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3.3.2 Auffallende Veränderungen in den letzten Jahren: Mehr Exploration, Instabilität und eine starke Selbstfokussierung bei jungen Erwachsenen

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Jane Kroger und Mitarbeiter (2010) fassten die westliche Forschung mit mehr als 500 Querschnitts- und 150 Längsschnittstudien zu Marcias Identitätsparadigma zusammen. Die eingeschlossenen Studien wurden von 1971 bis 2004 veröffentlicht und deckten eine Altersspanne junger Menschen zwischen 11 und 35 Jahren ab. Ihre Meta-Analyse zeigte eine deutliche Verzögerung der Identitätsentwicklung im Vergleich zu den frühen Studien von Marcia und Mitarbeitern, aber auch einen kontinuierlichen Fortschritt hin zu ausgereifteren Stadien der Identität im jungen Erwachsenenalter.

In einer Übersicht über 500 Studien zum Identitätsparadigma, die auf der Konzeption und dem Interview von Marcia beruhen, konnten Jane Kroger et al. (2010) belegen, dass gegenwärtig nur rund 34 % der jungen Erwachsenen im Alter von 22 Jahren eine reife Identität aufweisen (Commitment nach ausreichender Exploration). Bei den über 30-Jährigen weisen 47 % eine reife Identität auf. Dies verdeutlich, dass dieser Prozess noch lange nicht abgeschlossen ist. Auf der Basis der 150 Längsschnittstudien konnten Kroger et al. (2010) des Weiteren nachweisen, dass Progression zweimal so wahrscheinlich ist wie Regression. Aus den Stadien des Moratoriums bzw. der Diffusion entwickelten sich also in den Folgejahren reifere Formen der Identität. Zugleich nahmen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten die Prozentsätze von jungen Leuten ab, die gegenwärtig noch eine foreclosure identity, also eine ohne Exploration übernommene Identität der Eltern (z. B. im beruflichen Bereich: »Mein Vater war Schreiner, und ich werde das auch«) aufweisen. Dies belegt, dass die Identitätsentwicklung später erfolgt und sich qualitativ gewandelt hat und dass man analytische Konzeptionen im Sinne einer pathologisch prolongierten Adoleszenz, die für frühere Jahrzehnte galten (Blos, 1954), heute überdenken muss: Eine verlängerte, qualitativ veränderte Identitätsentwicklung ist heute eine normative Entwicklung geworden. Diese Studien haben auch klargestellt, dass eine aktive Exploration normativ ist und keinesfalls als pathologisch anzusehen ist.

Wie belegt werden konnte, erstreckt sich eine intensive Identitätsentwicklung heute von der Adoleszenz bis zum Alter von 25 bis 30 Jahren – insofern kann man die Adoleszenz tatsächlich als die entscheidende Vorbereitungsphase ansehen (als »Vorwaschgang in der Identitätsentwicklung«). Obwohl die meisten dieser neueren Studien an jungen Erwachsenen durchgeführt wurden, denke ich doch, dass die weitere konzeptuelle Differenzierung interessant ist und auch bei Jugendlichen Anwendung finden könnte. Dazu zählt etwa die Bedeutung der ruminativen Exploration, d. h. des Auf-der-Stelle-Tretens und nicht Vorankommens, aber auch die Aufdifferenzierung des diffusen Status in Koen Luyckxs Arbeiten in eine carefree diffusion und eine troubled diffusion (Luyckx et al., 2008b). Es ist sicher zu vermuten, dass die identitätsbezogene berufliche und partnerschaftliche Orientierung im Jugendalter erst beginnt, dass mehr Jugendliche (im Vergleich zu jungen Erwachsenen) eine carefree diffusion aufweisen: Für junge Erwachsene besteht dagegen ein erheblicher Entwicklungsdruck, identitätsrelevante Entscheidungen in den Bereichen Beruf und Partnerschaft allmählich zu fällen, so dass eine sorgenvolle Diffusion hier doch eher wahrscheinlich erscheint.

Die Jugendlichen und ihre Suche nach dem neuen Ich

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