Читать книгу Die Spur führt nach Altötting... - Irene Dorfner - Страница 8

3.

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„Guten Morgen, Mario. Ich dachte schon, Sie stehen überhaupt nicht mehr auf. Setzen Sie sich und langen Sie kräftig zu, wir haben heute viel vor.“

Fröhlich begrüßte ihn Frau Votteler an einem reich gedeckten Frühstückstisch und schenkte dampfenden Tee ein. Es war erst kurz nach sechs, Frau Votteler war offensichtlich eine Frühaufsteherin. Ganz im Gegensatz zu Mario, der üblicherweise vor zehn Uhr niemals aufstand. Aber Frau Votteler hantierte so laut in der Küche, dass er dadurch aufwachte und sich genötigt fühlte, aufzustehen. Er war sich sicher, dass sie das mit Absicht gemacht hatte, um ihn zu wecken.

„Guten Morgen, Frau Votteler, Sie sind echt früh auf. Und Sie waren schon sehr fleißig, das Frühstück sieht himmlisch aus.“ Mario hatte großen Appetit und sein Ärger über das frühe Aufstehen verflog im Nu.

„Jetzt lassen wir mal die Frau Votteler weg. Ich bin die Frieda und du bist der Mario, das ist einfacher. Schließlich sind wir beide nun Komplizen und haben eine gemeinsame Mission zu erfüllen. Iss, Junge, damit du mir nicht verhungerst. Für einen Mann deines Alters und deiner Größe bist du viel zu mager. Ich mache mich fertig und dann können wir los.“

Mario ließ es sich schmecken und war pappsatt. Es war lange her, dass er ein deutsches Frühstück genoss. Vor allem die Brezeln hatten es ihm angetan und er konnte nicht genug davon bekommen. Er hatte nicht nur den gestrigen Tag über, sondern auch am Abend nichts mehr gegessen und war völlig ausgehungert. Durch die ganze Aufregung hatte er nicht mehr an Essen gedacht. Frieda kam fertig angezogen mit Schuhen, Jacke und Tasche in die Küche und die beiden räumten den Tisch ab.

„Ich würde vorschlagen, wir fangen mit den Arbeitsstellen von Melanie und Giuseppe an. Zuerst gehen wir zum Supermarkt, der öffnet um sieben Uhr. Danach gehen wir zu den Stadtwerken.“

„Darf ich vorher noch kurz ins Bad?“

Frieda nickte enttäuscht, sie wollte unbedingt sofort los. Mario versprach, sich zu beeilen. Er amüsierte sich über den wachen Geist und das Temperament seiner neuen Freundin und hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten. Das war gut so, denn das lenkte ihn von seinen Sorgen ab.

Der Supermarkt befand sich nur zwei Straßen entfernt und Frieda Votteler war hier offensichtlich bekannt wie ein bunter Hund. Es gab kaum eine Person, die sie nicht begrüßte. Auf Nachfragen bezüglich ihrer Begleitung gab sie freimütig Auskunft darüber, dass es sich um einen Verwandten der Familie Pini handelte.

Im Supermarkt trommelte Frieda Melanies ehemalige Arbeitskolleginnen zusammen und stellte Mario vor.

„Von einem Tag auf den anderen war Melanie nicht mehr hier und wir bekamen von der Geschäftsleitung die Information, dass sie das Arbeitsverhältnis ohne Angabe von Gründen gekündigt hat.“ Diese und ähnliche Informationen bekamen sie von jeder Kollegin zu hören. Mario war schnell klar, dass Frieda alle bereits diesbezüglich befragt hatte, denn die ehemaligen Kolleginnen seiner Tante waren von den erneuten Fragen genervt.

Niedergeschlagen verließen die beiden den Supermarkt, vor allem Mario hatte sich mehr von der Befragung versprochen. Er hatte deutlich gespürt, dass seine Tante Melanie und die übrige Familie Pini hier sehr beliebt waren und keiner verstehen konnte, dass sie so Hals über Kopf gekündigt hatte. Das streute erneut Salz in seine Wunde und bestärkte ihn in seiner Annahme: Das Verschwinden seiner Familie war nicht normal.

Bei den Stadtwerken war man weniger kooperativ, sie wurden bereits am Empfang abgewiesen. „Über ehemalige Mitarbeiter geben wir keine Auskunft,“ war die knappe Antwort des Pförtners.

„Das hätte ich mir ja denken können, dass Sie uns keine große Hilfe sind. Aber unser Geld nehmen Sie natürlich. Wenn man aber mal eine kleine Frage hat, wird man abgewimmelt.“ Frieda war außer sich von der rohen Art des Mannes, der sich aber durch Friedas Schimpftirade nicht aus der Ruhe bringen ließ. Er bat sie, das Gelände zu verlassen und bezüglich dieses Anliegens nicht mehr vorstellig zu werden.

Natürlich wusste Frieda, welche Schule die beiden Mädchen besuchten, denn stolz sagte sie: „Die beiden gehen auf das Albert-Einstein-Gymnasium in Reutlingen.“

Mario musste schmunzeln, da er früher die gleiche Schule besuchte.

Sie nahmen den Bus nach Reutlingen und Mario beschloss, dass er sich dringend einen Wagen besorgen musste, um flexibler und mobiler zu sein.

Im Gebäude des Gymnasiums, das sie kurz vor halb zehn betraten, nahm Mario sofort diesen typischen Geruch der Schule wahr. Er wurde fast etwas wehmütig, denn er hatte seine Schulzeit in sehr guter Erinnerung. Er war beileibe nicht der beste Schüler, aber bis auf wenige Ausnahmen hatte er riesiges Glück mit den Lehrern und Klassenkameraden. Vor allem Mathematik, Geschichte und Deutsch waren seine Lieblingsfächer, während er auf Englisch, Physik, Chemie und vor allem auf Sport gerne verzichten konnte. Mario sah sich um. Es hatte sich in den Jahren sehr viel verändert, trotzdem erkannte er das eine oder andere Detail.

Frieda war fasziniert von dem hellen, sauberen Gebäude und kam aus dem Schwärmen nicht mehr raus. Sie erzählte Mario in allen Einzelheiten, bei welchen Gelegenheiten sie bereits hier gewesen war. Sie wurde von der Familie Pini zu Schulfesten, Theateraufführungen und auch zu Konzerten eingeladen, was sie immer gerne annahm. Sie hatte keine Familie und somit keine Enkel. Die Mädchen waren ihr sehr ans Herz gewachsen und sie fühlte sich in den letzten Jahren wie deren Großmutter.

Das Sekretariat fanden sie ohne Probleme, denn das kannte Mario noch von früher. Mittlerweile war es viel größer und natürlich moderner. Auch die Sekretärinnen waren hübscher.

„Mein Name ist Mario Pini und ich bin auf der Suche nach meinen Cousinen Laura und Maria Pini, die bis vor Kurzem hier zur Schule gingen. Ich war viele Jahre im Ausland und bin auf der Suche nach meiner Familie. Wäre es möglich, in Ihren Schulakten nachzusehen, ob irgendetwas über den neuen Wohnort zu erfahren ist?“ Mario setzte sein charmantestes Lächeln auf und die Sekretärin war seinem Charme nicht abgeneigt. Sie lächelte ebenfalls und setzte sich sofort an ihren Computer. Ihre Miene versteinerte sich, sie sah verstohlen zu Mario, murmelte ein kurzes Moment bitte und kam dann mit dem Rektor zurück. Der warf einen Blick auf ihren Bildschirm und wandte sich dann an Mario.

„Leider können wir zu den beiden Schülerinnen nichts sagen. Tut mir leid, wir haben keinen Vermerk darüber, dass wir Ihnen gegenüber Auskunft geben dürfen.“

Mario und Frieda starrten den Mann an.

„Wie sollen wir das verstehen? Heißt das, Sie wissen etwas und können uns nichts sagen? Oder dürfen Sie nichts sagen?“ Mario verstand die Welt nicht mehr. Was war hier los?

„Wie gesagt, von uns bekommen Sie keine Auskunft, es tut mir leid. Bitte verlassen Sie das Schulgelände.“

„Sie werfen uns raus?“

„Bitte verlassen Sie das Schulgelände,“ wiederholte der Rektor, dem das alles hier sichtlich unangenehm war, zumal fünf weitere Personen anwesend waren, die jetzt mucksmäuschenstill dem Geschehen lauschten. Frieda startete abermals eine Schimpftirade, die aber nichts brachte.

„Wenn Sie sich weigern, das Schulgelände zu verlassen, müssen wir die Polizei rufen.“ Das war deutlich. Mario nahm Frieda an die Hand und zog sie, immer noch schimpfend, aus dem Gebäude. Sie gingen drei Straßen weiter Richtung Marktplatz und setzten sich auf eine Bank, Frieda hatte sich etwas beruhigt.

„Was nun?“ Frieda hatte einen hochroten Kopf und war sehr erschöpft.

„Wie sieht es aus mit Freunden oder Melanies Familie?“

„Die habe ich alle schon angerufen oder angesprochen. Die wissen genauso viel wie wir, glaub mir.“

„Dann gehen wir jetzt zur Polizei.“

„Zu diesen Pfeifen?“ Frieda schrie so laut, dass einige Passanten verstohlen zu den beiden rüber sahen. „Das hab ich doch versucht, die machen doch nichts, denen ist das ziemlich egal.“

„Vielleicht nicht, wenn ich als Verwandter nachfrage. Einen Versuch ist es wert. Kommst du trotzdem mit?“

„Darauf kannst du Gift nehmen.“

Schweigend gingen die beiden zur Polizei, die nur wenige Straßen entfernt war. Man konnte Frieda Votteler die Anspannung ansehen, denn ihr Atem wurde schneller und ihr Gesicht war immer noch knallrot. Sie hatte die Polizei noch nie gemocht und hatte, seit sie denken konnte, nur schlechte Erfahrungen gemacht. Einige Male hätte sie deren Hilfe brauchen können, aber die hatte man ihr verweigert. Damals war sie noch jung gewesen und wurde von ihrem damaligen Freund mehrmals misshandelt. Als sie Hilfe bei der Polizei suchte, wimmelte man sie ab. Man wollte sich nicht in Privatangelegenheiten einmischen. Seit damals hatte sie die Polizei gemieden. Erst vor wenigen Wochen nahm sie all ihren Mut zusammen und ging zur Polizei. Aber wieder wurde sie abgewimmelt. Man spürte Friedas Anspannung, als sie das Gebäude betraten. Sie war jetzt nicht mehr so vorlaut und forsch, sondern hielt sich zurück.

Wider Erwarten wurden sie freundlich begrüßt, doch Frieda blieb angespannt.

„Mein Name ist Mario Pini,“ sagte er und legte seinen Personalausweis auf den Tresen. „Ich bin auf der Suche nach meinen Verwandten Giuseppe und Melanie Pini, sowie deren Kinder Laura und Maria. Sie haben bis vor Kurzem in Pfullingen gewohnt.“ Mario beschloss, keine weiteren Details zu nennen und erst einmal abzuwarten, wie der Polizist reagieren würde.

„Und was können wir da tun? Wir sind die Polizei und nicht das Einwohnermeldeamt. Wenden Sie sich bitte an die Stadt Pfullingen, denn solange gegen Ihre Familie nichts vorliegt, sind wir nicht zuständig.“

„Das Problem ist, dass meine Familie offensichtlich über Nacht weggezogen ist, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Ich bin davon überzeugt, dass hier etwas nicht stimmt.“

„Setzten Sie sich an Ihren Computer und sehen Sie nach.“ Frieda war sehr ungehalten und konnte sich nicht mehr beherrschen. „Ich war wegen der Familie Pini bereits hier und Sie haben mich weggeschickt, ja das waren genau Sie, junger Mann. Hier ist ein Familienmitglied, das nach seiner Familie sucht und jetzt unternehmen Sie sofort etwas.“

Mario konnte Frieda kaum bremsen und ihm wurde flau im Magen. Wenn man so pampig der Polizei gegenüber war, zog das meist nichts Gutes nach sich. Zu seiner Überraschung ging der Polizist tatsächlich zu seinem Bildschirm, tippte in die Tastatur. Offensichtlich hatte er etwas entdeckt, denn er las interessiert. Er sah zu den beiden hinüber und ging dann auf sie zu.

„Tut mir leid, da können wir nicht helfen, gegen Ihre Familie liegt nichts vor. Auf Wiedersehen.“

„Aber Sie haben doch gerade etwas gefunden und wissen etwas. Was haben Sie auf Ihrem Bildschirm gelesen?“ Frieda hatte den Polizeibeamten genau beobachtet und war sich sicher, dass er Informationen über die Familie Pini hatte, die er nicht weitergeben wollte.

„Nichts, was Sie interessieren dürfte. Und jetzt möchte ich Sie bitten zu gehen, wir können nichts für Sie tun. Ich wiederhole mich zwar, aber gegen die Familie Pini liegt nichts vor und es ist kein Verbrechen, umzuziehen, das steht jedem Bürger frei. Hier ist Ihr Personalausweis. Einen schönen Tag noch, auf Wiedersehen.“

Mario und Frieda standen verstört auf der Straße.

„Ich habe gewusst, dass man uns nicht helfen möchte. Es ist immer dasselbe!“, machte sich Frieda Luft.

„Was machen wir jetzt?“ Mario sah die Verzweiflung in Friedas Augen, die sich nun noch mehr Sorgen machte.

„Ich habe keine Ahnung.“

Leo Schwartz war seit den frühen Morgenstunden in Pfullingen. Er hatte vor dem Haus der Familie Pini Stellung bezogen und wartete. Wer war in dem Haus der Familie gewesen? Er hatte drei unscharfe Aufnahmen übermittelt bekommen, die einen Mann und eine alte Frau zeigten. Wer waren die beiden? Als Frieda und Mario aus dem Nachbarhaus kamen, erkannte er die beiden sofort. Wer waren sie und was wollten die beiden gestern Abend im Pini-Haus? Er folgte ihnen. Als die beiden den Supermarkt verließen, dachte er sich noch nichts dabei. Aber bei den Stadtwerken wurde er hellhörig. Er wusste aus den Unterlagen, dass Giuseppe Pini hier gearbeitet hatte. Als die beiden dann auch noch das Albert-Einstein-Gymnasium betraten, war er überzeugt: Die beiden waren auf der Suche nach der Familie Pini. Aber warum? Er hatte schnell herausgefunden, dass es sich bei der alten Frau um Frieda Votteler handelte, die Nachbarin der Pinis. Sie hatte bereits ohne Erfolg nach der Familie gesucht und hatte aufgegeben, als sie keine Informationen bekam. Wer war der Mann? Leo war für einen Moment versucht, im Gymnasium nachzufragen, was die beiden hier suchten, verwarf das dann aber schnell wieder, denn die beiden gingen weiter. Wohin wollten sie jetzt? Zur Polizei! Die beiden gingen zielgerichtet zur Polizei, er konnte sein Glück kaum fassen. Er wartete wenige Minuten, bis die beiden das Polizeigebäude verließen, und ging dann selbst hinein. Er zeigte seinen Ausweis vor.

„Eine Frieda Votteler war eben in Begleitung hier. Ich habe zwei Fragen: Wer war der Mann und was wollten die beiden?“

„Der Mann ist ein gewisser Mario Pini. Er gab an, ein Verwandter der Familie Pini zu sein, die kürzlich umgezogen ist. Ich konnte den beiden keine Auskunft geben, da ein entsprechender Vermerk im Computer hinterlegt ist.“

„Ich weiß, den habe ich selbst veranlasst. Kann ich Ihren Computer benutzen?“

„Bitte.“

Leo brauchte eine knappe Stunde, um alle Informationen über Mario Pini herauszufinden. Mario war der Neffe von Giuseppe und Melanie Pini und befand sich noch bis vor drei Tagen in Venezuela. Warum war er hier? Was wollte er hier? Leo hoffte, dass der Mann keine Schwierigkeiten machte.

Leo stieg in seinen Wagen. War er hier auf der richtigen Spur nach Jürgen Knoblich? Der Entflohene hatte einen persönlichen Bezug zur Familie Pini, den er noch vor wenigen Wochen als sehr weit hergeholt einstufte. Aber er hatte außer einigen zwielichtigen Kumpanen Knoblichs keine andere Spur. Er war vor drei Monaten selbst überrascht darüber, dass die Familie Pini bei Nacht und Nebel einfach umgezogen war. Natürlich hatte er versucht, herauszufinden, wo die Familie abgeblieben war. Leider erfolglos. War er hier auf der richtigen Spur oder lag er völlig falsch?

Leo beschloss, Mario Pini und Frieda Votteler auf den Fersen zu bleiben. Mal sehen, was die beiden über die Familie Pini herausfanden.

Die Spur führt nach Altötting...

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