Читать книгу Die Lavendelgang - Inge Helm - Страница 5
ОглавлениеDas Alter spielt keine Rolle, es sei denn, man ist ein Rotwein.
In Erinnerung an Betty,
mon amie d’enfance
Prolog
„Bonjour, Marie. Was riecht hier so gut, backst du Kuchen?“
Marie, barfuß, in ausgewaschenen Jeans, schlabberigem T-Shirt und mit wirrem Haarschopf – zu ihrem Leidwesen total weiß, die Locken –, drehte sich überrascht herum. Da stand ihre Freundin schon in der Küche: schmales Gesicht, große braune Augen unter einem dunklen, kurz geschnittenen, mit feinen weißen Fäden durchzogenen Bubikopf – eine Pariserin, die allerdings seit knapp dreißig Jahren ein paar Häuser weiter unter Marie im Oberbergischen wohnte. Sie war schick, wie nur eine Französin es wagt sich zu kleiden, in schwarzem knöchellangen Flatterrock unter einem zipfelnden apfelgrünen Oberteil auf hochhackigen orangefarbenen Sandaletten.
„Grüß dich, meine Liebe, wie bist du denn hereingekommen?“
„Na, hintenherum, durchs Gartentörchen“, antwortete Julie und umarmte die Freundin herzlich.
„Und meine beiden Wachhunde haben keinen Mucks von sich gegeben?“, sagte Marie erstaunt.
„Security-Lieschen und Bodyguard-Felix habe ich mit einem Kauknochen bestochen.“ Julie lachte. „Wer hat den beiden denn die witzig bedruckten Halstücher verpasst?“
„Na, wer schon“, grinste Marie, „das war Sabrina, meine hundeverrückte Jüngste.“
„Hilft wohl nicht so recht.“
„Wie denn auch? Felix ist aus Altersgründen zu kurzsichtig, um das Wort Bodyguard zu lesen, und Lieschen besucht erst seit Kurzem die Vorstufe der hiesigen Hundeschule. Sie weiß noch gar nicht, was Security bedeutet. Aber keine Bange, das wird schon noch. Komm lieber mal her und probier meinen délice aux chocolat.“
„Du hast dich an Céciles köstlichen Schokoladenkuchen herangewagt?“ Julie setzte sich an den Küchentisch. Marie entfernte die Klarsichtfolie von ihrem Kuchen und schnitt ihn an. Dann legte sie je ein Stück auf zwei Teller ihres hübschen Bistrogeschirrs.
„Köstlich“, sagte die Freundin nach dem ersten Bissen, „schmeckt echt nach Provence. Erinnerst du dich noch an unseren ersten Kochkurs bei Cécile vor knapp dreißig Jahren?“
Marie und Julie waren in jener Zeit auf deren Annonce in einer großen Wochenzeitung gestoßen und für zwei Wochen in die Provence gefahren, um zu lernen, wie man gekonnt mit Olivenöl, Knoblauch, frischen Kräutern, Eselspfeffer und anderen Köstlichkeiten auch im kühlen Norden umgeht.
„Ja, sicher“, lächelte Marie in Erinnerung, „unsere begnadete chefin de cuisine und Malerin holte uns damals mit einem altersschwachen, total verbeulten Renault vom Bahnhof in Avignon ab. Ein kleines, zierliches Persönchen, braunäugig und mit einer langen blonden Mähne.“
„Ja ja“, lachte Julie, „und während wir, ängstlich in die Sitze verkrallt, knatternd und keuchend aus der Stadt rollten, machten wir unsere erste charmante Begegnung mit einem männlichen Citroën, der uns verkehrswidrig rechts überholte, kurz grüßte, sozusagen Kotflügel an Kotflügel …“
„… das kann man wohl sagen“, fuhr Marie heiter fort, „eine weitere Beule im Auto hinterlassend – was Cécile offenbar nicht störte –, und hupend in der Ferne verschwand. Das Tollste aber war, dass wir während unseres Kochkurses Mitköchinnen und -köche aus aller Herren Länder kennenlernten, wie zum Beispiel Mario aus Mexiko, Céline aus Kanada und Henry aus Nordamerika.“
„Doch Freundschaften auf ewig haben wir dann geschlossen mit unserer feurigen Franca aus Italien: tolle Figur, groß wie ein Model und schulterlange tiefschwarze Locken …“
„Und das auch noch heute, aber nun bestimmt vom Friseur“, konnte Marie sich nicht verkneifen. „Es gibt doch immer wieder Frauen, die haben Probleme, wenn sie ergrauen. Ich zum Beispiel habe meinen mittlerweile silberweißen Schopf einmal rot färben lassen. Das Einzige, was ich damit erreichte, war, dass ich meinen gesamten Kleiderschrank auf Giftgrün, Himmelblau und leuchtend Orange umstylen musste und dass mein Sohn spottete: ‚Jetzt, Mariechen, fehlt dir nur noch der Spruch auf den Lippen: Ham’se mal ’nen Euro, und das am besten bei uns am Hauptbahnhof.‘“
Julie lachte. „Na ja“, meinte sie, „graue Haare sind nicht gerade sehr förderlich beim Flirten mit dem anderen Geschlecht … und das ist nun mal Francas Passion. Und dann vergiss nicht unsere kleine, olivhäutige Spötterin Eleni aus Griechenland“, fügte sie hinzu. „Denkst du auch manchmal noch an unsere Ausflüge auf die herrlich bunten und nach allen Gerüchen des Südens duftenden marchés und unsere anschließenden Kocharien mit dem mitgebrachten frischen Gemüse, Lavendel, Thymian, Rosmarin und Co., Fischen, Kaninchen und mehr oder auch mit dem ein oder anderen Mitbringsel für daheim in Form von Geschirr …“
„Unübersehbar.“ Marie deutete auf ihren Küchentisch.
Doch Julie fuhr unbeirrt fort: „... mit Tischdecken, Sets, Tüchern und Taschen in den original provenzalischen Stoffen, Farben und Mustern?“ Sie schwelgte in vergangenen Zeiten, trotzdem sich die Freundinnen von da an regelmäßig alle zwei bis drei Jahre, je nachdem wie sie alle unter einen Hut zu bringen waren, bei Cécile trafen.
„Und ob.“ Marie lächelte. „Weißt du aber auch noch, wie viel Spaß wir hatten, als Franca beim ersten Mal anstatt eines Messers – auf Französisch couteau – eine couture, Naht auf Deutsch, neben die Teller legte?“
„Haha!“ Julie fiel fast die Kuchengabel aus der Hand. „Und Eleni einen poteau, nämlich einen Pfahl, statt der potage, der Suppe, auf den fourreau, das Futteral, und nicht auf den französischen Herd, den forneau, stellte!“
„Was waren wir damals doch noch jung und albern.“ Marie wurde richtig wehmütig.
„Aber du hast später wenigstens daraus ein wunderbares Kochbuch mit all den Rezepten und Geschichten über Land und Leute gemacht“, sagte Julie nicht ohne Bewunderung, „und das ist mindestens zehn Jahre prima gelaufen.“
„Ach, Schwamm drüber. Wie sagt man so nett bei euch: beaux mots – schöne Worte. Aber den erhofften Geldsegen hat es nicht eingebracht“, antwortete Marie, „und wirklich wichtig ist doch, dass wir seit damals eine eingeschworene Gemeinschaft bilden und albern sind wie eh und je. Wir fünf respektive sechs, wir dürfen meine älteste – äh – längste Freundin Biggi aus der Schweiz nicht vergessen, die wir damals auf der Rückfahrt besuchten, begeisterte Sportlerin, tough und immer gut gelaunt, die heute silbernen Haare zu einem flotten Pferdeschwanz gebunden. Aber ihr steht das, ich meine das Silberweiße“, sagte Marie bekümmert.
„Kein Wunder“, tröstete Julie, „dafür hat sie mehr Falten als wir anderen. Das ganze Jahr hindurch braun gebrannt von der Sonne in den Schweizer Bergen, das hinterlässt eben seine Spuren. Im Sommer ist sie vom Tennisplatz und im Winter von den Skipisten rund um Château-d’Oex nicht wegzudenken. Apropos langjährige Freundschaft: Was machst du eigentlich an deinem demnächst anstehenden Geburtstag?“
„Oh Gott, erinnere mich bloß nicht daran. Fünfundsechzig und Oma, was soll ich denn da noch groß feiern?“ Maries Begeisterung für Geburtstage hielt sich schon seit Langem in Grenzen. „Meine Großmutter hat immer gesagt: ‚Ignoriere diesen Tag und du fühlst dich kein bisschen älter.‘“
Julie verdrehte die Augen. „Das darf doch nicht wahr sein. Eine bessere Gelegenheit, uns alle wiederzusehen, gibt es doch gar nicht. Ich glaube, ich muss mal mit deinen Kindern reden.“
„Wie du meinst“, sagte Marie unbeeindruckt, „aber jetzt wenden wir uns erst einmal ausgiebig dem délice aux chocolat zu.“
„Soll ich frischen Kaffee aufsetzen?“ Julie erhob sich von ihrem Stuhl.
„Nee, warte mal ’ne Sekunde, ich glaube, ich habe noch eine halbe Flasche ‚Sauternes‘ im Kühlschrank, hol lieber die guten Weißweingläser aus der Wohnzimmervitrine, dieser Tropfen ist nämlich die absolute Spitze dazu.“