Читать книгу Die Spur führt nach Altötting... - Irene Dorfner - Страница 10
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ОглавлениеSofort nach dem Frühstück holte sie das am Vortag bestellte Taxi ab und Frieda war aufgeregt wie ein kleines Kind, was Mario sehr amüsierte. Beide hatten vorsorglich für mehrere Tage Gepäck dabei, da sie nicht wussten, was auf sie zukam. Auch Bargeld hatten sie in ausreichender Menge dabei. In der Bahn bis Stuttgart sprachen sie nicht viel, da sich Frieda an der Umgebung nicht sattsehen konnte. Offensichtlich war sie schon lange nicht mehr aus Pfullingen rausgekommen. Mario nutzte die Gelegenheit, sich mit mehreren Tageszeitungen über das aktuelle Geschehen zu informieren und war erstaunt darüber, was sich während seiner Abwesenheit so alles getan hatte. Die Namen der großen Politiker sagten ihm nicht viel, auch Sportler und Promis, die riesige Schlagzeilen hatten, waren ihm fast alle unbekannt. Er war erschrocken, denn er war nur drei Jahre weggewesen. Als er das Fernsehprogramm studierte, musste er zufrieden feststellen, dass er fast alle Sendungen kannte. Auch die Spielfilme und Krimis waren ihm bekannt, denn die wurden schon seit Jahren Zig-Male wiederholt. Zumindest auf das Fernsehen konnte er sich verlassen, hier hatte sich in den drei Jahren fast nichts verändert.
Am Hauptbahnhof Stuttgart mussten sie über eine Stunde warten und genehmigten sich daher ein zweites Frühstück.
Der ICE fuhr in den Bahnhof ein, was Frieda mit lauten Freudenschreien kommentierte. Zu seiner Belustigung drängelte sie sich an den anderen Fahrgästen vorbei in den Waggon, sodass Mario sie für einige Zeit aus den Augen verlor. Sie hatten schließlich reservierte Sitzplätze und er sah keinen Sinn darin, zu drängeln. Aber Frieda hatte es nun mal eilig. Als er seinen Platz einnahm, saß sie bereits, hatte auch schon den Mantel ausgezogen und sah aus dem Fenster. Endlich ging es los. Nach Ulm verlor Frieda langsam das Interesse daran, aus dem Fenster zu sehen, zog eine Klatschzeitschrift aus ihrer Handtasche und blätterte lustlos darin.
„Was ist das eigentlich mit deinem anderen Haus in Reutlingen, dessen Unterlagen du gestern mit Baumann durchgegangen bist? Hast du etwa außer deinem Pfullinger Haus wirklich noch ein anderes?“
Sie verstand sofort, worauf Mario hinauswollte und grinste, während sie weiter in ihrer Klatschzeitung blickte.
„Geerbt, gekauft, wie das eben so geht.“
„Du meinst, du hast mehrere Häuser?“
„Kann sein.“ Frieda lächelte nur und wollte nicht darüber sprechen, auch sie hatte ihre Geheimnisse.
„Daher also deine Kenntnisse über das Grundbuchamt. Du bist ein richtiges Luder, das hätte ich dir nicht zugetraut.“
Diese Frieda! So eine durchtriebene Person! Nach außen hin tat sie so harmlos und in Wirklichkeit hatte sie es faustdick hinter den Ohren. Sie war also vermögend, das war ihm nun klar. Er freute sich für sie, denn zu viele alte Menschen hatten nicht viel oder gerade genug zum Leben. Das hatte er nicht nur auf dem Jakobsweg hautnah mitbekommen, sondern vor allem in Venezuela. Die große Armut in manchen Gegenden ging ihm an die Nieren.
Mittags nahmen sie das Essen im Bordrestaurant ein. Trotz der angenehmen Unterbrechung war Mario von der Zugfahrt genervt. Endlich waren sie in München angekommen, wo sie in den Zug nach Mühldorf umsteigen mussten. Während sich Marios Laune wegen der riesigen Menschenmassen auf dem Münchner Bahnhof immer mehr verschlechterte, war Frieda von den Eindrücken überwältigt. Sie plapperte ständig und zeigte in alle Richtungen. Dann stiegen sie in den Zug nach Mühldorf ein. Der war zwar leer, aber sehr dreckig. Sie mussten lange suchen, um einen einigermaßen sauberen Sitzplatz zu finden. Sie schwiegen die meiste Zeit und Frieda war kurz eingenickt. Mario war genervt und hatte genug von Zügen. Endlos zog sich die Strecke hin und er schwor sich, dass sie auf keinen Fall die Rückfahrt mit der Bahn vornehmen würden. Er musste Frieda davon überzeugen, dass ein Leihwagen die bessere Lösung war. Frieda schlief und er lehnte sich zurück. Er dachte an Conny. Wie es ihr wohl ging? Was sie jetzt gerade machte? Er vermisste sie und verdrängte die Erinnerungen an sie.
Endlich kamen sie in Mühldorf an und mussten abermals umsteigen; dieser Zug fuhr nun nach Altötting, dem Ziel ihrer Reise. Dieser Zug gab Mario echt den Rest, denn einen langsameren Bummelzug hatte er noch nicht erlebt. Zeitweise hatte er das Gefühl, dass die Fußgänger schneller waren als sie. Frieda war inzwischen auch genervt, denn sie nörgelte über die mangelnde Sauberkeit, zumal die Toilette nicht zu benutzen war, sie war defekt. Nach zwanzig Minuten Fahrt erreichten sie endlich kurz vor fünfzehn Uhr den Wallfahrtsort Altötting. Es war stark bewölkt und für die Zeit im Mai eigentlich viel zu kalt. Zum Glück kannte sich Frieda in Altötting gut aus, da sie bereits früher schon mehrere Male in Altötting war und daher wusste, dass es direkt am Kapellplatz ein schönes Hotel gab. Sie nahmen ein Taxi und fuhren die kurze Strecke direkt dorthin, denn Frieda wollte auf keinen Fall ihren schweren Koffer bis zum Hotel hinter sich herziehen. Er könnte beschmutzt oder gar ruiniert werden. Der Koffer war zwar alt, aber wenig benutzt. Außerdem hingen sehr viele Erinnerungen daran. Der Taxifahrer unterhielt sich während der nur fünfminütigen Fahrt angeregt mit den beiden. Frieda war überglücklich, dass ihr Zimmer einen direkten Blick auf den Kapellplatz und somit auf die Gnadenkapelle hatte. Mario interessierte der Blick aus seinem Zimmer herzlich wenig, er sah nicht einmal hinaus. Nachdem sie ihr Gepäck verstaut und sie sich etwas frisch gemacht hatten, gingen sie in einen gemütlichen Gasthof, der ihnen von dem Taxifahrer empfohlen wurde. Dort beratschlagten sie bei einem kühlen Weißbier und einer kleinen Brotzeit, wie sie nun vorgehen würden.
„Das Einfachste wäre das Telefonbuch, aber damit kommt man heute nicht mehr weit.“
„Auf die Idee bin ich auch schon gekommen. Vorhin im Foyer des Hotels habe ich im Internet nachgesehen. Nichts, kein Peter Friedrich in Altötting.“
„Schade. Einwohnermeldeamt?“
„Können wir versuchen, ist aber fraglich, ob wir da einfach so Auskunft bekommen.“
„Denke ich auch, aber wir haben noch die Schulen, die Mädchen müssen ja schließlich zur Schule.“
„Du glaubst, dass sie sich hier in Altötting aufhalten könnten?“
Frieda nickte nur. Über diese Möglichkeit hatten sie bisher nicht gesprochen, da sie dafür nicht den leisesten Hinweis hatten.
„Also gut, dann suchen wir nach diesem Peter Friedrich und auch nach der Familie Pini.“ Mario verschwieg, dass er nicht im Geringsten daran glaubte, dass sich seine Familie hier aufhielt. Warum auch? Sie hatten keinen Bezug zu Altötting, warum sollten sie hierherziehen? Er war davon überzeugt, dass sie weder diesen Friedrich noch die Pinis hier finden würden. Er war sich mittlerweile nicht einmal mehr sicher, ob er in den Unterlagen des Maklers richtig gelesen hatte. Aber das alles verschwieg er seiner neuen Freundin, die im Gegensatz zu ihm fest daran glaubte.
Frieda strahlte ihn an. Sie hatte sich eine Theorie zurechtgelegt und dachte nun, dass Mario ebenso wie sie daran glaubte. Oder war es Wunschdenken?
„Gut, wir gehen zunächst zum Einwohnermeldeamt, das ist hier gleich am Kapellplatz im Rathaus. Ich war hier früher einige Male auf der Toilette.“ Frieda kannte sich wirklich gut aus. Aber sie hatten Pech, das Amt hatte seit sechzehn Uhr geschlossen. Beide ärgerten sich darüber, denn wenn sie gleich nach dem Einchecken ins Hotel hierhergegangen wären, hätten sie es noch schaffen können. Stattdessen hatten sie wertvolle Zeit in dem Gasthof vertrödelt. Aber es half nichts, gleich morgen früh um acht öffnet das Amt wieder und dann konnten sie ihr Anliegen vorbringen. Er sah Frieda an, dass sie erschöpft war, und lud sie daher zu einem feudalen Abendessen im Hotelrestaurant ein. Frieda trank einen halben Liter Wein. Mario musste sie zu ihrem Zimmer begleiten, denn ihr Gang war nicht mehr der sicherste. Auch Mario hatte sich nach der heutigen Bahnfahrt zur Belohnung einen guten Wein gegönnt und war ebenfalls sehr müde.
Nach einer überraschend ruhigen Nacht, in der beide gut geschlafen hatten, trafen sie sich um sieben Uhr zum Frühstück und langten bei dem üppigen Angebot ordentlich zu. Wenn das mit dem Essen so weiterging, würde Mario enorm an Gewicht zulegen, denn er war anfällig dafür und hatte sich in den letzten Jahren vor allem Kuchen und Torten verkniffen. Damit tat er sich nun schwer, denn in Deutschland lockte an jeder Straßenecke die Versuchung mit den verführerischsten Leckereien. Frieda machte sich über ihr Gewicht keine Gedanken und aß alles, worauf es sie gelüstete. Das war nicht erst im Alter so, das hatte sie schon immer so gemacht. Sie war ein Genussmensch und ließ sich das von niemanden ausreden. Auch nicht von ihrem Arzt, der zwar mit ihren Blutwerten immer zufrieden war, sie aber vorsorglich stets warnte und zur Vorsicht mahnte.
Kurz vor acht standen beide vor dem Einwohnermeldeamt, das nur wenige Gehminuten von ihrem Hotel entfernt war. Die Tür wurde pünktlich aufgeschlossen.
Die Dame im Einwohnermeldeamt war zwar sehr zuvorkommend, aber einen Eintrag konnte sie nicht finden, weder für Peter Friedrich, noch für die Familie Pini. Schade, das hatte nichts gebracht.
Sie setzten sich am Kapellplatz auf eine Bank und sahen dem nun zunehmenden Treiben der Wallfahrer zu. Einige Personen waren ganz bestimmt mit Bussen angereist, denn sie kamen in größeren Gruppen. Andere hatten Wanderkleidung an und waren scheinbar tatsächlich zu Fuß nach Altötting gelaufen. Mario beobachtete einige Personen, die teilweise mit mehr oder weniger großen und schweren Holzkreuzen zu Fuß oder sogar auf den Knien durch den Rundgang der Gnadenkapelle liefen und dabei leise Gebete sprachen. Er war nicht nur davon fasziniert, sondern auch von den vielen Votivtafeln, die von Gläubigen aus den unterschiedlichsten Gründen dort angebracht wurden. Vor der relativ kleinen Gnadenkapelle, um die es hier an für sich ging, hatte sich bereits zu dieser frühen Stunde eine lange Schlange gebildet. Jeder wollte einen Blick auf die schwarze Madonna im Inneren werfen. Mario hatte in einer Infobroschüre des Einwohnermeldeamtes darüber gelesen und auch hier sah er überall Hinweise darauf. Aber das Ganze hier verstand er überhaupt nicht, obwohl er gläubiger Katholik war. Er wuchs in einer Ecke Baden-Württembergs auf, wo es so etwas bis heute nicht gab. Als er den Jakobsweg entlangging, war er selbstverständlich wie die anderen Touristen auch in einigen Kirchen gewesen, was wahrscheinlich die Atmosphäre ausmachte. Aber so etwas wie hier in Altötting hatte er doch noch nicht gesehen. Mario kramte in seiner Tasche, zog ein nagelneues Handy hervor, auf dem er herumtippte.
„Wo hast du das denn her?“
„Habe ich gestern in Reutlingen gekauft, es sollte heute im Laufe des Tages freigeschaltet werden. Wir brauchen dringend Internet, wir können nicht jede Kleinigkeit im Hotel nachsehen. Vor allem nicht, wenn wir unterwegs sind. Und dieses Ding hier kann einfach alles, schau mal her.“
Frieda lehnte energisch ab.
„Verschone mich mit den Details. Ich verstehe sowieso nur Bahnhof und habe überhaupt keinen Kopf dafür. Und wenn ich ehrlich bin, interessiert mich das absolut nicht. Ich bin zu alt für so einen technischen Quatsch.“
„Kann ich verstehen. Ich habe ein Prepaid-Handy für dich. Das habe ich am Reutlinger Bahnhof gekauft, während du auf der Toilette warst. Keine Angst, das ist nur zum Telefonieren, es funktioniert bereits. Meine Nummer ist eingespeichert und die Handhabung ist wirklich kinderleicht.“
„Und wofür brauche ich ein Handy? Ich habe noch nie eins besessen. Reicht es nicht, dass du eins hast?“
„Falls du mir verloren gehst, oder dir etwas passiert, einfach nur zu deiner Sicherheit. Gefällt es dir nicht?“
Und ob es Frieda gefiel. Es war schwarz mit einem großen Display und etwas größeren, weißen Tasten, womit sie sich leichter tat als mit diesen fitzelig kleinen Tasten. Das war ihr lieber als die Handys, die man mit den Fingern bedienen musste, wie sie es schon mal bei Laura gesehen und ausprobiert hatte. Sie hatte keine Geduld für solche Dinge und befand sich zu alt für diesen modernen Kram. Trotzdem war sie sehr stolz auf ihr erstes eigenes, funkelnagelneues Handy und drückte Mario einen dicken Schmatz auf die Backe. Es war lange her, dass sich jemand solche Gedanken und Sorgen um sie machte. Was das wohl gekostet hatte?
Marios Handy war noch nicht freigeschaltet und er ärgerte sich darüber, denn er brauchte dringend die Adressen der hiesigen Schulen. Die wollte er so schnell wie möglich abklappern und dann wieder nach Hause fahren. Die Suche in Altötting kostete nur unnötig viel Zeit, die er nicht hatte. Wo war seine Familie? Und wie konnte er sie finden?
Frieda war von Altötting überzeugt. Sie zog einen Prospekt aus der Manteltasche und reichte ihn Mario. Es war ein Faltprospekt der Stadt Altötting, den sie aus dem Aufsteller in der Hotellobby gezogen hatte. Überrascht blätterte Mario darin und fand eine Aufstellung aller Schulen. Offenbar war Frieda etwas schlauer als er, der sich tatsächlich nur auf die Technik verlassen hatte und nicht auf die einfachste Lösung kam. Laut der Broschüre gab es zwei Gymnasien und zwei Realschulen in Altötting.
Mario rief mit Friedas Handy alle vier Schulen an. Er gab sich als sein Onkel Giuseppe aus und teilte mit, dass er dringend eine seiner Töchter sprechen müsste. Doch trotz seiner schauspielerischen Leistung, von der sogar Frieda überrascht war, hatte er keinen Erfolg. In den Schulen gab es keine Schülerinnen mit den Namen Laura und Maria Pini. Mario war nicht besonders enttäuscht, er hatte bereits damit gerechnet.
„Lass uns das hier abbrechen und wieder abreisen. Das bringt doch alles nichts.“
„Das kommt überhaupt nicht in Frage! Wir suchen nach Peter Friedrich. Es wäre doch gelacht, wenn wir den nicht finden!“
„Und wie sollen wir das anstellen? Wir können doch nicht alle Straßen ablaufen und die Türschilder lesen, das dauert ja Wochen.“
„Natürlich laufen wir nicht alle Straßen ab, bist du verrückt? Wir gehen jetzt ein Stück spazieren und überlegen in Ruhe, wie es weitergeht. Jetzt lass den Kopf nicht hängen, das kriegen wir schon irgendwie hin.“
Sie diskutierten alle Möglichkeiten durch und verwarfen sie wieder. Sie stritten und vertrugen sich wieder. Das brachte nichts. Sie hatten nicht den Hauch einer Spur, der sie folgen konnten.
„Was hältst du von einem Privatdetektiv?“ Sie saßen schon eine halbe Stunde schweigend in einem netten Café direkt am Kapellplatz, tranken Cappuccini. Mario war mit seinem Handy beschäftigt und Frieda beobachtete die Passanten. Bereits seit dem Frühstück geisterte die Idee, einen Privatdetektiv zu engagieren, in Marios Kopf herum. Und nach den Erfahrungen und dem Engpass, in dem sie sich befanden, schien ihm das eine durchaus passable Möglichkeit.
„Du meinst wie im Fernsehen?“
„So ungefähr. Nachdem mein Handy nun endlich freigeschaltet ist, habe ich im Internet einen interessanten Eintrag einer Detektei Herbst in München gefunden. Was meinst du? Das kostet bestimmt ein Vermögen.“
Frieda las interessiert die Informationen und tat sich mit dem kleinen Display des Handys sehr schwer, verstand aber die Informationen der Homepage der Detektei und war begeistert.
„Über die Bezahlung mach dir keine Sorgen, das haben wir doch geklärt. Jetzt ruf an und dann werden wir schon sehen, was sie sagen. Los.“
Mario verließ den Tisch des Cafés, um von einer ruhigen Ecke aus zu telefonieren, denn schließlich mussten unbeteiligte Passanten den Inhalt des Gespräches nicht mitbekommen. Er war zwar auch hier nicht allein, aber das störte ihn jetzt nicht.
Ein freundlicher Mitarbeiter der Detektei begrüßte ihn und Mario schilderte ausführlich sein Anliegen.
„Wir suchen also nach einem Peter Friedrich, Altötting, und nach der Familie Pini. Genau geht es um Giuseppe, Melanie und den Kindern Laura und Maria.“ Er fragte nach den Geburtsdaten und Geburtsorten, ließ sich die genaue Anschrift in Pfullingen geben, sowie die Adressen der früheren Arbeitgeber und der Schule.
„Haben Sie bereits eine Übernachtungsmöglichkeit in Altötting?“
„Ja, wir sind seit gestern hier.“
„Ihr Hotel besitzt bestimmt ein Faxgerät, da benötige ich die Faxnummer. Sobald Sie die Nummer haben, melden Sie sich bei mir, damit wir die Formalitäten per Fax klären können. Wir brauchen zunächst einen verbindlichen Auftrag von Ihnen, beziehungsweise eine Unterschrift, bevor wir tätig werden können.“
„Alles klar, bis später.“
Mario legte zehn Euro auf den Tisch und zog Frieda mit sich. Rasch unterrichtete er sie über das Telefongespräch. Auf direktem Weg liefen sie zu ihrem Hotel.
„Junge Frau,“ rief Frieda in die Empfangshalle, „gibt es bei Ihnen ein Faxgerät und wie ist die Nummer?“ Alle umstehenden Personen sahen verstohlen zu den beiden rüber, was Frieda aber völlig egal war. Die Dame an der Rezeption reagierte nicht. Offensichtlich hatte sie sie nicht verstanden, denn sie war im Gespräch mit einem Gast vertieft, was aber Frieda ebenfalls nicht interessierte.
„Haben Sie ein Faxgerät und wie ist die Nummer?“, wiederholte Frieda ungehalten und diesmal lauter ihre Frage.
„Selbstverständlich haben wir ein Faxgerät.“
„Sehr schön. Und wo befindet sich dieses Gerät und wie ist die Nummer?“
„Hier hinten im Büro. Wenn Sie etwas zu versenden haben, können Sie das selbstverständlich jederzeit gerne tun. Hier ist eine Informationsbroschüre über unser Haus, in der auch die Faxnummer ersichtlich ist.“
Leo Schwartz war den beiden bis nach Altötting gefolgt. Zunächst konnte er es nicht fassen, dass die beiden mit dem Zug fahren wollten. Er stand in Friedas Nähe und erfuhr schließlich, dass das Ziel Altötting war. Was wollten die beiden in Altötting? Wie sollte er reagieren? Da die Zeit drängte, holte er sich ein Ticket und stieg ebenfalls in den Zug ein. Er setzte sich so, dass er die beiden immer im Blick hatte. Leo entschied, seinen Vorgesetzten zu informieren. In Stuttgart wollte er nicht anrufen. Es reichte aus, wenn Zeitler Bescheid wusste.
„Was suchen die beiden dort?“
„Keine Ahnung. Ich brauche in Altötting einen Leihwagen. Können Sie das organisieren?“
„Selbstverständlich. Der Wagen wird am Bahnhof für Sie bereitstehen. Was ist mit einer Unterkunft?“
„Darum kümmere ich mich selbst. Ich weiß noch nicht, wo die beiden absteigen werden und werde spontan entscheiden.“
„Gut. Halten Sie mich auf dem Laufenden.“ Nachdem der 56-jährige Michael Zeitler einen Leihwagen organisiert hatte, informierte er seinen Stuttgarter Kollegen Bösel. Der war aufgebracht, weil Leo ihn nicht kontaktiert hatte und weil er seinen Ulmer Vorgesetzten ins Vertrauen gezogen hatte. Hatte er Schwartz gegenüber nicht deutlich gemacht, dass er die Klappe halten sollte?
„Zwischen meinen Mitarbeitern und mir gab es noch nie Heimlichkeiten. Ich habe Schwartz quasi das Messer auf die Brust gesetzt, damit er mir die Wahrheit sagt. Ihn trifft keine Schuld,“ log Zeitler. Wie sonst sollte er sich erklären, als mit dieser Notlüge. „Haben Sie ein Problem damit, dass ich eingeweiht bin? Misstrauen Sie mir?“
„Natürlich nicht. Schwartz ist also in Altötting. Warum, interessiert mich nicht. Ich hoffe nur, dass er Knoblich schnell findet. Nur durch ihn kommen wir an das Geld. Sie können sich nicht vorstellen, unter welchem Druck ich stehe. Dr. Biedermann erkundigt sich in regelmäßigen Abständen nach dem aktuellen Ermittlungsstand und geht mir gehörig auf die Nerven.“
„Weisen Sie den Mann zurecht. Sie brauchen sich doch in Ihrer Position nicht unter Druck setzen lassen.“
„Sie haben gut reden! Dr. Biedermann ist mit dem Staatsanwalt befreundet.“
Jetzt verstand Zeitler. Bösel bekam von allen Seiten Druck. Er war nicht zu beneiden.
Endlich war der Zug in Altötting angekommen und Leo war erleichtert. Er hasste Bahnfahrten und vermied sie in den letzten Jahren erfolgreich. Aber diesmal blieb ihm nichts Anderes übrig. Er hatte versucht, im Zugbistro Gesprächsfetzen der beiden aufzuschnappen, was ihm nicht gelang. Leo war gespannt, was die beiden in Altötting vorhatten.
Der Leihwagen stand parat und Leo sah zu, wie Mario Pini und Frieda Votteler in ein Taxi stiegen. Er folgte ihnen und parkte auf dem Hotelparkplatz. Nachdem die beiden eingecheckt hatten, nahm auch er ein Zimmer. Er folgte ihnen in die Gaststätte, beobachtete sie beim Abendessen im Hotel und saß in ihrer Nähe, als sie am nächsten Tag sehr früh das Frühstück einnahmen. Im Einwohnermeldeamt fragten sie nach einem Peter Friedrich, das hatte Leo deutlich gehört. Wer war der Mann? Die Frage nach der Familie Pini war für ihn einleuchtend. Aber warum vermuteten die beiden die Familie hier in Altötting? Er musste unbedingt mehr herausfinden und blieb ihnen dicht auf den Fersen. Er saß am Nebentisch des Cafés, als sich die beiden über einen Detektiv unterhielten. Dann fiel der Name Herbst in München. Jetzt musste er schnell reagieren, denn Mario Pini hatte sich bereits für eine Kontaktaufnahme mit der Detektei entschieden und zog sich zurück. Als Mario Pini wieder am Tisch saß, musste er schnell handeln. Er ging zu seinem Wagen, um ungestört telefonieren zu können. Das Gespräch war nicht leicht, denn der Detektiv Herbst war ein harter Brocken.
„Sie bekommen von der Stuttgarter Polizei eine entsprechende Anweisung, in diesem Fall nichts zu unternehmen. Sollten Sie sich dem widersetzen, bekommen Sie ernste Schwierigkeiten. Sie gehen jetzt folgendermaßen vor: Sie senden den Vertrag wie immer, allerdings ändern Sie die Handynummer, die ich Ihnen nennen werde. Bestehen Sie darauf, dass ab sofort nur doch diese Handynummer gilt. Dann überlassen Sie die Sache mir. Sollte sich Herr Pini oder Frau Votteler bei Ihnen melden, wimmeln Sie die beiden ab und rufen mich an. Können wir uns darauf einigen?“
„Verdammte Polizeiarbeit!“, fluchte Herbst. „Ihnen ist klar, dass ich wegen Ihnen eine Menge verliere?“
„Dafür erspare ich Ihnen jede Menge Ärger. Wenn Sie wüssten, was hinter dem Ganzen steckt, wären Sie mir dankbar dafür, dass ich Ihnen die Sache abnehme.“
„So schlimm?“
„Ja.“ Leo nannte ihm seine Handynummer, die Herbst in das Formular eintrug.
Dann klingelte es auf Herbsts zweiter Telefonleitung.
„Das wird Mario Pini sein. Sie wissen, was zu tun ist.“
Mario wählte erneut die Nummer des Detektivs. Er gab ihm die Fax-Nummer des Hotels an.
„Ich habe für Ihren Fall eine Handynummer eingerichtet, über die wir beide ab sofort kommunizieren.“
„Eine neue Handynummer?“ Mario war irritiert. War das so üblich? Er wusste es nicht, war aber trotzdem verwundert. „Wie ist die Nummer?“
„Die steht auf dem Vertrag,“ sagte Herbst und Mario war beruhigt.
Wenige Minuten später bekam er ein Fax von der Empfangsdame überreicht, das er durchlas, unterzeichnete und sofort wieder zurückschickte. Die Empfangsdame war sehr diskret und äußerst behilflich. Marios Handy klingelte und der Detektiv bestätigte den Eingang des Auftrages, er würde sich wieder bei ihm melden.
Leo rief Zeitler an und schilderte ihm, was er mit dem Detektiv ausgehandelt hat.
„Ich werde herausfinden, was es mit diesem Peter Friedrich auf sich hat. Nur zu Ihrer Information: Ich habe Bösel davon unterrichtet, dass ich informiert bin und Ihnen helfe,“ sagte Zeitler.
„War er sehr sauer?“
„Hielt sich in Grenzen. Wie wollen Sie Herrn Pini und Frau Votteler gegenübertreten? Als Polizist oder als Detektiv?“
„Das entscheide ich, wenn es so weit ist.“
„Gut. Halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich kümmere mich um diesen Peter Friedrich.“
Den ganzen Tag über behielt Mario sein Handy immer im Blick, damit er keinen Anruf versäumte. Am späten Nachmittag saß er abermals zusammen mit Frieda auf einer Bank am Kapellplatz. Er brauchte dringend frische Luft, nachdem er fast den ganzen Tag in seinem Hotelzimmer auf einen Anruf wartend verbracht hatte. Er wollte auch Frieda nicht allein lassen, die ungeduldig beinahe minütlich bei ihm nachfragte, ob es etwas Neues gab.
„Hat sich der Detektiv denn immer noch nicht gemeldet? Die haben doch Möglichkeiten, Informationen zu beschaffen, da würden wir nie drankommen. Bestimmt haben die Informanten in sämtlichen Behörden sitzen. Meinst du, die zahlen auch Schmiergelder oder verwanzen Telefone oder sogar ganze Zimmer?“
„Nein, er hat sich noch nicht gemeldet. Und ich denke, dass du zu viele Krimis gesehen hast, du hast echt eine blühende Phantasie.“
Mario musste lachen, denn er hatte sich fast die gleichen Gedanken gemacht.
„Wie heißt denn dieser Detektiv nochmal?“
„Ich habe keine Ahnung, ich habe nicht darauf geachtet. Ich nehme an, dass es sich um den Inhaber Herrn Herbst handelt.“ Hatte der Detektiv überhaupt seinen Namen genannt? Er befand den Namen auch nicht für wichtig und nahm sich aber vor, dass er den Detektiv beim nächsten Telefonat unbedingt danach fragen musste.
Mario dachte darüber nach, dass das alles hier sehr aufregend war und absolut nichts mit seinem beschaulichen Leben in Venezuela zu tun hatte, wo er jetzt um diese Uhrzeit wahrscheinlich auf der Veranda sitzen und kalten Wein trinken würde. Es war alles so unwirklich. Und gerade jetzt, da er hier auf der Bank in dem umtriebigen Altötting saß und die Menschen beobachtete, hatte er das Gefühl, jeden Moment aufzuwachen und festzustellen, dass das alles nur ein böser Traum war. Aber leider war das kein Traum und es war etwas passiert, das außerhalb seiner Vorstellungskraft lag: Seine Familie war verschwunden. Sein Onkel Giuseppe und dessen Familie waren das Einzige in seinem Leben, das immer Bestand hatte und auf die er sich immer verlassen konnte. Dass dies einmal nicht mehr so sein würde, wollte er auf keinen Fall akzeptieren und er schwor sich, dass er die Suche niemals aufgeben würde. Er sah Frieda an, die mit Interesse und Lebensfreude die Menschen um sich herum beobachtete, wobei sie die eine oder andere unqualifizierte Bemerkung machte und herzlich darüber lachte. Er musste zugeben, dass er sehr glücklich darüber war, dass sie ihm zur Seite stand und er das nicht allein durchstehen musste. Sie gab ihm Halt und er war sicher, dass diese warmherzige, gutmütige und überaus temperamentvolle Frau spürte, dass er sie brauchte; beinahe mehr als umgekehrt. Es war richtig gewesen, sie mitzunehmen.
Mario hatte eine unruhige Nacht hinter sich, denn die Detektei hatte sich noch nicht bei ihm gemeldet. Sie saßen in Altötting fest und hatten keine Ahnung, wie es weitergehen sollte. Frieda war beim Frühstück wie immer sehr fröhlich und riss ihn aus seinen Gedanken.
Sie gingen spazieren, tranken Kaffee und besichtigten auf Friedas Drängen eine Basilika, bis endlich das Handy klingelte. Mitten in der Basilika! Die anderen Besucher schüttelten verständnislos über diese Rücksichtslosigkeit den Kopf, ein Handy hatte in einem Gotteshaus nichts verloren. Mario war das völlig egal und nahm den ersehnten Anruf natürlich sofort entgegen. Ein Besucher machte eine abfällige Bemerkung über Handys in Kirchengebäuden, worauf Frieda sofort mit lauter Stimme erwiderte:
„Zeigen Sie mir die Bibelstelle, wo steht, dass man in einer Kirche nicht telefonieren darf!“
Der Mann war entsetzt, ebenso wie andere Besucher. Einige mussten herzhaft lachen.
„Das macht man einfach nicht, das gehört sich nicht. Man telefoniert nicht in einer Kirche, das gebietet der Anstand.“ Der Mann versuchte, vor seiner Frau nicht klein beizugeben und seine Meinung zu untermauern.
„Sie sprechen doch auch ständig mit ihrer Frau, wo ist denn da der Unterschied? Ob ich mit einer anderen Person oder am Telefon spreche, ist doch der Kirche völlig egal.“ Frieda war laut geworden und der Mann verstand, dass er gegen sie keine Chance hatte. Sie würde auf keinen Fall klein beigeben und er zog daher seine nörgelnde Frau einfach mit sich. Frieda ging Mario hinterher, der vor die Basilika getreten war, um ungestört telefonieren zu können, denn die Unterhaltung zwischen den beiden in der Basilika war einfach zu laut.
Zeitler bekam endlich eine Information über einen Peter Friedrich in Altötting.
„Ich habe die Adresse des Mannes endlich herausgefunden. Allerdings gibt es sonst nichts über den Mann. Die Kriminalpolizei München ist an ihm dran und beobachtet ihn. Den Grund dafür habe ich noch nicht herausbekommen. Meine Quelle ist momentan nicht erreichbar. Aber ich bleibe an der Sache dran und finde den Grund schon noch heraus. Mit Friedrich stimmt etwas nicht, seien Sie vorsichtig,“ sagte Zeitler.
„Die Kriminalpolizei? Das ist allerdings interessant.“
„Wie gesagt, seien Sie vorsichtig und passen Sie auf Pini und Frau Votteler auf.“
„Ich sehe mir diesen Friedrich an,“ sagte Leo, dem das nicht gefiel. Zeitler hatte sehr gute Informationen und brauchte sehr lange, um dann nur die Adresse des Mannes herauszufinden. Und selbst das war nur Zufall. Und warum interessierte sich die Kriminalpolizei München für Friedrich? „Ich werde versuchen, Mario Pini davon abzuhalten, den Mann allein aufzusuchen.“
„Viel Glück.“
Jetzt galt es, Mario Pini die Adresse weiterzugeben und ihn davon abzuhalten, dort allein hinzugehen. Vielleicht konnte er ihn davon überzeugen, dass er ihn begleitete?
„Bezüglich Peter Friedrich habe ich eine positive Information für Sie, den konnten wir ausfindig machen.“ Mit zitternden Händen notierte Mario die Adresse, er hatte sich extra einen Stift und Papier besorgt. „An diesem Friedrich ist einiges nicht ganz schlüssig und ich würde Ihnen empfehlen, dass einer unserer Mitarbeiter Sie zu der Adresse begleitet, denn die Sache ist nicht ganz astrein.“
„Ich verstehe nicht, was Sie meinen.“
„Mein Bauchgefühl sagt mir, dass mit diesem Friedrich etwas nicht stimmt. Außer der Adresse haben wir nichts über den Mann herausfinden können. Gehen Sie dort nicht alleine hin und nehmen Sie sich professionelle Unterstützung mit, nur zu Ihrer eigenen Sicherheit. Letztendlich ist das natürlich Ihre Entscheidung, ich kann Ihnen nur dazu raten.“ Leo sprach mit Engelszungen und versuchte, ihn zu überzeugen. Wer war dieser Friedrich? Am liebsten wäre ihm gewesen, ihn dorthin zu begleiten, aber er konnte ihn nicht dazu zwingen.
Mario verstand immer noch nicht und wischte die Bedenken beiseite. Was sollte denn groß passieren?
„Danke, das muss nicht sein,“ lehnte er das Angebot ab. „Was haben Sie über die Familie Pini herausbekommen?“
„Diesbezüglich gestaltet sich die Suche sehr schwierig, aber wir bleiben weiter an der Sache dran.“ Leo verschwieg, dass er keinerlei Aussicht sah, die Familie überhaupt zu finden. Jeder Ansatzpunkt, den die Polizei hatte, lief absolut ins Leere, als ob es die Familie ab einem bestimmten Punkt nicht mehr gegeben hätte. Er hatte hier bereits eine Vermutung, die er Mario verschwieg. Auch Zeitler hatte nichts gefunden. Einige Ansatzmöglichkeiten wollte er noch ausschöpfen, aber auch er hatte keine großen Hoffnungen.
Mario informierte Frieda, die zwar neben ihm stand, aber nichts mitbekommen hatte. Er verschwieg ihr die Bedenken des vermeintlichen Detektivs, die er als Geldmacherei und Wichtigtuerei abtat. Natürlich wollten beide auf dem schnellsten Weg zu dieser Adresse und fanden eine Straße weiter ein Taxi, das sie umgehend zu dem gewünschten Ziel fuhr.
Leo Schwartz folgte ihnen. Es war ihm klar, dass die beiden so schnell wie möglich zu Peter Friedrich wollten, er an ihrer Stelle hätte das auch getan. Leo war gespannt darauf, was ihn dort erwartete. Er wusste nur, dass die Kriminalpolizei den Kerl im Visier hatte und dass Friedrich beobachtet wurde. Was sollte das?
Die Straße befand sich in einer schönen Wohngegend mit schmucken Einfamilienhäusern am Rande von Altötting. Auch das Haus, vor dem sie standen, war sehr hübsch und sehr gepflegt. Zwar etwas steril, aber durchaus ansprechend. Sie waren sich nicht sicher, ob sie hier richtig waren, da sich weder auf dem Klingelschild, noch auf dem Briefkasten ein Name befand. Aber die Hausnummer, die der Detektiv genannt hatte, stimmte. Mario klingelte mehrfach.
„Schau doch, der Vorhang bewegt sich,“ rief Frieda und zeigte auf das Fenster im ersten Stock. Mario klingelte abermals, aber niemand öffnete. Ein Wagen hielt auf der Straße. Ein Mann trat auf sie zu und zog beide zur Seite.
„Was machen Sie hier?“
„Das geht doch Sie nichts an,“ rief Frieda ungehalten. So etwas hatte sie noch nie erlebt! Mario war völlig sprachlos und durch das Auftreten eingeschüchtert.
„Was machen Sie hier?“, wiederholte der Mann ruhig seine Frage, immer den Blick abwechselnd auf Mario und die Straße gerichtet. Er zog seinen Ausweis aus der Tasche. Kriminalpolizei.
„Wir suchen Peter Friedrich.“
„Warum?“
„Das geht doch Sie nichts an. Mario, sag ihm, dass wir nichts Ungesetzliches machen. Lass dir diese Behandlung nicht gefallen.“ Frieda war sehr aufgeregt.
Der Polizist reagierte nicht auf Friedas Bemerkung und sah Mario fragend an.
„Wir wollten ihn lediglich etwas fragen, weiter nichts.“ Mario war die Situation sehr unangenehm und er beschloss, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden. Frieda wollte etwas sagen. Mario bremste sie, indem er sich bei dem Mann entschuldigte und Frieda hinter sich herzog. Sie gingen einfach drauf los und Mario wagte nicht einmal, sich umzublicken, während Frieda ohne Unterbrechung schimpfte.
„Was sollte das eben? Warum hast du dir das gefallen lassen? Das ist doch eine Unverschämtheit.“ Frieda hatte sich in Rage geredet und Mario ging einfach stumm weiter, bis er sich nach mehreren Straßen in Sicherheit wähnte.
„Jetzt sei doch mal still, Frieda, und beruhige dich. Ich habe doch keine Ahnung was hier los ist, aber das eben war nicht normal. Der Detektiv, mit dem ich telefoniert habe, hatte angedeutet, dass dieser Friedrich nicht ganz astrein ist, aber ich hab das nicht ernst genommen. Ich warte bis es dunkel ist, und dann beobachte ich das Haus. Ich möchte wissen, was hier los ist. Aber jetzt machen wir, dass wir hier wegkommen, ich hätte mir vor Angst fast in die Hosen gemacht.“
„Jetzt stell dich doch nicht so an, es ist doch nichts passiert. Und heute Abend komme ich mit, das machst du nicht alleine.“ Frieda war zu allem entschlossen und immer noch sehr aufgeregt.
„Auf keinen Fall, zu zweit fallen wir doch auf. Und darüber lasse ich nicht mit mir reden. Das ist nichts für dich. Und jetzt keine Widerrede, du musst nicht überall dabei sein.“
Frieda wollte protestieren, sah aber ein, dass eine einzelne Person weniger Aufmerksamkeit erregen würde, und gab klein bei. Die Straße lag relativ offen. Sich zu zweit verstecken wäre ziemlich aussichtslos. Wenn sie ehrlich war, hatte sie auch keine Lust darauf, sich hinter Büschen, Bäumen oder sonst was zu verstecken, vor allem nicht mit ihren Hüftproblemen. Schweigend gingen sie die letzten Straßen zurück zum Hotel.
Leo hatte alles mit angesehen und war den beiden abermals gefolgt. Trotz des einschüchternden Auftretens des Kollegen war er sich sicher, dass die beiden die Suche nach der Familie Pini nicht aufgeben würden. Er rief seinen Vorgesetzten an.
„Haben Sie herausbekommen, warum die Kripo diesen Friedrich beschattet?“
„Nein. Die Münchner Kollegen mauern. Ich kenne den dortigen Chef recht gut, aber der ist heute nicht im Haus. Ich hoffe, dass ich morgen mehr erfahren werde.“
„Informieren Sie mich, sobald Sie etwas wissen. Vielleicht läuft mit diesem Friedrich eine ganz krumme Geschichte, die nichts mit unserem Fall zu tun hat. Das wäre schlecht, denn dann sind wir völlig auf dem Holzweg und vergeuden nur Zeit. Aber warum sind dann Mario Pini und Frau Votteler hinter ihm her? Wie sind sie auf ihn gekommen?“
„Das finden wir heraus. Bleiben Sie den beiden auf den Fersen.“ Zeitler war sauer, denn sonst funktionierten seine Kontakte besser. Warum musste der Münchner Kollege gerade heute außer Haus sein?
„Herr Pini?“, sprach sie eine Person in dunklem Anzug am Eingang des Hotels an.
„Ja?“
„Ich möchte Sie bitten, sofort wieder abzureisen.“
„Und warum sollte ich das tun?“
Der Mann antwortete nicht auf die Frage, sondern zeigte nur seinen Ausweis. Kriminalpolizei. Schon wieder die Kriminalpolizei? Was war hier eigentlich los?
„Sie waren heute am Haus von Peter Friedrich? Wie sind Sie auf ihn gekommen und was wollten Sie von ihm?“
Mario nahm seinen ganzen Mut zusammen, denn die Situation hier war fast wie in einem Krimi, unheimlich und spannungsgeladen. Inständig hoffte er, dass Frieda ihren Mund hielt und sich nicht wieder einmischte.
„Das ist allein unsere Angelegenheit und geht die Kriminalpolizei überhaupt nichts an. Woher kennen Sie eigentlich meinen Namen? Und woher wissen Sie, dass wir hier in diesem Hotel abgestiegen sind?“ Mario bemühte sich, ruhig zu sprechen und sich seine Angst nicht anmerken zu lassen.
Der Polizist lachte süffisant.
„Sie sind hier im Hotel registriert, halten Sie die Polizei bitte nicht für blöd.“
„Was ist an Peter Friedrich so interessant? Wird er überwacht oder suchen Sie nach ihm?“
Wieder dieses blöde, überhebliche Grinsen.
„Ich wiederhole: Was wollen Sie von Peter Friedrich und wie haben Sie ihn gefunden?“
Mario wurde nervös. Was sollte er dem Mann sagen? Er konnte die Situation überhaupt nicht einschätzen und wollte unter keinen Umständen einen Fehler begehen. Frieda war zum Glück erstaunlich ruhig und suchte hinter seinem Rücken Schutz. Er überlegte verzweifelt, was er sagen sollte, schwitzte stark und zitterte am ganzen Körper. In dem Moment fuhr ein Taxi fast direkt neben sie und brachte neue Gäste. Der Taxifahrer öffnete den Kofferraum und lud mehrere Koffer aus. Drei ältere Personen, von denen zwei am Stock gingen, stiegen aus dem Taxi und gingen direkt an ihnen vorbei.
„Darf ich Ihnen helfen?“ Mario schnappte sich einen Koffer, nahm Frieda an die andere Hand und zog sie einfach mit sich. Der Taxifahrer war sehr erfreut über die unvermittelte Hilfe und unterhielt sich mit Mario, während die ganze Gruppe ins Hotel ging. Der Polizist blieb draußen fluchend zurück.
Nachdem ihm überschwänglich für seine Hilfe gedankt wurde, zog er Frieda weiter mit sich zu einem Nebenausgang des Hotels und sie liefen planlos kreuz und quer durch Altötting, bis sie sich sicher waren, dass sie nicht verfolgt wurden.
„Was ist hier eigentlich los? Was wollte der Polizist von uns?“ Frieda war völlig außer Atem und er setzte sie auf eine Mauer vor einem Einfamilienhaus, damit sie sich etwas ausruhen konnte. Nicht ohne vorher seine Jacke unterzulegen, damit sie sich nicht erkältet.
„Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht. Aber ganz sauber ist die Sache nicht, sonst wäre uns der Typ ins Hotel gefolgt, hätte uns dort vernommen oder uns mitgenommen. Aber das hat er nicht gemacht.“
Mario nahm sein Handy, wählte die Nummer des Detektivs und schilderte das, was vor Friedrichs Haus und vor dem Hotel passiert ist.
Natürlich hatte Leo alles mit angesehen und konnte das Vorgehen des Kollegen auch nicht nachvollziehen. Die Sache stank gewaltig. Er konnte die beiden nicht einfach sich selbst überlassen. Er musste Mario irgendwie überzeugen, dass er Hilfe brauchte, und zwar seine.
„Die Kriminalpolizei? Was wollte die von Ihnen?“
„Das weiß ich nicht. Der Mann sagte, ich solle wieder abreisen. Ich konnte ihm entkommen und bin mit meiner Begleitung mitten in Altötting. Was soll ich jetzt tun?“
Mario Pini klang verzweifelt und Leo bekam Mitleid mit ihm. Ja, er konnte nachvollziehen, dass der Mann Angst hatte. Noch wusste er nicht, was die Kriminalpolizei von ihm wollte und was sie mit dem ihm unbekannten Peter Friedrich zu tun hat. Eins war klar: Mario Pini und Frieda Votteler durften nicht in ihr Hotel zurück. Dort wartete ganz sicher die Polizei auf sie. Und solange er nicht wusste, was die wollten, musste er die beiden in Sicherheit bringen.
„Gehen Sie auf keinen Fall in Ihr Hotel zurück, die Polizei wartet dort auf sie, darauf können Sie sich verlassen. Es ist jetzt neunzehn Uhr, das ist noch zu früh.“
„Was reden Sie da? Wofür ist es zu früh?“ Mario verstand kein Wort.
„Hören Sie mit bitte zu und tun Sie genau das, was ich Ihnen sage. Sie müssen sich um eine andere Unterkunft bemühen. Suchen Sie sich am besten einen kleinen Gasthof. Wenn Sie sich nach einundzwanzig Uhr dort einmieten, gehen die Meldedaten erst morgen raus, dann wären Sie in der kommenden Nacht sicher. Bitte kein Hotel!“
„Ich kenne mich in Altötting nicht aus. Wie soll ich hier einen Gasthof finden?“ Mario wurde beinahe hysterisch.
„Bleiben Sie ruhig. Es ist besser, Sie verlassen Altötting. Fahren Sie in einen Nachbarort, vielleicht Burghausen oder Mühldorf. Nehmen Sie auf keinen Fall ein Taxi, das kriegt die Polizei schnell raus. Nehmen Sie die Bahn oder den Bus.“
„Gut, das werden wir machen,“ sagte Mario, der langsam verstand, dass er und Frieda in Gefahr sein könnten. Das Warum verstand er zwar nicht, aber das würde sich später klären lassen.
„Verfügen Sie über genug Bargeld?“
„Bargeld haben wir genug, das ist kein Problem.“
„Achten Sie darauf, dass Sie weder eine Kreditkarte, noch eine EC-Karte verwenden. Gehen Sie zum Bahnhof oder zu einer Bushaltestelle und fahren Sie los. Versuchen Sie, sich so normal wie möglich zu bewegen.“
„Gut.“
„Ich möchte Sie bitten, dass Sie sich ein neues Handy besorgen, das nicht auf Ihren Namen registriert ist. Ihr Handy können Sie vergessen. Wenn es die Polizei auf Sie abgesehen hat, hat sie spätestens morgen nicht nur die Nummer, sondern hat sie auch geortet und weiß, wo sie sich aufhalten. Also, Handy ausschalten oder gleich wegwerfen.“
„Und wie soll ich mir ein Handy besorgen?“
Leo hatte längst bemerkt, dass er es mit einem völlig ahnungslosen, verängstigten und unbescholtenen Typen zu tun hatte. Er musste behutsam vorgehen und viel Geduld aufbringen.
„Da kann ich Ihnen leider nicht helfen, das müssen Sie irgendwie hinkriegen.“
„Was sollen wir machen, wenn wir ein Zimmer gefunden haben?“
„Dann rufen Sie mich an und geben mir die Adresse durch. Ich werde zusehen, dass ich so schnell wie möglich zu Ihnen komme,“ sagte Leo geduldig. Natürlich wäre es einfach gewesen, die beiden einfach in seinen Wagen zu laden und mit ihnen davonzufahren. Aber dadurch würde er seine Tarnung auffliegen lassen und musste sich als Polizist outen. Der ganze Fall musste geheim ablaufen, das hatte er Bösel versprochen. Es war schon vermessen, Zeitler einfach die Wahrheit zu sagen. Nein, es war besser, sich weiterhin als Detektiv auszugeben und als solcher auch aufzutreten.
Frieda hörte dem Telefonat zu, verstand aber kein Wort.
„Der Detektiv denkt auch, dass wir in Gefahr sind. Wir dürfen auf keinen Fall zurück ins Hotel. Wir sollen aus Altötting raus und uns irgendwo in einem Nachbarort in einem Gasthof ein Zimmer nehmen,“ erklärte Mario Frieda, die ihn fragend anstarrte. „Der Detektiv kommt und hilft uns.“
„Gott sei Dank!“, sagte Frieda erleichtert.
„Vorher müssen wir das Handy entsorgen und ein anderes besorgen. Ich weiß nicht, wie ich das anstellen soll.“
„Du meinst, wie auf dem Schwarzmarkt nach dem Krieg?“
„So in etwa.“
„Gut. Dort hinten ist ein Mülleimer, wirf dein Handy dort rein. Was ist mit meinem?“
„Das läuft auch auf meinem Namen. Zur Sicherheit werfen wir das auch weg.“
Frieda musste sich nach so kurzer Zeit schon wieder von ihrem Handy trennen, das tat ihr sehr weh. Aber die Sicherheit ging vor. Sie griff in ihre Handtasche und übergab es Mario.
„Gehen wir irgendwo hin, wo junge Leute sind. Dort können wir ganz sicher ein Handy besorgen.“
„Wie stellst du dir das vor? Denkst du, wir spazieren einfach zu irgendjemand hin und fragen ihn, ob er uns sein Handy verkauft?“
„So in etwa, ja.“ Frieda war enttäuscht. Mario war zwar ein netter, freundlicher Kerl, aber viel zu weich für diese Welt.
Mario war total überfordert und trottete ihr hinterher. Die Handys warf er in den nächsten Abfalleimer, dieser Punkt war leicht. Alles, was jetzt kam, war sehr viel schwerer. Wie sollten sie jemanden finden, der gewillt war, sein Handy zu verkaufen?
Nach einer halben Stunde entdeckten sie mehrere junge Leute rauchend vor einem Lokal. Die beiden stellten sich dazu und Mario war so aufgeregt, dass er kein Wort rausbrachte. Krampfhaft überlegte er, wie er am besten vorgehen sollte, und legte sich die schönsten Geschichten in Gedanken zurecht. Frieda spürte Marios Unfähigkeit und beschloss, die Initiative zu ergreifen.
„Würde uns jemand ein Handy verkaufen?“, fragte Frieda in die Runde. „Unseres wurde leider gestohlen. Wir zahlen gut.“
Mario war geschockt über die direkte Art und auch sehr verwundert über die Reaktion der jungen Leute, die positiv reagierten.
„Ich habe eines, das ich verkaufen würde, kommt aber auf den Preis an.“
„Wir suchen eins, mit dem man das Internet nutzen kann, über den Preis werden wir uns sicher einig.“ Der junge Mann, Frieda und Mario traten einen Schritt zur Seite, um ungestört verhandeln zu können.
„Internet können doch heute alle.“ Er sah Frieda lächelnd an. „Ich denke mal, ihr sucht eins mit einer Prepaid-Karte?“
Frieda sah Mario fragend an, der sofort zustimmend nickte. Von solchen Dingen hatte sie keine Ahnung.
„Genau das suchen wir.“
Der junge Mann reichte ihr das Handy, das augenscheinlich in Ordnung war.
„Und das funktioniert auch?“
„Sicher, Ehrenwort. Ich wollte mir sowieso ein neues kaufen. Ich verlange, sagen wir 150 Euro? Interesse?“
„Ich gebe Ihnen 200 Euro, wenn das Ganze unter uns bleibt. Und wenn jemand fragen sollte, haben Sie es verloren. Einverstanden?“
„Einverstanden.“ Er notierte eine Nummer auf einer leeren Zigarettenschachtel, die auf dem Tisch lag. „Das ist Ihre neue Handynummer. Bitte löschen Sie alle Nummern und SMS, ich verlass mich drauf.“
„Geht in Ordnung. Und zu niemandem ein Wort.“
Sie übergaben das Geld und gingen davon. Das Ganze hatte keine zehn Minuten gedauert.
„Du warst einfach wunderbar. Woher kannst du so etwas? Ich habe mir vor Angst fast in die Hosen gemacht.“
„Du vergisst, dass ich 1944 geboren bin. Die Zeit damals war nicht einfach, man hatte fast nichts. Nach der Flucht aus Ostpreußen landeten wir nach einigen Zwischenstationen schließlich in einem Flüchtlingslager auf der Schwäbischen Alb. Da bin ich praktisch aufgewachsen. Damals galt: Fressen oder gefressen werden. Ich habe mich für ersteres entschieden. Mein Vater war nach dem Krieg lange in russischer Gefangenschaft, er wurde erst mit der letzten Welle 1955 entlassen. Seine Hilfe konnten wir vergessen. Meine Mutter konnte leider mit den Essensrationen und dem Geld nicht umgehen, da musste ich einspringen und habe alles organisiert, was wir zum Leben brauchten. Ich war Anfang der fünfziger Jahre zwar noch ziemlich jung, acht oder neun Jahre alt. Trotzdem brachte ich es fertig, Essen, Kleidung, Medikamente und Brennholz zu organisieren und ich kann behaupten, dass ich gar nicht mal so schlecht darin war.“
„Unvorstellbar, was du früher als Kind leisten musstest. Das kann man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen.“
„Wenn ich damals so gezögert hätte wie du, wären wir jämmerlich untergegangen. Du musst unbedingt an deinem Selbstbewusstsein arbeiten und dir mehr zutrauen, mit dieser unterwürfigen und vorsichtigen Einstellung wirst du nicht weit kommen. Bitte reiß dich künftig zusammen. Hier geht es zum Bahnhof. Es ist besser, wir beeilen uns. Ich befürchte, dass in dem Kaff so spät keine Bahn mehr fährt. Ich könnte Gift darauf nehmen, dass der Linienbusverkehr für heute bereits eingestellt wurde.“ Mit dieser Annahme lag sie absolut richtig, Busse fuhren heute keine mehr.
Mario konnte mit ihrem energischen Schritt kaum mithalten. Sie sprachen nicht miteinander. Er musste daran denken, was Frieda zu ihm gesagt hatte. Sie hatte ja Recht, er war tatsächlich ängstlich und sehr auf Sicherheit bedacht, was ihn bisher aber nicht gestört hatte. Seit gestern spürte er deutlich, dass er in manchen Situationen viel zu viele Defizite im Umgang mit Menschen und mit Spontanität und Selbstvertrauen hatte und nahm sich fest vor, daran zu arbeiten und sich zu ändern.
Am Bahnhof standen drei Personen, auch sie warteten auf den Zug. Mario studierte den Fahrplan.
„Mühldorf oder Burghausen?“
„Das ist mir völlig wurscht. Wir nehmen den Zug, der zuerst fährt. Entschuldige meinen barschen Ton, aber ich bin sauer und enttäuscht. Eigentlich wolltest du heute Abend zum Haus von diesem Peter Friedrich und nach deiner Familie suchen. Das kannst du jetzt vergessen. Ich habe so große Hoffnungen darauf gesetzt, Informationen über die Pinis zu bekommen. Stattdessen müssen wir flüchten und uns verkriechen wie feige Hasen.“
„Du weißt doch, was der Detektiv gesagt hat: Wir sollen aus Altötting raus. Das mit Peter Friedrich holen wir nach, versprochen.“
Frieda erwiderte nichts darauf, sie war ja der gleichen Meinung. Trotzdem war sie enttäuscht. Es interessierte sie nicht, warum die Kriminalpolizei aufgetaucht war und sie bat, wieder abzureisen. Was hatten sie mit der Polizei zu schaffen? Sie war sich sicher, dass dieser Friedrich einen wichtigen Hinweis auf die Familie Pini geben konnte. Er musste einen Bezug zu der Familie haben. Warum sonst stand sein Name in den Unterlagen des Reutlinger Immobilienmaklers? In ihren Augen vergeudeten sie wertvolle Zeit, indem sie vor etwas davonliefen, das sie nicht verstand. Aber sie musste sich fügen.
Schweigend warteten sie an dem kalten, unfreundlichen Bahnhof auf den nächsten Zug. Mario verstand Friedas Enttäuschung, auch er wäre am liebsten zu Friedrich gefahren und hätte ihn zur Rede gestellt. Sollte er sich über die Ratschläge des Detektives hinwegsetzen? Noch war Zeit dazu. Er war hin- und hergerissen. Dann fuhr der Zug ein und die Entscheidung war gefallen. Ihr Ziel stand fest: Burghausen.
Der Zug war fast leer und fuhr sehr, sehr langsam und ähnelte dem von gestern. Er hatte wieder das Gefühl, dass sie zu Fuß viel schneller gewesen wären. Nach einer knappen halben Stunde erreichten sie endlich ihr Ziel. Frieda hatte noch kein Wort gesagt und Mario ließ sie in Ruhe. Was hätte er auch sagen sollen?
Am Burghauser Bahnhof studierte Mario den Fahrplan und auch die Streckenkarte genauer. Er begriff, dass sie sich nahe der österreichischen Grenze befanden. Das war sehr interessant, denn bis jetzt war es ihm völlig egal, in welcher Ecke Deutschlands sie waren und in Erdkunde war er nie ein Genie gewesen. Er sah auf die Uhr; nur noch zwei Minuten bis einundzwanzig Uhr. Perfekt. Der Detektiv sagte, sie sollten nach dieser Uhrzeit einchecken, sie waren genau im Zeitplan.
Mario ging zu einem der Taxis. Die genervte Frieda trottete ihm hinterher. Mario sah ihr an, dass sie müde war. Sie brauchte dringend Ruhe. Hätte er sie nicht doch lieber zuhause lassen sollen?
„Kennen Sie eine gemütliche Pension? Wir sind keine Freunde von großen Hotels.“
„Kenn ich, steigen Sie ein. Kein Gepäck?“
„Kein Gepäck.“
Mario überlegte sich eine passable Ausrede für das fehlende Gepäck. Aber da der Taxifahrer nicht nachfragte und sich offensichtlich nur für seine Musik interessierte, schwiegen sie bis zu ihrem Ziel, das sie nach knapp zehn Minuten erreichten. Da die Fahrt für den Taxifahrer nicht lukrativ war, legte Mario ein ordentliches Trinkgeld auf den geringen Fahrpreis und entlockte ihm dadurch ein Lächeln. Die Pension war auf den ersten Blick sehr ansprechend, was beide aber wenig interessierte. Trotz der späten Gäste war die Dame am Empfang sehr liebenswürdig und begleitete sie zu den gemütlichen, sauberen Zimmern. Sie schien nicht zu bemerken, dass sie kein Gepäck hatten, oder sie interessierte sich nicht dafür. Sie hatten beide bei der Anmeldung gültige Pässe vorgelegt und machten nicht den Anschein, dass sie ihre Zimmer nicht bezahlen könnten. Alles andere war für sie nicht von Interesse. Mario fragte nach der Möglichkeit eines Abendessens.
„Natürlich können Sie bei uns essen. Unser Haus wird auch wegen der guten Küche geschätzt. Ich reserviere einen Tisch für Sie.“
Mario hatte an der Rezeption einen Prospekt der Pension eingesteckt. Er rief den Detektiv an und nannte ihm die neue Handynummer und die Adresse der Pension.
„Für die nächsten beiden Tage sind Sie in Sicherheit. Besorgen Sie sich morgen früh Kleidung und alles, was Sie sonst noch brauchen. Unternehmen Sie bitte nichts, bis ich bei Ihnen bin.“
„Wann sind Sie hier?“
„Ich habe noch einiges zu recherchieren und werde mich beeilen. Ich bin so schnell wie möglich bei Ihnen. Bleiben Sie bitte ruhig. Wie geht es Ihrer Begleitung? Wäre es nicht besser, sie fährt wieder nach Hause?“
„Das wäre mir auch lieber. Allerdings befürchte ich, dass sie sich weigert. Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Votteler ist hart im Nehmen.“
Leo wusste längst, wo die beiden untergekommen waren. Er war ihnen gefolgt. Noch hatte er keine Informationen darüber, warum sich die Kriminalpolizei für Peter Friedrich interessierte. Und vor allem nicht, warum die Kriminalpolizei Mario Pini bat, wieder abzureisen. Die beiden Kollegen waren echt. Das herauszufinden, war für seinen Vorgesetzten Zeitler eine Kleinigkeit gewesen.
„Die beiden sind in der Pension Enzian in Burghausen untergekommen,“ sagte Leo zu Zeitler.
„Gut. Ich kümmere mich darum, dass die Meldungen nicht rausgehen. Wäre es nicht besser, die beiden aus der Schusslinie zu nehmen? Ein Öko-Fuzzi und eine alte Frau sind nicht gerade das ideale Gespann.“ Zeitler sagte das zwar salopp, aber er machte sich ernsthaft Sorgen.
„Wir brauchen die beiden. Ohne sie wären wir nie auf die Spur von Peter Friedrich gekommen. Er muss etwas mit der Familie Pini zu tun haben. Vielleicht kommen wir so an Jürgen Knoblich.“
„Ich finde das weit hergeholt. Es gibt nichts, was darauf hindeutet.“
„Wir haben keine andere Spur.“
„Das weiß ich.“
„Haben Sie etwas von den Münchner Kollegen gehört?“
„Noch nicht. Mein Kontakt ist nicht erreichbar, ich bin aber dran. Ich bin gespannt, was die Kripo München von Peter Friedrich möchte. Solange müssen Sie ein Auge auf Pini und Frau Votteler haben.“
„Ich pass auf die beiden auf, versprochen.“ Leo hatte eine ungemütliche Nacht vor sich, die er im Wagen verbringen wollte. Das war nicht das erste Mal. Für einen Moment hatte er darüber nachgedacht, sofort auf der Bildfläche zu erscheinen, entschied sich dann aber dagegen. Bevor er nicht mehr Informationen hatte, blieb er vorerst lieber noch im Hintergrund.
Als Mario das Restaurant betrat, saß Frieda bereits am Tisch und aß. Er erwähnte nur mit knappen Worten das eben geführte Telefongespräch und Frieda verstand sofort: Hier konnten sie auf keinen Fall über das Telefonat und das heute Erlebte sprechen. Das Restaurant war voll. Daher verständigten sie sich stillschweigend, die Unterhaltung nach dem Essen fortzuführen.
„Gehen wir vor dem Schlafen noch eine Runde spazieren?“, schlug Frieda vor, die ein Glas Rotwein zu viel hatte und dringend frische Luft brauchte.
„Gerne,“ sagte Mario, obwohl er keine Lust darauf hatte. Schweigend gingen die beiden um den Block.
Leo Schwartz folgte den beiden. Nachdem sie wieder in die Pension gingen, stieg er in seinen Wagen. Hoffentlich war das der letzte Spaziergang für heute und es gab keine weiteren Überraschungen.