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Vorwort

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Carl Friedrich von Weizsäcker war ein Mann der Wissenschaft, der aufgrund seines philosophischen und politischen Sachverstandes oft um Rat gefragt wurde. Er war als Redner zu allen möglichen Anlässen – und keineswegs nur auf wissenschaftlichen Fachtagungen –, sehr begehrt. Weizsäcker besaß jedoch nicht nur eine ungemein vielseitige fachliche Kompetenz, sondern er strahlte auch eine angenehme menschliche Wärme aus. Diese persönliche Ausstrahlung von Besonnenheit, Würde und Menschlichkeit war in der Hektik und Ungeduld der modernen Welt eine ebenso wohltuende wie seltene Eigenschaft.

Weizsäcker war eine Ausnahmeerscheinung – als Wissenschaftler und als Mensch! Auf so unterschiedlichen Feldern wie Physik, Philosophie und Politik hat er Wegweisendes geleistet. Dabei erstreckte sich sein Engagement jeweils bis weit ins Private. Er tauchte voll und ganz in die jeweiligen Welten ein. Sein Wissen um die großen Zusammenhänge wuchs stetig an, und er wollte es mitteilen, möglichst ein größeres Publikum inspirieren.

Der eigentliche Grund für Weizsäckers Ausrichtung auf eine größere Öffentlichkeit lag sicher in seinem ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein, denn er hielt es für seine wichtigste Pflicht, vor dem drohenden Dritten Weltkrieg zu warnen und positiv auf die Politik einzuwirken, sie für das Friedensproblem und seine eigentlichen Ursachen zu sensibilisieren. Es war sein sehnlichster Wunsch, die Menschen zur Einsicht zu führen und ein neues Bewusstsein für alle großen Weltprobleme zu befördern. Dabei bildeten die Intellektuellen und die Politiker Weizsäckers erklärte Zielgruppe, besonders für sie waren seine anspruchsvollen Erkenntnisse und Analysen gedacht. Doch seine vielfältigen Themen sowie sein überaus klares und gründliches Denken vermochten weite Kreise der Bevölkerung anzusprechen. Dies beweisen die immer sehr gut besuchten Vorträge und der große Erfolg seiner Bücher.

Wissenschaftliche Genauigkeit ist sicher ein Markenzeichen dieses großen Denkers, und so kann es nicht verwundern, wenn seine Aussagen für manche Leser oft schwer verständlich sind. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass Weizsäcker stets in größtmöglichem Respekt vor der Wahrheit dachte und handelte. Philosophisch und politisch voll und ganz der Wahrheit verpflichtet, im strikten Bemühen um Redlichkeit, gab er kaum wirkliche Empfehlungen, aber viele Anregungen für ein neues, modernes Denken und Handeln. Er zwang den Menschen zum selbstständigen Nachdenken und wollte ihn zudem auch zur Selbstkritik anleiten.

Carl Friedrich von Weizsäcker war kein Gesellschaftskritiker im eigentlichen Sinn, schon gar kein Moralist, der etwas besser als andere wissen wollte, sondern er praktizierte an sich selbst die härteste Selbstkritik. Dieser Charakterzug disziplinierte ihn zu extrem gründlichem Denken, immer auch aus der Sicht der Gegenparteien, und förderte auf diese Weise zahlreiche wertvolle Erkenntnisse zutage.

Ziel dieser Studie ist es, nicht nur die rein wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern auch die persönlichen Thesen und Ansichten, ja die tiefsten Ahnungen dieses großen Denkers transparenter zu machen und zusammenzufassen. Interdisziplinäres Forschen, offenes Denken in wirklich alle Richtungen sowie die Freiheit des Geistes vor dem Hintergrund tiefer Menschlichkeit, das ist, in wenigen Worten umrissen, die Ganzheit, um die es Weizsäcker zeitlebens ging. Religion war ihm ein außerordentlich wichtiges Feld – und keinesfalls nur aus intellektueller Perspektive. Er sprach freimütig von eigenen Erlebnissen, aber auch von der Entwicklung seines persönlichen Glaubens. Auch diese Seite seines Lebens werden wir nachzuzeichnen versuchen.

Weizsäckers tiefe Menschlichkeit wird erst dann voll verständlich, wenn man sein Gefühl für die religiöse Wahrheit, seine Achtung vor den höchsten Fragen des Geistes, seine eigene Spiritualität, vielleicht sogar das persönliche Gespür für die göttliche Gegenwart im Dasein, im Kosmos sowie im Wesenskern der Menschen, gebührend berücksichtigt.

Zweifellos kam auch eine gesteigerte Geistigkeit in Weizsäcker selbst zum Ausdruck. Man sah dies schon an den Gesichtszügen, und man hörte es am überlegen ruhigen Sprechen, besonders auch am wohltuend warmen Tonfall seiner Stimme.1

Er war ein Suchender und ein Wissender, sich wohl bewusst, dass man nie vollständig zu Ende denken kann. Man darf angesichts seines Werkes und seiner persönlichen Ausstrahlung vielleicht annehmen, dass dieser Mann mehr als bloß eine Ahnung von den höchsten Ebenen des Geistes besaß – und genau darum kann er durchaus als moderner Weiser bezeichnet werden.

Ein guter Wissenschaftler muss neue Thesen aufstellen und ungewöhnliche Gedankengänge wagen. Die übliche Methode dafür ist, nach Analogien zu suchen. Dies beherrschte Weizsäcker absolut meisterhaft, da er die Themen in ihrer komplexen Tiefendimension überblickte. Dies machte noch etwas anderes erst möglich: Weit über den Tellerrand der Physik, aber auch über die üblichen Deutungen von politischen, wirtschaftlichen und historischen Zusammenhängen hinaus zu schauen. Weizsäcker tat dies mit unvergleichlicher Akribie und Sorgfalt, doch auch mit dem großen Mut für wirklich kreative, ja sogar zukunftsweisende Denkansätze. Die folgenden Ausführungen orientieren sich an einem relativ groben Schema, analog zu Weizsäckers Hauptthemen: Physik, Politik, Philosophie und Religion. Seine Interessens- und Arbeitsgebiete waren sehr differenziert, und die genannte Einteilung kann dies nur schlagwortartig andeuten. Sie erleichtert aber den Zugang.

Alle wichtigen wissenschaftlichen Sachgebiete hatte er in Grunderkenntnissen stets präsent, so dass er aus dem Stehgreif darüber sprechen konnte. Zudem vermochte er die notwendigen Querverbindungen herzustellen, um seinen Zuhörern, ebenso wie den Lesern seiner tiefschürfenden Texte, eine Erkenntnis auf höchstem Niveau, gleichsam eine ganzheitliche Erkenntnis, zu ermöglichen. Das Talent, gut zu sprechen und sich klar auszudrücken, ist auch unter hochkarätigen Wissenschaftlern äußerst selten. Aufgrund seiner vielseitigen Begabungen und Interessen war es fast unvermeidlich, sich auch auf dem Gebiet philosophischer Grundfragen zu bewegen. Besonders dieses Interesse gereicht uns heute zum Vorteil, denn wir können die allgemeinen Gedankengänge, die sich hier finden lassen, auf das praktische Leben beziehen und somit leichter aufnehmen. Seine schonungslos vorgebrachte und gut begründete Kultur- und Ideologiekritik zeigt bereits die entscheidenden Ansatzpunkte, um eine bessere Zukunft zu gestalten, und insofern eröffnet sie weitreichende Perspektiven. Nicht nur von den Regierenden, sondern von der gesamten Gesellschaft forderte er ein radikales Umdenken, einen tiefgreifenden Bewusstseinswandel. Das Kapitel „Wissenschaft und Politik“ zeigt im Detail, was er kritisierte und forderte, während das Schlusskapitel „Nachwirkungen“ den Blick auf die praktische Nutzanwendung der Weizsäckerschen Gedanken lenkt und dabei auch eine etwas freiere Deutung wagt.

Weizsäcker regt zum Nachdenken an. Er vermag dies aufgrund seiner Persönlichkeit, noch mehr aber durch seine Themenwahl. In der Philosophie, speziell in den klaren Konzepten zur modernen Ethik, liegt sicher die größte Nachwirkung seines Lebens. Weizsäcker war ein das eigene Denken fördernder Philosoph. Zurückhaltend in seinen Forderungen an andere, gab er aus Prinzip keine konkreten Handlungskonzepte oder Empfehlungen, und daher entwickelte er auch kein geschlossenes philosophisches System. So sind wir auf Deutungen angewiesen, die einerseits den Geist richtig erfassen, andererseits zur konkreten Praxis überleiten können.

Klugheit ist keine Charaktereigenschaft, sondern ein Umstand, der teils in die Wiege gelegt wird, den man sich aber zum größeren Teil durch harte Arbeit erwerben muss. Klugheit an sich kann andere Menschen kaum beeindrucken, wirkt oft sogar sehr abstoßend. Bei Weizsäcker jedoch wirkte sie nie auf diese negative Weise. Menschliche Wärme, Verständnis, Toleranz und stete Lernbereitschaft, das waren seine herausragenden Charaktereigenschaften. Ein entscheidend wichtiges Element kommt noch hinzu – Weizsäckers tiefe Gläubigkeit. Diese legte er in freier Denkweise offen dar, intensiv und authentisch, vom Intellekt kontrolliert, doch ehrlich bewegt. Er hat seinen christlich-protestantisch geprägten Glauben mutig zum Ausdruck gebracht, sogar öffentlich. Als Freidenker war er sehr aufgeschlossen für alle Weltreligionen und ihre jeweiligen Blickwinkel auf die Wahrheit. Er meditierte täglich und zog daraus nicht nur Kraft, sondern auch geistige Erkenntnisse. Erst in dieser außergewöhnlichen Kombination entsteht der Mensch Carl Friedrich von Weizsäcker als Ganzheit. Dieses Zusammenwirken aus Wissen und Gefühl, die Paarung aus suchender Willenskraft und Gelassenheit, aus Hoffnung und gesundem Skeptizismus, macht ihn zum Vorbild für viele. Er kann mit Fug und Recht als Wegbereiter unseres modernen Zeitalters betrachtet werden, der die Wissenschaft in neuem Licht erscheinen lässt, aber auch vor ihren Gefahren ausgiebig warnt. Doch er versäumt nicht, die notwendige Besinnung auf menschliche Werte, auf eine universelle Ethik, als positives Gegengewicht in Erinnerung zu rufen.

Wie kaum ein anderer dachte Carl Friedrich von Weizsäcker vorrangig global. Er war ein Weltbürger, dem die ganze Menschheit am Herzen lag, der aber im selben Maß jeden einzelnen Menschen als eigenständiges Individuum wahrnahm und respektierte. Was wirklich beeindruckend ist: Weizsäcker lebte diese Ethik mustergültig vor, als ungemein fleißiger Arbeiter in den endlosen Welten des Geistes. Sein Streben und Wirken reichte bis weit in die reale Politik hinein. Alle diese Aktivitäten übte er sehr bewusst, dezent und zurückhaltend aus, immer auf die Wahrheit und eine möglichst gute und seriöse Wirkung bedacht. Weizsäcker trug sein Wissen und sein geistiges Innenleben aktiv nach außen, in Reden und Vorträgen, im Briefwechsel mit namhaften Persönlichkeiten und vor allem in zahllosen Gesprächen, die er bereitwillig suchte. Diese Form der Aktivität ist nicht nur wissenschaftlich geprägt, sie ist vom philosophischen Willen nach einer wirklichen Erfahrung, speziell der Erfahrung des allgemein Menschlichen, beseelt. Carl Friedrich von Weizsäcker war und ist ein Vorbild, ein vorbildlicher Mensch mit charakterlicher Größe. Sein Werdegang ist einzigartig. Was man aber sehr wohl übernehmen oder jedenfalls stark auf sich wirken lassen kann, ist sein humanistisches Denken, getragen von nüchterner Vernunft und liebevoller Weitsicht. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, dieses wichtige, aber im alltäglichen Gang der Gesellschaft und Wirtschaft leider oft völlig missachtete Gebot, bekommt in der Person Weizsäckers eine neue und sehr reale Bedeutung.

Es gibt nur sehr wenige Menschen der Neuzeit, die man mit Recht als weise bezeichnen kann. Bei Carl Friedrich von Weizsäcker darf es geschehen, ohne sich einer Übertreibung schuldig zu machen; denn das Element der Klugheit tritt deutlich zurück hinter einer wahrhaft philosophischen Lebenshaltung. Auf seine vornehme, zurückhaltende Art übte er sehr wohl auch Kulturkritik. Dies war aufgrund seiner klaren Analyse der Wirklichkeit unausweichlich. Jedoch blieb er überaus selbstkritisch und bescheiden, lebte eine absolut mustergültige Haltung vor. Was kann die Nachwelt von einem Universalgelehrten solchen Ranges lernen? Diese Studie will eine Antwort versuchen, versteht sich aber vorrangig als Schlüssel zu Weizsäckers gewaltigem geistigen Werk.

Carl Friedrich von Weizsäcker

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