegen, zu denen auch von den Schülerinnen und Schülern verantwortetes individualisiertes Lernen gehört, schaden dem „Mittelfeld“ und den Lernschwächeren. Leistungsstärkere Schülerinnen und Schüler kommen mit diesen Lernformen zwar zurecht, aber auch sie könnten noch bessere Lernergebnisse erzielen, wenn die „Individualisierung“ durch Vorgaben und Feedback stärker lehrergesteuert wäre.

Wie steht es nun mit den Anforderungen an evidenzbasiertes Lehren und Lernen? Wie in der Definition des Begriffs in 1.1 erläutert, genügt es nicht, sich auf die eine oder andere empirische Studie zu stützen. Vielmehr muss möglichst die gesamte empirische Forschung herangezogen werden.

Die Veröffentlichungen von Martin Wellenreuther, einem Forscher am Institut für Pädagogik an der Universität Lüneburg, zeigen, dass es bereits seit den ausgehenden 1990er Jahren auch in Deutschland Forschungsarbeiten gibt, die auf umfänglichen wissenschaftlichen Belegen basieren. Schon mit dem Untertitel seines Hauptwerks (WELLENREUTHER 2004, 22010) Lehren und Lernen – aber wie? Empirisch-experimentelle Forschungen zum Lehren und Lernen im Unterricht macht Wellenreuther deutlich, dass er in der Regel nur die Ergebnisse von Experimenten in seine Analysen einbezieht.

Die Aussagen zu einzelnen Faktoren sowie das daraus abgeleitete Unterrichtsmodell stimmen in großen Teilen mit denen von Hattie und Marzano überein, obgleich Wellenreuther einen anderen forschungsmethodischen Ansatz verfolgt. Im Gegensatz zu den beiden englischsprachigen Forschern erarbeitet er keine Meta-Analysen (vlg. WELLENREUTHE 2013, 36–50). Aufgrund seiner guten Kenntnis vorliegender empirischer Forschung strukturiert er das Feld des Lehrens und Lernens in anschaulicher Form und zieht für die einzelnen Faktoren Forschungen heran, die evidenzbasierte Aussagen auf der Grundlage von Experimenten machen. Bei der Auswahl der Untersuchungen greift er immer dann auf englischsprachige Forschungsarbeiten zurück, wenn keine experimentellen Studien aus dem deutschsprachigen Raum vorliegen.

Nachdem er in Teil I in empirisch-wissenschaftliches Arbeiten eingeführt hat (WELLENREUTHER 2004: 1–55) geht er in Teil II auf elementare Prozesse des Lehrens und Lernens ein und belegt seine Aussagen durch die einschlägige Forschung (ibid.: 56–324). In Teil III Lernarrangements gestalten (325–479) befasst er sich in drei aufeinanderfolgenden Kapiteln mit Direkter Instruktion (331–367), Gruppenarbeit (368–399) sowie handlungsorientiertem Unterricht und Projektarbeit (400–436). In der zweiten Auflage befindet sich ein Einschub von ca. zehn Seiten mit dem Titel: Die Vision einer neuen Lernkultur – individualisierter Unterricht als Antwort auf die Heterogenität der Schüler? (WELLENREUTHER 22010: 437–446). Auch Wellenreuther hat seine wissenschaftlichen Ergebnisse für die Unterrichtspraxis aufbereitet (WELLENREUTHER 2009). Außerdem ist eine vollständige Neubearbeitung der Studie von 2004 Ende 2013 erscheinen.

Die Vorzüge von Wellenreuthers Publikationen für uns liegen auf der Hand:

1. Wellenreuther bezieht sich auf das deutsche Schulsystem und den weiteren deutschsprachigen Kontext.

2. In seine umfängliche Untersuchung gehen vor allem experimentelle Untersuchungen ein.

3. Er erläutert die entsprechenden Studien ausführlich und weist auf eventuelle Schwachstellen im Design hin.

4. Er zeigt, in welchen speziellen Lernkontexten Effekte stark oder weniger stark auftreten können.

5. Zahlreiche Beispiele, insbesondere aus dem Mathematikunterricht, tragen zum Verständnis der theoretischen Ausführungen bei.

Was die Lektüre mühsam macht: Wellenreuther schreibt für die scientific community, auch da, wo er sich an Lehrpersonen wendet (WELLENREUTHER 2009).

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