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Kapitel 3

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Es war ein wunderbarer, sonniger Maitag, ein Tag wie Milch und Honig, wie Samt und Seide, ein Tag, um eine neue Lebensplanung mit Schwung voranzutreiben. Als sie alle unter dem riesigen Sonnenschirm Platz genommen hatten, nahm Cécile das Gespräch wieder auf: „Das wäre richtig klasse, wenn wir die WG bei mir verwirklichen könnten.“

„Na ja“, gab Biggi zu bedenken, „Jean und ich gönnen uns zwar gerade eine Auszeit voneinander ...“

„Was heißt denn das?“, fragte Julie erstaunt.

„Nun, ich führe die Pension ‚Les Gaipinsons‘ – die schwulen Finken – hört auf zu lachen – und mein Mann braucht das Untergeschoss als Atelier, die Wohnräume nutzen wir natürlich gemeinsam weiter.“

„Das bedeutet?“, wollte Marie wissen.

„Na ja“, antwortete Biggi zögernd, „wir sind zurzeit sozusagen, gewissermaßen …“

„… ja?“ Die anderen waren ganz Ohr.

„… wir leben momentan und vorübergehend … Also, wir leben zurzeit getrennt von Tisch und Bett.“

„Ach du liebes bisschen.“ Für Marie kam diese Nachricht völlig überraschend. „Und wovon lebt ihr?“

„Meine Pension geht ganz gut“, erklärte Biggi, „und seit Jean von der ernsthaften Malerei auf Almabtriebe mit Kühen, Hirten, Sennenhunden und viel, viel Schweizer Bergen umgestiegen ist, gehen seine Bilder weg wie warme Semmeln.“

„Ach nee“, sagte Franca, „und an wen?“

„An Geschäfte, zum Beispiel für Schweizer Käse, Hotels im Ort und an amerikanische Touristen, die kaufen doch alles.“

Marie lachte: „Das erinnert mich an eure Anfänge in der Südsee.“

„Ihr wart in der Südsee? Das wussten wir ja gar nicht! Mensch, los, erzähl mal“, drängte der Rest der Freundinnen.

Ein Lächeln der Erinnerung huschte über Biggis Gesicht. „Also, kennengelernt haben Jean und ich uns in ganz jungen Jahren auf Bora Bora, wo wir als Animateure im ‚Club Méditerranée‘ arbeiteten. Wir verliebten uns ineinander, entschlossen uns, nach der Saison beim Club Med auszusteigen und auf der Südseeinsel zu bleiben. Dann mieteten wir eine kleine Hütte, Jean nahm Unterricht bei einem gestandenen Tauchlehrer, und um uns über Wasser zu halten, bis er seinen Tauchschein hatte, malte er hinter der Hütte sexy Hulamädchen auf Leinwand, während ich postwendend die noch feuchten Bilder vor der Hütte an amerikanische Touristen mit gutem Gewinn verkaufte. Als wir genug Geld zusammenhatten und Jean sein Tauchdiplom, erstanden wir ein kleines Boot, und der begnadete Maler machte dann mit diesem und ausländischen Gästen Tauchgänge in die blaue Lagune.“

„Und wann habt ihr dieses Paradies verlassen, um in der spießigen Schweiz zu leben?“, wollte Eleni wissen.

„Ganz simpel: Als unser Sohn schulpflichtig wurde, besannen wir uns darauf, dass wir als Eltern nicht nur Spaß, sondern auch Verantwortung haben, und voilà, kehrten wir in die Zivilisation zurück. Wenn ich ehrlich bin, liebe ich meinen Mann immer noch und er mich, und außerdem wirft man fast fünfunddreißig Jahre nicht so einfach über Bord. Also, das mit der WG und euch Mädels ist wirklich eine tolle Sache, aber ich glaube leider doch nichts für mich.“

„Tja“, Julie machte ein etwas unglückliches Gesicht, „so verlockend der Gedanke ist, zurzeit sehe ich auch für mich da keine Chance.“

„Warum denn nicht?“, fragte Marie enttäuscht. „Das ist doch die beste Gelegenheit, dich von Tom, deinem Lebensabschnittsgefährten, zu trennen, das wolltest du doch schon lange. Und dein Sohn ist alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen.“

„Das schon“, sagte die Freundin zögernd, „aber man geht doch nach zehn Jahren Lebensabschnitt nicht so einfach auseinander, auch wenn es hin und wieder knallt. Und Alain, mein Sohn, findet einfach kein Ende seines Studiums. Schließlich will er mal ein guter Arzt werden und ist auf meine Unterstützung weiter angewiesen.“

„Mit knapp zweiunddreißig?“ Eleni war entsetzt.

„Na ja, vielleicht könntet ihr mir ein Zimmer frei halten“, insistierte Julie, „und ich komme irgendwann nach, letztendlich sind da auch noch meine Französischschüler. Die kann ich auch nicht so von heute auf morgen hängen lassen.“

„Sicher“, beruhigte sie Cécile.

„O Dio, jetzt muss ich auch noch in die gleiche Kerbe hauen“, klinkte sich Franca in das Gespräch ein. „Auch wenn mein Mann eine zehn Jahre Jüngere liebt, so sind wir doch fast dreißig Jahre verheiratet. Aber ihn könnte ich trotzdem gut verlassen, und meinem Sohn und meiner Schwiegertochter täte ein wenig Abstand gut, sie missbrauchen mich ständig zum Einhüten der Enkel, trotzdem ich mit meiner Galerie völlig ausgelastet bin. Und das ist der casus belli, oder wie ihr so schön sagt: der Casus knacksus. Die Galerie läuft fantastisch. Alle namhaften italienischen Künstler stellen bei mir aus. Und ob ich das noch einmal in einem anderen Land, sprich Frankreich, hinkriege, da habe ich so meine Zweifel. Auch wenn ihr mich jetzt nicht mehr leiden mögt, ich brauche eine Menge Bedenkzeit.“

„Na hör mal“, sagten alle, und Eleni fügte lachend hinzu: „Du weißt doch: Eines der guten Dinge im Alter ist ohne Zweifel die Tatsache, dass man nicht mehr von jedem gemocht werden muss.“

„Eleni!!!“, erklang ein fünffacher Aufschrei.

„Ja, ja, beruhigt euch, ich wollte nur vorbeugen; denn auch ich bin nicht sofort frei.“

„Ach nee, du doch nicht!“, klagten Marie und Cécile im Gleichklang. „Was hält dich denn so Wichtiges davon ab, unsere Idee zu verwirklichen? Du hast doch weder Kind noch Kegel …äh … Mann!“

„Himmel, das fehlte mir noch, dass da jeden Abend ein Kerl in meiner Wohnung hockt, um den ich mich kümmern müsste. Mir reicht meine Liaison mit dem Institut zur Genüge“, erwiderte Eleni trocken. „Aber wenn ich jetzt schon in Rente gehe, verliere ich eine Menge Geld, und das kann ich mir bei der momentanen miesen finanziellen Situation in Griechenland wirklich nicht leisten. Außerdem ist mein Vater vor drei Monaten gestorben, der sich mit seinen zweiundneunzig Jahren noch rührend um meine alzheimerkranke Mutter gekümmert hat. Nun sind meine Schwester und ich erst einmal gefragt. Am liebsten würde ich sofort meine Zelte in Athen abbrechen. Aber wie ihr seht, ist das wahrscheinlich frühestens in einem Jahr so weit. Also lass den Kopf nicht hängen, Marie. Du und Cécile, ihr macht den Anfang, und wir anderen kommen vielleicht schneller nach, als euch lieb ist.“

„Ihr habt gut reden“, jammerte da Marie, „bei euch passiert wenigstens was. Ich dagegen sitze seit Martins Tod vor zehn Jahren jahrein, jahraus mit zwei Dackeln in diesem großen Haus im Bergischen fernab von jeder Kultur, schreibe meine Bücher so alleine vor mich hin – Lesungen fallen wegen meines zurzeit getrübten Blickes durch grauen Star aus und weil meine Augen ständig tränen. Mein Augenarzt behauptet, das sei ein altersbedingtes Sicca-Syndrom, was verdeutscht trockenes Auge bedeutet. Ich frage mich nur, wo da die Trockenheit sein soll. Offensichtlich gibt es doch so viel Wasser in meinen Augen, dass sie permanent überlaufen. Und der graue Star muss nur einfach operiert werden, den gibt es als Zugabe nur bei Sechzig-plus-Leuten. Und so hüte ich die Enkelkinder und warte auf ein Wunder, wie zum Beispiel die Aussicht, mit euch eine Wohngemeinschaft in der zauberhaften Provence zu gründen, und …“

„Aber warum hast du nie etwas gesagt, wir wären doch alle für dich dagewesen?!“, unterbrach sie Franca erstaunt.

„Wozu? Ich glaube nicht, dass Reden hilft. Im Gegenteil, dann bekommt die ganze Misere erst recht Gewicht.“

„Apropos Martin“, versuchte Cécile die Freundin aufzuheitern, „erinnerst du dich noch daran, als ihr gemeinsam ein paar Wochen bei mir verbracht habt?“

„Na klar.“ Marie lächelte ein wenig traurig.

„Aber weißt du auch noch, was er sagte, als wir ihn fragten, ob er zum Dessert eine Charlotte mit Pfirsichen oder eine eben solche Vanillecreme mit Birnen haben wollte?“

„Er hat gesagt, am liebsten wäre ihm eine Charlotte mit tollen Beinen!“ Nun kämpfte Marie doch mit einem Lachanfall, während die anderen losprusteten und damit die Gefahr bannten, ins Sentimentale abzurutschen.

„Los, chérie, und nun hol den Champagner, so jung und ausgelassen kommen wir so schnell nicht wieder zusammen!“, kicherte Cécile.

„Zum Wohl“, sagte Marie, nachdem die Gläser überschäumten, und ihre Stimme klang wehmütig, „ich habe mich so gefreut, dass ihr alle da wart. In unseren fortgeschrittenen Jahren sollte man sich einfach öfter sehen.“

„Jetzt hör bloß mit dem blöden Alter auf. Du tust ja gerade so, als wären wir bereits scheintot“, rügte Franca die Freundin. „Und zack, dauert es auch nicht mehr lange, bis wir uns alle wie Greisinnen fühlen … Prost!“

Die Lavendelgang

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