Читать книгу ...und am Ende war nur noch ohnmächtige Wut ! 1. Teil - Ingeborg Schob - Страница 6
Kapitel 04 Die Epedemie
ОглавлениеKinderkrankheiten meldeten sich an, zuerst die Windpocken, dann die Masern und Röteln. Freddie bekam auch noch Mumps. Es ging Schlag auf Schlag. Bei ihm bildete sich in der rechten Leiste außerdem eine riesige Eiterbeule. Der Arzt erklärte uns, dass sie die Folge davon sei, dass Freddie sich einmal das Knie aufgeschlagen hatte und Schmutz in die Wunde gekommen war. Der Doktor schnitt die Beule mit einem Skalpell auf, und es kam unheimlich viel Eiter heraus. Wir alle sahen zu, zitterten mit ihm, und hofften, dass seine Schmerzen erträglich blieben.
Kurz darauf wurde es für uns alle noch schlimmer. Es grassierte eine schmerzhafte Furunkulose in der Familie, die uns sehr quälte. Es dauerte lange, bis so ein Furunkel reif war und aufbrach. Fast genauso lange dauerte es, bis er endgültig abheilt war.
Mutter hatte alle Hände voll zu tun, uns zu versorgen und zu verbinden. Und dann wurde ich schwer krank. Ich bekam Gelbsucht und die Röteln. Alle anderen Kinder unserer Familie wurden eilig nach Wesermünde zu Großvater und Anna evakuiert.
Ich wurde von Frau Kamps, der liebenswerten Hauswirtin, versorgt, die mir jeden Tag aus dem Buch Heidi vorlas, damit ich Ablenkung hatte. Nach einiger Zeit wurde ich gegen die anderen Kinder ausgetauscht und zu Opa gebracht, und die Geschwister kehrten nach Cuxhaven-Groden zurück. Nun hatte Anna das Regiment über mich und versorgte mich sehr gewissenhaft. Ich hatte laufend erhöhte Temperatur. Wenn Dr. Baumgarten, Opas Hausarzt, mich untersucht hatte, wiegte er nur den Kopf mit seinem freundlichen Pferdegesicht und den großen Zähnen hin und her und sagte:
„Das Mädchen braucht viel Ruhe und muss gut essen, damit sich die Krankheit bessert."
Aber die Zeit verging sehr langsam. Nur einmal wurde es interessant. Es wurde ein Wagen bestellt, und Anna und Großvater brachten mich zu einem Spezialarzt zum Röntgen. Sein Haus stand genau hinter der Großen Kirche in der Prager Straße in Wesermünde. Ich wusste natürlich nicht, was Röntgen war und hatte verständlicherweise große Angst davor. Der riesige Röntgenapparat war mir unheimlich, aber der Doktor, äußerst freundlich und verständnisvoll, erklärte mir, was er tun würde. Er beruhigte mich damit, dass es auf kein Fall weh tun würde. Er machte Röntgenbilder von meinem Oberkörper. Warum das alles mit mir gemacht wurde, hat mir nie jemand erklärt. Ich erfuhr auch niemals, warum ich von der Familie getrennt bei Opa und Anna leben musste. Dauernd sollte ich schrecklich viele fette Sachen essen, die ich gar nicht gerne mochte.
Das Allerschlimmste aber für mich war wirklich, dass ich ohne meine Geschwister sehr einsam war. Tagsüber musste ich in der großen Stube auf der Couch liegen und war allein. Ich durfte nicht einmal mehr auf dem langen Flur mit dem geriffelten Gummiläufer auf einem der Handstöcke reiten, was ich früher so gerne getan hatte. Nachts schlief ich in Großvaters Schlafzimmer in dem sonst leeren Bett neben ihm.