Читать книгу Das Barnabas-Evangelium - Irene Dorfner - Страница 10
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ОглавлениеDie Vorbereitungen des Weihnachtsmarkts in Mühldorf am Inn, der dieses Jahr vom 3. bis 6. Dezember stattfand, liefen auf Hochtouren. Wie jedes Jahr war der Haberkasten Veranstaltungsort des ebenfalls weit über die Grenzen beliebten Weihnachtsmarktes. Der frühere Getreidespeicher aus dem 15. Jahrhundert und seit dessen Umbau 1996 Kulturzentrum der Stadt Mühldorf, war voller Buden und Stände. Die Betreiber hatten ihre Waren bereits eingeräumt, morgen ging es endlich los. Krohmer hatte auf besonderen Wunsch des Bürgermeisters zwei Polizisten eingeteilt, was diesem aber nicht genügte.
„Ich werde den Weihnachtsmarkt morgen persönlich eröffnen. Außer der Mühldorfer Bevölkerung und den vielen Gästen aus dem Umland sind heuer einige Besucher der Partnerstädte und natürlich meine ganze Familie anwesend. Ich verlange, dass ein Sprengstoffspürhund vorab seine Runden dreht. Nicht auszudenken, was passiert, wenn auch bei uns eine Bombe hochgeht.“ Der Bürgermeister hatte Angst, große Angst.
„Jetzt mal ganz ruhig. Nur, weil in Altötting eine Bombe gezündet wurde, muss das nicht zwangsläufig in Mühldorf auch passieren. Wie Sie wissen, läuft der Altöttinger Christkindlmarkt seit 30.11. reibungslos weiter. Ich verspreche Ihnen, dass wir alles vorher abchecken.“
Krohmer orderte einen Sprengstoffspürhund aus Landshut an, da der Bürgermeister darauf bestand. Was sollte er tun?
„Der Hundeführer ist morgen gegen 10.00 Uhr bei Ihnen,“ versprach der Landshuter Kollege.
Tags darauf war der Hundeführer pünktlich vor Ort und Leo begleitete ihn und dessen Hund, nachdem alle Budenbetreiber und Schaulustige des Platzes verwiesen worden waren. Der Hund ging seiner Arbeit nach und auch der Hundeführer war sehr konzentriert und beobachtete seinen Vierbeiner genau. Leo trottete gelangweilt hinterher. Er interessierte sich nicht für die Arbeit des Hundeführers und dessen Hund, daher sah er sich um. Für ihn sahen alle Weihnachtsmärkte gleich aus, er war kein großer Freund davon. Fast an jedem Stand gab es Glühwein, irgendetwas Essbares und Weihnachtsnippes in Hülle und Fülle. Wann war er als Besucher das letzte Mal auf einem Weihnachtsmarkt gewesen? Das war vor einem Jahr, als er noch mit Viktoria zusammen war und sie darauf drängte, zumindest einen kleinen Spaziergang über den Christkindlmarkt Altötting zu machen. Als er an Viktoria dachte, gab es ihm einen Stich in der Magengrube. Wie es ihr in Berlin wohl erging? Kam sie dort zurecht? Wurde sie akzeptiert? Fühlte sie sich wohl? Hatte sie vielleicht schon einen Neuen gefunden? Leo wischte die düsteren Gedanken davon, die zum Glück immer seltener wurden, denn anfangs hatten ihn die Fragen fast verrückt gemacht. Viktoria war weg und er konnte nichts mehr daran ändern. Er sollte sich endlich an die Situation gewöhnen.
Der Hundeführer blieb plötzlich stehen, da auch sein Hund stehengeblieben war.
„Was ist los?“
„Der Hund hat etwas gefunden. Hier in diesem Fass muss Sprengstoff sein.“
Leo wollte widersprechen, denn er glaubte einfach nicht daran. Aber er sah das besorgte Gesicht des Hundeführers, das Bände sprach. Leo rief die Kollegen und dann ging alles ganz schnell. Während ein Sprengkommando eigens aus Landshut hinzugezogen wurde, sorgte die Polizei dafür, dass weiträumig abgesperrt und evakuiert wurde. Der Haberkasten stand mitten in einem dichtbesiedelten Wohngebiet, hier musste die Polizei reagieren. Noch war nicht klar, ob hier tatsächlich eine Bombe war. Und wenn ja: Wie hoch war deren Sprengkraft?
Die Polizisten waren alle bis aufs Äußerste angespannt, denn auch sie fürchteten um ihr Leben und schützten sich notdürftig mit einer schusssicheren Weste, einem Helm und einem Schild, hinter dem sie sich im Ernstfall verstecken konnten. Das Warten auf die Landshuter Kollegen schien schier unendlich zu sein. Endlich rückten die Spezialisten an und machten sich an die Arbeit. Nach einer gefühlten Ewigkeit kam die Entwarnung.
„Das hübsche Ding hier lag in dem Fass, der Hund hat eine sehr gute Nase. Die Bombe könnte gefährlich sein, wenn sie einen Zünder hätte,“ sagte der Mann mit einem Lächeln und zeigte auf die Rohrbombe, die auf dem Boden lag. „Selbstgebastelt. Obwohl der Zünder fehlt, war kein Stümper am Werk. Der Bastler wusste, was er machte.“
„Sie meinen, er hat den Zünder mit Absicht nicht angebracht?“
„Das meine ich, ja. Hier wollte jemand allen einen gehörigen Schrecken einjagen, was ihm ja auch gelungen ist. Wir sind soweit fertig und räumen alles weg. Ich würde vorschlagen, dass der Hund nochmals eine Runde dreht. Nicht, dass hier noch eine Bombe versteckt ist und wir nochmal gerufen werden. Wo wir nun schon mal hier sind…“ Der Mann lachte laut, der hatte echt einen makabren Humor.
Der Sprengstoffspürhund drehte noch eine Runde und alle Beteiligten sahen ihm mit Argwohn und großem Abstand zu. Aber diesmal schlug der Hund nicht an. Der Hundeführer gab grünes Licht und nun konnten alle Betreiber mit einem flauen Gefühl im Magen in ihre Buden zurück. Die ganze Aktion hatte sehr viel Zeit gekostet. Nur noch eine halbe Stunde und der Weihnachtsmarkt wurde offiziell eröffnet. Sollten die Polizisten den Bürgermeister informieren? Leo rief Krohmer an.
„Da hat sich wohl einer einen dummen Scherz erlaubt,“ schrie Krohmer wütend und erleichtert zugleich.
„Sollen wir den Bürgermeister informieren?“
„Nein, das regt den nervösen Mann nur noch mehr auf und er redet vielleicht noch Unsinn in seiner Ansprache. Gleich danach werde ich ihn informieren, das reicht vollkommen.“
Die Ansprache des Bürgermeisters war blumig und gespickt mit guten Wünschen. Noch bevor Krohmer mit ihm sprechen konnte, erfuhr er von der vermeintlichen Bombe von einem Budenbetreiber, bei dem er seinen ersten Glühwein trank.
„Und das konnten Sie mir nicht früher berichten?“, schnauzte der Bürgermeister Krohmer an, nachdem der endlich in Ruhe mit ihm sprechen konnte.
„Diese Bombe hätte nie hochgehen können, sie hatte keinen Zünder,“ versuchte Krohmer zu erklären. „Ich habe Verstärkung angeordnet. Sie brauchen sich keine Sorgen machen, wir haben alles im Griff.“ Aber der Bürgermeister war nicht an der Erklärung interessiert. Er suchte seine Familienangehörigen und machte, dass er so schnell wie möglich von hier wegkam.
Eine Bombe auf seinem Weihnachtsmarkt! Diese Tatsache ließ den Bürgermeister während der restlichen Tage Dauer des Marktes nicht in Ruhe. Er konnte erst wieder durchatmen und ruhig schlafen, als der Weihnachtsmarkt offiziell beendet wurde und alle Budenbetreiber den Haberkasten verlassen hatten. Von da an war der Bürgermeister in ständiger Verbindung mit Krohmer. Natürlich wusste er, dass er nervte. Aber schließlich hatte ein Verrückter seinen Weihnachtsmarkt bedroht und dieser Typ musste unbedingt aus dem Verkehr gezogen werden. Auch Tage nach Ende des Weihnachtsmarktes kursierten über den vermeintlichen Bombenanschlag die wildesten Gerüchte. Nächstes Jahr waren Wahlen. Es würde für ihn sprechen, wenn er den Mühldorfern den Täter präsentieren könnte – und diese Chance wollte und musste er nutzen. Was interessierte es ihn dabei, ob er Krohmer auf die Nerven ging?